Henryk Szeryng, der "Uomo universale"
I
22 September 1918 wird Henryk Boleslaw Szeryng in Zelazowa Wola geboren, einem Dorf, das auch der Geburtsort Chopins ist.
1923 Szeryng lernt von seiner Mutter Klavier spielen und Harmonie.
1926 Maurice Frenkel gibt ihm Geigenunterricht.
1928 Unterricht bei Willy Hess
1930 Szeryng bekommt vom berühmten Geigenlehrer Carl Flesch Unterricht. Der Unterricht dauerte bis 1933.
1933 Debüt als Solist mit Brahms Violinkonzert (6. Januar) in Warschau. Die Familie lässt amtlich den Nachnamen Serek in Szeryng ändern.
1936 Szeryng erhält Geigenunterricht am Pariser Konservatorium bei Gabriel Bouillon.
1937 Der Geigenunterricht am Konservatorium wird erfolgreich beendet mit einem "premier prix"
1937-1938 Studium bei Nadia Boulanger
Während WK II ist Szeryng für die polnische Exilregierung als Dolmetscher tätig (er beherrschte sieben Sprachen). Auch tritt er auf für die alliierten Soldaten auf der ganzen Welt (über 300 Konzerte).
1943 Mexiko wurde das Domizil des Künstlers.
1943 Am 24. November tritt Szeryng zum ersten Mal auf in der Carnegie Hall.
1945 Szeryng erhält eine Professur an der Freien Universität Mexiko und wird mit der Reorganisation der mexikanischen Geigenschule beauftragt.
1948 Szeryng bekommt die mexikanische Nationalität.
1952 Szeryng nimmt seine weltweite Konzerttätigkeit wieder auf, erntet einen riesigen Erfolg und bleibt aktiv bis zu seinem Tode.
1970 Entdeckung des verloren geglaubten dritten Violinkonzerts von Paganini.
1971 Erstaufführung nach Paganini sowie Erstaufnahme des Konzertes.
1984 Heirat mit Waltraud Büscher.
1988 Während einer Tournee in Deutschland stirbt Szeryng am 3. März in Kassel.
II
Wenn ich an berühmten Violinisten des zwanzigsten Jahrhunderts denke, kommen mir vor allem Violinisten aus den 50. und 60. Jahren des 20. Jahrhunderts ins Gedächtnis: Yehudi Menuhin und David Oistrach: Bei etwas Sinnen kommen auch die Namen Nathan Milstein, Jascha Heifetz und Leonid Kogan in meine Erinnerung. Und gerade der von mir so bewunderte Henryk Szeryng, der unzweifelhaft zu den ganz Grossen gehörte, blieb verschollen. Das muss geändert werden, denn besonders in der zweiten Hälfte des 20. Jhdt. feierte Szeryng Triumphe als Meistergeiger.
22 September 1918 wurde der jüdische Henryk Boleslaw Serek in Zelazowa Wola (heute Polen) als zweiter Sohn von Szymon Serek-und Salome Alina Woznicka geboren. Sein Vater war ein erfolgreicher Geschäftsmann. Seine Mutter war eine ausgebildete Konzertpianistin, die die ersten Schritte ihres Sohnes auf seinem musikalischen Wege sanftmütig führte.
Seine Eltern bewegten sich in kulturellen und diplomatischen Kreisen, was ihnen ermöglicht und erleichtert wurde, weil sie "polyglott" waren. Und sie gaben ihren Kindern auch eine mehrsprachige Erziehung. Ich werde hier weiter den Namen Szeryng benützen statt Serek.
Als kleines Kind war er sehr lebhaft, was sich aber schlagartig änderte, wenn sein Kinderstuhl neben das Klavier gesetzt wurde. Dort hörte er atemlos zu, wenn seine Mutter spielte. Als er dreieinhalb Jahre alt war, bat er seine Mutter um Klavierunterricht.
Eigentlich zufällig, so könnte man sagen, bekam Szeryng Violinunterricht Denn sein älterer Bruder Georges studierte Violine. Dadurch lernte Szeryng das Instrument kennen und wurde daran interessiert. Mit sieben Jahr entschied er sich endgültig für die Violine, obwohl er nie das Klavierspielen aufgab (genau wie Arthur Grumiaux).
