Gespenster, Fantasmi und Fantomes - Sprachstrukturen und die Musik

  • Auch wenn mancher oberflächlich den Eindruck haben mag, dieser Thread soll keine neue Diskussion über Opern in Übersetzungen anstoßen, sondern sich eher dem Grundproblem widmen, das überhaupt eine solche Diskussion notwendig macht: der Verschiedenheit der Sprachen, die sich ja nicht nur in Klang und Wortwahl, sondern auch in dem dahinter stehenden Geist, auch Esprit genannt, ausdrückt, und den verschiedenen Prioritäten bei ihrer Adaption durch die Musik.


    Sozusagen ein babylonischer Diskurs über das Thema "Prima le parole, dopo la musica" - oder umgekehrt. Seinen Titel bezieht er aus der Tatsache, dass das Phänomen sehr leicht zu hören, aber sehr schwer zu greifen ist und darin durchaus einem Poltergeist ähnelt, der ebenfalls gerne in den am wenigsten erwarteten Winkeln auftaucht.


    Ausgelöst wurde der Thread durch den nachfolgenden einen Gedankengang Edwins in dem Thread Jean Baptiste Lully - der Begründer der frz. Nationaloper , der auf Widerspruch bzw. Rückfragen durch mich stieß:


    Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Aber zurück zur Sprachbarriere: Was ich in den letzten Wochen an französischen Opernkomponisten dieser Zeit nun kennengelernt habe (Rameau, Lully, Mouret, Rebel, Monteclair, Marais, Charpentier), so haben sie eines gemeinsam: Die deklamatorische Textbehandlung. Wenn man keine Ahnung vom Französischen hat, vom wunderbaren Klang dieser Sprache, den feinen Nuancen des Tonfalls, die gar nicht notiert werden können, sondern sich durch den Sänger ergeben, dann fehlt sicherlich eine Dimension, die zum Verständnis beiträgt.
    Dieses Problem haftet allen sprachbezogenen französischen Werken bis in die Gegenwart an.
    Ein anderes Faktum ist, daß sich viele Zuhörer für die Feinheit nicht begeistern können. Geschmack hat wenig Bedeutung. In Frankreich hat aber gerade der Geschmack sehr große Bedeutung. Ob nun Lully, Rameau oder Debussy oder Satie, etwa in "Socrate", oder Poulenc oder Boulez: Diese Musik ist von einem Temperament kontrolliert, das vom Geschmack beherrscht wird, vom Interesse an Farben, Nuancen und Details. Die breite Masse der Zuhörer liebt aber eher den breiten Pinsel, den üppigen Farbauftrag.


    Ich habe vorhin in einem anderen Zusammenhang (Puccini) von meiner Wahrnehmung eines (vermeintlichen?) Kontrastes zweier "Komponistenschulen" gesprochen, nämlich denen, die ihre Musik aus dem Wort empfangen und sich darauf beziehen ohne deswegen einfach nur Satzmelodien auszubauen (gilt das nicht für die gesamte frühe Vokalmusik?), und solchen, die mit ihrer Musik primär Situationen, Drama und Emotionen nachfühlbar machen wollen und von ihren Librettisten verlangen, dass ihre Worte sich anpassen. Dass ein Komponist, zudem noch ein gebürtiger Ausländer wie Battista Lulli, das schwerlich von einem Racine oder Molière verlangen konnte, erscheint auch heute noch einleuchtend. Das Primat der Musik sollte sich ja auch erst später durchsetzen. Das ist natürlich sehr grob formuliert und konstruiert einen Gegensatz, den es in dieser Krassheit nicht wirklich gibt. Ich hoffe aber, es macht die unterschiedlichen Gewichtungen deutlich.


    Undeutlich bleibt dann aber, warum Lully & Co. auch in Frankreich eine Sache für Spezialisten geblieben sind, ebenso wie Keiser und Telemann bei uns und die meisten Barockopern sogar in Italien, deren Sprachen uns vielleicht näher und verständlicher sind.


    Um aber in Frankreich zu bleiben: Sind international leicht verständliche und durchsetzbare Komponisten wie Offenbach, Bizet, Gounod oder Massenet weniger französisch als Lully, Rameau, Debussy, Ibert, Poulenc - mit den lange erfolglosen Berlioz und Chabrier irgendwo in der Mitten?


    Ich glauibe, mit dem leicht diskreditierenden Argument vom breiten Pinsel macht man es sich etwas zu leicht. Das Bild vom "fortgeschrittenen Gourmet" überzeugt mich da schon eher, aber die Entwicklung eines derart verfeinerten Geschmacks muss man sich auch leisten können.


