Hirnforschung und Musikhören

  • Vor einiger Zeit lief in der Frankfurter Allgemeinen eine Forumsdiskussion über eine zum Teil recht drastisch geführte Auseinandersetzung zwischen dem Neurowissenschaftler Wolf Singer und dem Philosophen Peter Janisch ('Kommen Sie doch in mein Labor').


    An der Diskussion beteiligten sich offenkundig sowohl 'gebildete Laien' als auch Leute vom Fach. Die in den Beiträgen aufgeworfenen Fragen, Behauptungen, Sichtweisen etc. wurden von der Redaktion als so bedeutend erachtet, daß sie die beiden Kontrahenten zu einer weiteren Stellungnahme aufforderte – vor dem Hintergrund der vorgebrachten Argumente.


    Die Positionen waren – vereinfacht ausgedrückt – seitens der Hirnforschung wissenschaftlicher Art (was immer das heißt), auf der anderen Seite philosophischer Natur (was immer auch das bedeuten mag). Die Hirnmaterie einerseits zwar als komplexer 'Weltempfänger', der aber letztlich nichts anderes kann als Signale empfangen und über diese zu reflektieren, das Hirn andererseits als Geist produzierendes, weltenschöpferisches Kraftzentrum.


    Wo immer man am Ende seinen eigenen Standpunkt in der teilweise sehr emotional geführten Auseinandersetzung um die Freiheit des Willens und des Geistes findet, unbeachtlich ist diese Diskussion m. E. auch für den Musikhörer nicht. Was also könnten die neueren Erkenntnisse der Hirnforschung über die Musiksignale, die unser Hirn empfängt, aussagen? Was geht da im Lichte dieser Erkenntnisse ab, wenn es uns 'überrieselt'?


    Freundliche Grüße

  • Hallo,


    eine interessante Frage, die mich selber auch schon länger beschäftigt. Ich habe mir dann sogar mal ein Buch dazu gekauft: Robert Jourdain "Das wohltemperierte Gehirn - Wie Musik im Kopf entsteht und wirkt" aus dem Spektrum - Verlag. Ich muss aber gestehen, es sit schon lange her, dass ich es gelesen habe und nach meiner Erinnerung war ich nach der Lektüre eher enttäuscht, weil es gar nicht die Fragen beantwortete, die sich mir stellten. Z.B. warum wirkt bestimmte Musik entspannend, andere aber eher an- wenn nicht gar aufregend ?



    Vielleicht habe ich es ja aber auch nur nicht verstanden und sollte es noch einmal lesen.


    VG, Bernd

  • Zitat

    Original von helmutandres
    Vor einiger Zeit lief in der Frankfurter Allgemeinen eine Forumsdiskussion über eine zum Teil recht drastisch geführte Auseinandersetzung zwischen dem Neurowissenschaftler Wolf Singer und dem Philosophen Peter Janisch ('Kommen Sie doch in mein Labor').


    der heißt Janich.


    Zitat


    Die Positionen waren – vereinfacht ausgedrückt – seitens der Hirnforschung wissenschaftlicher Art (was immer das heißt), auf der anderen Seite philosophischer Natur (was immer auch das bedeuten mag). Die Hirnmaterie einerseits zwar als komplexer 'Weltempfänger', der aber letztlich nichts anderes kann als Signale empfangen und über diese zu reflektieren, das Hirn andererseits als Geist produzierendes, weltenschöpferisches Kraftzentrum.