Aber auch Klavier wurde gespielt
Szeryngs erster Lehrer war Maurice Frenkel, Schüler des berühmten Violinpädagogen Leopold von Auer. Die Fortschritte vom Burschen waren so groß, dass er schon nach anderthalb Jahr dem berühmten Bronislaw Huberman das Mendelssohn Violinkonzert vorspielen durfte. Hubermans Kommentar lautete "Der Junge hat großes Talent und Hände wie Jascha Heifetz", und er riet seinen Eltern, ihn in Berlin und Paris auch die deutsche und französische Geigenschule studieren zu lassen.
Die Mutter zog mit ihren beiden Söhnen nach Berlin. Dort studierte Szeryng von 1928 bis 1930 bei Willy Hess, bis der in den Ruhestand trat.
Obwohl er eigentlich zu jung war, akzeptierte der berühmte Violinpädagoge Carl Flesch den Jungen als Schüler. Vier Jahre lang (1930-1933) bekam er Unterricht von Flesch. Auch zwei Meisterkurse (1932 und 1933) durfte er mitmachen.
Szeryng mit Flesch
Zweifelsohne hat Flesch das Spiel von Szeryng bedeutend geprägt. Bei Szeryngs eigener Web-Seite steht sehr nuanciert "Obwohl Frenkel für den jungen Henryk vielleicht der einflussreichste Lehrer war, verdankt er doch seine unglaublich disziplinierte Ausbildung sowohl auf dem musikalischen, als auch auf dem technischen Gebiet dem berühmten Pädagogen Carl Flesch (1873 - 1944), dessen Fachwissen Szeryng‘s unglaubliches Talent (…) praktisch schuf und förderte. "
Flesch hatte seinem Schüler soviel beigebracht, dass er schon 1933 debütierte mit Brahms Violinkonzert. Er hatte damit soviel Erfolg, dass er - noch während seines Studiums – damit eine Konzerttournee machte.
Im Sommer 1933 machte Szeryng seine erste Reise nach Paris. Dort wurde er von seinen stolzen Eltern dem polnischen Premierminister, dem berühmten Pianist Paderewski, vorgestellt.
Auf Nachfrage erklärte mir die Witwe Szeryngs, Frau Waltraud Szeryng, dass es mehrere Ausgaben der Biografie gab, die nicht immer übereinstimmten. Darum muss ich annehmen, dass am 27. Oktober 1933 die Familie offiziell ihren Nachnamen ändern ließ von Serek in Szeryng. Denn in der Einschreibungskarte des Pariser Konservatoriums steht u.a.
Observations: Polonais... la famille "Serek" a été autorisée á changer son nom de famille en "Szeryng".
Varsovie, le 27 Octobre 1933. Le Directeur des Archives A. Drozdzenoky (?). No. 5.387
Einschreibungskarte des Pariser Konservatoriums
Ab 1935 bis 1940 wohnte die Familie Szeryng in Paris. Der Vater arbeitete in Polen, kam aber, so oft es ihm gelang, nach Paris.
Man kann sagen, dass Szeryng – zwar ganz unregelmäßig – Unterricht bekam von Jacques Thibaud. Thibaud selbst hatte eigentlich keine Zeit, ließ sich aber dennoch zweimal jährlich vom jungen Henryk vorspielen. Auch empfiehlt er Szeryng an Gabriel Bouillon, der am Pariser Konservatorium Violinunterricht gab. Weil es 1935 keinen Platz mehr gab, versprach Bouillon, dass Szeryng im Herbst 1936 Unterricht bekommen würde.
Szeryng in 1935
Dennoch blieb Szeryng während dieser "Wartezeit" nicht untätig. "Er studierte fast die gesamte französische Geigenliteratur zusammen mit der Pianistin Madeleine Berthelier. " Daneben studierte er in privaten Schnellkursen Englisch, Französisch, Deutsch, Italienisch, Portugiesisch und Spanisch. Und ob das nicht schon eine Vollbeschäftigung war, auch noch Philologie, Geschichte und Philosophie. Kurz: ein "Uomo universale".
Am 18. November 1936 begann für Szeryng dann endlich das Studium bei Gabriel Bouillon. Noch kein Jahr aber blieb er dort, denn schon am 16. Juli 1937 wurde das Studium am Pariser Konservatorium beendet. Als Abschlussprüfung gab es den ersten Satz des fünften Violinkonzertes von Henri Vieuxtemps. Zusammen mit den Herren Neaman und Dufond gewann Szeryng den Ersten Preis.
