Brahms, Johannes: Klarinettenquintett op. 115

  • Salut,


    der heimische Tamino mag etwas verwundert sein – doch der Mozartfreak Ulli hat auch andere musikalische Eindrücke gesammelt und möchte daraus das


    Klarinettenquintett op. 115


    von


    JOHANNES BRAHMS


    vorstellen. Für mich eine Entdeckung, die ich Klassikradio zu verdanken habe.


    Dass so ein symphonischer Brocken wie Johannes Brahms durchaus seine freundlichen und liebenswerten Seiten hat, zeigt mir deutlich das Klarinettenquintett h-moll op. 115, in das ich mich schier verhört habe. Brahms erhielt die Inspiration zur Komposition seiner Klarinettenwerke durch den Meininger Klarinettisten Richard Mühlfeld. Diesen lernte er wohl im Rahmen der Uraufführung seiner 4. Sinfonie mit der Meiniger Hofkapelle kennen und schätzen. Ähnlich Schubert in seiner Unvollendeten h-moll-Sinfonie verflicht Brahms die Tonarten außerordentlich gelungen, wenn auch auf ganz eigene Weise. Die Krönung bildet die Gestaltung thematischer Querverbindungen, die satzübergreifend ein ganz besonderes Ganzes präsentieren. Das h-moll bei Brahms ist keineswegs melancholisch, sondern eine Weltanschauung.


    Nach verschiedenen Hörproben konnte ich mich nur für die folgende Live-Aufnahme entscheiden:



    Es spielt das ABQ Alban Berg Quartett mit Sabine Meyer (Klarinette) und Hariolf Schlichtig (Viola).


    Eine Photokopie der Originalhandschrift des Klarinettenquintettes kann übrigens im Brahms-Haus in Baden-Baden eingesehen werden. Johannes Brahms wohnte dort in den Sommermonaten 1865-1874 in zwei Dachgeschoßzimmern. Brahms schreibt im Mai 1865 an seinen Vater:


    Ich habe hier eine wunderschöne Wohnung gefunden und unglaublich billig, so dass ich mich ohne Gewissensbisse an der schönen Aussicht erfreuen kann. […]



    Das Baden-Badener Brahmshaus sollte seinerzeit abgerissen werden, da die Restauration und Unterhaltung des Gebäudes von der Stadt Baden-Baden nicht getragen werden wollte. Durch private Sponsoren ist es uns dankenswerter Weise erhalten geblieben… und die Stadt Baden-Baden schmückt sich nun damit!


    Cordialement,
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Salut,


    das Brahmshaus besuchte ich heute zum x-ten Male mit einem gewissen E. [Alfred, you know...]. Brahms hat hier u.a. seine 1. Sinfonie in c-moll vollendet. In diesen heil'gen Hallen! Die Tapete ist noch originale "Brahmstapete". Brahms Totenmaske, die dort verwahrt und ausgestellt wird, strahlt eine unglaubliche Ruhe und Entspannung aus. Es gibt noch einen originalen Ring mit Haaren von Felix Mendelssohn-Bartholdy zu sehen, sowie einen Handabguss von Clara Schumann.


    Cordialement,
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Hallo Ulli, hallo allerseits,


    ich musste gerade über mich selber schmunzeln, als ich über diesen Thread stolperte. Seit geraumer Zeit versuche ich ja bereits, mich Mozart zu nähern; sei es über seine Sinfonien, seine Violinkonzerte, seine Klavierkonzerte… wie auch immer. Einer der Versuche fand über sein Klarinettenquintett (KV 581) statt. Ich entschied mich für die unten abgebildete CD, weil sie erstens in irgendeinem (Reclam?-)Führer angepriesen wurde und weil sie zweitens eben zusätzlich jenes Klarinettenquintett von Brahms enthält. Also frei nach dem Motto: Wenn es schon mit Mozart und mir nicht klappt, dann habe ich immer noch Brahms, von dem mir bislang alles, was mir zu Ohren kam, sehr gut gefiel.


    Zu Mozart sage ich nichts weiter, nur soviel: auch diese Aufnahme hat mich nicht weitergebracht; aber bezüglich Brahms kann ich Dir nur zustimmen. Ein wunderschönes Werk – von den Emersons und David Shifrin auch ganz famos eingespielt.


    Gruß, Cosima


  • Hallo,


    ..ja, das Klarinettenquintett von Brahms ist mein "Sorgenkind". Die beiden ersten Sätze sind wunderschön! Brahms auf seinem melodischen Höhepunkt, die Grundstimmung: elegant, rassig, sachlich, verträumt (für mich Gegensätze, die sich logisch ausschließen, aber musikalisch nebeneinander existieren können).


    Der vierte und letzte Satz - nicht ganz so stark, aber auch mit schönen Elementen.


    Aber der dritte Satz...gemessen an den anderen Sätzen: mindert die Qualität. Die Melodien können mit den beiden ersten Sätzen bei weitem nicht mithalten, könnten auch von einem weniger begabten Komponisten gefunden worden sein.


    Meine Einspielfavoriten: Die ersten beiden Sätze (mich stört beim Busch Quartett der antike Klang nicht sehr)



    für die letzten beiden Sätze gibt es mehrere geeignetere Einspielungen (der dritte Satz nuss m.E. sehr akzentuiert, nicht so weich, gespielt werden, um gehaltvoller zu wirken).


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Zitat

    Original von Uwe Schoof
    ..ja, das Klarinettenquintett von Brahms ist mein "Sorgenkind". Die beiden ersten Sätze sind wunderschön! Brahms auf seinem melodischen Höhepunkt, die Grundstimmung: elegant, rassig, sachlich, verträumt (für mich Gegensätze, die sich logisch ausschließen, aber musikalisch nebeneinander existieren können).


    Der vierte und letzte Satz - nicht ganz so stark, aber auch mit schönen Elementen.


    Aber der dritte Satz...gemessen an den anderen Sätzen: mindert die Qualität. Die Melodien können mit den beiden ersten Sätzen bei weitem nicht mithalten, könnten auch von einem weniger begabten Komponisten gefunden worden sein.


    Naja.
    Brahms gab nie viel auf melodische Gedanken ("es fiel ihm wie- der mal nichts ein" verspottete Hugo Wolf das Anfangsmotiv der 4. Sinfonie) und dass der Scherzo/Menuett-Satz und das Finale weniger gewichtig sind, ist in Klassik und auch Romantik ja sehr häufig der Fall.
    Das Quintett ist ein Werk, dessen Sätze sehr eng zusammenhängen, besonders deutlich durch die Transformation des Variationenthemas im Finala in der letzten Variation hin zum "Motto" des Kopfsatzes, das dann in der ergreifenden Coda wieder aufscheint. Insgesamt ein grandioser Variationensatz (vermutlich wurde diese Form auch als hommage an Mozarts Werk gewählt).
    Der 3. Satz spielt ebenfalls mit solchen Transformationen. Ähnlich wie in der 2. Sinfonie, 3. Satz wechseln Varianten eines Gedankens, aber unterschiedlichen Charakters miteinander ab: hier eine ruhig fließende Andante-Melodie (melodisch mit dem Thema des Finale verwandt) und ein scherzando-Abschnitt, der vielleicht auf den auch sonst in diesem Stück erscheinenden ungarisch gefärbten Volkston anspielt. Dazu ist die Klarinette im ersten Abschnitt ins Quartett integriert, im zweiten spielen die Partner "gegeneinander".
    Also ich erkenne in diesen beiden Sätzen keinen Qualitätsverlust, sondern empfinde das Werk als ein hochgradig integriertes geschlossenes Ganzes.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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  • Hallo, Johannes,


    Zitat

    Brahms gab nie viel auf melodische Gedanken ("es fiel ihm wie- der mal nichts ein" verspottete Hugo Wolf das Anfangsmotiv der 4. Sinfonie)


    da kann ich mich leider nicht generell anschließen. Brahms hat, wie ich meine, wunderbare melodische Einfälle gehabt, zwar nicht alle so einprägsam und auffällig, dafür sehr elegant. Im Gegensatz zu Hogo Wolf dienten die Melodien bei Brahms dem Gesamten (und nicht umgekehrt), naja, ist vielleicht ein bisschen böse und übertrieben.


