TSCHAIKOWSKY, Pjotr Iljitsch: EUGEN ONEGIN

  • Pjotr Iljitsch TSCHAIKOWSKY
    EUGEN ONEGIN


    Lyrische Szenen in 3 Akten (7 Bilder)


    Libretto nach Alexander Sergejewitsch Puschkin


    Uraufführung: 17. (29.) März 1879, Maly-Theater Moskau


    Personen der Handlung:


    Larina, verwitwete Gutsbesitzerin (Mezzosopran)
    Tatjana, ihre Tochter (Sopran)
    Olga, ihre Tochter (Alt)
    Njanja, deren Kinderfrau (Mezzosopran)
    Eugen Onegin, Gutsnachbar (Bariton)
    Lenskij, ein junger Dichter (Tenor)
    Fürst Gremin (Bass)
    Triquet, ein Franzose (Tenor)
    Hauptmann (Bass)
    Saretzkij (Bass)


    Bauern, Bäurinnen, Ballgäste, Offiziere....


    Ort und Zeit der Handlung:
    Landgut und St. Petersburg um 1820

    Inhalt


    1. AKT
    1. Bild
    (Garten des Gutes Larin)


    Die verwitwete Gutsbesitzerin Larina hört mit dem alten Kindermädchen Njanja ihren Töchtern Tatjana und Olga zu, die ein wehmütiges Liebeslied singen. Erinnerungen an die eigene Jugend werden wach, als sie in einen charmanten Gardeoffizier verliebt war, aber nach dem Willen der Familie mit dem ungeliebten Larin verheiratet wurde. Nach anfänglicher Verzweiflung fügte sie sich in ihr Schicksal: "Gewöhnung gab der Himmel uns, sie ist Ersatz für alles Glück!"
    Bauern überreichen der Gutsherrin eine geschmückte Garbe als Symbol dafür, dass die Ernte eingebracht ist. Die Larina lädt sie ein zum Feiern und die Bauern bedanken sich mit einem übermütigen Lied. Während die sehr introvertierte Tatjana "beim Klang dieser Lieder mit meinen Träumen fortzufliegen" scheint, spottet die lebenslustige Olga darüber und bekennt sich zu einer ganz anderen Lebensphilosophie: Sie will ihre Jugend genießen und in erster Linie Spaß haben. "Warum denn seufzen, wenn glücklich meine jungen Tage verrinnen?"
    Während die Larina den Bauern für ihr Lied dankt, sorgt sich die Njanja um Tatjana, die ihr blass und krank erscheint. Das Mädchen zertreut ihre Sorgen: Es sei nichts, nur ihre momentane Lektüre, die Schilderung der Herzensqualen zweier Liebender, wühle sie zu sehr auf. Ja, in ihrer Jugend habe sie solche Romane auch geliebt, zeigt sich die Mutter verständnisvoll, doch das Leben habe sie gelehrt, "dass es keine Helden gibt".
    Die Njanja meldet die Ankunft von Olgas Verehrer Lenskij und eines Herren Onegin in dessen Begleitung. Lenskij begrüßt die Damen und stellt ihnen seinen Gutsnachbarn vor, den mitzubringen er sich die Freiheit genommen habe. Larina und die Njanja ziehen sich ins Haus zurück und lassen die jungen Leute alleine.
    Onegin taxiert die Mädchen und meint, wäre er Lenskji und wie dieser ein Dichter, würde er die melancholische Tatjana bevorzugen, die muntere Olga erscheint ihm allzu oberflächlich. Doch just in diese ist Lenskij verliebt, und während er ihr stürmisch den Hof macht und ihr seine Liebe beteuert, beginnt Onegin eine Unterhaltung mit Tatjana. Diese, noch völlig unerfahren im Umgang mit Männern, ist vom ersten Augenblick an vom byronhaften Charme des Lebemannes fasziniert. Schüchtern beantwortet sie seine Frage nach ihrem Tagesablauf: Sie lese und träume viel.


    2. Bild (Tatjanas Zimmer)Tatjana, durch die Begnung mit Onegin noch immer ganz aufgewühlt, bittet ihre Njanja, ihr von früher zu erzählen, von ihrer ersten Liebe, doch die Kinderfrau reagiert unwirsch, will an ihre erzwungene und demgemäß unglückliche Ehe nicht erinnert werden. Wieder sorgt sie sich um ihren Schützling, die ihr noch merkwürdiger als sonst erscheint, und das Mädchen bekennt verliebt zu sein.
    Alleine, träumt Tatjana von Onegin und schreibt ihm einen Brief, der ein glühendes Liebesbekenntnis enthält. In ihm erkenne sie die Helden aus ihren Büchern wieder, er sei der ihr vom Himmel zugedachte Mann, in seiner Hand liege ihr Schicksal.
    Am Morgen nach dieser in fieberhafter Erregung zugebrachten Nacht übergibt sie der Njanja den Brief mit dem Auftrag, ihn durch ihren Enkel an Onegin weiterzuleiten.