Von seinen Eltern bekam er dann eine berühmte Geige: die Andrea Guarnerius "Sanctae Theresiae aus 1683. Tartini besaß dieses Instrument, als er seinen Teufelstriller schrieb. "Später gehörte sie dem einzigen Schüler von Niccolò Paganini, Camille Sivori (1815-1894)."
1937-1938 studierte Szeryng mit Nadia Boulanger Kontrapunkt und Komposition.
Er hatte bereits mehrere Künstler kennen gelernt, aber via Nadia Boulanger begegnete er erst mit Recht viel Koryphäen, wie Strawinsky, Cocteau, Villa-Lobos, Cortot, Casals und Picasso.
III
Am 1. September 1939 begann WK II, als Hitler seine Armee Polen angreifen liess. Drei Tage eher hatte Vater Szeryng sich von seiner Familie verabschiedet und war er nach Polen zurückgekehrt. Er hat die Familie nie wieder gesehen, denn starb "beim Aufstand des Warschauer Ghettos am 1. August 1944".
Durch Vermittlung des französischen Premierministers lernte Szeryng General Sikorski kennen, der Premierminister der polnischen Exilregierung. Szeryng meldete sich als Freiwilliger der polnischen Armee.
Januar/Februar 1940 gab er viele Wohltätigkeitskonzerte für die polnische Armee in Paris, aber auch an anderen Stellen Frankreichs.
Als General Sikorski Juni 1940 sein Hauptquartier wegen des drohenden Einmarsches der Deutschen von Paris nach Anger verlegte, begleitete Szeryng ihn. Denn er war inzwischen des Generals Dolmetscher geworden.
Der Einmarsch wurde eine Tatsache, und die polnische Exilregierung floh Juli 1940 nach London. Szeryng wollte auch dorthin und verließ Angers. In Royan misslang ihm die Einschiffung nach London, worauf er, zusammen mit anderen jungen Künstlern, versuchte Frankreich zu verlassen und nach Südamerika zu gehen.
Inzwischen wurde es August 1940. Einmal in Lourdes angekommen, entdeckte er ganz zufällig seinen Bruder Georges. Zusammen begaben sie sich über Toulouse nach Albi. Ob es eine Schicksalsfügung war? Jedenfalls fanden sie dort ihre Mutter, die in buchstäblicher letzter Minute durch eine Madame Deshayes gerettet wurde. Sie nahm Frau Szeryng in ihrem Wagen mit aus Paris und nahm sie in ihrem Haus in Albi auf.
Die Brüder Szeryng begaben sich schon einige Tage später mehr als 300 Kilometer nordwärts, nach Vichy und holten bereits einige Tage später ihre Mutter nach. Weil Henryk Szeryng noch immer nach Südamerika gehen wollte, verließ er schon nach kurzer Zeit Vichy.
September 1940 fand er in Marseille ein Schiff, die Alsina, dass nach Südamerika fuhr, worauf er sich einschiffen konnte. Via Casablanca erreichte das Schiff Dakar. Dort wurde die weitere Fahrt verboten, weil die Waffenstillstands-Kommission die Überquerung des Atlantiks untersagt hatte. Mehrere Wochen blieb das Schiff in Dakar, bis es schließlich im Oktober 1940 nach Casablanca zurück fuhr.
In Casablanca verließ Szeryng die Alsina. General Noguès, der die Vichyregierung in Marokko vertrat, ermöglichte ihm eine Abreise nach Lissabon.
Einmal in Lissabon angekommen, gab er dort wieder Konzerte, bis er November 1940 endlich die Möglichkeit bekam, sich nach Rio de Janeiro zu begeben.
In Rio de Janeiro begrüßte ihn Monsieur Bodin de Sainte-Ange Comnène, ein wohlhabender Franzose. Bei ihm wohnte Szeryng jahrelang und von dort machte er seine Konzertreisen. Während dieser Reisen betätigte er sich auch diplomatisch aktiv für die polnische Exilregierung.
Szeryng mit dem Präsident von Costa Rica
Um ein Bild zu vermitteln von den großen Städten, wo Szeryng Konzerte gab, folgt hier eine kurze Auflistung: Rio de Janeiro; Buenos Aires; Sao Paulo; Montevideo; Santiago de Chile; Lima und Bogotá. Alle also in Südamerika.
