Graulabel - Leichenfledderer oder Bewahrer vergangener Akustikwelten ?

  • Ich möchte diesen Thread mit einem Zitat von Johannes Roehl einleiten, der an anderer Stelle geschrieben wurde - und dieses Statement zur Diskussion stellen



    Zitat

    Aber die Preise dieser dubiosen Labels haben wirklich nichts mit den Mühen der Firmen zu tun, die jetzt lebenden und aktiven Künstlern eine Plattform bieten. Das ist bloße "Leichenfledderei" von alten Funkaufnahmen oder gar LPs.


    Ich werde versuchen den Sachverhalt so neutral wie möglich darzustellen - sofern das eigentlich geht.


    Als ich ein Jugendlicher war, was schon einige Monate her ist, :baeh01:
    da war meiner Erinnerung nach die Schutzfrist für alte Tonaufnahmen 30 Jahre. Kein Wunder, denn das war etwa 1965/66 und kein Mensch wollte Tonaufzeichnungen von 1935 hören, die nicht stereophon waren und zudem erheblich rauschten, das noch dazu bei eingeschränktem Frequenzumfang und erheblichen Verzerrungen...


    Später wurde das dann auf 50 Jahre "korrigiert"


    Dennoch- die meisten Labels vernichteten ihre Matrizen, weil die Aufnahmen angeblich nicht mehr verkäuflich, und durch (tontechnisch) Besseres ersetzt worden waren........


    Musikfreunde mussten entweder von diesen Aufnahmen "träumen" - wenn sie überhaupt von ihnen Kenntnis erhielten - denn die Schallplattenindustrie hatte - von Ausnahmen mal abgesehen die meisten von ihnen aus den Katalogen gestrichen und oft sogar die Urmatrizen entsorgt......


    In diese Marktnische stiegen Speziallabel, welche in mehr oder weniger brauchbarer Tonqualität vereinzelte Schätze hoben und auf dem Markt anboten. Diese Label handelten in Übereinstimmung mit geltendem Recht - allerdings betrieben sie in der Tat so etwas wie "Resteverwertung" - und der geleistete Aufwand war in der Tat nicht sehr groß.


    Andrerseits kann und darf es meiner Meinung nach nicht so sein, daß es der Willkür von Schallplattenkonzernen überlassen bleiben darf, ob Kulturgut der Vergangenheit öffentlich zugänglich gemacht wird, unter Verschluss gehalten wird, oder zu überhöhten Preisen (oft nahe den Preisen von heutigen Neuaufnahmen !!) gnadenhalber im Programm gehalten wird....


    Eine Ausweitung des Copyright auf ca 100 Jahre - ANGEBLICH zum Schutz der Künstler und ihrer Erben - in der Tat aber aus IMO sehr durchsichtigen ANDEREN Gründen - halte ich für unangebracht...


    MEINE Arbeit ist letztlich auch keine 100 Jahre geschützt....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich hab dazu eine nur scheinbar widersprüchliche, und vielleicht unscheinbar radikale Meinung (so eine gesetzliche Regelung gibt es nicht, sie wäre auch schwer realisierbar, trotzdem, ich bin Musikliebhaber und Kunde, Punkt): JA, ich finde, sogenannte "Piraterie" (wie man das im englischen Sprachraum bezeichnet) von Billiglabeln, die keine Tantiemen bezahlen, gehört verboten - vorausgesetzt, der Inhaber der Lizenz selbst oder ein von ihm autorisiertes Label bietet zum Zeitpunkt einer Klage eine Wiederveröffentlichung an. Liegt keine Konkurrenzsituation vor, sollte ein finanzieller Schaden gar nicht erst anerkannt, und damit der Tatbestand des Raubkopierens grundsätzlich aberkannt werden. Fett und faul auf seinem Archiv zu hocken, Bäuchlein und Zunge rauszustrecken und "Ätsch!" zu rufen, das zählt bei Kulturgütern ganz einfach nicht! Meine Meinung...


    Liebe Grüsse aus der Schweiz, David.

  • Meine Lieben,


    Sofern keine Lizenz mehr besteht, handelt es sich nicht um Piraterie oder Raubedition. Man muß den Billiglabels, die ja auch nur mäßige Preise verlangen und ihr Geschäft über größere Auflagen erzielen, zugute halten, daß sie viele Aufnahmen retten und zugänglich machen, die ohne sie vielleicht rettungslos verkommen würden. Unverschämt wäre nur, wenn der geringe Aufwand mit enormen Verkaufspreisen kombiniert würde. Das ist aber, soweit ich sehe, nicht der Fall.