    3. Bild (Garten der Larins)


    Während im Hintergrund ein fröhlicher Mädchenchor ertönt, wartet Tatjana in ängstlicher Ungeduld auf Onegin. Nun, am helllichten Tag, erschrickt sie über ihre Kühnheit und klagt sich an, "dem Schrei der Seele" so vorbehaltlos nachgegeben zu haben. Endlich erscheint Onegin. Er würdigt zwar Tatjanas Offenheit und Vertrauen, erteilt ihr dann aber eine kühle Abfuhr. Er sei nicht geschaffen für die Ehe, könne und wolle ihre Erwartungen nicht erfüllen und würde sie nur unglücklich machen. Er bietet ihr seine "Bruderliebe" an und lässt unsensibel durchblicken, dass er ihre Gefühle nicht ernst nimmt und als Jungmädchenschwärmerei abtut. Schließlich verlässt er die verzweifelte Tatjana mit der Warnung "Lernen sie sich zu beherrschen, nicht jeder wird sie so verstehn wie ich!"


    2. AKT
    1. Bild
    (Festssal im Haus der Larins)


    Im Hause Larin findet ein Ball statt. Die Gäste amüsieren sich, aber man klatscht auch über Tatjana und Onegin, die miteinander tanzen. Er sei ein ungebildeter Eigenbrötler und Spieler, der das arme Mädchen nur unglücklich machen werde. Onegin schnappt diese Worte auf, und sein beleidigter Stolz sucht ein Ventil. Lenskij bietet sich als Blitzableiter an, denn schließlich hat er ihn dazu überredet, den Ball bei Larins zu besuchen. Um sich an ihm zu "rächen", beginnt er mit Olga zu flirten, und das lebenslustige Mädchen, das ihn wahrscheinlich wesentlich interessanter findet als ihren stets von Liebe schmachtenden Dichter, findet Gefallen an dem Spiel mit dem Feuer. Lenskij reagiert erwartungsgemäß mit Eifersucht und macht Onegin heftige Vorwürfe, die dieser aber als Lappalie abtut: Sie hätten doch nur getanzt und geplaudert.
    Monsieur Triquet, der Gast aus Frankreich, huldigt in zwei Couplets der "Königin des Balls", Tatjana, die sich aber nur sehr ungern im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit sieht und gewohnt schüchtern reagiert. Olga tanzt wie versprochen auch den Kotillon mit Onegin, während der von Eifersucht zerfressene Lenskij tatenlos zusehen muss. Onegin tut so, als bemerke er die Verstimmung des Freundes nicht und reizt ihn noch mit der scheinbar unschuldigen Frage, warum er denn nicht tanze, worauf dieser völlig die Beherrschung verliert. Vor allen Gästen beschuldigt er Onegin, aus purer Selbstsucht allen Mädchen den Kopf zu verdrehen, und kündigt ihm die Freundschaft auf. Zu spät versucht dieser einzulenken und den Eifersüchtigen zu beschwichtigen. Lenskij fordert zum Entsetzen der Ballgäste Genugtuung. Er habe begriffen, "das Leben ist kein Roman, Ehre ist Schall, Freundschaft ein leeres Wort." Onegin erkennt nun, was er in seinem Übermut angerichtet hat, dass er des Freundes Gefühle "unachtsam verhöhnt" und nicht als reifer Mann, sondern als Hitzkopf gehandelt hat, doch diese Reue kommt zu spät, denn er muss "die Beleidigung parieren".
    Während die Larina und ihre Gäste über die "hitzköpfige Jugend", die ohne Streit nicht leben könne, lamentieren und es immer noch nicht fassen können, dass diese heitere Ballnacht mit einer Duellforderung geendet hat, begräbt auch Tatjana endgültig jede Hoffnung auf eine glückliche Zukunft mit Onegin.
    Lenskij, der Olga zunächst noch als bösen Dämon gesehen hat, der sich heimtückisch mit engelhafter Schönheit tarnt, glaubt nun plötzlich wieder an ihre Unschuld und steigert sich in seine Rolle als Beschützer ihrer Tugend hinein. Noch einmal beschuldigt er Onegin in aller Öffentlichkeit, ein Verräter und ehrloser Verführer zu sein. Damit ist sein Schicksal besiegelt, das Duell unabwendbar. Mit dem Ruf "Ach Olga, Olga, leb wohl auf ewig!" stürzt er davon.