    Kurz: an der Beobachtung ist was dran, aber mit der impliziten Wertung tue ich mich schwer.


    :hello: Jacques Rideamus

  • Lieber Jacques Rideamus,
    1) Ja, ich bin für einen eigenen Thread, ich halte das Thema für sehr spannend.


    2)

    Zitat

    Um aber in Frankreich zu bkleiben: Sind international leicht verständliche und durchsetzbare Komponisten wie Offenbach, Bizet, Gounod oder Massenet weniger französisch als Lully, Rameau, Debussy, Ibert, Poulenc - mit den lange erfolglosen Berlioz und Chabrier irgendwo in der Mitten?


    Bizet, Gounod und Massenet sind zwar sehr französisch in ihrem subtilen Umgang mit der Harmonik (Gounod etwas weniger subtil, aber wer es bei Bizet nicht glaubt, sehe sich daraufhin einmal die "Arlésienne" an oder auch die "Jolie fille de Perth" und natürlich auch "Carmen"), aber sie sind primär Melodiker, deren Melodien in jeder Sprache funktionieren, wodurch sie es leicht hatten, sich zu etablieren.
    Lully, Rameau, Debusssy etc. können hingegen in keiner anderen Sprache als französisch aufgeführt werden, ohne daß es einen Verlust an Klang gäbe. Außerdem ist ihre Musik nicht "zum Nachpfeifen" geeignet, sondern lädt eher zum Mitvollziehen ein. Sie ist durch und durch elitär (Berlioz und Chabrier würde ich ganz und nicht nur teilweise zu dieser Richtung rechnen.)


    Ein Sonderfall ist für mich Offenbach: Der "Hoffmann" ist für mich eine durch und durch französische Oper - aber mit genug Schlagern, das zu überdecken. Und der Stoff ist ziemlich deutsch....
    Was die Operetten betrifft - da kenne ich mich nicht so gut aus wie Du. Aber alles, was ich an nicht-französischen Aufführungen gesehen habe, ließ mir die Haare zu Berge stehen. Ich dachte immer nur: Vulgär, Offenbach zum Kabarett erniedrigt. Ich finde etwa faszinierend, was Pelly und Minkowski mit den Werken gemacht haben - das ist quasi "mein" Offenbach, und der ist, trotz seines Geburtsorts, Franzose durch und durch....


    :hello:

    ...

  • Lieber Edwin, was den Offenbach in deutsch angeht, ist Kabarett noch ein Kompliment!!!
    Das ist für mich in sehr vielen Fâllen eher das, was sich Michel und Lisbeth Kleinbürger unter französischem Esprit vorstellt und mir stehen dabei auch die Haare zu Berge!
    Umso mehr ärgert es mich ja, wenn französsiche Musik als langweilig bezeichnet wird-das ist sowas von absurd, dass man nur den Kopf schütteln kann. :motz:


    Im übrigen kann jede französische Oper nur in frz. Sprache aufgefüihrt werden-in welcher denn sonst??
    Aber all das ist vielleicht wirklich besser in einem eigenen Thread aufgehoben.


    Fairy Queen

  • Es ist sicher kein Zufall, dass Übersetzungen um so frevlerischer empfunden werden, je besser der Hörer mit dem Original zurande kommt.


    Hier soll es aber nicht um Übersetzungen gehen, sondern um einen Versuch, ausgehend von dem betrüblichen Phänomen, dass französische Opern heute relativ unpopulär sind, französische Barockopern in Frankreich aber kaum populärer zu sein scheinen als anderswo, zu klären, warum das so sein könnte. Ich habe zunächst überlegt, ob man das Thema mit diesem Thread verknüpfen sollte, weil Giselher darin eine sehr interessante und, wie ich finde, relevante historische Erklärung gibt: Im Schatten der Italiener ? - Die französische Oper


    So ganz überzeugt mich die aber nicht, denn es erklärt noch nicht, warum die italienische Oper weltweit lebendig und dominant blieb. An der Sprachkenntnis des Publikums kann es nicht liegen. Französisch ist zweifellos verbreiteter als italienisch, und sei es nur relativ. Auch hat die französische Oper immerhin eine ganze Reihe (einst) sehr populärer Stücke hervorgebracht, die bis zu einer Wiederentdeckung des Belcanto kaum seltener gespielt wurden als italienische. So fragt sich, ob es vielleicht doch am Sprachduktus liegt oder, besser formuliert, an der Selbstverständlichkeit, mit der französische Komponisten dem Sprachduktus folgen.


