Beethoven: Späte Skizze für eine Bagatelle entdeckt

  • Hallo,
    ich habe kürzlich von einer Entdeckung einer Skizze für eine Bagatelle in f-moll
    von einem australischen Musikwissenschaftler gelesen und hier gefunden:


    http://www.smh.com.au/interact…beethoven-work/index.html


    Sie stellt offenbar die letzte Melodie dar, die Beethoven für das Klavier notiert hat - im Herbst 1826 während der Komposition des Quartettes op. 135.


    Nähere Angaben und Noten:


    http://www.pianostreet.com/blo…iece-found-in-berlin-352/


    Mich berüht das kleine Stück ungemein in seiner schlichten Melancholie und habe es auch schon am Klavier gespielt. Was für ein kleines Juwel....


    Was meint ihr?


    Gerd

    "When I was deep in poverty, you taught me how to give" Bob Dylan

  • Hallo, Gerd!


    Genial, dass die Noten und auch die kurze Einspielung jedem zur Verfügung stehen. Ich habe mir die Seite ausgedruckt und werde es morgen nach der Arbeit gleich mal spielen.


    Was mir eher schwerfällt, ist, diese Miniatur in das Jahr 1826 einzuordnen. Die recht späten Bagatellen op. 119 und op. 126 halte ich für stärker zerklüftet und merkwürdig kurzatmig - wobei einzelne der Stücke vielleicht doch in die Richtung gehen.


    Danke für diesen Tipp!


    Gruß, Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Was mir eher schwerfällt, ist, diese Miniatur in das Jahr 1826 einzuordnen. Die recht späten Bagatellen op. 119 und op. 126 halte ich für stärker zerklüftet und merkwürdig kurzatmig
    "zerklüftet" sind die Stücke von 119, ja, aber die von op. 126, gerade das herrliche erste Stück in G, aber eigentlich nicht.
    Letzlich haben wir hier aber nur das Thema. Wir wissen nicht, was Beethoven daraus gemacht hätte. Was mich irritiert, ist, dass ich in dem angegeben Skizzenblatt, wie ich finde, nur die ersten 8 Takte zu sehen sind, in der Hörprobe aber noch eine kleine Gegenmelodie zu hören ist, von der ich nicht genau weiß, ob sie auch von Beethoven ist.
    Harmonisch interessant finde ich die Basslinie in den ersten Takten...


    Gerd

    "When I was deep in poverty, you taught me how to give" Bob Dylan

  • Die Frage ist natürlich, inwiefern sich hier der Herausgeber zusätzlich betätigt hat. Es ist ja auch auffällig - für mich wenigstens -, mit welcher Selbstverständlichkeit das Werkchen der Allgemeinheit zur Verfügung steht.


    Es wäre zudem nicht die erste Fälschung der Musikgeschichte.


    Macht aber nichts. Ich finde immer gern kostenlose Musik, die ich vom Blatt spielen kann und bei der nach einer Handvoll Übungsdurchgängen sogar das Tempo stimmt. :D


    Zitat

    Harmonisch interessant finde ich die Basslinie in den ersten Takten...


    Du meinst, weil sogleich ein harmoniefremder Ton vorliegt? Stimmt!


    Besten Gruß, Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Zitat


    Es ist ja auch auffällig - für mich wenigstens -, mit welcher Selbstverständlichkeit das Werkchen der Allgemeinheit zur Verfügung steht.


    Warum sollte es nicht der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden?
    Ich finde es gut, das so etwas nicht nur der Wissenschaftszunft vorbehalten bleibt wie früher, sondern im Internetzeitalter der interessierten Öffentlichkeit verfügbar gemacht wird! Bei zumindest den ersten 8 Takten jedenfalls steht die Echtheit außer Frage, und die anderen Takte sind zumindest passend und schön. Just enjoy...


    Gerd

    "When I was deep in poverty, you taught me how to give" Bob Dylan

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  • Zitat

    Original von WolfgangZ


    Du meinst, weil sogleich ein harmoniefremder Ton vorliegt? Stimmt!



    Eigentlich ja is des Des im Diskant harmoniefremd.

