Lass krachen! - Wieviel Bombast darf's sein?

  • Es war Beethoven, der mich damals durch seine 9te anschrie: "So muss Musik klingen, Du Wurm!" Und ich schrie zurück: "Und wenn ich komponieren könnte, dann würde meine Musik genau so klingen!"


    Ich liebte dass bombastische in der Musik. Ich liebte und liebe aber auch die Spannungsbögen, die Progression und die Kontraste zu den sehr ruhigen und einfühlsamen Passagen. Bei Mahler, Bruckner und anderen ließ sich dann die Lust nach mehr befriedigen. Doch wieviel Bombast darf es sein, bis es nevt?


    Jüngst gab ich mir nach längerer Mahlerabstinenz mal wieder seine 6te. Einst einer meiner Topfavoriten. Heute empfinde ich sie eher als zu dick aufgetragen.


    Wie ist das bei Euch?


    Wieviel Bombast darf es bei Euch sein?
    Was muss diesem entgegenstehen?
    Wann ertragt ihr es unter welchen Umständen?
    Wann MUSS er sein?
    Und wann sind eher ruhigere Töne angesagt?


    Welchen Komponisten steht er besonders gut?
    Welchen Dirigenten?


    Liebe Grüße
    GalloNero

    ... da wurde mir wieder weit ums Herz ... (G. Mahler)

  • Seltsam, ausgerechnet Beethovens 9. Symphonie habe ich persönlich bisher nicht als "bombastisch" (im Sinne von dick aufgetragen) empfunden. Wie unterschiedlich Musik doch wirken kann.


    Als Freund der leisen Töne kann ich mich mit "bombastischer" Musik ohnehin nur wenig anfreuden. Erträglich wird sie für mich allenfalls dann, wenn sie mit (Selbst-)Ironie gebrochen wird.
    Eindeutig überschritten wird meine Schmerzgrenze mit dem letzten Satz aus Gustav Mahlers Auferstehungssymphonie. Auf mich wirkt diese Musik, als ob der Komponist sich gezwungen fühlte, mehrere Ausrufezeichen hinter seine Botschaft zu setzen, weil er ihr möglicherweise selbst nicht ganz traut.


    Viele Grüße
    Frank

  • Lieber Gallo, mir ist Bombast per se suspekt und ich frage mich, wozu der notwendig ist, wenn man wirklich etwas zu sagen hat.



    Ich empfinde insbesondere Richard Strauss als bombastisch, oft auch Puccini und Wagner natürlich in weiten Teilen sowieso.


    Als bekennende Liebhaberin kleiner Musikformen mag ich Transparenz und Durchhörbarkeit und wilde Klangteppiche, bei denen ich keine Instrumente mehr unterscheiden kann und ausser fff ncihts mehr erkenne, überfordern leider mein Feen-Hirn (das klingt besser als "Spatz")


    Seltsamerweise empfinde ich den Mahler'schen Bombast aber nciht als Solchen. Irgendwie scheint mir reflektierter und gebrochener Bombat schon eine Selbst-Negligence zu sein und sich damit wieder aufzuheben.


    Der einzige ungebrochene Bombast, den ich sehr gut ertrage und in den ich mich reinfallen lassen kann, ist Film-Musik. So ein Krieg und Frieden oder Ben Hur mässiges Aufgebot stört mich da gar nciht-im gegenteil-je schlimmer, desto besser :D


    Also mal kurz gesagt: Bombast um des Bombastes willen ist etwas anderes als Bombast als Kunst getarnt und der ist wiederum etwas Anders als kunstvoller Bombast, der sich selbst bricht und enttarnt.
    Ob mich jemand verstanden hat??? ?(
    Evtl der Audi- Musi ,obschon der ja auf die falsche Sorte Bombast abfährt. :stumm:


    F.Q.

  • Zitat

    Original von Fairy Queen


    Evtl der Audi- Musi ,obschon der ja auf die falsche Sorte Bombast abfährt. :stumm:


    F.Q.


    Bombast ist astrein bombig.

  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    Ob mich jemand verstanden hat??? ?(
    Evtl der Audi- Musi ,obschon der ja auf die falsche Sorte Bombast abfährt. :stumm:
    F.Q.


    Liebe Fairy Queen,
    ich glaube, dass ich Dich verstanden habe. Es gibt eben große Unterschiede zwischen Bombast und Bombast.
    Ich bleibe bei meinem eben erwähnten Beispiel von Mahlers 2. Symphonie. Diesen empfinde ich - im Gegensatz zu Dir - als "ungebrochenen" Bombast. Hier (ver-)stört mich, wie die Botschaft mit dicken Pinsel aufgetragen wird, so dass sie schließlich selbst in Frage gestellt wird. Es sei dahingestellt, ob das von Mahler vielleicht so beabsichtigt war. Das müssen die Experten beantworten.


    Viele Grüße
    Frank


    PS: Um Mißverständnisse zu vermeiden: Natürlich stelle ich hier Mahler und die Qualität seiner Musik keinesfalls in Frage. Es geht mir hier nur um meine persönliche Empfindung beim Hören dieser einen Symphonie.

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  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    Seltsamerweise empfinde ich den Mahler'schen Bombast aber nciht als Solchen. Irgendwie scheint mir reflektierter und gebrochener Bombat schon eine Selbst-Negligence zu sein und sich damit wieder aufzuheben. .....
    Also mal kurz gesagt: Bombast um des Bombastes willen ist etwas anderes als Bombast als Kunst getarnt und der ist wiederum etwas Anders als kunstvoller Bombast, der sich selbst bricht und enttarnt.
    Ob mich jemand verstanden hat??? ?(
    Evtl der Audi- Musi ,obschon der ja auf die falsche Sorte Bombast abfährt. :stumm:


    Ich bin zwar nicht der "Audi-Musi", aber ich fands "transparent" und gut gesprochen, obwohl ich gelegentlich auch auf die "falsche Sorte Bombast" abfahre: Wenn der Produzent nicht selbst für die Brechung seines Bombastes sorgt, kann es ja der Rezipient: Bei Wagner doch nicht schwer: Bedeutungsvollstes Fortecrescendo zu lustigem Schüttelreim tue ich mir gelegentlich gerne an, wie "Ben Hur" oder "Spartacus" oder diese lustigen Verdi-Opern, in denen der Held, sterbend, mit dem Dolch schon im Wanst, noch mit EnsembleTutti und Chor um die Wette eine Arie schmettert.
    Und bei der Eroica oder dem Gefangenenchor aus Nabucco hüpft das Herz des revolutionären Romantikers in mir.