    Anders liegt die Sache, wenn Aufnahmen innerhalb der Schutzfrist von den Erben lediglich archiviert, aber der Öffentlichkeit vorenthalten werden. Ich könnte mir vorstellen, daß man nach einer gewissen Zeit (10-25 Jahre???) und wenn nicht im Einzelfall triftige Gegengründe existieren, es Dritten freistellt, Kopien zu edieren - unter der Bedingung natürlich, daß sie Tantiemen zahlen, solange die Schutzfrist läuft.


    Eine Ausweitung der Frist nützt nicht den eigentlichen Schöpfern, sondern befördert womöglich das Drohnentum. Bei Kulturgütern, da gebe ich David ganz recht, ist das Privatinteresse gegen das öffentliche Interesse abzuwägen. Passivität darf nicht noch unterstützt werden. Wie heißt es so schön: Was Du ererbt von Deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen...


    LG


    Waldi

  • Werden tatsächlich Aufnahmen gerettet und der Musikwelt zugänglich gemacht, die sonst nicht mehr erhältlich wären, ist dies durchaus ein Argument für Billilg-Labels, besonders wenn es sich um Aufnahmen handelt, bei denen die Schutzfrist von 50 Jahren abgelaufen ist. Ansonsten ist Raubkopiererei nach dem Motto eine Aufnahme klauen oder heimlich aufnehmen, dann im Ausland pressen, rasch hohe Stückzahlen raushauen und sofort vom Markt verschwinden nicht zu akzeptieren. Dagegen hilft nur ein striktes internationales Verbot. Ich möchte auf einen anderen Aspekt hinweisen. Unter Umständen sind Raubkopien in ihrer tonlichen Qualität so schlecht, dass sie dem Ruf der Interpreten schaden. Ein Beispiel, mit dem ich zu tun hatte, ist das Verdi-Requiem unter Hans Müller-Kray mit Wunderlich, Frick, Stader und Höffgen.(Stuttgart 2.11.1960) Zunächst in grauenhaft schlechter Aufnahmequalität von einer Firma Melodram verhökert. Die meisten Rezensenten waren natürlich von dieser Aufnahmequalität wenig angetan und urteilten entsprechend. Nun ist dieser Konzertmitschnitt von der Deutschen Grammophon offiziell veröffentlicht worden und es liegt ein völlig anderes klangliches Ergebnis vor. Nur die denkwürdige Aufnahme ist bereits durch Vorurteile belastet. Häufig werden die Beteiligten dann auch noch um ihren Honoaranteil gebracht. Werden Vor- und Nachteile abgewogen sollten zum Schutz der Rechte aller Beteiligten und Sicherung eines aktuellen Qualitätsstandards Raubkopien verboten werden.
    Herzlichst
    Operus
    X( :boese2:

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Nun ja, es ist sicher auch eine Frage des Marktes. Wenn die "offiziellen" Labels nicht so viele Aufnahmen in ihren Schatzkammern versteckt hielten, sondern in bestmöglicher Qualität auf den Markt brächten, würde das manche obskure Label wie von selbst austrocknen.


    Das von operus genannte Beispiel des Verdi-Requiems (Wunderlich/Kray) ist eines der besten, die man da nennen kann.

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  • Als die 50 jährige Schutzfrisdt eingeführt wurde (ich glaube es waren einst sogar nur 30 Jahre ?) ging man von der Annahme aus, einen 50 Jahre alte Aufnahme sei ohnedies unverkäüflich.
    Man muß sich vorstellen , als ich grade mal 15 war, da gab es bereits HIFI und Stereo, aber eine 50 Jahre alte Tonaufnahme war damals noch eine solche, die mit dem Trichter Gemacht wurde !! Die elekrische Aufnahme mit Mikrophon wurde erst später erfunden...


    Heute stellt sich die Situation aber völlig anders dar:


    Aufnahme die vor 50 Jahren gemacht wurden sind teilweise schon in Stereo, demnächst wird der 1. Karajan-Beethoven Zyklus frei, in einigen Jahren die Böhm Zauberflöt mit Fritz Wunderlich.


    Die Folge könnte sein, daß die Besitzer der Originalbänder und Matrizen, diese entsorgen, da sie ab dann nämlich nichts mehr wert sind !!


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !