Was macht einen guten Operndirigenten aus?

  • Hallo liebe Opernfreunde!


    Vor kurzem hatte ich mit einem Bekannten eine hitzige Diskussion über die Kunst des Operndirigierens eines bekannten Dirigenten mit K. Nach langem Streiten, ob und welche Aufnahme des Dirigenten wohl gelungen waren, kam bei uns beiden die Frage auf: Was macht eigentlich einen guten Operndirigenten aus im Gegensatz zu einem guten Sinfonie- Konzert uä- Dirigenten?


    Tempogespür? Mut zum Wagnis, komplett konträr zu den bisherigen Rollenbildern Sänger zu besetzen? Das Wissen, wann sich das Orchester zurücknehmen muss, um den Sängern ihren stimmlichen "Galaauftritt" zu ermöglichen? Welches Anforderungsprofil sollte ein guter Operndirigent besitzen? Welche Fähigkeiten eher nicht? All das soll hier genannt werden!


    Und vor allem: Wer sind eurer Meinung nach hervorragenden Operndirigenten? In welchen Aufnahmen klingt das Orchester so "schön" (was auch immer ihr darunter versteht), wie in kaum einer Aufnahme.


    Natürlich soll auch das Gegenteil behandelt werden. Ungeeignete, unfähige (aus welchen Gründen auch immer) oder ungenügend "geförderte" Dirigenten sollen genannt werden.


    Und: in wie fern hängt die Kunst des Operndirigierns auch mit dem Orchester selbst zusammen? Gibt es Orchester, die für manche Opern einfach besser geeignet sind bzw. eben ungeeignet sind.


    Hier soll es dann vor allem um die Orchesterbehandlung in den Opern gehen und die Sänger, die, normalerweise und in der Natur der Sache liegend auch vollkommen zurecht, im Vordergrund stehen, einmal beiseite gelassen werden (so gut es eben) geht.


    Ich werde meine Meinung erst ein wenig später kundtun und mich inzwischen über die hoffentlich zahlreichen Diskussion in diesem Thread freuen!


    LG joschi

  • Meine Lieben,


    Ganz pragmatisch gesprochen: Ein guter Operndirigent muß zuum Beispiel imstande sein, in kritischen Momenten entsprechende Hilfe zu leisten. Wenn irgendwer einen Schmiß gebaut hat, und der Rest verzweifelt herumrudert, um wieder ins Gleis zu finden, dann bedarf es des Dirigenten, hier die Einheit wiederherzustellen. Einem auswendig dirigierenden Maestro fällt das, wenn man Birgit Nilsson glauben darf, schwerer, als jemandem, der die Partitur jeweils weiterblättert, um sie im Fall der Fälle zur Verfügung zu haben. Der im Forum wirklich omnipräsente K. war hingegen, wie berichtet wird, aufgeschmissen, wenn etwas passierte. Er konnte ein sehr guter Operndirigent sein, aber er wollte halt nicht immer. Jemand, der unter ihm gesungen hat, erzählte auch, daß er bei den Proben auf jedes Detail achtete, aber bei der Aufführung mehr für sich gestikulierte (sprich: für das Publikum) und sich wenig darum scherte, was vor ihm geschah. Glücklicherweise geschah damals ohnehin nichts Schlimmes.


    Nicht zuletzt deswegen schätzt man jetzt wieder mehr die früher eher belächelten "Kapellmeister", weil die eben doch mehr zu bieten haben als Handwerk: Sinn für das Ganze, für die richtige Balance zwischen Orchester und Sängern, den richtigen Einsatz überwachen und solche Mitwirkende, die vielleicht gerade schwächeln, unmerklich unterstützen. Ein guter Operndirigent wird daher auch intensiver Probenarbeit nicht abgeneigt sein (Ausnahmen bestätigen wie immer die Regel) und sogar darauf bestehen, damit er eben schon "vorausfühlen" kann. Natürlich ist das jetzt ein Gemeinplatz, aber gerade das Selbstverständliche ist bekanntlich oft gar nicht so selbstverständlich, wie man glauben könnte.


    Ein idealer Operndirigent für mich war/ist Tullio Serafin. Bei ihm habe ich immer das Gefühl, so und nicht anders muß es sein (auch wenn ich abweichende und auch sehr gute Interpretationen kenne). Da schlägt einen wirkliches, nämlich auf Können beruhendes, Charisma in den Bann.