    Dann gibt es noch die Aufhebung des Bombastes durch so viel "wilden Klangteppich" im Dauer-fff, dass im nahezu undurchdringlichen Klangjungle gar kein Bombast-Gefühl mehr entstehen kann, nur noch staunendes Überwältigt-Sein, z.B. bei Stockhausens "Gruppen", den Orchesterwerken von Xenakis und manchen Orchesterwerken der "Komplexisten". Das will ich auch nicht zum Frühstück hören, aber manchmal "fahr ich da voll drauf ab."


    :hello: Matthias

  • Hallo Fary, hallo Frank,


    auch ich möchte nicht mißverstanden werden. Beethovens 9te stellt für mich HEUTE nicht mehr DEN Verteter Bombast trunkener Musik dar. Aber damals als Einsteiger nahm ich neben Vivaldis Jahreszeiten und Mozarts kleiner Nachtmusik dieses Werk schon als ziehmlich bombastisch war. In Mahler und später auch in Bruckner fand ich ein spürbare Steigerung dessen. Das waren die Anfänge. Heute greife ich häufiger zu Kammermusik, denn zu Bombast. Wobei mir zwischenzeitlich auch bombastische Kammermusik untergekommen ist.


    Liebe Fairy, auch ich liebe kleine Musikformen, mag Transparenz und Durchhörbarkeit. Bombast bringe ich aber nicht zwangsläufig mit Klangteppichen, bei denen keine Instrumente mehr unterscheiden werden können in Verbindung. Bestes Beispiel ist für mich in der Tat Mahler. Ja, Reflektierter und gebrochener Bombast. Das trifft es ziehmlich genau.


    Aber nicht in jedem seiner Werke. Komisch, dass ich im Gegensatz zu Frank ausgerechnet seiner Zweiten diese Attribute zuordnen möchte. Ganz anders die tragische 6. Aber vielleicht auch dass eine Frage der Wahrnehmung. Habe sie, wie gesagt, nach langer Zeit beim Sport wiedergehört. Und Mahler 6 ist m. E. keinesfalls etwas für nebenher. Das habe ich für mich festgestellt. Bombast und Nebenher geht überhaupt nicht. Ganz extrem bei Bruckner.


    Liebe Grüße
    GalloNero

    ... da wurde mir wieder weit ums Herz ... (G. Mahler)

  • Lieber Peter,


    in meinem Falle ist es so, daß ich Kompositionen mit ordentlich viel Bombast sehr gerne und oft, dann aber auch bitte mit der entsprechenden Lautstärke höre! Und zwar sowohl im Konzert als auch zu Hause. In welchem Maße bzw. wie häufig ich mich in dieser Form berauschen lasse :D, hängt natürlich ganz von meiner jeweiligen Stimmung ab. Im richtigem Moment zu Gemüte geführt, kann bombastische Musik mir einen phantastischen Energieschub versetzen. :]


    Ganz besonders wichtig erscheint mir aber diese Aussage:


    Zitat

    Original von GalloNero
    Ich liebte und liebe aber auch die Spannungsbögen, die Progression und die Kontraste zu den sehr ruhigen und einfühlsamen Passagen.


    Der Kontrast ist wichtig. Ständige Überspannung in einer Komposition von - sagen wir - einer Stunde Länge würde, glaube ich, kaum ein Mensch aushalten. Und hier sind die bereits genannten Beispiele bezüglich "Lautstärke" und "Stille", "Aufruhr" und "Frieden", "Sturm" und "Stille vor ..." oder "... nach dem Sturm" doch sehr erhellend. So geht z. B. dem großartigen, strahlenden Finale, dieser riesigen Steigerung in Mahlers II. "Auferstehung" in diesem 5. Satz ein langer, lyrisch gestalteter, man könnte sagen, kammermusikalischer Vorlauf voraus, der den Schluß eben umso gigantischer erstrahlen läßt, als wenn davor ein ständiges Remmidemmi geherrscht hätte.
    Darüber hinaus kenne ich - als Freund von kraftvollen, fetzigen Stücken - kaum solche, die ausschließlich Bombast produzieren.


    Natürlich gibt es auch Extremfälle wie Mahlers VI., Prokofiews 'Oktober-Kantate' oder Havergal Brians I. "Gothic Symphony", aber diese werden eben nur dann von mir hervorgeholt, wenn ich dazu bereit bin, deren außerordentliche Energie und Klangmacht auf mich einwirken zu lassen.


    Zitat

    Original von GalloNero
    Wann MUSS er sein?


    So eindeutig kann ich das für mich nicht beantworten. Einerseits gibt es Situationen, in denen ich die bereits vorhandene Euphorie mithilfe von "Bombast-Stücken" noch steigern kann, andererseits gibt es Augenblicke, in denen man sich mit dieser Art von aufbauenden Werken aus einem Stimmungstief herausholen kann. :yes:


    Zitat

    Original von GalloNero
    Welchen Dirigenten?


    Auch hier möchte ich sagen: Unterschiedlich. :D (Je nach Komponist)
    Für Komponisten wie z. B. Prokofiew oder Richard Strauss: Neeme Järvi!!!
    Für britische Komponisten oftmals: Richard Hickox!!!
    ...