    Aber sowohl mit Deinen Beschreibungen wie auch mit Deinem Fazit


    Zitat

    Also ich erkenne in diesen beiden Sätzen keinen Qualitätsverlust, sondern empfinde das Werk als ein hochgradig integriertes geschlossenes Ganzes.


    stimme ich völlig überein, es ist ein insgesamt sehr schönes Meisterwerk, dessen Melodien, (nicht Verarbeitung und Bearbeitung!), im dritten Satz mir nun einmal sehr missfallen. Ich spiele das Stück mit meiner Klarinette selber gerne, (bis auf...).


    Bei den beiden Brahmsschen Streichquintetten hingegen gefällt mir alles - von vorne bis hinten (ist leider keine Klarinette drin).


    Es grüßt


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Hallo,


    aufgrunddessen, dass ich musikliebender Laie bin, hoffe ich, dass meine folgende Meinungskorrektur nicht verübelt wird.


    Ich kaufte mir vor einigen Tagen folgende CD:



    Nach dem Hören des Brahmsquintetts war ich total baff; so habe ich das Quintett noch nie gehört. Der erste Satz: weich elegant und gut wie gewohnt; der zweite Satz: rassig wie gewohnt; aber, worauf es mir hier ankommt: der dritte und vierte Satz: gleiten fortschreitend und strömend, aber dennoch mit einer wohligen Gesamtruhe vorbei, wie ich es durch meine bisherigen Einspielungen noch gar nicht kenne und mir auch durch das Partiturlesen nicht vorgestellt habe.


    Zum Vergleich nebenbei die Satzlängen der Einspielungen:


    Busch Quartett + Kell: 8:29/12:27/4:24/8:08
    Schönberg Quartett + Woudenberg: 11:19/11:18/4:08/7:44
    Wiener + Meyer: 12:46/10:45/4:47/9:05


    Habt Ihr die Satzdauern des ABQ / Meyer und anderer wichtiger Einspielungen?


    Nach meiner Kritik der beiden letzten Sätze in meinen obigen Beiträgen muss ich nun eingestehen: klasse. So fließend habe ich das Werk noch gar nicht gehört, mir noch gar nicht vorgestellt.


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)


  • Gibt sich alles nicht soo viel (besonders in 3 und 4):


    Perl (Klar.) & friends (Arte Nova) 12:43, 12:02, 4:12, 8: 52
    Berliner Solisten (Klar.: Leister) 12:32, 11:40, 4:36, 9:04
    Berliner Philharmonisches Oktett (Klar.: Stähr) 11:10, 11:09, 4:40, 8:41


    Die gefielen mir als ich vor einigen Monaten mal im Vergelcih gehört habe, eigentlich alle recht gut. Ich kenne leider keine von denen, die Du genannt hast, habe daher auch keine Ahnung, woher der geänderte Eindruck rühren mag.


    viele Grüße


    JR

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  • Hallo,


    wie ich nun dank Deiner (Johannes) Aufstellung vergleichen kann, habe ich bisher verhältnismäßig schnelle 3. und 4. Sätze gehört. Vielleicht hängt mein bisheriges Unbehagen diesen Sätzen gegenüber damit zusammen. Dies gilt besonders in den Passagen, in denen die Streicher 4- oder mehrstimmig im selben Rhytmus hart und im forte spielen, was für mich eher unangenehm wirkt. Bei meiner neuen Aufnahme wird das "Spitze" sehr zurückgenommen, das Tempo ist entspannter, es wirkt weicher, horizontaler und ausgeglichener, so muss es für mich sein.


    Die von Dir genannte Aufnahme der Berliner Solisten und Karl Leister werde ich mir demnächst besorgen, falls erhältlich (vielleicht auch die Berliner / Stähr). Übrigens ist Karl Leister der Solist meiner allerersten Klassik-Schallplatte meines Lebens, vor ungefähr 30 Jahren, gewesen. Das war Mozarts Klarinettenkonzert.


    Uwe

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  • Zitat

    Original von Uwe Schoof
    wie ich nun dank Deiner (Johannes) Aufstellung vergleichen kann, habe ich bisher verhältnismäßig schnelle 3. und 4. Sätze gehört. Vielleicht hängt mein bisheriges Unbehagen diesen Sätzen gegenüber damit zusammen. Dies gilt besonders in den Passagen, in denen die Streicher 4- oder mehrstimmig im selben Rhytmus hart und im forte spielen, was für mich eher unangenehm wirkt. Bei meiner neuen Aufnahme wird das "Spitze" sehr zurückgenommen, das Tempo ist entspannter, es wirkt weicher, horizontaler und ausgeglichener, so muss es für mich sein.


    Die von Dir genannte Aufnahme der Berliner Solisten und Karl Leister werde ich mir demnächst besorgen, falls erhältlich (vielleicht auch die Berliner / Stähr). Übrigens ist Karl Leister der Solist meiner allerersten Klassik-Schallplatte meines Lebens, vor ungefähr 30 Jahren, gewesen. Das war Mozarts Klarinettenkonzert.


    mit Kubelik auf DG?


    Von Stähr habe ich vorher noch nie gehört; ich weiß nicht ob er der 1. Klarinettist der Berliner vor Leister war oder eben "nur" der 2. oder 3.
    Diese Einspielung habe ich in der hellgrünen Brahms-Kammermusikbox von Philips.
    Mit Leister gibt es noch ca. zwei bis drei weitere (einmal mit dem Amadeus Q.), die von mir genannte stammt von ca. 1990 auf Teldec (ist aber momentan anscheinend vergriffen). Ralph Manno war Celibidaches Soloklarinettist in München, trotz seiner damaligen Jugend (*1964 oder so); er spielt mit einem ad-hoc-Ensembel relativ junger Musiker und diese Einspielung ist auch sehr gut (und preiswert Arte Nova) (Oben schrieb ich Perl, das ist der Pianist im Klavierquintett)


    viele Grüße


    JR

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  • Hallo,


    mittlerweile habe ich mir eine weitere Einspielung besorgt, nämlich



    mit Larl Leister und dem Vermeer Quartett.


    Dies ist aber eine feine Einspielung. Ich finde, die Streicher spielen sehr deutlich, so dass auch die schnellen Passagen sehr gut hörbar sind. Die beiden letzten Sätze schön weich, und, was interessant ist, auch der erste Satz sehr gedehnt. Wie ich das im Vergleich zu den anderen Einspielungen finde, weiß ich noch nicht, muss ich mir noch öfter anhören. Man hat ja doch häufig die Einspielungen im Kopf, die einen in der Vergangenheit geprägt haben.


    Gruß,


    Uwe

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  • Hallo!


    Beim Beginn des Mozart-Klarinettenquintett-Vergleichhörens fiel mir ein, daß ich in meiner Tamino-Abwesenheitszeit ein solches Unterfangen mal mit dem Brahms-Klarinettenquintett beging.
    Von meinen drei Aufnahmen gefiel mir dabei die mit dem Emerson Quartet und Davis Shifrin am besten (Cosima hatte sie oben auch schon erwähnt):



    (die andereren Aufnahmen sind/waren Amadeus Quartet und Brandis Quartett, jeweils mit Karl Leister)


    Viele Grüße,
    Pius.

  • hierher gehört leider wieder mein obligatorischer Warnhinweis zum Emerson Quartet:
    Im 1. Satz des Brahms Klarinettenquintetts sind Exposition und Wiederholung zu 66% digital identisch.


    Meiner Meinung nach stellt die Anwendung von copy-and-paste in diesem Ausmaß einen Betrug am Musikhörer dar ("normal" sind 0-25% kopierte Stellen zu finden).
    Allerdings hat mir mein Skandalthread zum Thema kopierte Wiederholungen auch gezeigt, daß derlei Entrüstung nicht von allen geteilt wird. Auf eine Fortsetzung mit Schwerpunkt Kammermusikaufnahmen habe ich daher verzichtet (zumal neben dem Emerson Quartet bisher nur das Takacs Quartet regelmäßig unangenehm aufgefallen ist).
    Obwohl auch ich die Aufnahme des Emerson Quartets, abgesehen von der Kopierschummelei, für sehr gelungen halte, sehe ich mich gezwungen, hier die rote Karte zu zeigen.
    :boese2: Khampan

  • Zitat

    Auf eine Fortsetzung mit Schwerpunkt Kammermusikaufnahmen habe ich daher verzichtet...