    LG


    Waldi

  • Ein guter Operndirigent versteht auch etwas von Stimmtechnik, er weiß, was er einem Sänger zumuten darf, er atmet im optimalen Fall mit den Sängern mit und erstickt sie nicht in Orchesterfluten, mögen sie auch noch so effektvoll sein. Das bedeutet, dass sich ein guter Operndirigent noch weniger wichtig nehmen soll als ein Orchesterdirigent, er dient dem großen Ganzen, das eben in der gelungenen Auführung besteht, in der ALLE reüssieren können.
    Es gibt Dirigenten, bei denen man eher den Eindruck gewinnt, sie betrachten die Sänger als notwendiges Übel, als lästiges Beiwerk, das man am besten zudeckt.
    Es gibt aber auch das Gegenteil, die "Väter der Kompanie", die mit den Sängern mitleiden und mitzittern, sich mit ihnen über gelungene Phrasen freuen, beruhigend oder aufbauend auf sie einwirken und, wie Waldi bereits gesagt hat, einfach spüren, wie es seinen "Kindern" geht und entsprechend darauf reagiert. Ein Paradebeispiel für diesen Typus ist für mich Nello Santi, der seine Sänger auf Händen trägt, schon mal ein ermutigendes oder lobendes Wort hinaufschickt (Während der Vorstellung natürlich!) und die eigene Person nie in den Mittelpunkt rückt. Trotzdem ist das Gesamtergebnis immer überdurchschnittlich bis sehr gut, wenn ich Santi auch nicht zu den ganz Großen zählen würde. Aber die Frage galt ja dem idealen Operndirigenten, und das ist er für die Sänger ganz bestimmt! (Direkt hinter ihm zu sitzen ist aus eben diesen Gründen nicht immer ein Genuss :pfeif: )
    Ich mag Dirigenten, die sich über tolle vokale Leistungen ebenso freuen können wie das Publikum und nicht den griesgrämigen Eindruck erwecken, dass ihnen da oben jemand die Show stiehlt. Yves Abel z.B. war nach Flórez "A mes amis" hin und weg, legte die Hand aufs Herz und verbeugte sich tief vor ihm. Das fand ich einfach eine schöne Geste.
    lg Severina :hello:

  • Zitat

    Es gibt Dirigenten, bei denen man eher den Eindruck gewinnt, sie betrachten die Sänger als notwendiges Übel, als lästiges Beiwerk, das man am besten zudeckt.


    Ja die gibt es leider, leider. Einer der ganz Großen mit K. (macht mir hier bitte keine K-Thread daraus...) hat in zwei Puccini-Aufnahmen genau das praktiziert. Jeden auch nur etwas höheren Ton der Haupdarsteller hat er gnadenlos mit Blech tot bzw. stumm gefahren. Und das bei der "sensiblen" Butterfly bzw. Boheme.


    Hier die Aufnahmen, bei denen das so zu hören ist:


    Wobei er aber in seinen früheren Aufnahmen sehr einfühlsam und sensibel das Geschehen untermalen konnte. Als Vergleich sei hier diese Butterfly genannt:


    Zitat

    Er konnte ein sehr guter Operndirigent sein, aber er wollte halt nicht immer.


    Das unterschreib ich sofort.


    Mehr von mir später...


    LG Joschi

  • Zitat

    Ein guter Operndirigent versteht auch etwas von Stimmtechnik, er weiß, was er einem Sänger zumuten darf, er atmet im optimalen Fall mit den Sängern mit und erstickt sie nicht in Orchesterfluten, mögen sie auch noch so effektvoll sein.


    Genau das würde ich auch sagen. Die berühmten Orchesterfluten! Gerd Albrecht sagte einmal vor der Hamburger Premiere der Götterdämmerung ungefähr folgendes: "Wenn Sie etwas von mir nie erleben werden, dann das, dass ich die Sänger zudecke." Bei der Premiere standen dann Salminen und Jerusalem mit roten Köpfen auf der Bühne und "gingen unter". (Auf dem Weg ins Foyer ging ein wohl 20igjähriger Jungspund vor mir und sagte: "Es muss wohl am Alter liegen, aber ich kann diesen Krach nicht mehr ab.") Und genau das kann ich auch nicht :kotz: und immer wieder, gerade jetzt auch in Hamburg, muss man feststellen, dass Dirigenten sich vor allem über die Lautstärke profilieren wollen und ihnen die Sänger auf der Bühne völlig egal scheinen. Das ist für mich eine Kardinaltugend schlechter Operdirigenten.


    Ein guter Operndirigent begleitet und interpretiert, er dient dem Werk und denjenigen, die es möglichst gut präsentieren wollen. Er darf sich, genauso wie die Sänger, die Regieseure, die Techniker profilieren, aber nicht auf Kosten anderer.