    Als Liebhaber von Extremen interessiert mich außerdem noch eine andere Frage, die vielleicht einen eigenen Thread wert wäre, und zwar das genaue Gegenteil des hier gefragten Sachverhalts: "Wieviel Stille darf's sein?" Also Kompositionen, in denen sich (scheinbar) fast nichts ereignet und die sich fast ausschließlich im piano- / pianissimo-Bereich abspielen.
    Denn diese Art von Musik kann sich ebenfalls auf den ein oder anderen Klassikfreund aufgrund mangelnder Sensibilität (ich nenne keine Namen) als - sagen wir mal - unangenehm auswirken. :D


    :hello:
    Johannes

  • Lieber Matthias-die Aufhebung des Bombastes durch sich selbst ist dann, wenn ich Dich richtig verstehe, etwas Anderes als seine Brechung?


    Ich möchte mich dem im Selbstversuch mal wieder aussetzen-welches Werk empfehlt ihr da?



    Was Mahlers 6. angeht, ist DAS für mich genau die Art von Bombast, die so gebrochen ist, dass ich sie wunderbar geniessen kann und es mir sogar nciht selten durch Mark und Bein geht.
    Da ich kein CD-Sammler bin, war ich diesbezüglich bisher mit Kubelik zufireden.



    Was die Stille als Gegensatz zum Bombast angeht: nichts wie her damit! Ich treibe die Stille absichtlich oft auf die Spitze, indem ich z.B. einen ganzen Tag lang nur ein einziges Muskstück ein paarmal höre und dann gar nichts mehr. Der Rest ist Stille.


    Da ,wo von morgens bis nachts der Player oder das Radio läuft, wäre für mich kein Ort.
    Und was die Syille in der Musik angeht: ich will jetzt nicht von Cages 4'33 anfangen, das wäre zu banal, obgleich eine geniale Schöpfung. :jubel:


    Eine Stille die ich beispielhaft liebe , findet man in Schuberts Lied "Du bist die Ruh" Dort gibt es in der letzten Strophe einen Takt Pause,bevor die Zeile gesungen wird: "erfüll es ganz". Diesen Takt mit lebendiger stille auszufüllen, werde ich mich wohl bis zum Lebensende sehnen.


    In einem Konzert in Amsterdam mit Thomas Quasthoff habe ich das einmal so intensiv erlebt, dass das gesamte Concertgebouw vor stille bebte. Unglaublich! :faint:


    F.Q.

  • Zitat

    Original von Guercoeur
    ... So geht z. B. dem großartigen, strahlenden Finale, dieser riesigen Steigerung in Mahlers II. "Auferstehung" in diesem 5. Satz ein langer, lyrisch gestalteter, man könnte sagen, kammermusikalischer Vorlauf voraus, der den Schluß eben umso gigantischer erstrahlen läßt, als wenn davor ein ständiges Remmidemmi geherrscht hätte.


    Hallo Johannes,
    im ersten Satz geht es aber auch ganz schön zur Sache...


    Zitat


    Darüber hinaus kenne ich - als Freund von kraftvollen, fetzigen Stücken - kaum solche, die ausschließlich Bombast produzieren.


    Natürlich gibt es auch Extremfälle wie Mahlers VI., Prokofiews 'Oktober-Kantate' oder Havergal Brians I. "Gothic Symphony", aber diese werden eben nur dann von mir hervorgeholt, wenn ich dazu bereit bin, deren außerordentliche Energie und Klangmacht auf mich einwirken zu lassen.


    Ich möchte Deiner Aufzählung noch Khatchaturians 3. Symphonie hinzufügen. Da kannst Du hinterher (wenn überhaupt) nur noch Kammermusik hören!


    Zitat

    Original von GalloNero
    Als Liebhaber von Extremen interessiert mich außerdem noch eine andere Frage, die vielleicht einen eigenen Thread wert wäre, und zwar das genaue Gegenteil des hier gefragten Sachverhalts: "Wieviel Stille darf's sein?" Also Kompositionen, in denen sich (scheinbar) fast nichts ereignet und die sich fast ausschließlich im piano- / pianissimo-Bereich abspielen.
    Denn diese Art von Musik kann sich ebenfalls auf den ein oder anderen Klassikfreund aufgrund mangelnder Sensibilität (ich nenne keine Namen) als - sagen wir mal - unangenehm auswirken. :D


    Das interessiert mich auch! Wie wär's mit einem eigenen Thread hierzu?


    Viele Grüße
    Frank

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  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    Lieber Matthias-die Aufhebung des Bombastes durch sich selbst ist dann, wenn ich Dich richtig verstehe, etwas Anderes als seine Brechung?


    Ich möchte mich dem im Selbstversuch mal wieder aussetzen-welches Werk empfehlt ihr da?


    Hallo Fairy Queen,
    spontan fallen mir da folgende mögliche Beispiele ein:


    Aufhebung des Bombastes durch sich selbst:
    Holst, Die Planeten
    Wagner, Tannhäuser-Ouvertüre
    Schönberg, Gurre-Lieder


    Brechung des Bombastes:
    Elgar, Pomp & Circumstance-Märsche
    Bizet, Patrie
    Mahler, 4. Symphonie


    Noch unsicher:
    Berlioz, Symphonie Fantastique


    Was haltet Ihr davon? Ich glaube, dass ich selbst anhand dieser Stücke einen Selbstversuch an mir machen muss.


    Viele Grüße
    Frank

  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    Was Mahlers 6. angeht, ist DAS für mich genau die Art von Bombast, die so gebrochen ist, dass ich sie wunderbar geniessen kann und es mir sogar nciht selten durch Mark und Bein geht.
    Da ich kein CD-Sammler bin, war ich diesbezüglich bisher mit Kubelik zufireden.


    Ich empfand sie jüngst anders. Ich werde sie wohl heute Abend nochmal in Ruhe hören müssen. Vielleicht ein Glas Bordeaux dazu?