    ...was ich insofern schade finde, als dass sich hier doch gerade die Kammermusikfreunde für musikalische Aspekte hauptsächlich interessieren...


    Uwe

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  • Zitat

    Von Stähr habe ich vorher noch nie gehört; ich weiß nicht ob er der 1. Klarinettist der Berliner vor Leister war oder eben "nur" der 2. oder 3.


    Verspätete Anmerkung: Stähr war der 1. Klarinettist der Berliner neben Leister. Die größeren deutschen Orchester haben alle doppelte Solobläser. Meistens ist einer von beiden der bekanntere, aber einen unterschiedlichen Rang besitzen sie offiziell nicht.


    Mir gefällt übigens schon aus tonlichen Gründen die Aufnahme mit Leister und Vermeer am besten. Leisters warner, dunkler Klarinettenklang ist für mich absolut unerreicht, und musikalisch kann man bei ihm auch nur selten meckern.


    Manno ist ein großartiger Musiker, aber klanglich finde ich ihn nicht besonders gut.


    Viele Grüße


    Bernd

  • Im Dezember 1890 teilte Brahms seinem Verleger Simrock mit, dass er sein kompositorisches Schaffen mit dem Streichquintett G-Dur op. 111 abgeschlossen hätte. Es sollte anders kommen: Im nächsten März lud Herzog Georg II. von Sachsen-Meiningen den Komponisten zu sich ein. Dort angekommen, hörte jener unter anderem ein Klarinettenkonzert von Carl Maria von Weber mit dem Solisten Richard Mühlfeld. Dessen vielfach gerühmte Fähigkeiten nahmen Brahms sogleich gefangen: das virtuose Spiel, die zahllosen Schattierungen und Nuancen, aber wohl auch der dunkle, leicht melancholische Klang des Instruments inspirierten den Wahlruheständler. Nachdem er noch das Klarinettenquintett Mozarts mit Mühlfeld erlebt hatte, trat der Komponist in engeren Kontakt mit dem Virtuosen und ließ sich einiges zur Spieltechnik des Instrumentes erklären.


    Als Brahms dann von Meiningen über Wien nach Bad Ischl gefahren war, komponierte er das Trio für Klarinette, Violoncello und Klavier op. 114 sowie das Klarinettenquintett op. 115. Letzteres ist wie bei Wolfgang Amadé Mozart und bei Carl Maria von Weber für Klarinette und Streichquartett, also 1. Violine, 2. Violine, Bratsche und Violoncello komponiert. Die Sätze sind wie folgt überschrieben:


    I. Allegro (h-moll, 6/8 )
    II. Adagio (H-Dur, 3/4; Mittelteil in h-moll)
    III. Andantino (D-Dur, 4/4) – Presto non assai, ma con sentimento (h-moll/D-Dur, 2/4)
    IV. Con moto (h-moll, 2/4)


    Als Herzstück des Werkes kann das Adagio gelten, in dessen Mittelteil sich die Klarinette solistisch vom Ensemble abhebt und quasi rhapsodisch alle Register des Blasinstrumentes vorführt. Dieser Satz musste bei der Uraufführung des Werkes bis zur völligen Erschöpfung von Richard Mühlfeld mehrfach wiederholt werden.


    Die beiden letzten Sätze mögen im Vergleich zu den ersten beiden eher leichtgewichtig wirken. Immerhin greift Brahms am Ende des letzten Satzes den Beginn des Kopfsatzes wieder auf und rundet das Werk somit zyklisch ab.


    Anhand der folgenden Aufnahmen möchte ich die Form analysieren:


    Die erste mit Karl Leister und dem Amadeus-Quartett ist derzeit in mindestens zwei Ausgaben erhältlich: zum einen als günstige Einzel-CD, in naheliegender Weise gekoppelt mit dem Gattungsbeitrag Mozarts, zum anderen in einer umfassenden Box mit den Streichquartetten sowie allen Quintetten (Streich -, Klavier-, Klarinetten-,), den Streichsextetten und dem Klarinettentrio von Johannes Brahms:



    Ferner eine sehr preisgünstige Aufnahme mit dem französischen Klarinettisten Michel Portal und dem Melos-Quartett, gekoppelt mit Brahms‘ Streichquintett Nr. 2 G-Dur op. 111:



    Schließlich eine Live-Aufnahme aus dem Mozartsaal des Wiener Konzerthauses mit Sabine Meyer und dem Alban-Berg-Quartett, ebenfalls gekoppelt mit op. 111:


  • Formanalyse


    Die angegebenen Zeiten beziehen sich auf die Einspielungen mit Leister/Amadeus-Quartett, Portal/Melos-Quartett, Meyer/Alban-Berg-Quartett, und zwar in dieser Reihenfolge.


    Die erste Themengruppe in der Exposition des ersten Satzes ist unkonventionell gebaut: Zunächst ist ein wellenförmiges Motiv zu hören, gespielt von den beiden Violinen (Motiv m1, 0:00/0:00/0:00), Rhythmus: punktiertes Viertel, gefolgt von sechs Sechzehnteln – wir sind im 6/8-Takt. Der Hörer bleibt im Unklaren darüber, ob das bereits thematisch ist oder nicht. Nach zwei Takten folgt ein zweites Motiv (Motiv m2, 0:06/0:05/0:08'), Rhythmus: Viertel plus Achtel, wobei das Viertel stets als betonter Vorhalt erscheint: baaaaadam – baaaadam - … Bratsche und Cello gesellen sich grundierend hinzu.


    Das Stück erreicht dann zunächst ein recht stabiles D-Dur. Die Klarinette spielt ihre ersten Töne (0:11/0:11/0:14) – ein gebrochener D-Dur-Akkord in Achteln (Motiv m3) -, um mit Motiv m1 fortzusetzen, welches vom Cello mit Akkordbrechungen in Sechzehnteln begleitet wird.


    Damit ist das Material der ersten Themengruppe vorgestellt: Wellenmotiv (m1), Vorhaltsmotiv (m2) und Akkordbrechungen (m3). Doch ein „richtiges“ Thema haben wir noch nicht gehört, oder? Gemach – erst im Duett von Bratsche und Cello (0:33/0:34/0:37), endgültig aber erst mit dem nächsten auffälligen Einsatz der 1. Violine scheint das erste Thema seine eigentliche Gestalt erreicht zu haben (ab 0:43/0:44/0:48'). Nachdem diese Phase der Selbstfindung mit einer ordentlichen Kadenz in h-moll abgeschlossen wird, folgt unmittelbar die Überleitung zum zweiten Thema mit einem gezackten Motiv (m4, 1:04/1:06/1:09). Die Streicher und die Klarinette werfen sich einige schnelle Tonleiterfiguren zu, dann folgt noch einmal das gezackte Motiv m4, bis die Musik plötzlich verbindlicher wird und dann bei 1:31/1:32/1:38 die Klarinette das 2. Thema vorstellen darf – wobei man recht schnell merkt, dass die Themengruppe zwischen Klarinette und 1. Violine aufgeteilt ist. Es ist eher der Dialog beider, der zum Thema wird. – Ob die Schlussgruppe nun mit dem Klarinetteneinsatz bei 2:08/2:08/2:14 beginnt oder erst bei 2:27/2:27/2:34 mit der Wiederaufnahme schneller Bewegung, darüber darf herzlich diskutiert werden.


    Die Exposition wird wiederholt (ab 2:57/2:56/3:04), aber nicht von vorne, sondern ab dem ersten Einsatz der Klarinette mit m3. (Auch dies spricht dafür, das erste Thema nicht am Anfang zu suchen.)


