TAMINO-Brennpunkt: "groß" vs. "klein"

  • Hallo,


    im Thread überr Haydns Schöpfung schrieb Walter Krause


    Zitat


    Denn große Interpreten helfen auch zu einem besseren Verstehen, eben weil sie mehr bieten.


    Das klingt für mich zunächst sehr logisch.


    Ist es aber tatsächlich so, daß die wie auch immer definierten "großen Interpreten" mehr zu bieten haben als die "kleinen" Kollegen?


    Und wenn ja, wie definiert man "groß" und wie "klein".


    Und was ist unter "besserem Verstehen" zu verstehen?


    ?(


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Hallo Ulli,


    "Groß" und "klein" lassen sich schwer definieren, weil sich über Qualität trefflich streiten läßt. Natürlich haben berühmte Interpreten schwache Momente und unbekannte Künstler Sternstunden, aber lassen wir das alles beiseite und gehen wir bei diesen Begriffen einfach von der konventionellen Übereinkunft aus.
    Ein guter bzw. überragender Interpret läßt mich in der Regel über das bloße Vergnügen am "Instrument Stimme" Facetten des Werks spürbar werden, die bei einer bloß "braven" Wiedergabe nicht zu hören sind (es ist ein Unterschied, ob man einfach die Noten trifft und korrekt singt oder ob man ein gutes Vibrato einsetzt und damit die Seele des Werks spürbar macht). Im Instrumentalen ist es ähnlich. Ein Furtwängler hat die Beethoven-Symphonien sicher sehr extrem ausgelotet, aber zweifellos hat er unsere Beethoven-Erfahrung unendlich bereichert.
    Der Dirigent Dipfelmoser bei den Hintertupfinger Sommertagen bringt vielleicht mit einem engagierten Orchester eine solide Wiedergabe zustande, über die man sich herzlich freut, die aber trotzdem keinen nachhaltigen Eindruck hinterläßt.
    Warum vergleichen wir Verrückten denn fanatisch verschiedene Interpretationen miteinander - einfach, weil es dabei unendlich viel Neues zu entdecken gibt, oder nicht? Warum begnügen wir uns nicht mit einer einzigen Aufnahme von halbwegs ordentlichem Niveau?


    Wahre Kunst ist nicht so einfach zu erfassen wie das klare Wasser eines kleinen Swimmingpools, sie ist ein unendliches Meer, in dem unendlich viel verborgen ist. Ich kann es mit dem Ruderboot befahren oder mit dem Ozeandampfer (das Meer werde ich von letzerem aus nur aus Distanz beurteilen können, mit dem Ruderboot werde ich hauptsächlich damit beschäftigt sein, im Wellengang ohne Kentern zu überleben) oder auch mit Booten, die das Erlebnis "Meer" auf verschiedenste angemessene Weisen ermöglichen.


    LG


    Waldi

  • Zitat

    Original von Walter Krause
    Warum begnügen wir uns nicht mit einer einzigen Aufnahme von halbwegs ordentlichem Niveau?


    Erstmal würde ich sagen, dass es das doch auch oft genug gibt, dass Musikfreund/innen eine oder wenige Aufnahmen des gleichen Werkes besitzen.


    Aber reizvoll ist natürlich auch zu vergleichen, herauszufinden, was einem persönlich gut gefällt - oder welche Aufnahme eine gelungene Interpretation, eine sängerisch und/oder musikalisch überzeugende Einspielung ist. Meistens werden einem mehrere Aufnahmen einfallen, die man selbst empfehlen kann, mit unterschiedlicher Gewichtung, warum man diese Empfehlung ausspricht. Einfach ist es eigentlich nur bei - im Verhältnis gesehen - wenigen Aufnahmen, eine einzige herauszugreifen ("Tosca" unter de Sabata wäre wohl so ein Beispiel).


    Für mich persönlich auch interessant: anhand der Aufnahmen kann man gut verfolgen, wie sich Gesangs- und Interpretationspraxis über die Zeit hinweg verändert hat.