    Liebe Grüße
    GalloNero

    ... da wurde mir wieder weit ums Herz ... (G. Mahler)

  • Für meinen Geschmack hat Fairy Queen auch meine Einstellung zum den Bombast zutreffend wiedergegeben.


    Bombast empfinde ich zB als passend bei Krönungsmessen, feierlichen Musikstücken zur Einweihung von Schlössern, Kathedralen, bei großen Festen und ähnlichen Veranstaltungen.


    Klassisches Beispiel positiven Bombastes: Missa Salisburgensis



    Ansonsten kann ich bereits das normale Getöse vollbesetzter Symphonieorchester nicht ertragen, erst recht nicht mit Blechbläsergedöns. Also zB Petterson, Schostakowitsch, Bruckner, Tschaikowsky, Mahler, Prokofieff, Rachmaninoff usw.. Ob der Bombast gebrochen ist oder nicht, spielt keine Rolle.

    Oft gefällt mir hingegen das kurze eruptive Hervorbrechen von Klängen und Klangballungen aus der Stille heraus, zB bei Toshio Hosokawas "Nachtklänge" oder "In die Tiefe der Zeit". Aber das dürfte schon nicht mehr unter Bombast fallen.

  • Der Thread krankt ein wenig daran, dass der Begriff "Bombast" doch reichlich unscharf bleibt. Ursprünglich pejorativ gefärbt, im Sinne eines Missverhältnisses zwischen "Substanz" und Aufwand, wird er heute gerne auch positiv verwendet. Beides klingt hier an.


    Was wäre denn bombastische Musik? Wenn's oft laut wird? Wenn ganz viele Instrumente mitspielen oder Sänger/Chöre mitwirken? Wenn semantisch irgendwas "Affirmatives" mitschwingt? Wenn's pathetisch wird? Und wie unterscheidet man "positiven" und "negativen" Bombast?


    Bei bestimmten hier genannten Werken kann ich nachvollziehen, dass von "Bombast" gesprochen wird, auch wenn ich das selbst nicht täte. Das betrifft etwa den Schluss von Mahlers Zweiten (seine Achte würde mir noch eher einfallen). Hier könnte man die vorgeschlagenen Kriterien erfüllt sehen: Lautstärke, Orchester- und Chorbesetzung, semantische (Auferstehung, Choral) und klangliche (Glocken, Orgel) Affirmation, Pathos - das alles bei einer keineswegs banalen, aber doch bewusst einfachen Strukturierung der Musik. Da ist auch nix "gebrochen". Der Haken: die Rede ist hier nur von den letzten drei bis vier Minuten des Finales, denen ja ziemlich umfangreiche musikalische Ereignisse vorausgehen, die keineswegs die Bombast-Kriterien erfüllen (worauf schon Johannes hingewiesen hat). Auch bei den pathetischen, z.T. hysterischen Exaltationen im ersten Satz oder den Dies-Irae-Passagen des Finales käme ich nicht auf diesen Nenner.


    Warum man aber Mahlers Sechste als bombastisch bezeichnet, will mir nicht recht einleuchten. Wegen der Lautstärke oder der Orchesterbesetzung oder aufgrund des Hammers? Weil's auch hier offenkundig um letzte Dinge geht? Ein Werk, das in seinem letzten Satz alles kaputtschlägt, was einmal die Gewissheiten der europäischen Kunstmusik gewesen sind, könnte man vielleicht als nihilistisch, zerstörerisch, auch gewalttätig charakterisieren - aber "bombastisch"? Wäre das jetzt "aufgehobener Bombast"? Und wie kann man das "genießen"?


    Mahlers Vierte ist übrigens eines der anti-bombastischsten Werke, das ich kenne.


    Anderes Beispiel, bei dem man sehr schnell versucht ist, von Bombast zu reden: Schönbergs Gurrelieder. Hier ist es der riesige Apparat, der - vor allem, wenn man ihn im Konzertsaal vor sich sieht - ohne weiteres als "bombastisch" bezeichnet werden kann. Aber wenn man sieht/hört, wie differenziert dieser Apparat eingesetzt wird, dann verbietet sich das Wort Bombast von selbst. Etwas anders und doch ähnlich beim Requiem von Berlioz, von dem übrigens einige hochinteressante Kompositionen in dieser Richtung genannt werden könnten (allerdings nicht die Fantastique).


    Wagner und Strauss sehe ich keineswegs primär als Komponisten "bombastischer" Musik, auch wenn sie stellenweise solche hinterlassen haben - die aber m.E. nur einen sehr kleinen Prozentsatz ihres Schaffens ausmacht. Bei Strauss fallen mir vielleicht vier oder fünf Werke ein, auf die man den Begriff partiell anwenden könnte (Salome, Elektra, Frau ohne Schatten, Alpensinfonie plus einige Gelegenheitswerke - das war's eigentlich schon).


    Bombastische Kammermusik soll's auch geben - wie hört sich die denn an? Klavierquintett von César Franck, Klaviertrio von Tschaikowsky?


    Ich bin also einigermaßen ratlos und vermeide den Begriff wegen der immer mitklingenden pejorativen Saite eher.


    Wenn es allerdings wieder mal nur darum geht, eine Affirmation des eigenen Musikgeschmacks zu betreiben (ähnlich wie beim Stichwort "Kitsch"), kann man sich die Überlegungen auch schenken.



    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von Robert Stuhr
    Für meinen Geschmack hat Fairy Queen auch meine Einstellung zum den Bombast zutreffend wiedergegeben.


    Bombast empfinde ich zB als passend bei Krönungsmessen, feierlichen Musikstücken zur Einweihung von Schlössern, Kathedralen, bei großen Festen und ähnlichen Veranstaltungen.


    Klassisches Beispiel positiven Bombastes: Missa Salisburgensis


    Für mich ein klassisches Beispiel für negativen Bombast. Vielleicht ist es ein vorschnelles Urteil, aber ich war selten so enttäuscht und gelangweilt von einem legendären Stück. Allerdings eben auch nicht in der Kathedrale, sondern im Wohnzimmer auf CD.