    Bei 5:43/5:42/5:55 erreichen wir die Durchführung, die zunächst mit m3 in der Klarinette beginnt, doch sich recht schnell der Verarbeitung des Wellenmotivs m1 widmet (zuerst im Cello, dann durch alle Streicher wandernd). Brahms spaltet von m1 ein dreitönig fallendes Motiv ab (6:26/6:25/6:38, zuerst in der Klarinette) und kombiniert dies mit m1. – Das Stück erreicht einen Ruhepunkt auf einem gis über drei Oktaven (2. Violine, Bratsche, Cello, 6:47/6:47/6:58'), dann wird das Überleitungsmotiv m4, das in der Exposition so gezackt daher kam, im Sostenuto, molto legato, verarbeitet. Dazu treten im weiteren Verlauf die bereits bekannten Akkordbrechungen (m3).


    Bei 8:13/8:28/8:24 eröffnet die Klarinette mit Motiv m2 einen neuen (kurzen) Abschnitt, das Cello antwortet sogleich mit m2, die Bewegung geht über in Sechzehntel, bis bei 8:35/8:53/8:47 die Reprise erreicht ist. Diese ist verkürzt, denn das erste Thema hat ja keine Selbstfindungsphase mehr nötig und erklingt sogleich bei 8:52/9:09/9:03 in voller Gestalt. Die Überleitung mit m4 beginnt bei 9:13/9:30/9:24, das zweite Thema bei 9:32/9:50/9:45. – Ab 10:16/10:44/10:41 ist wieder die gesteigerte Bewegung zu hören, diese wird jedoch weiter ausgesponnen als in der Exposition und geht mit großer Erregung bei 11:01/11:20/11:19 über in m1, gefolgt von m2. Ab dort ist auch die Coda anzusetzen. Das Stück kommt dann nach und nach zur Ruhe. Eine letzte Reminiszenz an den Satzanfang ist zu hören (11:31/11:49/11:48'), bis der finale h-moll-Akkord in tiefer, geradezu düsterer Lage erreicht wird.


    Wenn der zweite Satz das Herzstück von Brahms‘ op. 115 ist, dann ist der Mittelteil das Herzstück des zweiten Satzes. – Alle vier Streicher spielen während des ganzen Satzes mit Dämpfern. - Dieser langsame Satz hat eine übersichtliche A-B-A‘-Form. Die Tonart ist H-Dur, die Taktart ¾-Takt.


    Der A-Teil ist ziemlich regelmäßig gebaut, a – a‘ – b – a“ könnte man die Form bezeichnen. Abschnitt a hat 8 Takte. Die Klarinette stellt das aus Viertelnoten gebaute Thema vor (0:00/0:00/0:00). – Abschnitt a‘: Für die nächsten 8 Takte hat die erste Violine das Thema (ab 0:36/0:35/0:35).


    Spannend sind einige harmonische Besonderheiten: Brahms setzt hier häufig den Durakkord mit großer Septime ein (für Jazzer wäre das tägliches Brot), etwa bei 0:19/0:18/0:18 und 0:54/0:52/0:52), und zwar in quasibarocker Weise: Die Basslinie geht dabei nämlich chromatisch abwärts („passus duriusculus“). Auch ist in Dominantsept-Situationen gelegentlich die Dur- und die Moll-Terz gleichzeitig zu hören, etwa bei 0:32/0:30/0:30 und 1:06/1:04/1:05 (auch das ist ganz normal für Jazzer). – Spannend auch die rhythmische Vielfalt: Das Thema in ruhigen Vierteln wird von „normalen“ Achteln wie von Achteltriolen begleitet. Ferner schlägt eine Nebenstimme stets um ein Achtel versetzt nach (in a die 1. Violine, in a‘ die Klarinette).


    Bei 1:11/1:09/1:10 beginnt dann der b-Abschnitt, dessen Thema in Oktaven von den beiden Violinen gespielt wird. (Dieser Abschnitt erinnert mich immer an den langsamen Satz von Beethovens 9.) – Nach 8 Takten darf die Klarinette einen solistischen Aufschwung nehmen, der in eine viertönige Variation des Themenkopfes von a (dort waren es drei Töne) mündet, was zwangsläufig zu rhythmischen Verschiebungen führt, da weiterhin Viertelnoten vorgeschrieben sind. – Abschnitt a erfährt eine Mini-Reprise a“ bei 2:11/2:09/2:07.


    Bei 2:54/2:51/2:48 kommen wir im B-Teil an, markiert durch einen Doppelstrich. Die Klarinette singt sich zunächst in Form eines Rezitativs über Streicherfundament aus, kurz danach folgt ein weiterer Doppelstrich mit der Tempovorschrift „Più lento“ (3:26/3:21/3:22), der eigentliche Mittelteil hebt an. Über teils gehaltenen, teils tremolierenden Akkorden spielt die Klarinette in rhapsodischer Weise, es wirkt geradezu improvisiert. Die verschiedenen Register des Blasinstrumentes werden wirkungsvoll eingesetzt, das tiefe Chalumeau-Register (z. B. bei 6:50/6:34/6:56) ebenso wie das mittlere Klarinetten-Register und das hohe Flageolett-Register (z. B. bei 6:46/6:30/6:52).


    Die Ausdruckstiefe, die Brahms in diesem Teil erreicht, ist in meiner Wahrnehmung für seine Verhältnisse extrem.


    Bei 7:18/7:03/7:27 spielt die 1. Violine die ersten drei Töne des Themas aus Teil A, die Klarinette setzt nach einem kurzen Anlauf dann fort. Teil A wird ansonsten notengetreu wiederholt bis zur Überleitung in die Coda, letztere beginnt dann bei 10:11/9:53/10:18 und bringt diesen Satz nach elf Takten zum friedlichen Ende in H-Dur.


    Nach diesem Abgründe auslotenden langsamen Satz scheint Brahms uns nun im dritten Satz etwas Entspannung verordnen zu wollen – dieser ist der kürzeste und ist zumindest im ersten Teil (Andantino, D-Dur, c-Takt) von viel einfacherer Machart. – Begleitet von Cello und Bratsche stellt die Klarinette sogleich das siebentaktige Thema des ersten Teils vor (0:00/0:00/0:00). Das Thema wird wiederholt (0:17/0:17/0:18'). Die erste Violine oktaviert dabei das Blasinstrument, die zweite Violine verstärkt die Begleitung, ein zusätzlicher Takt wird eingeschoben zur Erreichung der klassischen Periodenlänge von acht Takten. Eine dritte Wiederholung scheint zu beginnen (0:35/0:35/0:36), doch bei 0:44/0:44/0:45 leitet die 1. Violine schon den Abgesang ein. Die Klarinette übernimmt, die Bewegung steigert sich von Achteln zu Akkordbrechungen in Sechzehnteln über einem Orgelpunkt-D des Cellos (0:54/0:53/0:54), bis der Kopf des Themas ein letztes Mal anklingen darf (1:06/1:06/1:07) und diesen Teil ruhig beschließt.


    Der zweite Teil, Presto non assai, ma con sentimento, hat zwar trotz des 2/4-Taktes durchaus Scherzo-Charakter, bietet aber eine Sonatenhauptsatzform „en miniature“! Los geht’s bei 1:23/1:22/1:22 mit dem in h-moll gehaltenen ersten Thema in der 1. Violine. Die Klarinette führt sich mit virtuosen Akkordbrechungen ein, darf dann bei 1:47/1:45/1:44 das 2. Thema in fis-moll vorstellen und wird dabei von Pizzicati begleitet. – Die 1. Violine variiert das 2. Thema sogleich triolisch.


    Bei 2:12/2:08/2:09 beginnt dann die kleine Durchführung, bei 3:05/3:00/3:01 ist schon die Reprise erreicht. Das 2. Thema erscheint pflichtschuldigst in h-moll (3:26/3:20/3:22) und wird von der 1. Violine wiederum triolisch variiert. – Bei 3:51/3:45/3:47 hebt dann die Coda an, die Stimmung hellt sich abrupt auf. Ab 4:00/3:53/3:57 sind dann vertraute Akkordbrechungen aus dem ersten Teil des Satzes zu hören, und tatsächlich mündet die Coda in einen Schluss, der dem des ersten Teiles mit seinen Akkordbrechungen über einem Orgelpunkt sehr ähnlich ist. Bei 4:16/4:09/4:13 erscheint sogar das Thema des ersten Teils nochmal. – Eine sehr interessante Form!


