Die Bachkantate (151): BWV47: Wer sich selbst erhöhet, der soll erniedriget werden

  • BWV 47: Wer sich selbst erhöhet, der soll erniedriget werden
    Kantate zum 17. Sonntag nach Trinitatis (Leipzig, 13. Oktober 1726)




    Lesungen:
    Epistel: Eph. 4,1-6 (Ermahnung zur Einigkeit im Geist)
    Evangelium: Luk. 14,1-11 (Heilung eines Wassersüchtigen am Sabbat, Mahnung zur Bescheidenheit)



    Fünf Sätze, Aufführungsdauer: ca. 24 Minuten


    Textdichter: Johann Friedrich Helbig (1720)
    Choral: unbekannter Verfasser (um 1560)



    Besetzung:
    Soli: Sopran, Bass; Coro: SATB; Oboe I + II, Orgel, Solo-Violine, Violino I/II, Viola, Continuo





    1. Chor SATB, Oboe I + II, Streicher, Continuo
    Wer sich selbst erhöhet, der soll erniedriget werden,
    und wer sich selbst erniedriget, der soll erhöhet werden.


    2. Aria Sopran, Orgel (oder Solo-Violine), Continuo
    Wer ein wahrer Christ will heißen,
    Muss der Demut sich befleißen.
    Demut stammt aus Jesu Reich.
    Hoffart ist dem Teufel gleich.
    Gott pflegt alle die zu hassen,
    So den Stolz nicht fahren lassen.


    3. Recitativo Bass, Streicher, Continuo
    Der Mensch ist Kot, Staub, Asch’ und Erde;
    Ist’s möglich, dass vom Übermut,
    Als einer Teufelsbrut,
    Er noch bezaubert werde?
    Ach Jesus, Gottes Sohn,
    Der Schöpfer aller Dinge,
    Ward unsertwegen niedrig und geringe;
    Er duld’te Schmach und Hohn;
    Und du, du armer Wurm, suchst dich zu brüsten?
    Gehört sich das vor einen Christen?
    Geh, schäme dich, du stolze Kreatur,
    Tu’ Buß’ und folge Christi Spur;
    Wirf dich vor Gott im Geiste gläubig nieder!
    Zu seiner Zeit erhöht er dich auch wieder.


    4. Aria Bass, Oboe I, Solo-Violine, Continuo
    Jesu, beuge doch mein Herze
    Unter deine starke Hand,
    Dass ich nicht mein Heil verscherze
    Wie der erste Höllenbrand.
    Lass mich deine Demut suchen
    Und den Hochmut ganz verfluchen.
    Gib mir einen nieder’n Sinn,
    Dass ich dir gefällig bin!


    5. Choral SATB, Oboe I + II, Streicher, Continuo
    Der zeitlichen Ehr’n will ich gern entbehr’n,
    Du wollst mir nur das Ew’ge gewähr’n,
    Das du erworben hast
    Durch deinen herben, bitter’n Tod.
    Das bitt’ ich dich, mein Herr und Gott.






    Diese Kantate stützt sich thematisch auf den Aspekt der Mahnung zur Bescheidenheit durch Jesus, wie sie im Evangelium des heutigen Sonntags im Rahmen eines Gleichnisses beschrieben wird.
    Die Kantatendichtung stammt vom Eisenacher Regierungsbeamten und Poeten Johann Friedrich Helbig, der 1720 einen ganzen Jahreszyklus von Kantatendichtungen für den Eisenacher Fürstenhof unter dem Titel “Auffmunterung Zur Andacht“ veröffentlichte.


    Georg Philipp Telemann hat in seiner Funktion als ehemaliger Eisenacher Kapellmeister (mit nach wie vor bestehenden Verbindungen zum dortigen Hof) denn auch viele dieser Kantaten vertont, Bach hingegen nur den Text der hier besprochenen Kantate – möglicherweise lag ihm der gedruckte komplette Kantatenjahrgang Helbigs auch gar nicht vor.
    Die Dichtung Helbigs unterscheidet sich merklich von den Kantatentexten, die Bach sonst zu vertonen gewohnt war – vieles wirkt in seiner Knappheit allzu belehrend und kurz angebunden. Möglicherweise hat der durchaus mit literarischen Ambitionen und einer gewissen Erwartungshaltung den zu vertonenden Kantatentexten gegenüber ausgestattete Bach einfach keine Lust gehabt, sich weiter mit den Helbig-Dichtungen zu befassen?


    Die Kantate beginnt mit einem einleitenden Bibelwort-Chorsatz, der dem heutigen Sonntagsevangelium entnommen ist (Lukas Kapitel 14, Vers 11).
    Interessant ist, dass gerade dieser Vers im Lukas-Evangelium nochmal vorkommt (Kapitel 18, Vers 14) – als Quintessenz des Gleichnisses vom Pharisäer und dem Zöllner. Und dieses Gleichnis wiederum ist das Sonntagsevangelium des 11. Sonntags nach Trinitatis, so dass hier eine liturgische Verbindung zwischen beiden Sonntagen besteht: Die Mahnung zu Demut und Bescheidenheit ist schließlich eine recht zentrale christliche Botschaft.


    Der schon erwähnte Eingangschor (in g-moll) ist jedenfalls ein sehr umfangreicher, die gesamte Kantate dominierender Satz, der überwiegend in Fugenform gehalten ist – ein wirklich beeindruckendes, aufgrund seiner Dimensionen geradezu monumentales Stück Musik! :yes:


    Die Arie Nr. 2 verlangt eine obligate Orgel als Begleitung der Sopranstimme. Bach hat anlässlich einer Wiederaufführung der Kantate in den 1730er Jahren diesen Orgelpart für Solo-Violine umgeschrieben, vielleicht um dem Sologeiger, der zusammen mit der 1. Oboe auch in der Arie Nr. 4 eingesetzt wird, eine weitere dankbare Aufgabe zukommen zu lassen?


    Wahrscheinlich ist es wieder einmal jedem Interpreten selbst überlassen, welche Besetzungslösung er für die Arie Nr. 2 wählt – beide Fassungen haben sicher ihren Reiz.

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • Guten Tag,


    Zitat

    Original von MarcCologne
    BWV 47: Wer sich selbst erhöhet, der soll erniedriget werden
    gegenüber ausgestattete Bach einfach keine Lust gehabt, sich weiter mit den Helbig-Dichtungen zu befassen?



    Die Arie Nr. 2 verlangt eine obligate Orgel als Begleitung der Sopranstimme.


    Es wurde viel spekuliert, wer den Orgelpart gespielt haben könnte; Wilhelm Friedemann Bach, Johann Sebastian selbst, sonst wer ? Hätte J.S. Bach aber eine Kantatenaufführung von der Orgelbank aus leiten können ?


    Zitat

    Bach hat anlässlich einer Wiederaufführung der Kantate in den 1730er Jahren diesen Orgelpart für Solo-Violine umgeschrieben, vielleicht um dem Sologeiger, der zusammen mit der 1. Oboe auch in der Arie Nr. 4 eingesetzt wird, eine weitere dankbare Aufgabe zukommen zu lassen?


    Wahrscheinlich ist es wieder einmal jedem Interpreten selbst überlassen, welche Besetzungslösung er für die Arie Nr. 2 wählt – beide Fassungen haben sicher ihren Reiz.


    Gibt es eine Einspielung mit den Einsatz einer Solovioline ?


    Gruß :hello:


    aus der Kurpfalz


    Bernhard