    Zitat


    Ansonsten kann ich bereits das normale Getöse vollbesetzter Symphonieorchester nicht ertragen, erst recht nicht mit Blechbläsergedöns. Also zB Petterson, Schostakowitsch, Bruckner, Tschaikowsky, Mahler, Prokofieff, Rachmaninoff usw.. Ob der Bombast gebrochen ist oder nicht, spielt keine Rolle.


    Mir scheint, daß Bombast im thread etwas seltsam verwendet wird. Nicht alles, was laut ist, ist Bombast. Mahlers 9. bspw. würde ich kaum bombastisch nennen.
    Außerdem, weil ich mit "Bombast" sehr schnell "hohlen Bombast" verbinde. Halt aufgeblasen und wenig dahinter.
    "Gebrochener Bombast" wären für mich daher nur als ironisch identifzierbare Stellen. Eindeutig geht das zwar vielleicht nicht, aber Kandidaten: Akadem. Festouverture, Meistersinger (auch wenn hier die übliche Meinung wohl alles ernst nimmt), Mahlers 7. u. Schostakowitschs 5. Finalsätze.

    Sehe jetzt gerade, daß Zwielicht während meines Mittagessens das schon angesprochen hat. Inzwischen hat "bombastisch" ja anscheinend teils auch einen positiven Klang. Aber da ist mir auch nicht ganz klar, wie und warum.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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  • Ich hatte es schon mal hier gesagt: "Ich sehne mich nach Ruhe. Und nach Musik, die mir jene Ruhe gibt".


    Was man auch von bombastisch sagen will, mit dem Begriff an vielen Stellen sehr laut wird jedenfalls ein Kriterium m.E. erfüllt.
    Und darum ist bombastisch für mich tabu.


    LG, Paul

  • Lieber Zwielicht, erstmal schulde ich Dir eine Antwort darauf, wie man Mahlers Sechste "geniessen" kann.


    Ich habe ja gleichzeitig gesagt, dass sei mir durch Mark und Bein geht. Gerade weil sie mit allem echten Bombast aufräumt und bombast-entlarvend ist, kann ich das als ästhetischen Genuss für mich sehen. Geniessen heisst ja nicht, sich im Plüsch-Sessel zurücklehnen, Rosenduft in der Nase und Zuckerplätzchen-Musik!
    Auch das Groteske, Abstossende, Ge- und Zerbrochene kann mir grossen ÄSTHETISCHEN Genuss geben, der zwar nciht mit Wohlgefühl einhergeht , aber wirkt. Das mag dekadent klingen, ist aber nciht so gemeint.


    Die Definition von Bombast ist mehr als schwierig, weil es sich eben nciht um einen neutralen Begriff handelt. Das sehe ich wie du.
    Für mich ist neben dem Kriterium Lautstärke und Riesenbesetzung vor allem auch der Begriff Pathos und Aufgeblähtes darin enthalten.
    Wenn sich das dann nciht selbst ironisiert oder zumindest in Frage stellt, kann ich das kaum oder gar nciht ertragen. Rein subjektives Urteil, versteht sich.
    Berlioz Symphonie phantastique würde ich niemals bombastisch nennen- aber Wagners und Straussens Opern sind es für mich in hohem Masse.


    Das hat vielleciht etwas damit zu tun, dass ich ausserstande bin, das Ironische und Gebrochene darinnen zu begreifen sondern mich einfach nur bierernst bomb-ardiert fühle.



    F.Q.




    Aber das ist wieder ein anderes Thema.

  • Zitat

    Original von GalloNero
    Bombast..Wie ist das bei Euch?


    Bombastische Musik ist für mich ein wichtiger Teil meiner Hörgewohnheiten. Bombast lässt mich klein werden, lässt mich staunen, beeindruckt, überfordert. Es lässt sich ein klein wenig mit dem Gefühl beschreiben, welches man hat wenn man äußeren Kräften wie Naturgewalten (Sturm, hohe Wellen im Meer, Platzregen) ausgesetzt ist. Man ist von der Heftigkeit der Eindrücke etwas verängstigt, genießt sie jedoch gleichzeitig.
    Wer schon einmal im Chor stand oder Orchester saß, wenn das volle Blech und die Basstrommel beim Verdi-Requiem alles geben und der Klang regelrecht körperlich spürbar wird, weiß was ich meine.


    Das man solche Musik nicht ständig hören kann und mag, ist verständlich, aber manchmal habe ich einfach eine regelrechte Lust darauf. :yes:


    Unbedingt genannt werden muss hier die Musik des isländischen Komponisten Jon Leifs. Insbesondere seine Naturvertonungen Hekla, Geysir und sein Orgelkonzert sind nicht nur ausgesprochen bombastisch sondern kommen regelrecht brachial daher. Leifs erzeugt durch zahlreiche perkussive Elemente wie Stahlröhren, Kanonen u.ä. ein neues Level an Lautstärke.


    Der Komponist bzw. Werke wurden bereits hier diskutiert:
    Jón Leifs - Musik aus Island
    Jon Leifs - organ concerto


    Liebe Grüße, der Thomas. :hello:

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Klassisches Beispiel positiven Bombastes: Missa Salisburgensis


    Für mich ein klassisches Beispiel für negativen Bombast. Vielleicht ist es ein vorschnelles Urteil, aber ich war selten so enttäuscht und gelangweilt von einem legendären Stück. Allerdings eben auch nicht in der Kathedrale, sondern im Wohnzimmer auf CD.


    Es ist natürlich nicht auszuschließen, dass es dir auch in Natura nicht gefällt. Aber es gibt kaum bessere Beispiele für Werke, die nur höchst unvollkommen ins Wohnzimmer transferiert werden können. Ich habe eigentlich kein Bedürfnis, mir davon eine CD zu kaufen, aber das Werk einmal in einer großen Barockkirche mit über den ganzen Raum verteilten Stimmgruppen gehört zu haben, war schon etwas Besonderes.