Dezember 1942 besuchte Szeryng zum ersten Male Mexico City. Dort begegnete er General Sikorski wieder, der auf der Suche war nach einer neuen Heimat für 4.000 polnische Flüchtlinge. Weil er schon von mehreren lateinamerikanischen Regierungen ein "Nein" auf seine Bitte bekommen hatte, war Mexiko seine letzte Hoffnung. Szeryng fungierte als Dolmetscher während der Unterhaltung zwischen den mexikanischen Präsidenten Camacho und General Sikorski.
Der mexikanische Präsident gewährte den Polen, die vor der Küste auf einem Schiff warteten, Zutritt und sagte Szeryng, "dass er jederzeit in Mexiko willkommen sein wird".
Szeryng war sehr gerührt von der menschlichen Geste seinen Landesgenossen gegenüber. Und beschloss darum 1943, Mexiko City als Wohnort zu wählen, der Einladung der mexikanischen Regierung folgend.
Erst im frühen Frühjahr 1943, also beinahe drei Jahre später als geplant, erreichte Szeryng die polnische Exilregierung in London.
"1943 – 1950 Konzertreisen durch Mexico, die Karibik, Südamerika und Kanada. Viele Konzerte für Soldaten in Armeelagern, für Kinder und Kranke, Vorlesungen und Unterricht an Musikschulen. "
Mai 1945 bekam Szeryng das Angebot einer Professur von der 'Faculdad de Música' der 'Universidad Nacional Autónoma de México'. Man bat ihn, den mexikanischen Geigenunterricht zu reorganisieren. Das Angebot wurde von ihm akzeptiert und er bekleidete die Stelle bis 1956.
Wie er sein Geld verdiente während der Jahre 1943-1950, ist eine Geschichte an sich. Weil er nie das Klavier vernachlässigt hatte, konnte er gegen Mitternacht in den Bars der elegantesten Hotels als Pianist sein Brot verdienen. Tagsüber lehrte er an der Universität und abends übte er für sich. Auch wirkte er mit an Werbespots. Und war er zum zweiten Mal das musikalische Double in einem Film. Diesmal in "Briefe einer Unbekannten"; das erste Mal war 1937 in dem Film "Die weißen Nächte von Sankt Petersburg".
Am 21. Oktober 1948 bekam Szeryng offiziell die mexikanische Staatsbürgerschaft.
Im Sommer 1950 besuchte Szeryng ein Konzert von Arthur Rubinstein, als dieser in Mexiko City war. Am Ende des Konzertes begab der emotionelle Szeryng sich hinter die Bühne.
"«Nie zuvor habe ich Chopin so spielen gehört», sagt er zu Rubinstein in Polnisch, «Ihre Interpretation erinnert mich an die meiner Mutter.»".
Rubinstein lud Szeryng zu sich in sein Hotel ein. "Das Zusammentreffen am nächsten Tag beginnt mit Bach. Rubinstein möchte zuerst eine Solo Sonate hören. Danach setzt er sich ohne weiteren Kommentar an sein Klavier und fragt, welche Brahms Sonate Szeryng spielt. "Alle drei" antwortet dieser. « Dann wollen wir alle drei spielen », sagt Rubinstein, greift in die Tasten und ohne Unterbrechung spielen sie alle drei Sonaten von Anfang bis Ende durch.
Danach spricht Rubinstein die Worte, die das Leben von Henryk Szeryng grundlegend verändern werden: « Sie müssen mehr und auf allen großen Bühnen der Welt konzertieren »."
Darauf rief er telefonisch seinen Agenten in New York an und empfahl ihm Henryk Szeryng auf seiner Liste zu setzen.
Eine tiefe Freundschaft, die erst durch Rubinsteins Tod 1982 beendet wurde, war die Folge dieser Begegnung. Oktober 1950 wohnte Szeryng bei der Familie Rubinstein und übte er mit seinem Gastgeber Sonaten von Beethoven und Brahms "zur Vorbereitung von geplanten Platteneinspielungen. (Beethovens "Frühlings und Kreutzer" Sonaten werden 1959 eingespielt, die drei Brahms Sonaten 1960...)"
Widmung von Arthur Rubinstein
IV
Februar 1952 begann Szeryng seine erste Konzerttournee nach WK II in Europa.
