(Alle Fotos (C) Matthias Creutziger)
Zum fünfundzwanzigjährigen Jubiläum des Wiederaufbaus der Semperoper Dresden ward ein "Jubiläums-Ring" ausgerufen. Freilich spielte man dabei die inzwischen auch schon acht Jahre alte Inszenierung von Willy Decker. Was davon über die Jahre noch übrig geblieben ist, ist schwer zu sagen.
Gewiss, die Personenführung ist immer plausibel, da stimmt alles. Die Charaktere sind ausgeleuchtet. Aber was uns das alles sagen soll, das bleibt offen. Miniaturbauten als Chiffre für Wotans Weltenherrschaft - ok. Aber warum ist die ganze Bühne mit diesen Stühlen vollgestellt? Beeindruckend ist das allemal, und das hat ja auch seine Berechtigung, wenn's gut gemacht ist. Überschreiben könnte man das Ganze in etwa mit "Ein kleines Welttheater". Es gibt haufenweise beeindruckende Bilder (z.B. werden die Walküren auf Pfeilen vom Schnürboden herabgelassen), aber die Sänger wissen sich oft nicht zu helfen.
Die Inszenierung fiel also flach. Da mussten's die Sänger reißen. Und da waren - war ja eine Festaufführung - bis auf eine Ausnahme auch Sänger allererster Güte aufgeboten.
Für Robert Gambill war Christian Elsner als Siegmund eingesprungen, und was er in dieser Partie leistete, war schier unglaublich. Er verband Kantilene mit Ausdruck, Legato mit exzeptioneller Textverständlichkeit, heldentenorales Auftrumpfen mit fesselnder Darstellungskraft. Nach besonders "heldentenoralen" Passagen klang er streckenweise ein wenig belegt, fing sich dann aber wieder. Die Stelle "So grüße mir Walhall, grüße mir Wotan, grüße mir Wälse und alle Helden, grüß' auch die holden Wunschesmädchen: -zu ihnen folg' ich dir nicht" habe ich noch nie verinnerlichter und besser gehört. Warum es gegen ihn Buhrufe gab, will sich mir nicht erschließen, zumal er auch über ein wunderbar lyrisches, dennoch kraftvolles Timbre verfügt und seinen Tenor nie überstrapazieren muss.
Melanie Diener war eine gesanglich wie darstellerisch voll überzeugende Sieglinde. Sie beherrscht sowohl die Ausbrüche des Wahnsinns als auch das Legato in "O hehrstes Wunder! Herrlichste Maid!" perfekt und kann mit ihrer schauspielerischen Präsenz und großen Textverständlichkeit punkten. Ihr gebührte der größte Jubel bei den Damen.
Als Hunding stand Hans-Peter König auf der Bühne. Ich war unheimlich gespannt auf ihn, und er enttäuschte mich nicht. Der Mann ist ein echter Riesenkerl ("Zwei Meter mal zwei Meter", wie wir Schüler zu sagen pflegen), und die vokale Statur entspricht seiner physischen. Das ist eine derart gewaltige Bassstimme, dass es einen förmlich wegfegt. Wenn König die Bühne betritt, verändert sich die Luft. Allein: Ganz ideal disponiert schien er mir nicht zu sein, in "Ich weiß ein wildes Geschlecht" gab es sogar einen kurzen Aussetzer. Aber wenn er selbst leicht indisponiert noch so ein Kraftpaket ist, möchte ich erst wissen, wie er bei voller Fitness klingt. Ende Mai werde ich ihn voraussichtlich als König Marke in Düsseldorf erleben können.