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat

    Original von Theophilus


    Es ist natürlich nicht auszuschließen, dass es dir auch in Natura nicht gefällt. Aber es gibt kaum bessere Beispiele für Werke, die nur höchst unvollkommen ins Wohnzimmer transferiert werden können. Ich habe eigentlich kein Bedürfnis, mir davon eine CD zu kaufen, aber das Werk einmal in einer großen Barockkirche mit über den ganzen Raum verteilten Stimmgruppen gehört zu haben, war schon etwas Besonderes.


    Das glaube ich sofort und ich bin mir ganz sicher, daß es mir in Natura besser gefallen würde!
    Ich kann nicht einmal sagen, daß es mir als Konserve mißfallen hat. Nur fand ich es eben verglichen mit den recht enthusiastischen Reaktionen anderer (dabei anscheinend auch von solchen, die es nur von CD kannten) recht ernüchternd und nicht besonders interessant.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
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    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    Lieber Zwielicht, erstmal schulde ich Dir eine Antwort darauf, wie man Mahlers Sechste "geniessen" kann.


    Ich habe ja gleichzeitig gesagt, dass sei mir durch Mark und Bein geht. Gerade weil sie mit allem echten Bombast aufräumt und bombast-entlarvend ist, kann ich das als ästhetischen Genuss für mich sehen. Geniessen heisst ja nicht, sich im Plüsch-Sessel zurücklehnen, Rosenduft in der Nase und Zuckerplätzchen-Musik!
    Auch das Groteske, Abstossende, Ge- und Zerbrochene kann mir grossen ÄSTHETISCHEN Genuss geben, der zwar nciht mit Wohlgefühl einhergeht , aber wirkt. Das mag dekadent klingen, ist aber nciht so gemeint.


    Liebe Fairy,


    das kann ich durchaus nachvollziehen.



    Zitat

    Die Definition von Bombast ist mehr als schwierig, weil es sich eben nciht um einen neutralen Begriff handelt. Das sehe ich wie du.
    Für mich ist neben dem Kriterium Lautstärke und Riesenbesetzung vor allem auch der Begriff Pathos und Aufgeblähtes darin enthalten.


    Hier liegt, so scheint mir, das Grundproblem des Begriffs und des Threads: Für einige (z.B. für Dich und mich) ist der Begriff eindeutig negativ konnotiert, von anderen (Johannes "Guercoeur", Chorknabe) wird er (auch) emphatisch verstanden und gebraucht. Das führt natürlich leicht zu Missverständnissen, man müsste evtl. nach einem anderen Begriff suchen. Liszt - auch so ein Kandidat - hat solche "bombastischen" Stellen gerne mit der Vortragsbezeichnung grandioso versehen - "Grandiosität" wäre als Bezeichnung für positiv empfundenen "Bombast" eine Möglichkeit, ist aber zu ungebräuchlich.




    Zitat

    Wenn sich das dann nciht selbst ironisiert oder zumindest in Frage stellt, kann ich das kaum oder gar nciht ertragen. Rein subjektives Urteil, versteht sich.
    Berlioz Symphonie phantastique würde ich niemals bombastisch nennen- aber Wagners und Straussens Opern sind es für mich in hohem Masse.


    Das hat vielleciht etwas damit zu tun, dass ich ausserstande bin, das Ironische und Gebrochene darinnen zu begreifen sondern mich einfach nur bierernst bomb-ardiert fühle.


    Hm, also ich kann "bierernsten" und "gebrochenen" Bombast nicht so eindeutig auf Komponisten verteilen: das Ende von Mahlers Zweiter oder manche Passagen seiner Achten sind ganz ungebrochen, während klassische Bombast-Passagen bei Wagner oft entweder durch den dramatischen Zusammenhang (Einzug der Götter in Walhall) oder durch musikalische "Dekonstruktion" (Trauermusik für Siegfried) gebrochen erscheinen.


    Ich gebe aber ohne weiteres zu, dass ich mich in Grenzen (und wenn's nicht ganz banal wird) für ungebrochene und affirmative "bombastische" bzw. "grandiose" Passagen in Musikwerken begeistern kann. Ich habe ja auch weniger Probleme mit Bruckner als so manch anderer in diesem Forum.


    Oder mit einem französischen Beispiel (um Nationalklischees zu vermeiden ;)): Berlioz hatte einen enormen Drang zum "Grandiosen" bzw. "Bombastischen", nicht nur in seinem Requiem, auch in der Symphonie funèbre et triomphale, in seinen Chorwerken und gelegentlich in Les troyens. Das ist dann halt eine spezifische Tradition, die auf Rituale der französischen Revolution und der napoleonischen Zeit zurückgeht und die ja bis heute ihre Spuren hinterlässt (z.B. bei den Paraden am 14. Juli).



    Viele Grüße


    Bernd

  • Grandios als positive Variante von bombastisch finde ich prima! :yes:


    Händels Musik fällt für mich z.B. in vielen Concerti genau unter diesen Begriff. Erhebend wäre evtl auch noc heine Alternative-wobei da die Riesenbesetzung nicht zwangsläufig mit indiziert ist.


    Seltsam dass mich deutsche Bombastik viel mehr stört als englische oder französische. Hat das was mit der speziellen Art von Humor oder Humormosigkeit zu tun????
    Ich glaube, in diesem Punkt könnte evtl JR verstehen, was ich meine...... :hello:



    Fairy Queen

  • Zitat

    Original von Fairy Queen
    Grandios als positive Variante von bombastisch finde ich prima! :yes:


    Seltsam dass mich deutsche Bombastik viel mehr stört als englische oder französische. Hat das was mit der speziellen Art von Humor oder Humormosigkeit zu tun????
    Ich glaube, in diesem Punkt könnte evtl JR verstehen, was ich meine...... :hello:


    Fairy Queen


    Liebe Fairy, ich weiß nicht, welchen JR Du hier ansprichst, klinke mich aber trotzdem mal hier ein, obwohl ich ursprünglich mit dem Threadbegriff Bombast nicht viel anfangen konnte oder wollte. Deswegen kenne ich auch den bisherigen Inhalt dieses Threads nur flüchtig. Es gibt grandiosen Bombast, etwa die Musik zum Goldenen Tor in der Ravel-Instrumentierung von Mussorgskys BILDER EINER AUSSTELLUNG oder in Berlioz' LES TROYENS, und es gibt Musik, die grandios sein will, für mich aber einfach nur eine wenig bessere Variante von Lärm ist - etwa Rachmaninoffs Symphonien (wobei ich zugeben muss, dass ich die vielleicht vorher noch einmal hören sollte, denn es ist ewig her, dass ich sie nach der ersten Abwehrreaktion konsequent verschmähte).