In Juni 1953 war er "Mitglied der Jury beim Internationalen Violinwettbewerb Marguerite Long - Jacques Thibaud Paris".
Am 1. September 1953 war Szeryng der letzte Bekannte, den Thibaud sehen wurde. Er brachte Thibaud zum Flughafen, wo dieser das Flugzeug nach Vietnam nahm. Über den Französischen Alpen stürzte das Flugzeug ab; es gab keine Überlebenden.
1955 hatte Szeryng zusammen mit dem Pianisten Charles Reiner eine sehr schwere Recitaltournee in Kanada, die vier Monate dauerte. Fast tagtäglich wurde ein Konzert gegeben. Oft sogar zweimal am selben Tag. Es waren "nur" Benefizkonzerte für die musikalische Jugend Kanadas.
1956 hatte Szeryng keine Zeit mehr für seine Vollzeitprofessur an der Mexikanischen Universität und kündigte er. Er gab aber weiterhin Sommerkurse. Die mexikanische Regierung ernannte ihn zum Kulturbotschafter und er bekam einen Diplomatenpass.
Juli 1959 stiftete Szeryng einen Sonderpreis "Freunde von Jacques Thibaud" beim Internationalen Violinwettbewerb Marguerite Long / Jacques Thibaud Paris.
Am 26. Mai 1961 und wiederholt am 22. Januar 1964 bot die "Akademie für Musik und Darstellende Kunst" in Wien Szeryng eine Professur an. Genauso wie in 1947, als das Peabody Conservatory in Baltimore ihn für eine Professur fragte, lehnte Szeryng ab. Der Grund blieb jedenfalls seine Verpflichtungen an der Mexikanischen Universität, obwohl inzwischen zunehmende Konzerttätigkeit noch dazu kam.
Als persönliche Bemerkung möchte ich hier hinzufügen, dass dies für mich ein Beweis von hoher Moral ist. So dankte er Mexiko für die Hilfe, die das Land 1943 seinen damaligen kriegsflüchtigen Landesgenossen bot.
Eine amüsante Anekdote ist, was am 17. Februar 1961 stattfand. In Cleveland würde Szeryng mit dem durch George Szell dirigierten Cleveland Orchestra das Violinkonzert Nr. 2 in g-Moll spielen. "Bei der Generalprobe am Konzerttag können sich Dirigent und Solist absolut nicht über das Tempo einigen, Szell bricht daraufhin zornig die Probe vor der Zeit ab und verlässt die Bühne.
Das Konzert aber ist ein Erfolg, hoch gelobt von Kritik, Publikum und Orchester - mit dem Tempo richtet sich der Dirigent dabei übrigens nach seinem Solisten. "
Im Andenken an seinen vor 20 Jahren tödlich verunglückten Freund Jacques Thibaud stiftete Henryk Szeryng Juli 1963 einen Jacques Thibaud Sonderpreis beim Internationalen Violinwettbewerb Marguerite Long / Jacques Thibaud Paris. Es ist also das zweite Mal, dass er für diesen Wettbewerb einen Preis stiftet.
Musikverlag Schott (damals & Söhne, heute Schott Music) wollte Bachs Solo Sonaten und Partiten in einer Neuauflage bringen und bat 1968 Szeryng um Mitarbeit.
Die Arbeit forderte viel mehr Zeit, als er gedachte hatte. "Ich glaubte, es in zwei Jahren schaffen zu können. Es hat fast sieben Jahre gedauert, bis alle Korrekturabzüge 1985 fertig waren. "
War er schon seit 1956 Kulturbotschafter der mexikanischer Regierung, am 8. Mai 1970 wurde er auch noch zum Ehrenberater der ständigen mexikanischen Delegation bei der UNESCO ernannt.
Ein sehr wichtiger Punkt in seinem Leben brach 1970 an. Als er in Mailand ein Konzert gab, wurden ihm durch Urgroßenkelinnen von Paganini einige Seiten eines Manuskripts gezeigt. Ziemlich schnell identifizierte Szeryng die Seiten als Teil des verloren geglaubten 3. Violinkonzertes von Paganini. Es zeigte sich, dass die Urgroßenkelinnen sogar die Partitur in toto hatten.