    Ich hoffe nicht, daß Janich so etwas wie ein weltenschöpferisches Kraftzentrum vertreten hat, aber egal ;) Ich glaube, was häufig nicht verstanden wird, ist, daß ein Kritiker wie Janich keineswegs bestimmte experimentelle Ergebnisse in Zweifel ziehen will, sondern hauptsächlich auf zwei Dinge aufmerksam machen: Der Zugang der Hirnforscher ist nicht voraussetzungslos und er ist nicht der einzig mögliche. Sie haben also keinen "Alleinvertretungsanspruch", was geistige Dinge betrifft. U.a. ist die Innenperspektive des phänomenalen Erlebens (wie es sich anfühlt, rot zu sehen, einen bestimmten Klang zu hören) der Außenperspektive des Forschers der durch ein bildgebendes Verfahren sichtbar macht, welche Areale aktiv sind, wenn jemand rot sieht, nicht zugänglich. Sie ist irreduzibel und bleibt auch immer notwendig zur Deutung der Experimente. Die neurologische Perspektive ist damit unvollständig. Das ist kein Problem (denn es trifft vermutlich auf jede mögliche Perspektive zu), wird aber oft nicht eingeräumt.


    Und dann sollte man natürlich noch auf die ständigen pragmatischen Selbstwidersprüche hinweisen, in die sich so kluge Leute wie Singer seltsamerweise ständig verwickeln. Wenn Singer irgendwo schreibt (sinngemäß): "Neuronale Verschaltungen legen uns fest, wir sollten nicht mehr von Verantwortung sprechen" und z.B. strafrechtliche Revisionen empfiehlt, da der Täter ja nicht frei entscheiden konnte, meint er aber anscheinend, daß wir die Freiheit haben, uns für eine milde Behandlung dieser Täter zu entscheiden (denn sonst hat das "sollen" in der Aussage keinen Sinn) und er dürfte außerdem der Ansicht sein, daß er seine deterministische Position vertritt, weil er sich durch Überlegung von ihrer Richtigkeit überzeugt hat, nicht weil er dazu determiniert ist, sie zu vertreten... Woher kommt diese Freiheit, sich durch Überlegen für das Richtige zu entscheiden, auf einmal?


    Damit fällt man hinter den Stand von vor ca. 2000 Jahren, den eine in der stoischen Philosophie überlieferte Anekdote ausdrückt, zurück: Ein Sklave, der eine wertvolle Vase seines Herrn zerbrochen hatte, verteidigte sich: "Schlag mich nicht, Herr, ich kann nichts dafür, mir war es vom Schicksal bestimmt, die Vase zu zerbrechen." - "Und mir war es bestimmt, dich dafür zu schlagen!"


    Dieser Gedankengang ist eigentlich sehr einfach, viel einfacher als irgendwelche komplexen Theorien des Gehirns. Aber er reicht m.E. aus, um einen großen Teil der weitreichenden Folgerungen, die dort oft vorschnell gezogen werden, weitgehend zu entkräften.


    Zitat


    Was also könnten die neueren Erkenntnisse der Hirnforschung über die Musiksignale, die unser Hirn empfängt, aussagen? Was geht da im Lichte dieser Erkenntnisse ab, wenn es uns 'überrieselt'?


    Manfred Spitzer hat meines Wissens hierzu auch ein Buch geschrieben. Und kürzlich Oliver Sachs (das ist aber wohl eher anekdotisch). Ich habe keins gelesen. Das ist natürlich alles interessant, wenn etwa bei Sachs Patienten bizarre Ausfallerscheinungen haben, aber noch Musik wahrnehmen oder musizieren können, aber für mich eher als Kuriosität.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hallo,


    Mir hat das Buch von Jourdain sehr gut gefallen. Es ist sehr anschaulich, auch locker geschrieben und gibt einen guten Zugang zu dem Thema. Der Schluss und die Schlussfolgerung erschien mir etwas merkwürdig, das Kapitel "Ekstase". Trotzdem mag ich es empfehlen. Jourdain weist übrigens oft gerade darauf hin, dass wir zu wenig wissen, um gut Antworten finden zu können. Und am Ende bleibt deine Frage offen.


    Gruß, Frank

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    der heißt Janich.


    Ja. Entschuldigung.



    Zitat

    Ich hoffe nicht, daß Janich so etwas wie ein weltenschöpferisches Kraftzentrum vertreten hat, aber egal ;)


    Nochmal Entschuldigung, der Demiurge ist auf meinem Mist gewachsen :O.