    Mir scheint es aber zu kurz gegriffen, wollte man das Phänomen nur auf die französische Oper beschränken. Auch in anderen Sprachen gibt es Beispiele und Gegenbeispiele, von denen einige bereits genannt wurden. Man kann das Phänomen also auch in anderen Sprachen beobachten und daraus fast eine provokante These entwickeln:


    Biegen populäre Komponisten (eher Melodiker) sich die Sprache zurecht oder goutiert das Publikum sprachliche Sensibilität nicht hinreichend? Wenn das aber zutreffen sollte, warum sind dann genial begabte Melodiker wie Gretry, Adam, Auber, Boieldieu und viele andere ebenso in den Orkus des Desinteresses gerutscht? Ich behaupte, dass die gerade in einem anderen Thread angesprochene Oper LA DAME BLANCHE den Qualitäten fast jeder italienischen Belcantooper in nichts nachsteht. Trotzdem ist von ihr hier kaum die Rede und wäre es wohl weiterhin nicht, wenn sie nicht in Kürze im Rundfunk gesendet würde. Trotzdem ist auch die wunderbare Minkowski-Aufnahme schon wieder aus dem Repertoire verschwunden, während... - nein, ich mag ja auch die italienischen Belcanto-Opern. Ich wundere mich einfach.


    Daran anknüpfend: gibt es dabei einen Unterschied zwischen der Barockmusik und der ihr folgenden?


    Eigentlich genug Fragen für einen eigenen Thread ohne auch noch das Problem der Übersetzungen daran anknüpfen zu müssen.


    :hello: Jacques Rideamus

  • Ich frage mich zuerst einmal grundsätzlcih, ob die Beliebtheit einer Oper im In-und Ausland a priori mit ihrer Sprache zusammenhängt.
    Wenn dem nicht so ist, spielen Moden, gesellschaftlcihe Entwickliungen, Marketingstrategien, bestimmte Künstler, die sich einer Sache besonders annehmen(wie etwa die Callas das getan hat) und auch Zufälle eine Rolle.


    Im Falle der französischen Oper muss ich dennoch sofort auf die Sprache zurückkommen, weil es sich in dieser Sprache mit Abstand am schwieirigsten (von den operngängigen Sprachen) singen lässt- selbst wenn man geborener Franzose ist.
    Die Lautbildung steht etlichen Prinzipen der Gesangstechnik fast entgegen und bedarf wirklich einer besonderen Schulung.
    Für Ausländer ist es daher ungeheuer schwierig, frz. Opern zu singen und das wird ihre Verbreitung mit sciherheit nciht eben fördern.


    Das mal nur im Vorübergehen, ich werde mich im Laufe der Tage sicher noch mehr an diesem hochinteressanten Thread beteiligen.
    F.Q.

  • Unscharfes Denken erzeugt breit gestreute Reaktionen. Bei der Formulierung des Threadauftaktes hatte ich eine eher vage Vorstellung von einer Relation zwischen Sprache, Musik und Popularität (vornehmlich, aber nicht nur, in der französischen Oper). Als ich gestern dieses - seinerseits aus der verwandten Lully-Diskussion abgezweigten Thema ansprach, führte das prompt dazu, dass sich eine eigene und durchaus interessante Diskussion über die Rezeption der Barockoper im Verlauf der Geschichte entwickelte. Die hat jetzt ihren eigenen Thread, nämlich diesen: Absolutismus und Xenophobie - Die Barockoper im Spiegel ihrer Rezeption


    Ich möchte aber gerne, auch wenn das Thema hier allgemein weniger zu interessieren scheint, bei der Korrelation zwischen Musik und Sprache bleiben. Deshalb versuche ich mal einen ganz anderen Ansatz, der sich mehr auf das Verhältnis von Sprache und Musik konzentriert und hoffentlich etwas besser verständlich macht, worum es mir hier geht. Inspiriert wurde er durch meine gestrige (http://www.tamino-klassikforum…?postid=272171#post272171) Beschäftigung mit dem Georg Kreisler-Klassiker „Zwei alte Tanten tanzen Tango“, dessen Sprachrhythmus ein klassischer Tango ist. Dies erinnerte mich an eine besondere Form musikalischer Gags, die Kreisler liebte, und die er „Austexieren“ bekannter Motive nannte. In seinem berühmten Lied vom „Musikkritiker“ wimmelt es von dergleichen, aber als Beispiel mögen zwei der allerbekanntesten Takte der klassischen Musik genügen:


    „Ich sagte ja
    Und es geschah.“


    Es handelt sich natürlich um die beiden ersten Takte der fünften Sinfonie Beethovens, mit denen angeblich das Schicksal an die Pforten klopft. (nb: da könnte man noch "ein lustiges Tamino-Spiel" draus machen ) Man sieht eine deutliche Korrelation zwischen der Sprache der Musik und der Aussage des Texts, der in diesem Fall nachträglich den beiden Takten unterlegt wurde. Wären diese beiden Zeilen aber Teil eines noch zu komponierenden Opernlibrettos gewesen, hätte Beethoven vielleicht genau diese Töne gewählt.


    Wenn wir uns aber eine französische Oper vorstellen, hieße der Librettotext vielleicht:


    „J'avais dit: 'oui'.
    Et c’est ici“.


    Weder Beethoven noch irgendjemand sonst wäre dann wohl ausgerechnet auf diese Tonfolge verfallen. Desgleichen im Italienischen:


    „Si, ho detto.
    Fatto, ecco.“


    und noch anders im Englischen


    "I said : 'So be it'
    Then one could see it"


    Man halte die schwachen Übersetzungen bitte meiner begrenzten Sprachkenntnis zugute, aber ich denke, es wird auch so deutlich, dass dieselbe Bedeutung mit sehr verschiedenen Tönen ausgedrückt werden muss, die wiederum - auf extrem kurzem Raum - sehr verschiedene Reime und sogar Rhythmen erzwangen. Es sind aber nicht nur die verschiedenen Worte, sondern auch verschiedene Denkweisen, die zu diesen (Sprach-)Klängen führen. Hier glaube ich, dass Edwin sowohl auf der richtigen Spur ist, wenn er unterstellte, dass manche Sprachen größere Aversionen auf sich gezogen haben als andere, aber auch zu kurz springt, wenn er die mangelnde Nachfrage nach diesen Werken heute vor allem dort begründet sehen will.


    Auf der richtigen Spur ist er womöglich insofern, als tatsächlich lange Zeit das Französische im Ausland als arrogant wahrgenommen wurde (das Thema haben wir gerade im Lully-Thread) und die Wahrnehmung der Sprache zum pars pro toto des Franzosen schlechthin gerann. Ob zu Recht oder Unrecht, sei dahin gestellt, aber es ist m. E. genug an der Beobachtung dran, dass ich unterstellen kann, dass das in der nichtfranzösischen Welt ein Handicap darstellen könnte, das man, z. B. durch starke Melodien, überwinden kann, aber auch muss.


    Zu kurz springt er, weil er übersieht, dass sehr viele französische Opern zu Zeiten, als wir noch weit frankophober waren, bei uns sehr viel erfolgreicher waren als heute – allerdings in deutschen Übersetzungen. Bliebe also das Element des Fremdelns ganz allgemein, das uns beim Italienischen (vom englischen Popsong ganz zu schweigen) aber ganz offenbar weit weniger unterkommt. Hat es mit dem Klang der Sprache zu tun? Mit einem generellen Über- oder Unterlegenheitsgefühl, wie idiotisch es auch immer sein mag? Oder nur mit der melodischen Kraft der Kompositionen? Wenn dem so wäre, warum sind die Opern Aubers, Boieldieus, Meyerbeers und, mit Ausnahme einiger Werke von Offenbach selbst, fast alle französischen Operetten aus unseren Spielplänen verschwunden? Sind wir womöglich einerseits informierter, internationaler und vielseitiger, damit aber auch in unserem Fassungsvermögen gegenüber den früheren Spezialisierungsformen begrenzter und flacher geworden, so dass uns bestimmte Verzweigungen des Esprit kaum mehr anzusprechen vermögen?


    Das sind die Fragen, denen ich in diesem Thread gerne weiter nachgehen möchte.


    Ich bin gespannt, was Ihr dazu zu sagen habt.


    :hello: Jacques Rideamus

  • Zitat

    Original von Jacques Rideamus
    warum sind die Opern Aubers, Boieldieus, Meyerbeers und, mit Ausnahme einiger Werke von Offenbach selbst, fast alle französischen Operetten aus unseren Spielplänen verschwunden?