    :hello: Gustav

  • Ein guter Operndirigent begleitet die Sänger, hat aber gleichzeitig etwas auszusagen und tut das auch.


    Ein schlechter Operndirigent deckt die Sänger zu, indem er den Orchesterpart für eine Sinfonie hält, zu der aus Versehen Gesangsstimmen geschrieben wurden (nicht wahr, Herr von K.?)



    :hello:

  • Daß Herbert von Karajan es auch anders konnte, ist gar keine Frage, man höre nur mal seinen "Ring" (DGG, 1966–1970) oder seine "Meistersinger" (EMI, 1970), die stellenweise fast kammermusikalisch daherkommen.


    Für die späten Karajan-Aufnahmen braucht man einfach eine entsprechende Anlage, das wurde an anderer Stelle bereits geschrieben. Um 1980 wandelte sich seine Ästhetik, so daß das Orchester etwa bei "Turandot" (DGG, 1981) und dem "Fliegenden Holländer" (EMI, 1981–1984) in der Tat präsenter wirkt. Daß er aber die Sänger wirklich "zudeckt", will ich bezweifeln.


    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Was einen guten Operndirigenten vor allem ausmacht ist die bedingungslose Liebe zur Oper. Das sollte man zwar als gegeben voraussetzen, ist aber in vielen Fällen nicht so - und klingt auch oft so... Damit meine ich auch nicht, daß man hin und wieder auch eine Opernpremiere aus Prestrigegründen dirigiert - in der symphonischen Abteilung mit großen Orchestern und Tourneen ist schließlich weit mehr Geld (und Prestige) zu machen als im Opernhaus, wo der Erfolg von so vielen weiteren Personen und Faktoren abhängt und GETEILT werden muß . Nicht umsonst gibt es nicht viele Dirigenten, die in beiden Fächern WIRKLICH gut waren.
    Große Operndirigenten, die mir jetzt als erste einfallen, waren für mich Toscanini (eher in den frühen Jahren), Fritz Busch und Tullio Serafin (obwohl er in manchen Aufnahmen auch recht durchschnittlich klingen kann, aber er hat ein unglaubliche Liebe und ein untrügliches Gespür für Sänger gehabt), und von denen die ich selbst gehört habe Carlos Kleiber.

  • Hallo,


    dass HvK ein guter, bisweilen sehr guter Operndirigent war,
    sehr für mich außer Frage. Man lese dies nach in den Biografin
    von Janowitz und Ludwig, die unter ihm gesungen haben. Ihre
    Aussage bewerte ich weit höher als alle, die ihn ständig mit
    Kritik überschütten. Über zu laut oder zu leise und zu lagsam
    oder zu schnell gibt es eine weise Aussage von Karl Böhm,
    der sich ungefähr so äußerte, der Krikiter meint, er habe immer
    Recht.


    Frohe Neujahrsgrüße aus Burgdorf


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


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  • Ein guter Operndirigent kennt das Werk, das er dirigiert, nimmt es ernst, probt und studiert es genauestens ein, lässt keine Routine zu, hat eine dramatische Ader, hat die Sänger unter Kontrolle und lässt keine Mätzchen zu.
    Im routinemässigen Alltagsbetrieb werden diese Anforderungen allerdings oft nicht eingehalten.
    Karajan halte ich grundsätzlich für einen sehr guten Operndirigenten, der allerdings viele Sänger ausgebeutet und somit zerstört hat. Dies hat er in Kauf genommen, um seinen Stern heller leuchten zu lassen. Das ist eben Karajans Schattenseite.


    Heute abend werde ich hier eine Repertoirevorstellung der Zauberflöte hören unter einem der jüngeren Kapellmeister (Erik Nielsen) in der zehn Jahre alten Alfred Kirchner - Inszenierung. Ich bin mal gespannt, was die daraus machen. Sie läuft hier in FFM recht häufig, ist eine Art Dauerbrenner. Tamino ist Daniel Behle, Papageno Johannes Martin Kränzle. Diese Beiden allein bürgen für musikalisches Niveau (hoffe ich zumindest).

  • Zitat

    Original von Agon
    Karajan halte ich grundsätzlich für einen sehr guten Operndirigenten, der allerdings viele Sänger ausgebeutet und somit zerstört hat. Dies hat er in Kauf genommen, um seinen Stern heller leuchten zu lassen. Das ist eben Karajans Schattenseite.


    Unterstreiche ich voll und ganz - vor allem in späteren Jahren.
    Wenn wir schon dabei sind - in guter Operndirigent sollte meiner Meinung nach auch nicht unbedingt heller strahlen wollen als die Sänger.