    Zitat

    Ich glaube, was häufig nicht verstanden wird, ist, daß ein Kritiker wie Janich keineswegs bestimmte experimentelle Ergebnisse in Zweifel ziehen will, ...


    Gleichwohl wollte er Singers Einladung ('Kommen Sie doch in mein Labor') partout nicht folgen ;), aber egal, Singer ist ebenso schwierig wie leicht zu widerlegen. Am Ende geht es wieder um die Einsteinsche Formulierung 'Dann legen Sie Ihren gesunden Menschenverstand auf den Tisch', welche beide Parteien für ihre jeweilige Argumentation in Anspruch nehmen können. Ich denke, daß sich auch dieser Widerspruch in einer 'höheren' Komplexität auflösen ließe.


    Aber eigentlich wollte ich die FAZ-Diskussion hier nicht neu anzetteln. Vielmehr ging es mir z. B. um die Frage, inwieweit bestimmte Empfindungen beim Anhören bestimmter Musik determiniert sein könnten. Passiert kollektiv etwas beim Anhören vom 'Erwachen heiterer Gefühle bei der Ankunft auf dem Lande'? Auf der anderen Seite löst Musik, beispielsweise die zeitgenössische, die unterschiedlichsten Reaktionen aus. Was ist mit gleichartigen Farbassoziationen beim Anhören von Musik, welcher Mechanismus steckt dahinter? Schlußendlich geht es um die Frage, ob die Neurologie einen vertieften Beitrag zum Verständnis von Musik leisten kann. Ob sie die Erkenntnis über Musik, ihre Bedeutung für die Kultur oder gar für die Evolution voranzubringen vermag, oder ob das alles unerheblich ist.


    Freundliche Grüße

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  • Im Bereich der Emotionen erscheinen mir, auch bei allem berufsspezifischem Interesse diesbezüglich, die Beiträge der Neurowissenschaften bisher noch wenig erhellend, da wesentliche Punkte aufgrund des aktuellen Wissensstandes wirklich eher in den philosophischen Bereich verweisen. JRs Kommentar macht das überspitzt sehr gut deutlich: Sieht man den Menschen neurologisch wirklich als vollständig determiniert an und negiert einen freien Willen, muß sich die Gesellschaft dennoch zwangsläufig eine Existenzgrundlage im Sinne von Übereinkünften schaffen, zu deren Leistung sie aber neurologisch eigentlich gar nicht in der Lage ist. :D


    Interessanter und der praktischen Diskussion dienlicher finde ich da beispielsweise die schlichteren Erkenntnisse, die uns durch Neurophysiologie und Neuroanatomie hinsichtlich der musikalischen Wahrnehmung verschafft wurden. So schlicht die Tatsache, dass uns eine objektive Wahrnehmung, Voraussetzung ja eigentlich für die Wertung von Werk und Interpretation, unmöglich ist, da der gesamte physikalische Informationsinput schon relativ früh in den sekundären Sinneszentren mit höheren Funktionen verschaltet ist, und so schon eine Selektion erfolgt.
    Bildlich gesprochen hat der Chef also einen Assistenten im Vorzimmer sitzen, der ihm bereits das Material für die Entscheidungsgrundlagen auswählt. Er ist - mitmaßlich - gut angelernt und tut dies natürlich nach den Wünschen des Chefs. Oder hat er gar seinen eigenen Kopf ? :pfeif:


    In gewisser Weise lassen sich so doch extrem verwunderlich divergierende Kritiken erklären. Und - tröstlicherweise - auch sicher ein Großteil des schier grenzenlosen Unsinns, der im HiFi-Bereich auch von intelligenten und gebildeten Menschen verzapft wird. Wobei auch hier die interessanteren Erklärungsmodelle sicher in den höheren Hirnfunktionen zu suchen sind, die wir noch nicht ganz verstanden haben. :D


    Gruß
    Sascha