Januar 1971 wurde das Konzert durch Szeryng mit dem London Symphony Orchestra unter Sir Alexander Gibson für Philips eingespielt. Szeryng bekam für die LP eine goldene Platte. Über 150.000 Exemplare wurden hiervon weltweit verkauft.
Die goldene Platte
Die öffentliche Erstaufführung fand statt am 10. Oktober 1971 in London. Noch keine Woche später, am 16. Oktober, fand eine Aufführung in Mailand statt!!
Vom 10. Oktober 1971 bis dem 30. Januar 1974 führte er das Konzert auf in über zwanzig Städten: London, Mailand, Cleveland, New York, Florenz, Palermo, San Francisco, Israel, Minneapolis, St. Louis, Rotterdam, Madrid, Helsingborg, Kopenhagen, Oslo, Lissabon, Prag, Paris, Buffalo, Toronto und München.
Nur durch die Entdeckung dieses Konzertes wäre Szeryngs Name schon für die Nachwelt bewahrt geblieben.
V
Wenn etwas deutlich hervorgehoben werden muss, dann ist es wohl, dass Szeryng eine Person war, der in jeder Hinsicht ein Gönner war.
Obwohl er schon Sommerkurse in Mexiko gab, kamen seit 1968 auch noch zweijährliche Meisterkurse in Genf zu seiner Lehrtätigkeit dazu. 1972 wurde die Kurs gefolgt durch ein überragendes Talent: Shlomo Mintz. Beim 31. August 1972 findet man die Bemerkung "Als Starthilfe schenkt Szeryng ihm eine bei Pierre Vidoudez Genf gekaufte Geige, die Jean-François Aldric, 1831. "
Zusammen mit Shlomo Mintz
Szeryng hat aber mehr Violinen verschenkt. Am 24. Dezember 1972 gab er ein Wohltätigkeitskonzert anlässlich des fünfundzwanzigjährigen Gründungstages des Staates Israels.
Er spielte auf seiner Stradivarius 1734 "Herkules" Geige, die einst dem berühmten belgischen Geiger Eugène Ysaÿe gehörte. 1962 hatte Szeryng dieses Instrument gekauft. Am Ende des Konzertes hielt Szeryng eine Ansprache. Darin sagte er u.a. "«Aus Anlass des 25ten Jahrestages der Gründung des Staates Israel möchte ich das Land ehren und hiermit der Stadt Jerusalem in meinem Namen, aber auch im Namen meiner Heimat Mexico meine Stradivari Geige schenken.
Es wird die erste Stradivari Geige sein in dem Land, das ich dank des wunderbaren Erbes meiner Eltern ganz besonders liebe!
Um ihr Andenken zu ehren, aber auch das derer, die sich für ein besseres Leben des jüdischen Volkes geopfert haben, möchte ich der Stadt Davids dieses Instrument geben, welches von jetzt an den Namen "Kinor David Stradivarius" tragen und außergewöhnlichen israelischen Geigern zu Konzerten zur Verfügung stehen soll...»
Seither steht dieses Instrument dem Konzertmeister des Philharmonischen Orchesters Israel zur Verfügung.
"Er schenkte dem Fürsten Rainier III von Monaco seine berühmte Vuillaume Geige, die Stradivarius "Messias" Kopie. "
Am 12. Januar 1974 bekam der Stadt Mexiko die Guarnerius Geige "Sanctae Theresiae aus 1683, die er von seinen Eltern geschenkt bekam, als er am 16. Juli 1937 sein Studium am Pariser Konservatorium abgeschlossen hatte mit einem Ersten Preis.
Und am 19. August 1974 bekam Szeryngs ehemaliger Schüler Hector Olivera, Konzertmeister des Orquesta Sinfónica Nacional, von ihm die Gand et Bernadel Frères (Paris), 1871 geschenkt.
Auch Szeryngs ehemaliger ecuadorianischer Schüler Enrique Espín Yépez bekam eine seiner Geigen, die J.B. Cerutti, 19. Jahrhundert, geschenkt - am 25. Dezember 1975.
Als der Russe Yuri Braginski an Szeryngs Meisterkurs 1981 in Genf teilnahm, merkte Szeryng, dass dieser dringend eine bessere Geige brauchte. Die Mittel aber fehlten. Szeryng half nach und ermöglichte den Kauf der Geige Gand et Bernadel Frères (Paris), 1878.