  • Zitat

    Original von gerdprengel
    Warum sollte es nicht der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden?
    Ich finde es gut, das so etwas nicht nur der Wissenschaftszunft vorbehalten bleibt


    Ja, diese neuerlich entdeckten Mozartmücken wurden ja auch bereits öffentlich uraufgeführt... wenn's auch noch so wenig ist...


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Hab's mir auch gerade mal durchgespielt.
    Ungemein berührend finde ich es nicht gerade, aber dieser Anfang ist schon seltsam. Mit dem Klang des-a wird einem ja ein A-Dur suggeriert. Und dann geht es in eine ganz andere Richtung. Ich weiß jedenfalls nicht, wie ich das finden soll... ?(



    LG, Peter.

  • Zitat

    Original von petemonova
    Ungemein berührend finde ich es nicht gerade,


    Ich schon...


    Zitat

    aber dieser Anfang ist schon seltsam.


    Ja, so wie die Liedchen, die ungarische Treppenhausreinigungsfachkräfte im Schwarspanierhaus vor sich hinpfiffen...


    Zitat

    Mit dem Klang des-a wird einem ja ein A-Dur suggeriert.


    Finde ich nicht. Das [aufgelöste] a ist einfach der Leitton zu b-moll - wo ist das Problem? Das Des ist ja ein Überrest eines (fiktiven) Vorhalts, wie das b in Takt 3 und das as in Takt 5 (vgl. das f in Takt 6/7).


    Mir kommt es eher so vor, als habe Beethoven dies nach seinem Treffen mit dem Seraph aufnotiert...


    ;)


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Um die Sache mit dem "Vorhalt" nochmal darzustellen:



    Ich hoffe, man kann das Bild sehen.


    :)


    Ulli

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  • Wieso ist der letzte Quartvorhalt mit einem Ausrufezeichen versehen?


    Zur Musik: Ein Motiv, das dreimal abwärts sequenziert wird mit einer Harmonik ||: (D)-S :||: D-T :||


    Finde ich jetzt nicht so besonders reizvoll? ?(

    "Das Große an der Musik von Richard Strauss ist, daß sie ein Argument darstellt und untermauert, das über alle Dogmen der Kunst - alle Fragen von Stil und Geschmack und Idiom -, über alle nichtigen, unfruchtbaren Voreingenommenheiten des Chronisten hinausgeht.Sie bietet uns das Beispiel eines Menschen, der seine eigene Zeit bereichert, indem er keiner angehört." - Glenn Gould

  • Zitat

    Original von rappy
    Wieso ist der letzte Quartvorhalt mit einem Ausrufezeichen versehen?


    Weil er erhalten blieb und die wenigen Takte interessant macht.


    Zitat


    Zur Musik: Ein Motiv, das dreimal abwärts sequenziert wird mit einer Harmonik ||: (D)-S :||: D-T :||


    Finde ich jetzt nicht so besonders reizvoll? ?(


    Dann mach's besser als Beethoven - ich möchte lieber nicht wissen, wieviele Themensequenzen exakt so aufgebaut sind... abgesehen davon handelt es sich ja auch lediglich um eine Skizze.


    :hello:


    Ulli

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  • Zitat

    Original von Ulli
    Dann mach's besser als Beethoven


    Er hat es hunderte Male selbst besser gemacht.


    Zitat


    - ich möchte lieber nicht wissen, wieviele Themensequenzen exakt so aufgebaut sind... abgesehen davon handelt es sich ja auch lediglich um eine Skizze.


    Sollte jetzt auch nicht überheblich wirken, ich kann nur die Begeisterung ("ein kleines Juwel") nicht wirklich nachvollziehen...

    "Das Große an der Musik von Richard Strauss ist, daß sie ein Argument darstellt und untermauert, das über alle Dogmen der Kunst - alle Fragen von Stil und Geschmack und Idiom -, über alle nichtigen, unfruchtbaren Voreingenommenheiten des Chronisten hinausgeht.Sie bietet uns das Beispiel eines Menschen, der seine eigene Zeit bereichert, indem er keiner angehört." - Glenn Gould

  • Zitat

    Original von rappy
    Er hat es hunderte Male selbst besser gemacht.