    Der vierte Satz ist ein Variationensatz, steht also in einer Form, die Brahms zeit seines Lebens pflegte.


    Das Thema besteht aus 32 Takten, von denen die letzten 16 wiederholt werden, insgesamt also 48 Takte. Die Form des Themas ist a - a‘ - | : b – a“ : |, jeder Abschnitt darin hat genau 8 Takte. Wer nun die Melodie im Abschnitt a hat, ist so einfach nicht zu sagen. Zunächst die 1. Violine, doch nach zwei Takten scheint die Klarinette mit einem Echo zu übernehmen und die 1. Violine in die Begleitung zurückzudrängen. Es ist wohl angemessener, das Zusammenspiel beider Instrumente als „Melodie“ anzusehen (wie etwa bei vielen „zweiten Themen“ Bruckners).


    Die Variationen sind weitgehend harmoniekonstant, d. h. bei sich veränderter Melodik, Stimmführung, Instrumentation bleibt das harmonische Gerüst im Wesentlichen erhalten. Die Änderungen der Harmonik in den Variationen sind meistens eingeschobene Zwischendominanten oder Dur/Moll-Wechsel.


    In der ersten Variation hat das Cello eine solistische Rolle mit weit ausladenden Bögen(0:56/1:01/1:00), die anderen Stimmen liefern zunächst nur Einsprengsel, jedoch insbesondere in den b – a“ Abschnitten auch mehr.


    Die zweite Variation (1:58/2:02/2:06) klingt insbesondere durch nachschlagende Rhythmen in den Mittelstimmen erregt. Zunächst führt die 1. Violine. Klarinette und Cello interpolieren mit ab- bzw. aufsteigenden Brechungen verminderter Septakkorde. – Im Abschnitt b, der etwas Entspannung bringt, führt die Klarinette, das Cello tritt nach vier Takten oktavierend hinzu. Abschnitt a“ nimmt die Erregung des Anfangs mit vertauschten Rollen Klarinette/1. Violine wieder auf.


    Die dritte Variation (3:06/3:15/3:16) gehört zunächst der 1. Violine (in den Abschnitten a und a‘), die nun in fast durchgehender Sechzehntelbewegung das Thema variiert. Die Klarinette hat nur kurze Einwürfe, die anderen Streicher begleiten akkordisch. – Im Abschnitt b ist es an der Klarinette, die Sechzehntelbewegung fortzusetzen.


    Die vierte Variation (4:21/4:34/4:38') steht in H-Dur, vorgeschrieben ist „piano dolce“. Sie wirkt nach der vorausgegangenen Steigerung der Bewegung wie eine lyrische Insel. Klarinette und 1. Violine dialogisieren, das Cello grundiert zart, die Mittelstimmen führen die Sechzehntelbewegung quasi latent fort.


    In der fünften und letzten Variation (5:42/6:10/6:16) kehrt der Satz zurück nach h-moll, dafür wechselt die Taktart nach 3/8, gut zu verfolgen an den Pizzicato-Achteln im Cello. Zunächst ist die Bratsche die führende Stimme, dann wird sie von der 2. Violine oktaviert. Bedeutsam sind jedoch die Einwürfe der Klarinette, die an das Wellenmotiv m1 aus dem Kopfsatz erinnern.


    In der Coda (ab 6:37/7:07/7:10) erscheint dann das Wellenmotiv m1 samt m2 wie zu Beginn des Kopfsatzes, hier gespielt von 1. Violine und Bratsche, grundiert von Cello. Generalpause. - Motiv m2 wird pianissimo im Unisono der Streicher wiederholt. Generalpause. - Die 1. Violine setzt fort mit der Motivik der 5. Variation, es folgen wieder m1 und m2. Generalpause. - Weitere Fortführung mit der Motivik der 5. Variation, dann ein Solo der Klarinette, übergehend in eine chromatisierte Version von m2 im Cello, sehr schmerzlich (7:42/8:17/8:22). Verlöschen des Stückes, ein letzter Quintfall der Klarinette fis‘ – h, zwei Schlussakkorde, einer weit und forte, einer tief und eng und im Piano.


    Zu satzübergreifenden thematisch-motivischen Zusammenhängen wird noch etwas zu sagen sein.

  • Danke, Wolfram, das nächste Mal werde ich dieses Quintett zusammen mit deiner ausgedruckten Analyse hören!
    Meine Lieblingsaufnahme ist eine Live-Aufnahme aus dem Radio, mit einem jungen Quartett, dessen Namen auf der Aufnahme leider nicht mit drauf ist. Die Klarinettistin aber habe ich behalten: es ist Nicola Jürgensen, die ganz junge Soloklarinettistin des WDR-Sinfonieorchesters, die ausdrücklich neben ihrer Solokarriere im Orchester bleiben will (neulich habe ich sie noch im Fernsehen gesehen).
    Eine kleine Anmerkung noch zum Streit Brahms - Hugo Wolf. Es gibt einen nicht ganz verbürgten Brahms-Ausspruch zum Thema: "Wenn mir nichts mehr einfällt, dann arbeite ich!" Zu Hugo Wolf und Brahms gibt es ein Rätsel von Dr. Pingel.
    Was haben Brahms und Hugo Wolf gemeinsam? Beide haben keine Oper geschrieben, die von Hugo Wolf heißt "Der Corregidor".

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Die erste Themengruppe in der Exposition des ersten Satzes ist unkonventionell gebaut: Zunächst ist ein wellenförmiges Motiv zu hören, gespielt von den beiden Violinen (Motiv m1, 0:00/0:00/0:00), Rhythmus: punktiertes Viertel, gefolgt von sechs Sechzehnteln – wir sind im 6/8-Takt. Der Hörer bleibt im Unklaren darüber, ob das bereits thematisch ist oder nicht. Nach zwei Takten folgt ein zweites Motiv (Motiv m2, 0:06/0:05/0:08'), Rhythmus: Viertel plus Achtel, wobei das Viertel stets als betonter Vorhalt erscheint: baaaaadam – baaaadam - … Bratsche und Cello gesellen sich grundierend hinzu.


    Dieser erste Viertakter wird mitunter als "Motto" bezeichnet, wohl auch weil es am Ende wiederkehrt, sowohl vom Kopfsatz als auch vom Schlusssatz. Der Klarinetteneinsatz ist nach dem Einleitungsarpeggio eine "Verdoppelung" und Ausschmückung des Mottos.


    Zitat


    Damit ist das Material der ersten Themengruppe vorgestellt: Wellenmotiv (m1), Vorhaltsmotiv (m2) und Akkordbrechungen (m3). Doch ein „richtiges“ Thema haben wir noch nicht gehört, oder? Gemach – erst im Duett von Bratsche und Cello (0:33/0:34/0:37), endgültig aber erst mit dem nächsten auffälligen Einsatz der 1. Violine scheint das erste Thema seine eigentliche Gestalt erreicht zu haben (ab 0:43/0:44/0:48').

    T.18


    Zitat

    dann folgt noch einmal das gezackte Motiv m4, bis die Musik plötzlich verbindlicher wird und dann bei 1:31/1:32/1:38 die Klarinette das 2. Thema vorstellen darf – wobei man recht schnell merkt, dass die Themengruppe zwischen Klarinette und 1. Violine aufgeteilt ist. Es ist eher der Dialog beider, der zum Thema wird. – Ob die Schlussgruppe nun mit dem Klarinetteneinsatz bei 2:08/2:08/2:14 beginnt oder erst bei 2:27/2:27/2:34 mit der Wiederaufnahme schneller Bewegung, darüber darf herzlich diskutiert werden.


    Es ist m.E. eh alles Material vom 2. Thema (ich würde vermutlich Auftakt zu T 59 sagen). Das "gezackte" Staccato-Motiv ist eng mit dem Seitenthema verwandt (via Umkehrung...)



    Zitat

    Das Stück erreicht einen Ruhepunkt auf einem gis über drei Oktaven (2. Violine, Bratsche, Cello, 6:47/6:47/6:58'), dann wird das Überleitungsmotiv m4, das in der Exposition so gezackt daher kam, im Sostenuto, molto legato, verarbeitet.