    Ich habe mal nach Vergleichszahlen gesucht. Eine sehr stichprobenartige Untersuchung, die Aufführungszahlen in den Monaten Februar/März 1994 auswertet, kommt u.a. zu folgendem Ergebnis (komplett unter "http://opera.stanford.edu/misc/Dornic_survey.html")


    "What are the National preferences?
    Are Italian opera houses mostly performing the Italian repertory, are German theaters enclined to concentrate on the German heritage, etc... to adapt to the public taste?


    Percentage of Productions of


    German* Operas Italian Operas French Operas Other Operas


    World 33% 41% 11% 15%


    Germany 50 35 6 9
    Italy 12 71 10 6
    France 30 32 21 19


    (*) i.e. Germany & Austria, whose composers all belong to German culture.


    The sample covers programs from 29 French cities, 26 German cities, 16 Italian cities. We can draw a few conclusions:


    * yes, indeed, each country shows a preference for its own repertory. We have, as a matter of comparison, given the averages on all the listed 422 productions ("World").
    * The Italians are the most nationalistic, they gorge themselves with Puccini, Rossini, Donizetti... But, owing to the international triumph of their composers, they can be forgiven!
    * In Germany, one opera out of two is German. Curiously enough, they perform Mozart as often as Verdi, Puccini as often as Wagner.
    * The French appreciate both German and Italian operas equally (and more than their own!)
    * As for the other national schools, they are rarely performed, except in France. It sounds like it is the European country where the public goes toward unbeaten paths more readily."


    Leider ist hier nicht von Aufführungssprachen die Rede; wenn wir aber die Werkstatistiken des Deutschen Bühnenvereines hinzuziehen, können wir davon ausgehen, dass ein Großteil der deutschen Opern, die in Deutschland gespielt werden, von Mozart sind, und es sind vor allem – seine italienischsprachigen.


    Interessant jedenfalls: die deutschen Opernhäuser spielen weniger französische Opern als selbst die italienischen, und die französischen spielen erheblich mehr Opern aus ganz anderen Sprachkulturen als die deutschen. (Letzteres erstaunt mich wirklich. Ich dachte, in Sachen Janacek etc. kann uns keiner was vormachen.)


    Ich frage mich, ob die Ineinssetzung von Oper mit Italianità, die in Deutschland vermutlich seit den 60er Jahren, zeitgleich mit der Etablierung der originalsprachlichen Aufführung, zu beobachten ist, nicht viel mehr mit zeitgleich sich entwickelt habenden popkulturellen Phänomenen zu tun hat als uns recht ist - also mit Caprifischern, Pastawerbung, Rimini, Vespafahren etc. Oper ist konnotiert entweder mit „Kultur und schwer, aber unsers!“, dann ist sie von Wagner oder Richard Strauss, oder mit Pasta, Pizza und Genuss – dann ist sie von Verdi und Puccini. Dazwischen hat (außer „Carmen“ = Erotik!) nichts von den Franzosen Platz. Deren Esprit sucht der Deutsche traditionellerweise in der Literatur, nicht in der Musik.

  • Ich sehe gerade, dass die Statistik so wie ich sie reinkopiert habe kaum zu lesen ist. Hier noch mal:


    German* Operas / Italian Operas / French Operas / Other Operas


    World ... 33% .../ .....41%........ / ...11%......... / 15%


    Germany 50% /....... 35% ......./ .....6% ........./ 9%
    Italy ......12% / .......71% ......./..... 10% ......./ 6%
    France ...30% / .......32% ....../ .......21% ...../ 19%


    Grüße,
    Micha

  • Zitat

    Original von Michael M.
    ...wenn wir aber die Werkstatistiken des Deutschen Bühnenvereines hinzuziehen, können wir davon ausgehen, dass ein Großteil der deutschen Opern, die in Deutschland gespielt werden, von Mozart sind, und es sind vor allem – seine italienischsprachigen.


    Ich frage mich, ob die Ineinssetzung von Oper mit Italianità, die in Deutschland vermutlich seit den 60er Jahren, zeitgleich mit der Etablierung der originalsprachlichen Aufführung, zu beobachten ist, nicht viel mehr mit zeitgleich sich entwickelt habenden popkulturellen Phänomenen zu tun hat als uns recht ist - also mit Caprifischern, Pastawerbung, Rimini, Vespafahren etc. Oper ist konnotiert entweder mit „Kultur und schwer, aber unsers!“, dann ist sie von Wagner oder Richard Strauss, oder mit Pasta, Pizza und Genuss – dann ist sie von Verdi und Puccini. Dazwischen hat (außer „Carmen“ = Erotik!) nichts von den Franzosen Platz. Deren Esprit sucht der Deutsche traditionellerweise in der Literatur, nicht in der Musik.


