Sergej Prokofieff (1891-1953)
Violinkonzert Nr.1, op.19 (1915-17)
S. Richter:“(…) Aber das Werk, das so war, dass man es lieben musste und damit auch den Komponisten, war für mich das erste Violinkonzert. Später lernte ich noch viele Menschen kennen, bei denen die Liebe zu Prokofieff gleichfalls mit diesem Werk begann. Mir scheint es unmöglich, dass jemand, der Musik liebt, davon nicht ergriffen sein sollte. Es macht einen Eindruck, als wenn im Frühling zum ersten Mal das Fenster geöffnet wird und zum ersten Mal von draußen unruhige Laute hereindringen. (….) Von diesem Augenblick an nahm ich jedes Werk von Prokofieff, das ich kennenlernte, mit staunender Verwunderung und sogar mit Neid auf.“
Es ist mir heute ein besonderes Vergnügen, mein Lieblings-Violinkonzert vorzustellen, begleitet mich diese Gattung doch schon seit Beginn meines „Klassiklebens“. Und doch war ich gerade mit diesem Violinkonzert ein Spätstarter, vor allem deshalb, weil es damals von Jascha Heifetz keine Aufnahme gab. Überhaupt habe ich das Gefühl, dass dieses Violinkonzert ein bisschen als „Leichtgewicht“ im Violinrepertoire betrachtet wird. Dies ist nicht auf das Spieltechnische bezogen, sondern eher auf den allgemein lyrischen Gestus dieses Werks.
Dawid Oistrach schreibt hierzu über die Schwierigkeiten im Vortrag der Musik Prokofieffs:
„Nichts darf darin übersehen werden, kein einziges melodisches Detail, keine einzige Modulation. Sie verlangt feinsten, bis ins letzte gehenden Ausdruck, genaueste, aber nicht aufdringliche, aufmerksame und beseelte Ausführung jeder einzelnen Intonation, wie in einem vollendet deklamierten Gesang. Das wesentliche dabei ist, dass sie nicht die geringste künstlerische Eigenwilligkeit zulässt.“
Prokofieff hat dieses Werk (damals als „Concertino“ geplant) im Jahr 1915 begonnen, aber schon kurz nach dem Eröffnungsthema der Violine abgebrochen um an seiner Oper „Der Spieler“ zu arbeiten.
Prokofieff: “Ich komponierte sie (gemeint ist die „Symphonie classique“) während meiner Spaziergänge auf den Feldern. Parallel dazu instrumentierte ich das Violinkonzert op.19, dessen Thema Anfang 1915 entstanden war. Ich habe es später oft bedauert, dass mich andere Arbeiten daran hinderten, zu dem „Träumerischen Anfang des Violinconcertinos“ zurückzukehren. Allmählich wurde die Musik zum Sommer 1917 fertig, das Concertino hatte sich zu einem Konzert ausgewachsen, und die Partitur wurde abgeschlossen“.
Fertig wurde es also erst 1917, im Jahr der Oktoberrevolution und dem Jahr vor Prokofieffs Weggang aus Russland in die USA. Zeitgleich entstanden Werke wie die „Symphonie classique“, die 3. und 4. Klaviersonate und die „Visions fugitives“. Aufgrund der chaotischen politischen Umstände war die geplante Uraufführung durch den polnischen Geiger und Professor an der St. Petersburger Hochschule, Paul Kochanski, nicht zustande gekommen. Kochanski war es, der Prokofieff zu dieser Komposition ermuntert und bei der Erstellung des Violinparts beraten hat. Interessant ist ferner, dass die „Symphonie classique“ und das 1. Violinkonzert die ersten Kompositionen Prokofieffs sind, die dieser nicht „am Klavier“ komponiert hat.
Die Uraufführung erfolgte am 23. Oktober in Paris. Solist war der Konzertmeister des Pariser Opernorchesters, Dirigent Serge Koussevitzky. War es der eher mittelmäßigen Interpretation oder der mangelnden Radikalität des Werkes geschuldet, der Erfolg stellte sich erst in den Folgejahren ein, vor allem durch die Interpretation von Joseph Szigeti.
Prokofieff: “Im Oktober 1923 siedelte ich schließlich nach Paris über, was mit der ersten Aufführung des Violinkonzertes (18. (sic!) Oktober, Solist Darrieux, Dirigent Koussewitzki) zusammenfiel. Huberman und einige andere Violinvirtuosen hatten es abgelehnt, „diese Musik“ einzustudieren, weswegen die Solopartie dem Konzertmeister des Orchesters übertragen werden musste, der sich durchaus nicht schlecht mit der Aufgabe abfand. Die Kritik war zwiespältig, einer (Anmerkung: Georges Auric) bemerkte giftig „Mendelssohnismen“. Die russische Uraufführung passierte fast zeitgleich: Nathan Milstein wurde dabei am Klavier von Vladimir Horowitz begleitet!
Prokofieff beschreibt in seiner Autobiographie „fünf Hauptrichtungen“ in seinem Kompositionsstil und gibt einzelne Beispiele: die klassische Richtung (Symphonie classique, Sinfonietta), die Richtung des „Neuerers“ (Skythische Suite, Sarkasmen, 2. Sinfonie, Quintett, „Der Spieler“), die motorische Richtung (Toccata, Toccata im 5. Klavierkonzert, Scherzo des 2. Klavierkonzerts), die lyrische Richtung und schließlich die groteske (laut P. besser „scherzhafte“) Richtung. Zu seiner lyrischen Richtung zählt er auch sein 1. Violinkonzert.
Zu den Sätzen:
1. Andantino – Andante assai
2. Scherzo: Vivacissimo
3. Moderato – Allegro moderato – Moderato – Più tranquillo
Auffallend ist die Umkehr der gängigen Satzfolge: „schnell- langsam- schnell“. Der erste Satz ist eine Art „russisches Märchen“ („sognando“, „narrante“). Der zweite Satz ist ein virtuoses Scherzo, der dritte eine „Groteske“, welcher mit dem Ausgangsthema des ersten Satzes zu Ende geht.
Ich werde versuchen, in den nächsten Tagen nochmals im Genauen auf die einzelnen Sätze einzugehen, möchte aber meinen Eingangsbeitrag nicht überfrachten.
Vielmehr würde mich interessieren:
1. Ganz banal: Gefällt Euch dieses Konzert, und wieso (nicht)?
2. Steht es für Euch in der ersten Reihe der Violinkonzerte?
3. Ist es für Euch ein „typischer“ Prokofieff, oder eher ein Ravel oder Szymanowski?
4. Welche Aufnahmen besitzt ihr und welche gefällt Euch (nicht)?
Quellen:
N.P. Sawkina (1993): Sergej Sergejewitsch Prokofjew
Sergej Prokofjew (1961): Dokumente- Briefe- Erinnerungen
Wikipedia
diverse Programmhefte im internet
Noten (leider nicht die Partutur): "http://imslp.org/wiki/Violin_Concerto_No.1%2C_Op.19_%28Prokofiev%2C_Sergei%29"
PS: Wer noch keine Aufnahme hat, kann auf youtube fündig werden,
z.B.: "http://www.youtube.com/watch?v=xE5tw7rYvNE"