    Ich denke, man kann und darf "bombastische" Musik nicht aus ihrem Kontext lösen. Wenn der aber stimmt und entsprechende Vorgaben macht, dann assoziiere ich diesen Begriff nicht, und ich komme ebenfalls auf den Gedanken, dass bombastische Musik, die mir gefällt, tatsächlich eine mit großer Besetzung arbeitende, grandiose Musik ist.


    Weiter oben hast Du, für meine Begriffe natürlich viel zu pauschal, die SYMPHONIE FANTASTIQUE gegen ähnlich große Apparate bei Strauss und Wagner ins Feld geführt. Ich finde das sehr undifferenziert, denn wenn Du Dir zum Beispiel die fast kammermusikalischen Klänge großer Teile von Straussens Opern, besonders der ARIADNE AUF NAXOS und CAPRICCIO, aber auch anderer Werke anhörst (pace, Edwin), kämest Du eher nicht auf solche Gedanken. Strauss ist eben nicht nur - manche finden: leider - SALOME und ELEKTRA, und auch in denen hat der "Lärm" ja durchaus seinen guten Grund. Wagnr zu verteidigen, fällt mir da schon schwerer. Zum einen, weil ich sein Gesamtwerk nicht sooo überwältigend finde und deshalb entsprechend wenig kenne, aber auch, weil der Mensch dahinter offenbar nur grandios oder gar nicht sein konnte, wenn er nicht gerade ein Idyll für seine Frau Cosima und seinen Sohn Siegfried komponierte. Ob das wirklich spezifisch deutsch ist, steht auf einem anderen Blatt. Nicht von ungefähr wurde die Kammermusik lange Zeit besonders in unseren Breiten voran getrieben, und da gibt es zwar auch Bombast, aber eher ausnahmsweise. Andererseits kenne ich wenig Bombastischeres als den Triumphmarsch aus Verdis AIDA. Aber natürlich stimmt der Bombast auch da im Kontext und wird nur außerhalb dessen schwer erträglich (besonders in italienischen Restaurants).


    Tatsächlich fällt mir trotz angestrengtem Nachdenken derzeit kein französisches Werk ein, das ich vor allem bombastisch (und, wenn es die Voraussetzungen des Kontexts erfüllt) nicht auch grandios finde. Am ehesten noch Berlioz' SYMPHONIE FUNÉBRE ET TRIOMPHALE, aber selbst da gab der Anlass den Bombast vor. Andererseits geschah es sicher nicht von ungefähr, dass mir, was sonst selten ist, auf Anhieb russische Komponisten einfielen.


    Gibt es vielleicht ein Ost-West - Gefälle in der Neigung zum Bombast?


    :hello: Jacques Rideamus

  • Ich habe, ehrlich gesagt, Probleme damit, die Begriffe "bombastisch" und "grandios" quasi als Synonyme zu betrachten. Grandios kann m. E. auch etwas verhalten und zart Klingendes sein, es bezeichnet die Qualität, weniger die Art. Was hier gemeint ist, ist wohl ein neutraler "Bombast" - Begriff, der für mich nicht automatisch etwas mit überladen und aufgebauscht zu tun hat. meistens lässt sich der Bombast - Begriff auch lediglich auf einzelne Bestandteile eines Werkes anwenden


    Für mich heißt das zunächst einmal große Besetzung, das Potential, großes Klangvolumen zu erzeugen. Das Verdi - Reqiem z. B. - abgesehen davon, ein grandioses Werk - hat bombastische Bestandteile (Dies irae, Tuba Mirum), (weil eben groß besetzt, da werden laute Stellen auch erwartet) aber auch solche von erlesenster Zartheit. Die Bombastik gehört zur Aussage an den maßgebenden Stellen und ist daher völlig authentisch und gar nicht aufgebauscht, auch wenn es kaum mehr lauter geht.


    Ich persönlich fahre auf derlei Bombast völlg ab. Das kann meine Stimmung beträchtlich heben, wobei der Wechsel in das Klangpotential der Großbesetzung in Pianostellen diesen Reiz unbedingt ergänzen muss.


    LG
    :hello:
    Ulrica

  • Ich oute mich hier als extremer Liebhaber und Verfechter von Bombast und verstehe eigentlich nicht, warum Bombast "enschuldigt", "gebrochen" - oder "domestiziert" werden muß.


    Zitat

    Bombast lässt mich klein werden, lässt mich staunen, beeindruckt, überfordert.


    Ein möglicher - aber nicht der einzige Gesichtspunkt unter welchem man den Bombast sehen kann.


    An sich sehe ich es grade umgekehrt - und hier bin ich mit vielen Potentaten der Vergangenheit d´accord.


    Man sehe beispielsweise den Bombast französicher Barockmusik - jenes Triumphierende, Auftrumpfende. (eben "Bombastische")


    Es war dazu gedacht , die eigene Macht und Herrlichkeit ins rechte Licht zu stellen.


    Auch bei Verdi findet sich jede Menge Bombast, beispielsweise der Triumphmarsch aus "Aida" für den sogar ein eigenes durchdringendes Instrument geschaffen wurde.


    Bruckner: Bombastischer gehts schon gar nicht mehr.