    Danke für diese interessanten Zahlen. Leider sind sie in der Tat irreführend, weil ich ziemlich sicher bin, dass bei einer korrekten Zuordnung von Mozarts DaPonte - Opern die Dominanz der italienischen Werke noch ausgeprägter wäre, und zwar weltweit. Interessant und überraschend finde ich aber, dass, einen natürlichen Lokalbonus berücksichtigt, in Frankreich auch nicht mehr französische Opern gespielt werden als bei uns und sogar, was mich nun wirklich erstaunt, sogar mehr deutsche als französische (wobei der Unsicherheitsfaktor Mozart diese Relation noch egalisieren könnte).


    Das spricht eigentlich dagegen, dass die Sprache (oder Sprachangst) der Rezipienten eine wesentliche Rolle spielt, denn die deutsche Sprache ist Franzosen sicher nicht geläufiger als die französische den Deutschen. Im Gegenteil. Ich glaube auch nicht an eine Nachwirkung der hiesigen Italienschwärmerei der 50er Jahre, die wohl eher zufällig mit der internationalen Entwicklung zum Original als Aufführungssprache zusammenfällt. Die aber geht wohl eher auf die Internationalisierung der Tonträgerindustrie zurück, der die Sänger folgten. Originale ließen sich weltweit am besten verkaufen, und wer einmal die italienischen Originalfassungen gelernt hatte, konnte sie an allen führenden Häusern der Welt singen. Wer aber die französischen Originaltexte gelernt hatte, konnte das höchstens noch in Quebec gebrauchen, denn schon Meyerbeers HUGENOTTEN und sowieso Rossini GUILLAUME TELL wurden in Mailand selbstredend auf italienisch gegeben. Gounods FAUST dagegen hieß bei uns noch lange MARGARETHE - und klang auch so.


    Es spricht also einiges dafür, dass der Siegeszug der originalsprachigen Aufführung den des italienischen Repertoires begünstigte, und zwar bis ins eigene Land hinein, denn wer internationale Stars hören wollte, konnte dies ab Ende der 60er Jahre fast nur noch im Original tun. Es liegt eine gewisse beißende Ironie darin, dass ausgerechnet der Siegeszug der Originalfassungen nicht nur die übersetzt gesungenen Opern verdrängte, sondern alle nichtitalienischen Opern gleich mit. Wie so oft scheinen die hochtrabenden philosophisch-philologischen Erwägungen daneben zu zielen und ganz banale, ökonomisch-pragmatische Erklärungen die entscheidenden zu sein. So, wie wir wohl konstatieren müssen, dass die steigende Zahl der Wiederentdeckungen keineswegs auf eine wachsende Neugier des Publikums, sondern auf eine Übersättigung mit dem Immergleichen zurück geht. Und selbst da hat bezeichnenderweise eine bis dato obskure Belcanto-Oper noch eher Chancen als eine einst sehr erfolgreiche französische - bei absolut gleichwertigem melodischem und musikalischem Wert sowieso.


    Wer sich also für die französische Oper einsetzen will, muss nicht nur dafür sorgen, dass sie bekannter werden, sondern auch noch dafür, dass man mit ihnen leichter Geld verdienen kann. Auch hier gilt eben: CHERCHEZ L'ARGENT.


    :hello: Jacques Rideamus

  • Ich glaube, dass Michael mit sienem letzten Satz auch einen der Nägel auf den Kopf getroffen hat: ein tradiertes Vorurteil (das sicher auch seine Wahrheit enthält) setzt sich über ganze Generationen fort.


    Italien =Oper


    Deutschland= ernste Musik und Philosophie


    Frankreich= Literatur , Ballett und Kino


    England= Barock


    So schematisch das auch sein mag, spukt davon noch sehr viel im allgemeinen Bewusstsein herum und verhindert evtl dass breitere Schichten von Opernfreunden sich mehr dem frz. Repertoire zuwenden.


    Neben diesen plakativen Zuordnungen gibt es dann noch die charakterisierenden Adjektive und die lauten für frz. Opern-Musik traditionell leider oberflächlich, sprachfixiert , schöner Schein, musikalisch uninteressant
    Ich glaube dass es sehr lange dauert oder sogar unmöglich ist, solche Vor-Urteile aus den Köpfen herauszubekommen.
    Niemand würde z.B. dasselbe über frz Literatur oder Kunst behaupten- und Beide haben sehr viel mehr mit der Sprache zu tun als die Oper.