    2. Bild (Ufer eines Flusses)


    Lenskij und sein Sekundant warten im Morgengrauen auf Onegin, der sich verspätet. In seiner schwermütigen Arie "Wohin, wohin seid ihr verflogen, ihr goldnen Tage meines Lenz?" verleiht er seiner Todessehnsucht Ausdruck sowie der Hoffnung, dass Olga dereinst an seiner Urnen weinen und erkennen werde, wie sehr er sie geliebt habe.
    Onegin erscheint. Beide erinnern sich an ihre Freundschaft, an die Zeit, als sie Freud und Leid miteinander geteilt haben, doch die rhetorische Frage, ob sie nicht einfach lachen und "gütlich auseinandergehen" sollten, beantwortet sich von selbst: Es gibt kein Zurück mehr, beide sind entschlossen, es an ein Ende zu bringen. Im anschließenden Duell fällt Lenskij, Onegin steht entsetzt (laut Regieanweisung!) vor der Leiche des einstigen Freundes.


    3. Akt
    1. Bild
    (Palais in St. Petersburg)


    Unter den Gästen auf einem Ball in St. Petersburg befindet sich auch Onegin. Er hat nach dem Duelltod Lenskijs sein Landgut verlassen, ist ruhelos in der Welt umhergereist und beklagt nun sein sinnentleertes Dasein. Ohne ein konkretes Ziel, ohne Beruf, ohne Familie lebt er in den Tag hinein und langweilt sich entsetzlich. Nichts kann die "ewig quälende Schwermut" und das Schuldgefühl, den Freund getötet zu haben, zerstreuen. Selbst die Flucht nach St. Petersburg hat ihm keine neuen Perspektiven eröffnet.
    Der Fürst Gremin tritt herein, und in der schönen Frau an seinem Arm erkennt Onegin zu seiner Verwunderung Tatjana. Kurz darauf erfährt er von Gremin persönlich, dass sie seine Gemahlin ist. In seiner großen Arie gesteht dieser dem Freund, wie sehr er Tatjana liebe, die wie ein "Sonnenstrahl" in sein von Einsamkeit verdüstertes Dasein gedrungen sei und ihm "Leben, Jugend und Glückseligkeit" zurückgebracht habe, denn "der Liebe beugt sich jedes Alter". Dann stellt er Onegin seiner Gattin vor. Diese hat ihn gleich bei ihrem Eintreten wieder erkannt und inzwischen Zeit gehabt, sich nach einer ersten Schrecksekunde zu fassen. Sie tauscht daher einige ungezwungene Worte mit ihm, bevor sie Gremin bittet, sie nachhause zu bringen.
    Onegin hat diese unerwartete Begegnung völlig aus der Fassung gebracht.Vergeblich sucht er in dieser eleganten, selbstsicheren Dame das schüchterne Landei von einst, deren Liebe er verschmäht hat. Ein schwerer Fehler, wie er nun erkennt! Seine "tiefe, träge Seele" erwacht zu neuem Leben, und wie ein Blitz trifft ihn die Erkenntnis: Er liebt Tatjana!


    2. Bild (Empfangszimmer im Palais des Fürsten Gremin)


    Tatjanas Ruhe war nur vorgetäuscht, das unerwartete Wiedersehen mit dem noch immer geliebten Mann hat ihren Seelenfrieden tief erschüttert. Doch als Onegin plötzlich in der Tür steht und ihr kurz darauf zu Füßen sinkt, hat sie sich schnell wieder in ihrer Gewalt. Würdevoll fordert sie ihn auf sich zu erheben und bringt von sich aus die Rede auf den verhängnisvollen Brief. Sie erinnert ihn an die Kälte, mit der er ihr damals begegnet ist, an die herzlose Strenge seiner Predigt, und fragt ihn, warum sie ihm plötzlich so begehrenswert erscheint. Ist es ihr Reichtum, ihre Nähe zum Zarenhof, oder einfach der Nervenkitzel einer Affäre mit der Fürstin Gremin, das damit verbundene Renommee in gewissen Kreisen. Energisch weist Onegin diese Unterstellungen zurück, er liebe sie leidenschaftlich und wisse nun erst, "wie schmerzlich man vor Liebe vergehen kann". Tatjana erinnert ihn daran, dass ein gemeinsames Glück "zum Fassen nahe "war, nun sei es zu spät, sie sei verheiratet. Als Onegin sie immer stürmischer bedrängt, gesteht sie ihm zwar ihre nie versiegte Liebe, aber sie wird ihren Mann weder betrügen noch sich von ihm trennen, denn "Vergangenes bringt man nicht zurück". Vergeblich fleht Onegin sie an ihn nicht zurückzustoßen, Tatjanas Entschluss steht unwiderruflich fest:
    "Das Schicksal hat mich einem anderen gegeben, mit ihm werde ich leben und ihn nicht verlassen!" Sie sagt sich auf immer von ihm los und entfernt sich, während er sein "bitteres Los" beklagt.