    Wagner: ditto


    Beethoven KANN bombastisch dargeboten werden - muss aber nicht (Persönlich finde ich, daß man den Sinfonien etwas wegnimmt, wenn man sie vom Bombast befreit - das gilt vor allem für die 5. und die 9.


    Mahlers Bombast wird gerne als "gebrochen" bezeichnet - ich sehe das anders, er ist genausowenig gebrochen wie der "Kitsch" des Jugenstils -seiner Epoche......


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Hallo Alfred,
    die Selbstverständlichkeit Deines Beigtrags springt mich förmlich an.


    Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Ich oute mich hier als extremer Liebhaber und Verfechter von Bombast und verstehe eigentlich nicht, warum Bombast "enschuldigt", "gebrochen" - oder "domestiziert" werden muß.


    [QUOTE]Bombast lässt mich klein werden, lässt mich staunen, beeindruckt, überfordert.


    Ich habe oft beim Lesen des Threads nicht verstanden, warum Bombast definiert werden soll. Könnte man alles, was Musik auszudrücken vermag, mit Worten zum Ausdruck bringen, würde die Musik ihre Existenzberechtigung verlieren.


    Liebe Grüße
    GalloNero

    ... da wurde mir wieder weit ums Herz ... (G. Mahler)

  • Bombast nervt mich fast immer. weil ich ihn regelmäßig als lärmig empfinde.


    Daher sind für mich auch zB die Beethoven-Symphonien viel erträglicher, wenn sie von zB Immerseel interpretiert werden.


    Kleine Besetzungen, überschaubare Konzepte, da liegen meine Präferenzen.


    Das alte ECM(label)-Motto "the most beautiful sound next to silence", da finde ich mich gut beschrieben.


    Grüsse


    Achim :hello:

  • Für mich kann der Begriff Bombast auch verschiedene Bedeutungen und Definitionen haben und es hängt davon ab wieviel origineller musikalischer Substanz für mich selber innerhalb dieses "bombastischen" Ausdrucks vorhanden ist. Die negative Deutung wäre eigentlich ziemlich nah an der Fairy Queens indem ich ebenso " Lautstärke, Riesenbesetzung" sowie "Pathos" und "Aufgeblähtes" damit verbinden würde und diese Definitionen und Zuweisungen kann ich natürlich nur persönlich und subjektiv vornehmen.


    So fallen mir spontan immer die gewissen Tutti-Stellen der Brucknerschen Symphonien ein. Ich schätze Bruckner wirklich sehr denn das was er oft dazwischen geschrieben hat ist großartig. Doch hier wirkt er auf mich (oft in diesen Tuttis mit kräftiger Unisono-Beteiligung und dröhnenden Blechbläsern die jede andere Instrumentengruppe regelrecht plattwalzen, aber auch in manch Anderen)
    extrem plakativ, aufdringlich, martialisch, auf reisserisch, knalligen Effekt aus.
    Meiner Erfahrung nach mag ja das live im Konzert noch einen gewissen Eindruck machen aber auf CD wirkt es auf mich meist ziemlich plump und billig - aber gut, er hat ja damals natürlich nur für Konzertzwecke komponiert, vielleicht kann man ihm da nicht mal so sehr einen Vorwurf machen. (und beim Gefallen dieser Tuttis scheiden sich wie ich schon genug lesen konnte sowieso auch die Geister...sie polarisieren sozusagen)


    Im positiven Sinne fällt mir Mendelssohns 2.Sinfonie "Lobgesang" ein.
    Hier ist zwar die Besetzung bei dementsprechender Interpretation ziemlich groß, 3 Solisten, 4-stimmiger-Chor, Orchester und Orgel (überhaupt wenn der Chor und Orchester eine gewisse Größe haben) und in Teilen wie zB
    "Ihr Völker, bringet her dem Herrn Ehre und Macht" auch intensivst und sehr effektvoll in der Komposition davon Gebrauch macht aber hier empfinde ich eine Art "überwältigenden Bombast" da ich hier mehr Rafinessen und Details noch im größten "Kraftakt" erkenne ohne reisserisch und einfach nur laut mit irgendeinem simplen beherrschenden Motiv übers Publikum drüberzufahren.


    Bombast kann also auch bei mir 2 völlig verschiedene Bedeutungen haben,
    kurz benannt könnte man das eine den "Gänsehaut" das andere...naja...vielleicht eher "Kuhhaut-Bombast" nennen (sozusagen "geht es dann auf keine Kuhhaut mehr" ;) )


    lg
    Thomas

    „Eine Erkenntnis von heute kann die Tochter eines Irrtums von gestern sein.” (Marie von Ebner-Eschenbach)

  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Ich oute mich hier als extremer Liebhaber und Verfechter von Bombast und verstehe eigentlich nicht, warum Bombast "enschuldigt", "gebrochen" - oder "domestiziert" werden muß.


    Ganz meine Meinung!


    Ich habe Bombast gerne, sofern er nicht zu "billig" daherkommt.


    Positive Beispiele für mich: Beethovens V. und IX.; Bruckners I., V., VIII. und IX.; Mahlers II., VI. und VIII.; Tschaikowskys IV., V. und VI.; viele Wagner-, Verdi- und Puccini-Opern; unzählige geistliche Werke (Bachs h-Moll-Messe, Händels "Messias", Bibers "Missa Salisburgensis") etc. pp.


    Manche Werke verlieren ohne Pathos für mich ihren Reiz.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Bombast allein um des Effektes willen ist abzulehnen. Bombast allerdings als Mittel höchster Steigerung ist ein unentbehrliches stilistes Mittel musikalischer Dramturgie. Ausgezeichnete Beispiele des gekonnten Spiels mit bombastischen Mitteln sind z. B "Die Planeten" (Mars) von Gustav Holst. Grandios verwirklicht auch im Schluss des "Fidelio" und in der "Götterdämmerung". Einfach herrlich bombastisch.
    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

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