    Schon Maria Malibran ( schon wieder die....ich bin besessen, ich weiss.... :D) wollte nciht an der Pariser Opéra die frz. Opern singen, sondern nur am Theatre Italien, wo italienisches Repertoire gespielt wurde. Sie lehnte sehr lukrative und publikumswirksame Angebote ab.


    Warum?


    Weil ihr die Diktion als Gesangssprache nicht passte und sie die Werke Rossinis und Bellinis interessanter fand.
    Wenn schon ein solcher Superstar das Reprtoire des Landes, in dem sie selbst lebte und dessen Sprache sie hervorragend sprach, als minderwertig im Vergleich zum Italienischen ablehnte..... , kann es da verwundern, wenn Generationen von nichtfranzösischen Sängern und Operndirektoren es ihr gleichtun?


    Und solche Tradierungen wirken m.E. bis heute weiter.


    Was natürlich nciht alles erklärt, es gibt sicher weitere wichtige Gründe.


    F.Q.

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  • LiebeFairy,


    Im Hinblick auf England kann man Deinen Hinweis auf Barock nur sehr, sehr eingeschränkt gelten lassen (Händel ist ja auch nicht ganz "echt"). Die kulturelle Geltung Großbritanniens beruht primär auf der Literatur (vor allem Walter Scott hatte heute fast unvorstellbare Auswirkung auf dem Kontinent), auf der Garten- bzw. Landschaftskunst und der Architektur, insbesondere dem Schloß- und Wohnhausbau seit dem 18.Jahrhundert. In Malerei und Plastik findest Du jenseits des Kanals recht wenig, was europäische Geltung beanspruchen kann. Die höfische Kultur der Stuarts war französisch beeinflußt. Den Barock prägten und prägen in der allgemeinen Vorstellung Frankreich, Süd- und Mitteleuropa, wobei es auch an der Peripherie (wie in Spanien) spezielle Entwicklungen gab, die die englischen Schöpfungen im generellen Bewußtsein übertrafen/übertreffen.
    Man müßte eher die Frage nach dem Gesamtkunstwerk stellen, das mit der Oper ja eng zusammenhängt. Da führen Italien und Frankreich ganz eindeutig; der süddeutsche Raum gewinnt erst relativ spät adäquate Bedeutung und bedarf auch dazu der westlichen bzw. südlichen Vorbilder.
    Im Opernbewußtsein besetzt Deutschland (jetzt als summarischer Begriff) gewisse Nischen und bleibt möglicherweise auch mit einer Art romantischen Introvertiertheit behaftet, während man den Franzosen mehr die Weltläufigkeit zubilligt (woran unselige deutsche Chauvinismen nichts ändern können).
    Was Sänger betrifft, so hatten im 19.Jahrhundert stets die Italiener den besten Ruf, was einen Johann Nestroy zu satirischen Ausfällen veranlaßte ("...und wenn mit der Stimme ich geben ein Gicks, bei un Italiano da machen das nix"). Auch das wirkt zweifellos unbewußt oder bewußt nach, im Prinzip habt Ihr also schon recht.


    LG


    Waldi

  • Lieber Waldi,
    was meine eilige gestrige Zuordnung von nationalen Musik und Opern-Vorurteilen angeht, bin ich im Falle Englands meinem eigenen -HEUTIGEN- Vor-Urteil aufgesessen.
    Das hat mir dein Posting bewusst gemacht.
    Aber interessant, wie diese Mechansimen funktionieren, selbst wenn man reflektiert und sich dessen bewusst wird.


    Ich assoziiere englische Musik automatisch mit englisch ausgebildeten stimmen und dann fertig ab in die Schublade Barock....


    Als grosser Fan englischer Literatur und Gartenkunst gebe ich Dir natürlich vollkommen Recht, solange du die Koch-KUNST aussen vor lässt. :D
    Und was die bildende Kunst angeht : wenn Du ,wie ich ,an der belgischen Küste zwischen Ostende und Knokke regelmässig am Meer entlang spazierst, wirst Du zum Anbeter von Turner und hälst ihn für einen der grössten Künstler aller Zeiten. :jubel:


    Fairy Queen

  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    Und was die bildende Kunst angeht : wenn Du ,wie ich ,an der belgischen Küste zwischen Ostende und Knokke regelmässig am Meer entlang spazierst, wirst Du zum Anbeter von Turner und hälst ihn für einen der grössten Künstler aller Zeiten. :jubel:


    Vollkommen Deiner Meinung, liebe Elfenkönigin. Alles, was mit Landschaft, Atmosphäre u.dgl. zu tun hat, aber auch mit skurriler Phantasie - da sind die Briten ganz groß.
    Übrigens: In London habe ich immer ausgezeichnet gegessen (allerdings kaum Englisches ;) ) und natürlich nur in bescheidenen Lokalen. Ich mag die Stadt so sehr, daß ich dort sogar zum Royalisten werde (obwohl die Royals es einem oft schwer machen).
    Ein Land, das Walter Scott, Jane Austen, Elizabeth Gaskell, Jerome K.Jerome und Desmond Bagley hervorgebracht hat (Shaw kann ich leider nicht ganz dazurechnen), hat Anspruch, Nabel der Welt zu sein, wozu noch -zig billige und ganz hervorragende Musik-CDs kommen. Please forgive my unbritish enthusiasm. I'd better say: Quite a nice country, isn't it?


    LG


    Waldi

  • Zitat

    Original von Fairy Queen


    Niemand würde z.B. dasselbe über frz Literatur oder Kunst behaupten- und beide haben sehr viel mehr mit der Sprache zu tun als die Oper.


    Also, ob die französische Kunst (gemeint ist wohl die bildende) wirklich mehr mit Worten zu tun hat als die französische Oper, möchte ich doch in Frage stellen.


    Im übrigen bin ich am Überlegen, ob ich die letzten Beiträge in den Thread über Vorurteile verschieben soll, weil sie einen dort noch nicht angerissenen Aspekt dazu liefern, während sie zum Thema Sprache und Musik eher marginal passen.


    Haltet mich ruhig für dickköpfig, aber ich meine, dass zu dem Thema doch noch einiges mehr beizutragen ist.


    Da ich im Augenblick Lektorate schreiben muss und daher nicht genug Zeit habe, das zu vertiefen, verweise ich mal auf meine Erläuterungen zu Chabriers L'ETOILE in dem Thread Ein impressionistischer Komet - Emmanuel Chabrier 1841 - 1894 und das darin verwandte Folterensemble


    Donnez-vous la
    Donnez-vous la
    Donnez-vous la
    Peine de vous assoir
    Mon bon ami, vous allez voir.


    Ob ein Nichtfranzose daraus diese von der Satzmelodie nahe liegende, aber diametral zu der Brutalität des textes stehende Melodie gewonnen hätte?


    Ich glaube schon, dass der Erfolg der französischen Oper bei uns, bzw. deren Mangel sehr viel mit Mentalitätsunterschieden zu tun hat, die übrigens, wenn wir schon mit anderen Kunstformen assoziieren, sehr viel mit der Einstellung zur französischen Küche gemeinsam hat. Wir meinen, sie zu schätzen und zu verstehen, haben es aber nicht einmal geschafft, den Handel dazu zu bringen, auch die dafür notwendigen frischen Ingredienzien in höher Qualität anzubieten. Und trotzdem halten wir uns für Feinschmecker.


    Ausnahmen gibt es natürlich, aber leider bestätigen sie die Regel.


    :hello: Jacques Rideamus

  • Lieber Jacques, ich meinte eigentlich das Kino...... :untertauch: Totalblackout am Freitag.......pardon!


    Über die Mentalitätsunterscheide, die ich selbst hautnah erlebe, gibt es ja in dem Thread über Lully Einiges zu lesen. Ihre Tradierung scheint mir auch eine ganz wesentlcihe Rolle zu spielen.
    Allerdings kann man nciht bestreiten, dass in etlichen Fällen eine ganz grosse Portion Wahrheit darinnen steckt und es sich nciht nur um Vorurteile handelt.


    Dein Beispiel mit der frz. Küche ist dahingehend hervorragend.
    Niemand kann den Unterscheid ermessen, denn es ausmacht, wenn man dasselbe Rezept in Deutschland oder in Frankreich kocht.
    So man in beiden Ländern unter ganz normalen Umständen einkauft.
    Ich importiere mittlerweile einige Zutaten......


    Mit der Oper wird es wohl ähnlich sein.
    Es sei denn, man "imporitiert" die wesentlcihen Ingredienzien, d.H. Sänger, Regisseur, Orchester, Dirigent und Ausstattung gleich mit.
    Hast Du das in etwa damit sagen wollen?


    Fairy Queen