    Oh, stimmt ja - ich erinnere mich dunkel an zwei Septakkorde... 8)


    Zitat


    Sollte jetzt auch nicht überheblich wirken, ich kann nur die Begeisterung ("ein kleines Juwel") nicht wirklich nachvollziehen...


    Naja, Juwelen sind Sache der Auslegung - kleine noch dazu besonders... und wer weiß schon, was er daraus gemacht hätte?


    :hello:


    Ulli

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  • Wie ich der heutigen Ausgabe der Weinheimer Nachrichten entnehme, soll die Bagatelle nächste Woche auf der Musikmesse Frankfurt präsentiert werden, zu finden auf dem Stand des Musikverlags Inter-Note, Halle 3.1, Stand A25A; Jens Schlichting, gleichzeitig Verlagsleiter und Pianist, wird es am 1.4. um 17 Uhr sowie am 2.4. um 12:30 und 16 Uhr spielen.


    Der Verlag, ansässig in Hirschberg an der Bergstraße ("www.inter-note.com"), hat eine Einzelausgabe mit kritischem Bericht herausgegeben; das Heft ist auch im Netz einsehbar ("http://www.inter-note.com/nvd/scorepreview.jsp?id=575607").

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  • Zitat

    Original von raphaell
    Sehr imposant! Sowohl die Rohfassung als auch die Variationen! :)


    Finde ich auch. Frappierend auch die Nähe des späten Beethoven zu Schubert, die ich hier herauszuhören meine. Vielen Dank!

  • Kompliment ebenso von mir! Die Schubert-Nähe ist mir recht schnell aufgefallen, aber das wurde ja leider schon gesagt ... :(:D


    Fehlerlos vom Blatt spielen lässt es sich nach relativ kurzer Zeit auch nicht mehr ...


    Besten Gruß, Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Zitat

    Original von Gurnemanz
    Frappierend auch die Nähe des späten Beethoven zu Schubert, die ich hier herauszuhören meine. Vielen Dank!


    D'accord. Weiter oben schrieb ich bereits:


    Zitat


    Mir kommt es eher so vor, als habe Beethoven dies nach seinem Treffen mit dem Seraph aufnotiert...


    :)

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  • Es freut mich, dass Euch die Musik anspricht. Die Nähe zu Schubert ist in der Tat deutlich. Ich habe versucht, dies auch in den einigen Variationen (außer beim Schlußfugato) zum Ausdruck zu bringen. Dir, Ulli, möchte ich danken für deine Ausführungen oben zur harmonischen Struktur des Themas. Das habe ich anfangs ehrlich gesagt gar nicht so erkannt. Dies hat mir bei einigen Variationen sehr geholfen. Die kurze vierte Variation (Allegro agitato) fokussiert zB. alleine auf diese Bassfolge, die mir, wie gesagt anfangs, gar nicht so bewußt war.


    Aber eine Frage, Ulli: Was meinst Du mit dem "Seraph"? Das verstehe ich nicht ....


    Gerd

    "When I was deep in poverty, you taught me how to give" Bob Dylan

    Einmal editiert, zuletzt von gerdprengel ()

  • Freut mich, daß ich Dir Anregungen geben konnte. =)


    Seraph ist der dritte Vorname von Franz Peter.


    :hello:


    Ulli

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  • Zitat

    Original von gerdprengel
    Was mich irritiert, ist, dass ich in dem angegeben Skizzenblatt, wie ich finde, nur die ersten 8 Takte zu sehen sind, in der Hörprobe aber noch eine kleine Gegenmelodie zu hören ist, von der ich nicht genau weiß, ob sie auch von Beethoven ist.


    Der Zweifel, den ich hier urprünglich angemeldet habe, war unbegründet. Ich habe heute von dem Verlag, der das Werk kürzlich auf einer Musikmesse vorgestellt hat, eine Kopie eines weiteren Skizzenblattes erhalten, das viel leserlicher ist und das auch die Gegenmelodie als Nachsatz enthält.
    (diesen Nachsatz habe ich dann in meinem Variationenwerk noch etwas erweitert)


    Gerd

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