Mit Vitalij Kowaljow war einer der wohl besten, wenn nicht sogar der beste Wotan der Gegenwart aufgeboten. Dem jungen ukrainischen Bass liegt die Tessitura des Göttervaters perfekt in der Kehle. In seiner kernigen Stimme strahlen die Höhen und die Tiefen klingen. Vor allem aber: Er singt die Partie. Er stemmt sie nicht. Er singt sie mit balsamischem Legato und vollendetem Ausdruck. Und er beherrscht Bühne und Publikum. Totenstille bei den großen Monologen. Der Mann weiß, was und wovon er singt. Nie muss man um die Stimme fürchten, am Ende klingt er immer noch genauso frisch wie am Anfang. Es gab zwar einige kleine Texthänger - aber er singt die Partie erst seit etwa einem Jahr, und da kann man nicht erwarten, dass er alles schon restlos verinnerlicht hat. Hoffentlich geht er vernünftig mit seinem Material um. Engagements in Bayreuth sollte man sich wünschen. Mit derselben Berechtigung, wie die Alten sagen: "Ich habe damals noch Hans Hotter als Wotan erlebt", werde ich wohl einmal sagen können: "Ich habe Vitalij Kowaljow als Wotan erlebt."
Evelyn Herlitzius war die Brünnhilde des Abends. An ihrem Gesang scheiden sich wohl die Geister. Vokalisieren kann sie die Partie nur unzureichend - aber sie hat die Figur intus, und mit welcher Leidenschaft und Ausdruckspalette sie das zeigen konnte, das war schon mitreißend.
Kommen wir nun zur erwähnten Ausnahme unter den Sängern: Doris Soffel als Fricka. Es war fast schon eine Zumutung. Ein ununterdrückbares Tremolo, stereotype Gesten aus der Mottenkiste (gut, das kann auch an der Einstudierung gelegen haben), Gekreische an dramatischen Stellen, unsauberer Gesang ohne jedes Legato und das Kunststück, dass man kein Wort verstehen konnte. Einer Festaufführung war das nicht würdig. Bei ihrem Solovorhang nach dem II. Aufzug bekam sie vom wohl mehrheitlich touristischen Publikum einen Bravo-Orkan - aber für mich war es das erste Mal, dass ich einen Sänger aus tiefstem Herzen ausbuhte (tut mir Leid, es war eben so). Und ich tat gut daran, das schon da getan zu haben. Denn nach dem III. Akt warteten alle auf König, Soffel und Elsner; indes: Sie kamen nicht. Offenbar waren sie nach dem Ende ihrer Partien bereits wieder nach Hause gefahren.
Und der Dirigent? Wer überlegt, die nächste Vorstellung am 13. März zu besuchen, der sei gewarnt: Es ist laut. Es ist derart laut, dass einem die Ohren klingeln, und dazu trägt die hervorragende Semperopern-Akustik ihren Teil bei. Gewiss, John Fiore kennt die Partitur, kann ihre Farben und Schattierungen mit der brillant einstudierten Staatskapelle prima hörbar machen, und es ist ihm hoch anzurechnen, dass er so kurzfristig für Fabio Luisi bereit stand. Aber wenn er mal so richtig loslegt, dann bin ich mit meiner Befürchtung wohl nicht allein, einen Hörsturz zu erleiden.
Vor mir saß ein junges Pärchen. Er schien recht interessiert, sie litt an einer schlimmen Erkältung und verbrachte die Zeit damit, sich entweder intensiv zu schneuzen oder ihren Liebsten zu herzen - besonders in der Todesverkündigung, wo ich ihr fast eins auf den Hinterkopf gegeben hätte. Auch toll die Schnösel, die in der Mittelloge saßen und erst zum III. Aufzug kamen. Sowas finde ich dem Werk und den Künstlern gegenüber respektlos. Nicht sonderlich kooperativ auch das Schließpersonal, das mir verbot, mich auf einen der dort freien Plätze zu setzen und schon vorher ungläubig geworden war: Wie immer saß ich in Jeans und Pullover neben den fein gezwirnten Herren und Damen (im ersten Rang auf einem sehr guten Platz), stand kurz auf, um mich nach der Länge der Pause zu erkundigen, und wurde, nachdem ich mich wieder hingesetzt hatte, prompt von der Türdame gefragt: "Sie sitzen hier? Dürfte ich wohl mal die Karte sehen?" Das kommt natürlich ungemein gut an.
Großer, jubelnder Beifall für alle Beteiligten - eine herausragende Aufführung auf fast durchweg höchstem oder zumindest hohem Niveau.