    Das ist für mich so eine typische Brahms-Stimmung (sostenuto oder andernorts "tranquillo")


    Zitat


    Wenn der zweite Satz das Herzstück von Brahms‘ op. 115 ist, dann ist der Mittelteil das Herzstück des zweiten Satzes.


    Das ist vielleicht mein liebster langsamer Satz von Brahms. Alle Kommentatoren, die diesem Komponisten einen Mangel an "Stimmung", Sinn für Klanglichkeit usw. vorwerfen werden allein durch dieses Stück Lügen gestraft.


    Zitat


    Die Ausdruckstiefe, die Brahms in diesem Teil erreicht, ist in meiner Wahrnehmung für seine Verhältnisse extrem.


    Bemerkenswert auch, wie dies weitgehen durch koloristische Mittel, die er sonst eher verschmäht (tremolo in den Streichern) erreicht wird. Ich finde das auch einzigartig, zumal auch in der Kombination mit den sanften (klanglich allerdings ebenfalls exquisiten) Rahmenteilen. Klar, zwei Jahre später schrieb Debussy sein Streichquartett. Aber der gehört zu einer anderen Generation und Tradition.


    Zitat


    Bei 2:12/2:08/2:09 beginnt dann die kleine Durchführung, bei 3:05/3:00/3:01 ist schon die Reprise erreicht. Das 2. Thema erscheint pflichtschuldigst in h-moll (3:26/3:20/3:22) und wird von der 1. Violine wiederum triolisch variiert. – Bei 3:51/3:45/3:47 hebt dann die Coda an, die Stimmung hellt sich abrupt auf. Ab 4:00/3:53/3:57 sind dann vertraute Akkordbrechungen aus dem ersten Teil des Satzes zu hören, und tatsächlich mündet die Coda in einen Schluss, der dem des ersten Teiles mit seinen Akkordbrechungen über einem Orgelpunkt sehr ähnlich ist. Bei 4:16/4:09/4:13 erscheint sogar das Thema des ersten Teils nochmal. – Eine sehr interessante Form!


    Ohne das jetzt exakt en detail belegen zu können, ist das Material des Presto-Teils m.E. eng verwandt mit dem des Hauptteils (so ähnlich, wenn auch nicht ganz so deutlich wie im 3. Satz der 2. Sinf.). Man vgl. etwa die Klarinette T19 ff. und T44 ff.


    Zitat


    Der vierte Satz ist ein Variationensatz, steht also in einer Form, die Brahms zeit seines Lebens pflegte.


    In der ersten Variation hat das Cello eine solistische Rolle mit weit ausladenden Bögen(0:56/1:01/1:00), die anderen Stimmen liefern zunächst nur Einsprengsel, jedoch insbesondere in den b – a“ Abschnitten auch mehr.


    Einzig beim Thema dieses Satzes und der ersten Variation könnte ich den Vorwurf einer gewissen "Trockenheit" verstehen.


    Zitat


    Die zweite Variation (1:58/2:02/2:06) klingt insbesondere durch nachschlagende Rhythmen in den Mittelstimmen erregt. Zunächst führt die 1. Violine. Klarinette und Cello interpolieren mit ab- bzw. aufsteigenden Brechungen verminderter Septakkorde. – Im Abschnitt b, der etwas Entspannung bringt, führt die Klarinette, das Cello tritt nach vier Takten oktavierend hinzu. Abschnitt a“ nimmt die Erregung des Anfangs mit vertauschten Rollen Klarinette/1. Violine wieder auf.


    Das soll wohl auch einen etwas "ungarischen Ton" simulieren. (Wie übrigens auch der Mittelteil des adagio)


    Zitat


    In der fünften und letzten Variation (5:42/6:10/6:16) kehrt der Satz zurück nach h-moll, dafür wechselt die Taktart nach 3/8, gut zu verfolgen an den Pizzicato-Achteln im Cello. Zunächst ist die Bratsche die führende Stimme, dann wird sie von der 2. Violine oktaviert. Bedeutsam sind jedoch die Einwürfe der Klarinette, die an das Wellenmotiv m1 aus dem Kopfsatz erinnern.


    In der Coda (ab 6:37/7:07/7:10) erscheint dann das Wellenmotiv m1 samt m2 wie zu Beginn des Kopfsatzes, hier gespielt von 1. Violine und Bratsche, grundiert von Cello. Generalpause. - Motiv m2 wird pianissimo im Unisono der Streicher wiederholt. Generalpause. - Die 1. Violine setzt fort mit der Motivik der 5. Variation, es folgen wieder m1 und m2. Generalpause. - Weitere Fortführung mit der Motivik der 5. Variation, dann ein Solo der Klarinette, übergehend in eine chromatisierte Version von m2 im Cello, sehr schmerzlich (7:42/8:17/8:22). Verlöschen des Stückes, ein letzter Quintfall der Klarinette fis‘ – h, zwei Schlussakkorde, einer weit und forte, einer tief und eng und im Piano.


    Ich finde die Anlage dieses Finales schon sehr wirkungsvoll (daher auch mein contra gegenüber Uwe weiter oben). Nach der im 2. Teil beinahe verspielten Var. 3, die entrückte Durvariation und dann die zunächst wieder bewegtere 5. Var., in die das Motto- oder Leitmotiv unaufhaltsam eindringt und schließlich die tiefmelancholische Coda. Auch wenn ich mit der Herbstmetaphorik so meine Schwierigkeiten habe, Abschied in ziemlich endgültiger Form kann man hier wohl heraushören.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
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  • Die Brahms-Exegeten werden nicht müde, immer wieder zu betonen, wie die ganze Thematik des Werkes aus den ersten vier Takten mit den Motiven m1 und m2 entwickelt wird.


    Offen auf der Hand liegt natürlich die Wiederverwendung von m1 und m2 in der Coda des Variationensatzes. Klar ist auch, dass die letzte Variation bereits m1 andeutet. Die Steigerung der Bewegung von Variation zu Variation legt nahe, dass die Variationen bewusst in Richtung von m1 entwickelt wurden.


    Eine weitere thematische Verwandtschaft ist leicht zu erkennen zwischen dem Thema des Andantino und des Thema des Variationensatzes. Da ist zum einen der Rhythmus, Viertel plus zwei Achtel, aber auch die stufenweise Bewegung, die nach unten gerichtet ist.


    Das Thema des Presto non assai ist nun sozusagen eine hektische Variante des Andantino-Themas. Johannes hat bereits darauf hingewiesen: Im Andantino haben wir d“ – cis“ – d“ – h‘, im Presto non assai lautet es d“ – d“ – cis“ – d“ – h‘.


    Die ersten drei Töne des zweiten Themas des Kopfsatzes stimmen mit den ersten drei Tönen des Wellenmotivs überein. Der Beginn des Überleitungsmotivs m4 kann als Umkehrung dieser drei Töne gehört werden (auch auf diese Verwandtschaft hat Johannes hingewiesen). Auch der Beginn des „Più lento“ im 2. Satz in der Klarinette ist eine Variation des Wellenmotivs.


    Würde man weiter suchen, fände man wohl noch etliche Verwandtschaften. Die Frage, in wie weit diese bewusst von Brahms eingesetzt wurden, spielt eigentlich keine Rolle. Wesentlich ist, dass er es als Ergebnis in dieser Form gesetzt hat, und wir erkennen, warum das Werk so einheitlich wirkt.

  • Die Brahms-Exegeten werden nicht müde, immer wieder zu betonen, wie die ganze Thematik des Werkes aus den ersten vier Takten mit den Motiven m1 und m2 entwickelt wird.


    Offen auf der Hand liegt natürlich die Wiederverwendung von m1 und m2 in der Coda des Variationensatzes. Klar ist auch, dass die letzte Variation bereits m1 andeutet. Die Steigerung der Bewegung von Variation zu Variation legt nahe, dass die Variationen bewusst in Richtung von m1 entwickelt wurden.

    Das ist m.E. alles relativ problemlos zu hören, nicht irgendwie esoterisch. (Ich muss allerdings sagen, dass ich das Werk schon etwa 20 Jahre kenne und auch schon sehr lange die Noten, daher kann ich mich hier noch weniger als sonst in einen "naiven" Zustand versetzen.)