Sogar noch nach seinem Tode: "Gemäss dem letzten Willen von Henryk Szeryng, übergibt seine Witwe dem Conservatoire National Supérieur de Musique in Paris seine Geige Pierre Hel, 1935 eine Kopie der Guarnerius del Gesù "Le Roi Joseph" Geige, Carlo Tadot gewidmet. "
Aber nicht nur Geigen wurden verschenkt. Denn was ist eine Geige ohne einen Bogen? Ende des Jahres 1970 schenkte Szeryng, als er mit dem Israel Philharmonic Orchestra konzertiert hatte, einem Stimmführer des Orchesters einen Dominique Peccatte Bogen. Ich erschrak, als ich beim Suchen in Internet entdeckte, dass unlängst für einen Bogen von Dominique Peccatte 49.000 Euro bezahlt wurden bei einer Versteigerung.
Und Februar 1981, als Szeryng eine Tournee mit den Zagreber Solist durch Österreich machte, schenkte er dem Konzertmeister auch so einen Dominique Peccatte Bogen.
Den 2. Februar 1984 überreichte Szeryng Herrn Amadou-Mahtar M'Bow, Generaldirektor der UNESCO auch einen Dominique Peccatte Bogen. Diesmal zugunsten des M.I.M.A.F. (Musicians International Mutual Fund) in Paris. Bei Drouot wurde der Bogen am 5. April 1984 versteigert. Der weltberühmte Geigenbauer/-restaurierer Etienne Vatelot erstand den Bogen.
Auch nicht-materiell half er nach.
Erwähnt wurde schon die vier Monate dauernde Tournee mit dem Pianisten Charles Reiner im Jahre 1955.
Am 31. Januar 1981 spielte und dirigierte Szeryng ein "nicht professionelles" Orchester aller Berufsstände des Österreichischen Städtchen Mürzzuschlag (noch keine 10.000 Einwohner). Auf dem Programm stand Mozarts fünftes Violinkonzert.
Der Existenz des Orchesters drohte Gefahr. Wieder ein Beweis, wie Szeryng versuchte diejenigen zu helfen, die sich um Musik verdient machten.
VI
Am 6. Januar 1984 heiratete Szeryng im Fürstentum Monaco die Deutsche Waltraud Büscher.
Das Ehepaar Szeryng
Nur vier Jahre konnte er dieses Glücks genießen.
Im Februar 1988 machte er eine Deutschland Tournee. Am 28. Februar spielte er in Köln Beethovens Violinkonzert. Am 29. Februar in Frankfurt Brahms Violinkonzert. Der 1. März in Kassel wurde wieder das Violinkonzert von Brahms aufgeführt.
"In der Nacht vom 1. auf den 2. März 1988 erleidet Henryk Szeryng eine schwere Hirnblutung und fällt in ein Koma, aus dem er nicht wieder erwacht. "
Am dritten März verstarb Henryk Szeryng in den frühen Morgenstunden.
Er begann 1933 sein öffentliches Auftreten mit Brahms Violinkonzert. Dieses Werk war also auch mit seinem letzten Auftreten verbunden.
Fast 10 Jahre vor seinem Ableben, am 23. Juli 1978, gab Szeryng der mexikanischen Tageszeitung Excelsior ein Interview. Eine der letzten Fragen des Journalisten war: « Was würden Sie tun, wenn Sie nur noch eine Stunde zu leben hätten? » Er antwortete: « Ich würde das Brahms Konzert spielen ».
Mit ihm verschied ein großer Künstler; ein hochgebildeter Mensch; ein Violinist, dem die Welt viel verdankt; ein großzügiger Förderer. Aber vor allem: ein humaner Mensch.
In jeder Hinsicht ein UOMO UNIVERSALE.
Dass ich diese Biographie machen konnte, ist letztlich der Henryk Szeryng Webseite zu verdanken. Ich hatte vieles im Internet gefunden, aber dauernd wurde ich mit Widersprüchen konfrontiert. Und natürlich danke ich Elisabeth, die wieder unermüdlich die Korrekturen machte.
Frau Waltraud Szeryng, die Witwe des Künstlers, hat mir dabei wunderbar Hilfe geleistet.
Sie gab auch Zustimmung Fotos von der Szeryngseite in Tamino zu stellen.
Auszeichnungen, Ehrungen, usw. hat er so viel bekommen. Da kann ich nur verweisen auf die Webseite