    Zitat

    Eine weitere thematische Verwandtschaft ist leicht zu erkennen zwischen dem Thema des Andantino und des Thema des Variationensatzes. Da ist zum einen der Rhythmus, Viertel plus zwei Achtel, aber auch die stufenweise Bewegung, die nach unten gerichtet ist.


    Das Thema des Presto non assai ist nun sozusagen eine hektische Variante des Andantino-Themas. Johannes hat bereits darauf hingewiesen: Im Andantino haben wir d“ – cis“ – d“ – h‘, im Presto non assai lautet es d“ – d“ – cis“ – d“ – h‘.

    Das finde ich "gefühlsmäßig" auch alles ziemlich gut nachvollziehbar. Für den zweiten Fall gibt es eben auch schon das offensichtlich hörbare ähnliche Vorgehen in der 2. Sinfonie und sonstwo (Mittelsatz der A-Dur-Violinsonate, wenn ich recht erinnere).
    Ich habe ein ziemliches Faible für solche "Charaktertransformationen". Sie sind auch viel mehr als ein bloßer Gag, stiften Einheit und haben mitunter auch durchaus poetischen Effekt. In der Durchführung im Kopfsatz des 3. Sinf. verkehren sich z.B. Haupt- und Seitenthema vom Charakter völlig ins jeweilige Gegenteil. Gibts natürlich nicht nur bei Brahms. Berlioz, der sonst nicht viel mit Brahms gemeinsam hat, hat hier auch einige schöne Beispiele wie die "Fratzenversion" der Idee fixe im Hexensabbat.
    Und die Ähnlichkeit in Rhythmus und Duktus von andante und Finale ist auch sehr auffällig.



    Zitat

    Die ersten drei Töne des zweiten Themas des Kopfsatzes stimmen mit den ersten drei Tönen des Wellenmotivs überein. Der Beginn des Überleitungsmotivs m4 kann als Umkehrung dieser drei Töne gehört werden (auch auf diese Verwandtschaft hat Johannes hingewiesen). Auch der Beginn des „Più lento“ im 2. Satz in der Klarinette ist eine Variation des Wellenmotivs.


    Würde man weiter suchen, fände man wohl noch etliche Verwandtschaften. Die Frage, in wie weit diese bewusst von Brahms eingesetzt wurden, spielt eigentlich keine Rolle. Wesentlich ist, dass er es als Ergebnis in dieser Form gesetzt hat, und wir erkennen, warum das Werk so einheitlich wirkt.

    Gerade den Kopfsatz erlebe ich als einen durchgehenden Fluß. Manche Verwandtschaften oder Entwicklungen hört man sehr leicht, andere wirken eher "subkutan". Was ich nicht höre, aber gelesen habe, ist das der Mittelteil des Adagio ebenfalls eine Art freie Variante des A-Teils wäre. Hier höre ich nur die (wieder recht offensichtlichen) Ansätze eines Motiv der Rahmenteile kurz vor Wiederkehr des A-Teils (T 74 ff.)

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  • Aufnahmen


    Karl Leister (Jahrgang 1937) und das Amadeus-Quartett lassen die zupackenden Teile des Kopfsatzes zu ihrem Recht kommen. Den „Quasi sostenuto“-Teil der Durchführung könnte ich mir noch zurückhaltender vorstellen, aber die Musiker setzen eher auf Einheitlichkeit und lassen die Musik wie aus einem Guss wirken. - Im zweiten Satz klingt der Mittelteil wie improvisiert, dennoch stets folgerichtig; die Dramaturgie ist geradezu traumhaft sicher. Leister entlockt seinem Instrument hier die herrlichsten Klangfarben. - Der dritte Satz beginnt an der Oberkante von piano und steigert sich mit dem Einsatz der ersten Violine noch. Sehr wirkungsvoll nach dem Verlöschen im zweiten Satz, aber in den Noten steht‘s halt anders – das Crescendo sollte erst später kommen. Sehr virtuos die Klarinette mit ihren Arpeggien im „Presto non assai“, völlig unangestrengt, leicht und duftig. – Das Finale beginnt wie vorgeschrieben im Forte – hier bemerkt man die fehlenden Abstand zum Anfang des dritten Satzes.


    Trotz eines stellenweise doch recht fülligen, saftigen Klanges weht hier gelegentlich ein nostalgischer Schleier über der Musik. Da geht es um Loslassen, um Zurückblicken, um das „nicht mehr“. Ich finde, dass die Stimmungen dieser Musik ausgezeichnet getroffen sind, nichts fällt aus dem Rahmen, alles ist mit der richtigen Beleuchtung an seinem Platz. Eine wunderbare Aufnahme.


    Den dunklen Klarinettenton von Karl Leister mag ich sehr – ein riesiger Gegensatz zum viel helleren Timbre bei Michel Portal. Ich habe keine Ahnung von Klarinetten, aber das scheint der Unterschied von französischem Böhm-System und deutschem Oehler-System zu sein – er ist genauso, wie er nachgelesen werden kann. Wenn ein Klarinettenexperte hier helfen könnte, wäre ich dankbar! – Der ehemalige Soloklarinettist der Berliner Philharmoniker (1959 – 1993) hat das Werk später noch mehrmals aufgenommen, zumindest mit dem Vermeer-Quartett, mit den Berliner Solisten und mit dem Leipziger Streichquartett, vielleicht noch öfter.


    Die Aufnahme ist heute entweder gekoppelt mit dem Klarinettenquintett von Mozart zu haben (dieses spielt Gervase de Peyer mit den Amadeus-Mannen) oder aber als Brahms-Box mit allen Sextetten, Quintetten (Streich-, Klavier-, Klarinetten-) und den Streichquartetten nebst Klarinettentrio.



    Die Aufnahme des Melos-Quartetts mit Michel Portal kommt transparenter und leichter daher als die des Amadeus-Quartetts mit Karl Leister, auch Stellen mit Tutticharakter klingen schlank. Das Quartettspiel ist technisch makelloser, homogener und intonationsreiner als das des Amadeus-Quartetts, man spürt den Generationenunterschied. - Bedeutsam ist, dass im Kopfsatz das „Quasi sostenuto“ sehr stark im Tempo zurückgenommen wird – dieser Abschnitt erhält Inselcharakter. Dynamikangaben werden als Tempovorschriften gelesen – bei Crescendi zieht das Tempo an. Sehr schlüssig, doch hätte Brahms das nicht notieren können, wenn er es gemeint hätte? – Jedenfalls ist so zu erklären, dass die Spielzeit des ersten Satzes recht hoch ist trotz zügig wirkenden Tempos in den meisten Teilen. - Die klangliche Schlankheitskur wird auch dem zweiten Satz zuteil. Sehr flott und geradezu hinweghuschend werden die schnellen Klarinettenfiguren im Mittelteil genommen. Fehlt da etwas an Tiefe oder liegt in diesem geradezu entmaterialisierten Klang das wahre Wesen des Satzes? – Das „Dahinhuschende“ ist noch extremer im „Presto non assai“ des dritten Satzes, und mit dieser Auffassung dieser Stellen gehe ich nicht konform. – Auch in dieser Aufnahme ist der Dynamikunterschied der Anfänge von drittem und viertem Satz gering.


    Der helle Klarinettenton mag eventuell irritieren – der klangliche ff-Höhepunkt bei 5:42 des zweiten Satzes klingt geradezu nach Benny Goodman. Im Chalumeau-Register fehlt mir die sonore Fülle von Karl Leister. Aber vielleicht ist das nur meine persönliche Hörerwartung.


    Fazit: Diese Aufnahme ein gutes Korrektiv zur Klangfülle des Amadeus-Quartetts und zur sonoren Fülle der deutschen Klarinette von Karl Leister. Als Erstaufnahme würde ich für Leister/Amadeus plädieren. Preisgünstig sind beide zu haben.



    Sabine Meyer und das Alban-Berg-Quartett gehen den Kopfsatz sehr gelassen an, nehmen sich Zeit für Rubati, heben kleine Details liebevoll hervor. Die Klangfarben sind dunkler als bei Michel Portal und dem Melos-Quartett. Insgesamt wirkt der Zugang (vergleichsweise) sanft und detailliert, was ich sehr angemessen finde. - Herrlich finde ich auch die Zurückhaltung in den Rahmenteilen des zweiten Satzes, als ob es um kostbare Dinge ginge, die zerstört würden, würde man sie allzu laut ausplaudern. Zum Hinknien. Auch der Mittelteil klingt geradezu antivirtuos, ganz nach innen gekehrt. Die Steigerungen entfalten umso mehr Kraft. – Auch in dieser Aufnahme ist leider kein echtes Piano zu Beginn des dritten Satzes zu hören. Auch das „Presto non assai“ ist nicht einseitiges auf flotten äußeren Glanz getrimmt, sondern behält verletzlichen Charme. - Im Thema des Finales setzt sich die Tendenz zur Mikrobeleuchtung fort, bei gleichzeitiger Wahrung der großen Linie werden viele Details erhellt. Geradezu vibrierend vor Spannung ist dann die zweite Variation. Ungleich diskreter dann wieder die dritte, herrlich verspielt, fast wie beiläufig kommt das Klarinettensolo daher. Noch ruhiger wird es in der vierten Variation – der ganze Satz ist ab der zweiten Variation ein großes Decrescendo in den verlöschenden Schluss, in dem alle fünf Instrumentalisten nochmals berührende Farben und Intensitäten finden.


    Eine großartige Aufnahme ist da unter Live-Bedingungen im Mozartsaal des Wiener Konzerthauses entstanden (März 1998'). Da auch das Streichquintett op. 111 ausgezeichnet gelungen ist, ist diese CD ihr Geld absolut wert. Wer den Hochpreis vermeiden möchte, wird auf dem Zweitmarkt fündig.


  • Aufnahmen (II)


    Offiziell ist die Einspielung mit dem britischen Klarinettisten Keith Puddy und dem Delmé String Quartet bei IMP Classics (Pickwick) vergriffen. Zwischenzeitlich war auch bei MCA Classics erhältlich.


    Die fünf Musikerinnen und Musiker spielen sehr gut. Doch kommt mir der erste Satz etwas zu geheimnislos, zu direkt daher. Da fehlt es an Melancholie, an Zwischentönen und an Binnendifferenzierung. – Im Mittelteil des zweiten Satzes fehlen mir Ausdruck, sei es saftig-exzessiv wie bei Leister/Amadeus oder höchst diskret und verinnerlicht wie Meyer/ABQ. – Dieser Eindruck setzt sich im dritten und im vierten Satz fort.


    Fazit: Eine sehr gute Aufnahme, deren emotionale Spannweite leider im Mittelfeld bleibt. Da gibt es besseres.


    (kein Bild verfügbar)


    Die Aufnahme mit David Shifrin und dem Emerson Quartet ist sicher ausgezeichnet. Im ersten Satz fand ich sie zu glatt, zu perfekt. Der zweite Satz gelingt den Amerikanern deutlich besser, hier finden sie betörende Klangfarben und loten die emotionalen Tiefen voll aus. – Auch die Variationen im letzten Satz werden intensiv ausgespielt, wenngleich ich die Verlaufskurve beim Alban-Berg-Quartett überzeugender fand.


    Fazit: Eine ausgezeichnete Aufnahme, die ich aufgrund des zu glatten ersten Satzes nicht zu den allerbesten zählen würde.



    Was bleibt am Ende? Karl Leister und das Amadeus-Quartett auf der einen, Sabine Meyer und das Alban-Berg-Quartett auf der anderen Seite, denen durch die schlanke Aufnahme von Michel Portal und dem Melos-Quartett eine überzeugender „anderer“ Zugang an die Seite gestellt werden kann.

  • Leister hat das Werk mindestens fünfmal eingespielt. Die DGG mit dem Amadeus-Q. dürfte die älteste sein.
    Meine erste CD war eine, auf der im Rahmen der "Berliner Solisten" (ich habe noch die Teldec-Erstausgabe von 1990, inzwischen apex) agiert. Dann habe ich später nochmal ein Brilliant-Duo (ursprgl. Nimbus, rec. 1996/97) mit allen Klarinettenwerken von Brahms gekauft; da begleitet das Brandis-Q. (also ebenfalls Berliner Kollegen, aber nicht dieselben). Dann gibt es noch je eine mit dem Vermeer (1982) und dem Leipziger Quartett (1995).




    Ich besitze davon wie gesagt die beiden oberen Aufnahmen. Dann habe ich noch eine seinerzeit deutlich preiswertere CD mit jüngeren Künstlern und eine ältere Aufnahme (ca. 1970) mit dem Ungar. SQ und David Glazer.



    Ich werde bei Gelegenheit mal vergleichen (meine Neigung, eine dritte Leister-Einspielung anzuschaffen, hält sich freilich in Grenzen, eigentlich bin ich eh mit dem, was ich habe, zufrieden). Die Anzahl der Einspielungen dieses Werks ist ohnehin kaum noch übersehbar.

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  • Die Aufnahme mit Leister und dem Brandis-Quartett ist auch in der nach wie vor auf dem Marktplatz günstig zu erwerbenden Brilliant-Gesamtaufnahme der Kammermusik von Brahms enthalten.


    Gruß, Wolfgang Zimmermann

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Die Frage der Kopplungen ist bei Brahms' op. 115 nicht uninteressant, da das Werk eine CD nur knapp zur Hälfte füllt. Was bekommt man dazu?


    Am naheliegendsten fände ich die Kopplung mit Regers spätem Klarinettenquintett - doch diese scheint es nicht zu geben. Wenn ein zweites Klarinettenquintett beigegeben wird, so ist's meistens Mozart - oder Isang Yun bei Sabine Meyer und dem Wiener Streichsextett.



    Auch das Klarinettenquintett von Carl Maria von Weber ist eine gute Kopplung:



    Akzeptabel fände ich auch die Kopplung mit Brahms' selten zu hörendem Klarinettentrio. Aber auch das ist die Ausnahme. Immerhin, sie existiert:



    Besonders seltsam finde ich die Kopplung bei der MDG-CD mit Karl Leister und dem Leipziger Streichquartett. Beigegeben ist das 2. Streichquartett a-moll op. 51,2 von Johannes Brahms. Das wäre noch akzeptabel, wenn die beiden anderen Streichquartette des Komponisten auf einer weiteren CD zu haben wären - dann bekäme man einen kompletten Zyklus auf zwei CDs. Aber nein - Streichquartett op. 51,1 ist gekoppelt mit dem 2. Streichsextett op. 36, Streichquartett op. 67 mit dem 1. Streichsextett op. 18. - Ich stelle keine Bilder ein - für so etwas muss keine Werbung sein.

  • Am naheliegendsten fände ich die Kopplung mit Regers spätem Klarinettenquintett - doch diese scheint es nicht zu geben


    Doch, eine meiner CD-Einspielungen dieser beiden Werke, und zwar eine sehr gute, ist die des Schönberg Quartetts mit dem Klarinettisten Pierre Woudenberg. Die Abbildung des CD-Coverbildes von "amazon" gelang mir leider nicht. Schaut mal selber nach. Eingespielt sind die Quintette von Brahms und Reger; ich finde auch, dass dies eine gute Zusammenstellung ist.




    Uwe


    Bild eingefügt

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Nachdem ich den Thread zum brahmsschen Klarinettentrio Op. 114 wiederbelebt habe, setze ich einen You Tube Beitrag einer Einspielung des Klarinettenquintetts Op. 115.


    Eduard Brunner spielt die Klarinette, Maxim Vengerov (Wer hätte das erwartet!), Sergei Krylov, Jone Kaliunaite, Gustav Rivinius bilden die Streichergruppe. Eine Live-Aufnahme aus dem Jahr 2005, die mir gefällt. Seinen Part spielt Eduard Brunner meisterhaft und das Zusammenspiel ist auf höchstem Niveau. Maxim Vengerov fügt sich stimmig in den Gesamtklang ein. Kammermusik vom Feinsten.


    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928