Wilhelm Friedemann Bach (1710-1784)

  • Ich habe den thread, da die Barock-Zuordnung ja eher eine Notlösung war, mal hierhin verschoben. Scheint mit konsequenter, wenn KEINER der Bach-Söhne im Barockforum abgehandelt wird.


    JR




    Wilhelm Friedemann Bach (1710-1784)


    - verkannter Komponist am Ende des Barockzeitalters -



    Wilhelm Friedemann Bach wurde am 22. November 1710 in Weimar als erster Sohn von Johann Sebastian Bach und seiner ersten Frau Maria Barbara geboren; am 24. November wurde er in der Stadkirche getauft.


    Die belegbaren Aussagen und Dokumente über sein Leben lesen sich recht nüchtern; Yvonne Pickmann hat sie auf 27 Seiten zusammengefasst (Wilhelm Friedemann Bach - Eine Chronik nach Dokumenten. In: Heinemann, Michael & Strodthoff, Jörg (Hg.): Wilhelm Friedemann Bach. Der streitbare Sohn. Dresden: Sandstein 2005, S. 6-33; ISBN 3-937602-52-6). Umso erstaunlicher ist die lange Liste von völlig erfundenen Darstellungen seines Lebens in Romanen und Filmen, die mit seinem wahren Leben nichts zu tun haben, das Bild des Komponisten aber bis in die Gegenwart prägen und sich immer noch in Versuchen, seine Persönlichkeit zu beschreiben, niederschlagen, obwohl die Fakten das kaum hergeben - woher das Bedürfnis rührt, gerade bei diesem Komponisten das Bild eines verkannten Genies bis zu Extremen hin zu zeichnen, entzieht sich meinem Verständnis. Der unsägliche Roman von Emil Brachvogel von 1858 und der 1940 entstandene Film von Traugott Müller mit Gustav Gründgens in der Hauptrolle sind nur die Spitze des Eisberges (mehr bei Norbert Bolin: "... ist's nur Geschöpf der Phantasie?" Das wundersame Leben des W.F. Bach in der Wort-, Ton- und Filmkunst. In: Concerto I (1984), Heft 4, S. 37-41; Stefan Weiss: Wilhelm Friedemann Bach in der fiktionalen Literatur. In: Heinemann & Strodthoff, a.a.O., S. 95-104; Manuel Gervink: Der Film Friedemann Bach. In: Heinemann & Strodthoff, a.a.O., S. 105-110). Selbst ein aufrichtig an W.F. Bach interessierter Autor wie Hanno Ehrler kann sich des plakativen Hinweises, daß der Komponist wohl ein Alkoholproblem hatte, nicht enthalten; auch eine Serie des mdr-Rundfunks im Jahr 2002 betont eher die auffälligen Seiten der Mitglieder der Bach-Familie. Der Mangel an konkreten Aussagen über seine Persönlichkeit scheint eine unwiderstehliche Anziehungskraft auszuüben und zur fiktionalen Schließung der Lücken aufzufordern. An solchen Spekulationen möchte ich mich hier bewußt nicht beteiligen, sondern nur die Fakten aufzählen, die nirgendwo im Internet einigermaßen vollständig wiedergegeben sind, und bitte auch alle Taminos, sich hier auf die - weitaus interessantere - Diskussion seiner Musik zu beschränken.


    Ich werde mich bemühen, an dieser Stelle nach und nach alle Werkgruppen und die bisher entstandenen Aufnahmen auf Tonträgern (soweit sie mir bekannt sind) vorzustellen - das schon für 2005 im Carus Verlag angekündigte neue Werkverzeichnis von Peter Wollny im Rahmen des Bach-Repertoriums lässt leider noch auf sich warten, ebenso die ersten Bände der Gesamtausgabe seiner Werke im gleichen Verlag. Die Funde der letzten Jahre lassen allerdings auf die Wiederentdeckung weiterer unbekannter oder verschollener Werke hoffen - hier sei nur das Flötenkonzert D-dur BR C 15 genannt. Vorläufig kann man das Werkverzeichnis (abgekürzt: BR) auf der Seite über W.F. Bach in der englischsprachigen Wikipedia ansehen - ich werde es hier bei den einzelnen Werkgruppen zitieren. (Dass Vergleichbares in der deutschen Wikipedia noch fehlt, ist nur symptomatisch.) Parallel dazu existieren immer noch die Werkverzeichnisnummern nach Martin Falck - abgekürzt: F), die auf Tonträgern meistens benutzt werden. Hier ist eine Konkordanz notwendig, die ich bei den einzelnen Werkgruppen versuchen werde - die Identifikation einzelner Stücke ohne Incipits ist nicht immer einfach, ebenso wie das Aussortieren fälschlich W.F.Bach zugeschriebener Werke, die unkritisch aus veralteten Notenausgaben übernommen werden. Trotzdem ist das 1913 erschienene Buch von Martin Falck (nachgedruckt im Georg Olms Verlag 1977 und antiquarisch problemlos preiswert aufzutreiben (http://www.justbooks.de) sozusagen Pflichtlektüre, weil er sich vorbehaltlos für die Anerkennung von W.F. Bachs musikalischen Qualitäten einsetzt, einen umfassenden Überblick über Leben und Werk gibt, mit sicherem Blick falsch zugeschriebene Werke aussortiert, den Vorurteilen über seine Persönlichkiet entgegentritt, und vor allem viele Quellen und Noten noch einsehen konnte, die inzwischen als verschollen gelten - auch er beklagt schon zahlreiche Verluste. Nach den Angaben auf der Website des Olms Verlags ist das Buch z.Zt. vergriffen, aber eine Neuauflage geplant.



    Überhaupt ist die Quellenlage eher schlechter geworden - Eckart Sellheim betont dies in einem Interview in der Zeitschrift Concerto (Jahrgang I, 1984, Heft 4) - die erhaltenen Autographen sind schnell aufgezählt.


    Jedem an seinem Leben interessierten kann ich nur die Lektüre von Martin Falcks Buch empfehlen, sowie den anläßlich eines Symposions in Dresden entstandenen Sammelband von Heinemann & Strodthoff im Sandstein Verlag, dessen Beiträge alle wesentlichen Aspekte abdecken und auf dem neusten Stand der Forschung sind. Ich empfehle das Buch direkt beim Verlag zu bestellen; wenn ich die ISBN bei JPC eingebe, kommt nichts (?). (Die Buchreihe ist übrigens auch sonst interessant.)



    Wer ein eher erzähltes Porträt lesen möchte, suche das Buch von Andreas Friesenhagen: Die Brüder Bach. Leben und Werk zwischen Barock und Klassik. Köln: Könemann 2000 - nur noch antiquarisch zu bekommen, aber lohnend, mit vielen Illustrationen und alle vier Komponisten-Bachsöhne in den Kontext ihrer Zeit stellend.


    Andere Bücher über die Bach-Söhne von Marc Vignal oder Martin Geck finde ich einfach zu knapp in der Darstellung.


    Ich habe lange überlegt, in welchem Forum dieser Thread am besten aufgehoben wäre. Ich habe mich für das Forum Alte Musik - Barock entschieden, weil Wilhelm Friedemann an seinem Ende aufgewachsen ist und seine Ausbildung bekommen hat, Zeit seines Lebens mit einem Fuß musikalisch sozusagen darinnen blieb, und 90% der Aufnahmen seiner Werke in HIP gemacht wurden. Ich denke, hier bekommt er mehr Aufmerksamkeit als im überbordenden Forum zu Allgemeinen Klassikthemen.


    Ich hoffe, Eure Neugier geweckt zu haben, oder die unter Euch, die wie ich Wilhelm Friedemann Bach zu ihren Lieblingskomponisten zählen, zur Diskussion zu motivieren.

  • Guten Abend


    Johann Sebastians "Ältester" ist in meiner Sammlung (noch) spärlich vertreten, kann nur ein "Flötenkonzert in D-Dur" auf dieser



    CD mit weiteren Werken seiner Brüder Joh. Chr. und CPE, gespielt von der musica antiqua Köln , vorweisen.


    Gruß :hello:


    aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Leider komme ich nicht umhin, den Film von 1941 auch nochmal zu erwähnen, der war mein erster Kontakt mit der Person Wilhelm Friedemanns - und ich bin da sicherlich kein Einzelfall.


    Dieser Schinken glänzte ja vor allem durch ultra blöde Klischees und was besonders belustigte, war das - soweit ich mich erinnere - kein einziges Musikstück von W.F. Bach im ganzen Film zu hören war.


    Die dicksten Klöpse waren aber dass Pachelbels Canon als Komposition Bachs ausgegeben wurde.
    Oder die Szene als er als Organist vorspielte und man ihm sagte, wenn er so spielen würde wie sein Vater hätte er die Stelle bekommen....
    (dabei hatte W.F. Bach die Fantasy BWV 542 in g-moll gespielt wenn ich mich recht erinnere :rolleyes:)


    So reiht sich Fehler auf Fehler gepaart mit einer wiederliche Deutschtümelei, und einer Abstrafung von höfischer Musik :" Dein Vater hätte sich im Grabe rumgedreht wenn er erfahren hätte das sein Sohn ein "Nymphenballett" komponiert..."


    Dann frage ich mich was Bachs Orchestersuiten No. 3 & 4 gewesen sind
    teurer Bockmist aus den UFA Studios ....
    Aber genug von diesem abartig schlechten Film.



    Den zweiten Kontakt hatte ich dann mit der phänomenalen Einspielung einiger Cembalostücke (Rousset)
    Ich war wirklich begeistert von dieser "Kühnheit" und Modernität dieser Musik.
    Und ich bin es immer wieder aufs Neue.


    Bei den Stücken Friedemann Bachs habe ich stets das Gefühl, dass es wie Improvistation erscheinen - diese große Kunst die z.B. Chambonnieres, Froberger, d'Anglebert u.a. so unvergleichbar beherrschten finde ich hier wieder.


    Natürlich hat mich das Poco allegro der a-moll Sonate FK. nv8 sofort in den Bann gezogen.
    Allen Stücken wohnt eine gewisse Melancholie inne, aber da will ich nicht zuviel rein interpretieren.


    Die Cembalostücke ich von W.F. bisher gehört habe, gehören für mich zu den schönsten und spannensten die ich bisher aus dieser Zeit kenne.


    Am erstaunlichsten finde ich aber wie unterschiedlich die Bach Söhne für sich genommen komponierten - jeder ein absolutes Original.


    Aber vielleicht hätte er wo anders als in Berlin sein Glück versuchen sollen.
    Denn W.F. Bach war kein Hasse, Qunatz oder Graun - und wenn schon sein Bruder C.P.E. vor dem dogmatischen Musikgeschmack Friedrich II. floh - welche Chancen rechnete er sich dort aus ?


    Nun ich bin von dem was ich bisher gehört habe sehr angetan und hoffe dass ich hier einige gute CD Tips bekommen werde.




    :hello:

  • Wilhelm Friedemann Bach - Stationen seines Lebens


    Hier erst einmal die nackten Tatsachen.
    Quellen:
    Yvonne Pickmann: Wilhelm Friedemann Bach - Eine Chronik nach Dokumenten. In: Heinemann, Michael & Strodthoff, Jörg (Hg.): Wilhelm Friedemann Bach. Der streitbare Sohn. Dresden: Sandstein 2005, S. 6-33; ISBN 3-937602-52-6
    Falck, Martin: Wilhelm Friedemann Bach. Sein Leben und seine Werke mit thematischem Verzeichnis seiner Kompositionen und zwei Bildern. Leipzig 1913. Nachdruck Hildesheim/New York: Georg Olms 1977



    Wilhelm Friedemann Bach wurde am 22. November 1710 in Weimar als erster Sohn von Johann Sebastian Bach und seiner ersten Frau Maria Barbara geboren; am 24. November wurde er in der Stadkirche getauft.


    1720 Einrichtung des Clavier-Büchlein für Wilhelm Friedemann Bach
    1720 Tod der Mutter während Abwesenheit des Vaters
    1721 Heirat des Vaters mit Anna Magdalena Wilcke
    1723 Berufung des Vaters zum Thomaskantor in Leipzig und Übersiedlung
    1723 läst ihn der Vater als Depositus an der Leipziger Universität vormerken
    1723 zusammen mit dem Bruder Carl Philipp Emanuel Aufnahme als Externer in die Thomasschule
    1724 und 1726 als Stimmenschreiber in Kantaten des Vaters nachweisbar
    1727-1733 Vorbereitung auf eine Karriere als Orgelvirtuose (Vermutung nach den Abschriften von BWV 594 und 525-528 )
    1729 als Jura-Student in den Matrikeln der Leipziger Universität eingetragen
    1729 vergebliche Fahrt nach Halle, um Händel eine Einladung des Vaters zu überbringen (Händel ist schon abgereist)
    1730 übernimmt den Unterricht des Thomasschülers Christoph Nichelmann
    1731 erfolgloses Probespiel in Halberstadt
    1731 mit dem Vater in Dresden zur Uraufführung von Hasses Oper Cleofide


    1733 erfolgreiche Bewerbung zum Organistenamt an der Dresdner Sophienkirche


    in der Dresdner Zeit unterrichtet er nebenher wegen der geringen Besoldung (u.a. Johann Gottlieb Goldberg); das Amt verlangt nur Orgelspiel, also hat er genügend Zeit für eine aktive Teilnahme am Musikleben des Hofes, Kontakte zu Johann Adolf Hasse, Jan Dismas Zelenka, Johann Georg Pisendel, Silvius Leopold Weiss, Pierre Gabriel Buffardin, Hermann Graf von Keyserling, Carl Heinrich von Dieskau und der Kurfürstin Maria Antonia Walpurga von Sachsen


    1745 Ankündigung der Cembalosonate D-dur in den Leipziger Zeitungen, die (wie bei den Partiten des Vaters) eine Serie von 6 Sonaten eröffnen soll. Sie erscheint mit zwei Monaten Verzögerung. Erfolglose Berwerbung um die Organistenstelle an der Dresdner Frauenkirche.


    1746 nach dem Tod des Organisten Johann Gotthilf Ziegler an St. Ulrich in Halle erfolgreiche Bewerbung um diese Stelle, für die sich auch sein Vater einstmals (ohne Erfolg) beworben hatte. Entlassungsgesuch in Dresden mit Empehlung Altnickols zum Nachfolger, der die Stelle aber nicht erhält. In Halle ist er de facto der höchstbestallte Musiker der Stadt und nennt sich folgerichtig director musices - zu seinen Pflichten gehört auch die regelmäßige Aufführung von Kirchenmusik. Er führt eigene Kantaten und z.T. bearbeitete seines Vaters auf.
    Er kündigt die Veröffentlichung der zweiten Cembalosonate Es-dur an.


    ab 1749 kommt es zu Konflikten mit den Vorgesetzten in Halle.


    1750 stirbt der Vater, er reist zur Regelung der Ebschaft nach Leipzig und bringt anschließend den jüngsten Bruder Johann Christian nach Berlin zu Carl Philipp Emanuel.


    1751 Heirat mit Dorothea Elisabeth Georgi (ca. 1725 - 1791), 1752 Geburt des ersten Sohnes, der noch im gleichen Jahr stirbt.


    1753 vergebliche Bewerbung um das Organistenamt in Zittau


    1754 Geburt des zweiten Sohnes, der 1756 stirbt


    1757 Geburt der Tochter Friderica Sophie


    1758 Ankündigung einer theoretischen Ahandlung Vom Harmonischen Dreyklang, die aber nie erscheint und nicht erhalten ist. Bemühungen um das Kapellmeisteramt in Frankfurt am Main mit einem Empfehlungsschreiben Telemanns. Belastungen durch Steuern und den Siebenjährigen Krieg zwingen ihn zum Verkauf von Werken Johann Sebastian Bachs.


    1760 Tod der Stiefmutter Anna Magdalena Bach


    1761 weitere Belastungen durch Kriegssteuern, Anträge auf Befreiung werden abgelehnt


    1762 Verhandlungen um die freigewordene Kapellmeisterstelle am Darmstädter Hof, Verleihung des Titels eines Kapellmeisters "von Haus aus".


    1763 Ankündigung des Neudrucks der Cembalosonate Es-dur


    1764 Er wird zum Hofkapellmeister in Darmstadt ernannt, tritt die Stelle aber nicht an. Bitte um Entlassung in Halle, Unstimmigkeiten bei der Abnahme der ihm anvertrauten Instrumente.


    1766 Auftritt als Orgelvirtuose in Berlin


    1767 Dedikation des Cembalokonzertes e-moll an die Kurfürstin von Sachsen; eine angekündigte Druckausgabe wahrscheinlich dieses Konzertes erscheint nicht.


    1768 Er bewirbt sich erneut um seine ehemalige Stelle in Halle, ohne Erfolg


    1770 Veräußerung eines Grundstücks seiner Frau zur Sicherung des Lebensunterhalts; Bewerbung um eine Organistenstelle in Wolfenbüttel


    1771 Bewerbung um eine Organistenstelle in Braunschweig, er wird beim Probespiel als bester anerkannt, bekommt die Stelle aber nicht.


    1773 Besuch bei Forkel in Göttigen, den er wegen der Biographie seines Vaters berät; Orgelkonzerte dort und in Braunschweig


    1774 Übersiedlung nach Berlin, mehrere Auftritte als Orgelvirtuose bis 1776


    1778 Widmung der Acht Fugen an Prinzessin Amalia von Preußen; er lässt sich dazu verleiten, gegen deren Kapellmeister Kirnberger zu intrigieren, was aber eine ungnädige Reaktion zur Folge hat. Außer der Großtante Felix Mendelssohns, Sara Levy, scheint er keine Schüler angenommen zu haben.


    1778/79 Arbeit an einer Oper Lassus und Lydie, die nicht vollendet wurde und nicht erhalten ist


    1779 vergebliche Bewerbung um eine Organistenstelle in Berlin


    1784 Tod an einer Lungenkrankheit in Berlin, Beisetzung auf dem Friedhof der Luisenstädtischen Kirche; der Friedhof existiert nicht mehr.


    Die genauen Wortlaute und Inhalte der Bewerbungen und Auseinandersetzungen finden sich bei Pickmann und ausführlich bei Falck. Ihre Lektüre und Falcks Kommentare legen nahe, daß Wilhelm Friedemann eine nicht mehr oder weniger "schwierige" Persönlichkeit war als Johann Sebastian, der z.T. ähnliche Konflikte mit Autoritäten hatte, deren Haltung ähnlich kleinlich-autoritär war - der Vater dürfte ihm ein entsprechendes Selbstwertgefühl als Künstler vermittelt haben, was u.U. wenig hilfreich war. Rezensionen von Zeitgenossen bestätigen seinen Ruf als größter Orgelvirtuose, vor allem Improvisator, seiner Zeit, was scheinbar die potentiellen Käufer wie Verleger seiner Noten abschreckte - obwohl mehrere Abschriften offenbar Druckvorlagen waren, erschien nur die eine Cembalosonate, von der nur wenige Exemplare verkauft wurden. Selbst Zelter ließ sich zu einem abfälligen Urteil hinreißen, W.F. hätte "den tic douloureux gehabt, original zu sein". Urteile über seine angeblich schwierige Persönlichkeit pflanzen sich ohne belegbare Quellen im 19. Jahrhundert fort. Dem gegenüber steht Carl Philipp Emanuels Aussage über den Bruder, er könne "den Vater besser ersetzen, als wir alle zusammen". Bei oberflächlicher Betrachtung seiner Kompositionen scheinen stilistisch ältere Elemente und seltsam anmutende Neuerungen unverbunden nebeneinander zu stehen; bei genaueren Betrachtung sieht es schon anders aus - dazu mehr bei den Besprechungen der einzelnen Werkgruppen. Um ein differenziertes Urteil über Wilhelm Friedemann Bach hat sich aber erst Martin Falck bemüht, über hundert Jahre nach dem Tod des Komponisten. Bis die kritische Werkausgabe fertig ist, werden weitere hundert Jahre vergangen sein.

  • Zitat

    Original von der Lullist
    ... und was besonders belustigte, war das - soweit ich mich erinnere - kein einziges Musikstück von W.F. Bach im ganzen Film zu hören war.


    Da liegst Du leider völlig richtig ...


    Zitat

    Die dicksten Klöpse waren aber dass Pachelbels Canon als Komposition Bachs ausgegeben wurde.
    Oder die Szene als er als Organist vorspielte und man ihm sagte, wenn er so spielen würde wie sein Vater hätte er die Stelle bekommen....
    (dabei hatte W.F. Bach die Fantasy BWV 542 in g-moll gespielt wenn ich mich recht erinnere :rolleyes: )


    Auch das stimmt; in dem sehr empfehlenswerten Buch im Dresdner Sandstein Verlag ist ein Beitrag von Manuel Gervink über den Film. Ich weiß nicht ob ich ihn oder den "Amadeus" für schlimmer halten soll! :rolleyes: Es stimmt, nichts, aber auch nichts, in diesem Film, genausowenig wie in Brachvogels Roman. Den hatten natürlich auch meine Eltern im Regal stehen aus der Vorkriegszeit - ich habe ihn dann irgendwann mit Genuß in den Kamin geworfen. Aber er ist unausrottbar - eine Suche im Internet-Antiquariat bringt jede Menge Exemplare zutage.


    Zitat

    ... und einer Abstrafung von höfischer Musik :" Dein Vater hätte sich im Grabe rumgedreht wenn er erfahren hätte das sein Sohn ein "Nymphenballett" komponiert..."


    Völlig frei erfunden! Abgesehen von dem Seitenwink mit dem Zaunpfahl des fünften Evangelisten - ich wüßte nicht, welches Werk damit gemeint sein könnte.

  • Zitat

    Original von der Lullist
    Den zweiten Kontakt hatte ich dann mit der phänomenalen Einspielung einiger Cembalostücke (Rousset)
    Ich war wirklich begeistert von dieser "Kühnheit" und Modernität dieser Musik.
    Und ich bin es immer wieder aufs Neue.


    Diese CD war auch für mich ein Schlüsselerlebnis, und ist mir immer noch eine der liebsten.


    Zitat

    Natürlich hat mich das Poco allegro der a-moll Sonate FK. nv8 sofort in den Bann gezogen.


    Ich hoffe nicht, dass jetzt eine Welt für Dich zusammenbricht - aber die Fantasie c-moll FK nv2 und die Sonate a-moll FK nv8 sind nicht von Wilhelm Friedemann Bach! Von der Fantasie weiß ich, daß sie von Johann Wilhelm Hässler (1747-1822) ist, 1767 in Leipzig gedruckt - viele Stücke von Hässler wurden in einer Sammlung W.F. Bach zugeschrieben. Anhand der von Hässler publizierten Drucke lässt sich das Gegenteil beweisen. Mir scheint Hässler allerdings von W.F. Bach beeinflusst, wenn auch seine gedruckten Stücke einfacher gestrickt sind im Vergleich.


    Viele Musiker scheinen noch nach älteren Druckausgaben zu spielen, die z.T. nicht authentische Werke enthalten - allein von der Fantasie c-moll habe ich vier Aufnahmen, die letzte davon in diesem Jahr veröffentlicht, obwohl seit Peter Schleunings Ausgabe der Fantasien bei Schott 1972 (!) bekannt ist, dass dieses Stück nicht von ihm ist!

  • nein keine Angst - nur weil ein Stück nicht von einem bestimmten Komponisten stammt ist es deshalb auf einmal weniger wert für mich.


    Gerade diese Musik die ich so schätze (also die französische Ballettmusik zwischen 1620 und 1660 ) kann teilweise gar keinem Komponisten zugeordnet werden - ich finde soetwas niemals tragisch, denn die Musik bleibt ja nach wie vor toll.



    :hello:

  • Hallo,


    von des "großen" Bachs Lieblingssohn [habe ich das korrekt in Erinnerung?] befinden sich folgende Werke in meiner Sammlung:



    Sinfonia D-Dur zur Kantate Dies ist der Tag F64
    moderntimes_1800 chamber orchestra



    Cembalokonzert D-Dur
    Christine Schornsheim, Cembalo
    Berliner Barock-Compagney


    sowie [ohne Cover]:


    Drei Sinfonien
    Sinfonie F-Dur F67
    Sinfonie F-Dur F64
    Sinfonie d-moll F65


    Kölner Kammerorchester
    Helmut Müller-Brühl


    koch-schwann CD 316012F1


    Ich muß allerdings gestehen, daß mich diese Musik nicht beeindruckt hat... außer einem ehrlichen "Jo, ganz nett..." fällt mir da nichts passenderes zu ein.


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zunächst einmal eine Riesenportion Dank, Lob und Anerkennung für den vorzüglichen Einstieg an Miguel.


    :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel:


    WFB wird sein von Brachvogel & Co. verbrochenes Image wohl auch demnächst noch nicht los geworden sein.
    Deshalb ist Miguels Beitrag auch bitter nötig gewesen, denn wenigstens im Internet steht er bis jetzt damit ziemlich einsam da.


    Die schon genannte Aufnahme mit Rousset ist wirklich ein Juwel.
    Trotzdem interessieren mich diese beiden, die ich noch nicht kenne, auch sehr:



    Darüber hinaus gibt es schon ein paar bessere als die von Ulli zitierten Einspielungen. In nächster Zeit werde ich sie mir wieder verstärkt zu Gemüte führen.

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Gerne schliess ich ich mich, was das Lob angeht, meinem Vorredner an und bedanke mich hiermit beim Themenstarter sehr herzlich für den ebenso kompetenten wie auch überaus notwendigen Beitrag über einen genialen, unterschätzten und immer noch bis auf den heutigen Tag fehlbewerteten Komponisten. Von den Werken, für die ich mein Voting abgeben wollte, ist leider nur noch diese Scheibe hier zu finden:



    Einspielung und Repertoirewert jedoch lohnen die Anschaffung allemal. Die Kantaten unter Hermann Max, bei Capriccio erschienen, scheinen nichtmehr so ohne Weiteres lieferbar zu sein, die Anschaffung lohnt sich aber unbedingt:


    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Wenn ich gewußt hätte, daß Miguel so einen hervorragenden Artikel zu WF schreibt, hätte ich mir den Friesenhagen, den ich mir soeben wegen CPE zugelegt habe, fast schenken können ;)



    Neben den beiden von Ulli schon genannten Einspielungen mit Müller-Brühl und moderntimes_1800 habe ich vom amerikanischen Pianisten Spiri eine CD mit Klavierwerken von WF Bach:



    Die Aufnahmen wurden auf einem modernen Klavier eingespielt.

  • Vielen Dank für die Vorschußlorbeeren, denn die meiste Arbeit kommt noch, die Vorstellung aller Werkgruppen und der Tonaufnahmen, und einiger Notenausgaben.
    Zu den genannten Aufnahmen, vor allem der neuen Naxos-Reihe, kommt bald etwas - ich werde mit den Werken Tasto solo anfangen, und da gehören die dazu. Ich bastle noch an einem System, um nicht immer alles wiederholen zu müssen - da die Werke oft durcheinandergewürfelt auf den CDs sind, werde ich den entsprechenden Teil des Werkverzeichnisses posten und dann die zugehörigen CDs mit einem Kürzel zur Bezugnahme - wobei ich keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebe. Zwei CDs sind noch unterwegs, zwei weitere fehlen mir noch und sind schwer aufzutreiben. Wenn ich die habe, sind alle ausschließlich W.F. Bach gewidmeten CDs in HIP in meiner Sammlung. Die CDs, die nur einzelne Stücke enthalten, sind ziemlich zahlreich, aber alle davon muß ich, denke ich, auch nicht haben. Wie immer gibt es viel Licht und Schatten, bei den erhältlichen wie den vergriffenen Aufnahmen.


    Ich bitte um etwas Geduld. :beatnik:

  • Ich möchte hier nur noch einmal kurz auf die o. g. Kantaten-Einspielungen mit Hermann Max verweisen, die beide aktuell erhältlich sind:




    enthalten sind die Kantaten:


    Vol. 1
    Lasset uns ablegen die Werke der Finsternis
    Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste


    Vol. 2
    Dies ist der Tag
    Erzittert und fallet

  • Dann fangen wir doch damit an! Mit der Vokalmusik, meine ich ...


    Quellen für alle Werkangaben:
    Martin Falck, Wilhelm Friedemann Bach (s.o.)
    Peter Wollny, Artikel "Wilhelm Friedemann Bach" in MGG (dank sei Hildebrandt!)
    Artikel über Wilhelm Friedemann Bach in der englischsprachigen Wikipedia mit BR-Nummern
    --------------------------------------------------------------------------
    BR = Bach Repertorium / Werkverzeichnis Wilhelm Friedemann Bach, von Peter Wollny (Carus Verlag, i.Vorb.)
    FK = Werkverzeichnis nach Martin Falck - ist keine FK-Nr. angeben, ist das Werk bei Falck nicht aufgeführt
    --------------------------------------------------------------------------


    Liturgische Werke - BR Abt. E


    BR E 1 - Messe in g-moll (FK 100) S A T B, Streicher, b.c.
    BR E 2 - Messe in d-moll (FK 98 ) S A T B, Streicher, b.c.
    BR E 3 - Heilig ist Gott der Herr Zebaoth D-dur (FK 78a) S A T B, 2 Tp, Pk, Streicher, b.c.
    BR E 4 - Agnus Dei d-moll (FK 98b, Parodie nach FK 98/5) S A T B, Streicher, b.c.
    Zwei Chorsätze:
    BR E 5 - Amen
    BR E 6 - Halleluja
    (FK 99, Parodie nach BR E2 / FK 98/5 und BR F 6 / FK 74/2) S A T B, 2 Tp, Pk, Streicher, b.c.
    BR E 7 - Lobet Gott, unsern Herrn Zebaoth D-dur (FK 78b; Parodie von BR E 3 / FK 78a) S A T B, 2 Tp, Pk, Streicher, b.c.
    ----------------------------------------------------------------------


    Von all diesen Stücken ist meines Wissens keine einzige Aufnahme auf Tonträger erschienen; ob die Noten auffindbar sind, entzieht sich meiner Kenntnis. Die beiden Chorsätze gehörten zu den Beständen der Berliner Singakademie und sind vielleicht mit der Rückkehr des Archivs wieder verfügbar.


    Entstanden sind die liturgischen Werke wahrscheinlich für den eigenen Gebrauch in Halle.

  • Von Wilhelm Friedemann habe ich bisher nur die oben bereits lobend erwähnte Rousset-Einspielung:



    [auf dem Photo sieht Rousset aus wie der junge Götz Alsmann ohne Brille ... :D ]


    Bislang ist der Funke nicht zu mir übergesprungen. Obwohl es sich bei dem Cembalo nicht um ein Exemplar des historisch nur sehr unzulänglich informierten Nähmaschinen-Typus handeln dürfte, nervt mich der Sound immer noch. Mir darf man so was gerne aufm Steinway vorspielen. :untertauch:
    Tja, und dann gingen bereits bei Track Nr. 1 bei mir die Rollläden 'runter: Sonate a-moll, 1. Satz (Poco allegro) - hab' ich das nicht bereits bei Couperin gehört ("La Favourite")?


    Sicher ziemlich ungerecht von mir; also werde ich Johann Sebastians Ältestem sicher noch mal 'ne Chance geben.


    Viele Grüße


    :hello:

  • Zitat

    Original von Kontrapunkt
    Mir darf man so was gerne aufm Steinway vorspielen. :untertauch:


    Dann ist die CD von Anthony Spiri z.Zt. die einzige Option:



    Gar nicht mal teuer ... Spiri hat den richtigen Draht zu dieser Musik, allerdings finde ich, dass der moderne Flügel die netten Exzentrizitäten der Stücke etwas zu sehr glättet, wie halt allgemein der Fall. Aber wer es unbedingt auf einem Steinway hören will, ist mit Spiri sehr gut bedient.

  • Zitat

    Original von Kontrapunkt
    Tja, und dann gingen bereits bei Track Nr. 1 bei mir die Rollläden 'runter: Sonate a-moll, 1. Satz (Poco allegro) - hab' ich das nicht bereits bei Couperin gehört ("La Favourite")?


    Meinst Du La Favorite aus dem Troisième Ordre? Das ist doch nur entfernt ähnlich ... Lange galt eine Allemande für zwei Cembali von Couperin als ein Werk Wilhelm Friedemanns, bis es endlich jemand gemerkt hat ... :rolleyes:
    Couperin hat er natürlich durch seinen Vater auch kennengelernt und studiert - wäre ein Wunder, wenn da nichts hängengeblieben wäre. Aber davon hat er sich schnell gelöst. Ansonsten steht seine Cembalomusik ziemlich einzigartig im 18. Jahrhundert da.


    Zitat

    Sicher ziemlich ungerecht von mir; also werde ich Johann Sebastians Ältestem sicher noch mal 'ne Chance geben.


    Wie man inzwischen weiß, ist die Sonate a-moll, Falck nv8 nicht von Wilhelm Friedemann Bach, wie ich schon weiter oben erwähnt habe - also solltest Du ihm wirklich noch eine Chance geben! Im Vergleich ist zu seinen anderen Sonaten ist sie auch etwas einfacher gebaut - selbst die Sätze der Suite in g-moll Falck nv24, die einigermaßen sicher von ihm ist und wahrscheinlich ein frühes Werk, sind da schon typischer. Viele Stücke von Hässler sind ein einer Sammlung W.F. Bach zugeschrieben worden - bei der Cembalo- und Orgelmusik ist durch die kritischen Nachforschungen Peter Wollnys vom Leipziger Bach-Archiv für das aktualisierte Werkverzeichnis, das seit Jahren im Carus Verlag angekündigt ist, der Bestand wieder geschrumpft.

  • Kirchenkantaten:


    BR F 1 \ Lasset uns ablegen die Werke der Finsternis (F 80)
    BR F 2 \ O Wunder ! wer kann dieses fassen? (F 92)
    BR F 3 \ Ach, daß du den Himmel zerrissest (F 93)
    BR F 4 \ Ehre sei Gott in der Höhe (F250)
    BR F 5 \ Der Herr zu deiner Rechten (F 73)
    BR F 6 \ Wir sind Gottes Werk (F 74)
    BR F 7 \ Wie schön leuchtet der Morgenstern (F 82)
    BR F 8 \ Kantate für den Palmsonntag (verloren)
    BR F 9 \ Erzittert und fallet (F 83)
    BR F10 \ Auf, Christen, posaunt
    BR F11 \ Gott fähret auf mit Jauchzen (F 75)
    BR F12 \ Wo geht die Lebensreise hin? (F 91)
    BR F13 \ Wer mich liebet, der wird mein Wort halten (F 72)
    BR F14 \ Dies ist der Tag (F 85)
    BR F15 \ Ertönt, ihr seligen Völker (F 88 )
    BR F16 \ Ach, daß du den Himmel zerrissest
    BR F17 \ Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste (F 89)
    BR F18 \ Der Herr wird mit Gerechtigkeit (F 81)
    BR F19 \ Ach Gott vom Himmel, sieh darein (F 96)
    BR F20 \ Introduzzione delle predicazione del Catechismo / Wohl dem, der den Herren fürchtet (F 76)
    BR F21 \ Wie ruhig ist doch meine Seele (F 77) (verloren)
    BR F22 \ Der Höchste erhöret das Flehen der Armen (F 86)
    BR F23 \ Verhängnis, dein Wüten entkräftet die Armen (F 87)
    BR F24 \ Auf, Christen, posaunt (F 95)
    BR F25 \ Dienet dem Herrn mit Freuden (F 84)
    BR F26 \ Der Trost gehöret nur für Kinder
    BR F27 \ Zerbrecht, zerreist, ihr schnöden Banden (F 94)
    BR F28 \ Laß dein Wehen in mir spielen
    BR F29 \ Gnade finden (F 79) (Fragment)


    Diese Stücke sind wahrscheinlich alle für den eigenen Gebrauch in Halle entstanden; sie lehnen sich an die verschiedenen Formen der von seinem Vater geschriebenen Kantaten an - einige von dessen Stücken, z.B. BWV 51 Jauchzet Gott in allen Landen hat er auch mit selbst hinzukomponierten Trompeten- und Paukenstimmen aufgeführt. Diese Fassung hat Reinhard Goebel mit der Musica Antiqua Köln und Christine Schäfer 1998 aufgenommen:



    Zuverlässige Notenausgaben der Kantaten W.F. Bachs erscheinen nach und nach im Carus Verlag, bisher:


    - Dies ist der Tag BR F14 \ FK 85, Carus 32.105
    – Erzittert und fallet BR F 9 \ FK 83, Carus 32.103
    – Lobet Gott, unsern Herrn Zebaoth BR E 7 \ Fk 78b, Carus 32.101
    – Wohl dem, der den Herren fürchtet BR F20 \ Fk 76, Carus 32.076

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  • Moderne Notenausgaben sind nur von wenigen Kantaten erschienen; die Noten liegen zum größten Teil in Berlin oder Dresden, haben aber z.T. Wasserschäden erlitten und sind nur mühsam zu entziffern bzw. müssen rekonstruiert werden. Wahrscheinlich ist dies der Grund, warum überhaupt nur vier dieser Kantaten jemals auf CD eingespielt wurden:



    Vol. 1
    Lasset uns ablegen die Werke der Finsternis BR F 1 / Falck 80
    Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste BR F 17 / Falck 89


    Vol. 2
    Dies ist der Tag BR F 14 / Falck 85
    Erzittert und fallet BR F 9 / Falck 83


    Die Interpretation durch Hermann Max und das Kleine Konzert ist wie immer erstklassig. Die Stücke stellen einige Ansprüche and Solisten, Chor und Orchester - da finden sich virtuose Flötenobligati, sehr schöne und ungewöhnliche Orgelbegleitungen zu Arien - die hier auch auf einem adäquaten Instrument dargeboten werden! Trotz der personellen Schwierigkeiten, die in Halle noch wesentlich größer als beim Vater in Leipzig gewesen sein müssen, konnte sich Wilhelm Friedemann offensichtlich ein leistungsfähiges Ensemble für die Aufführung seiner Kirchenmusik zusammenstellen - ob es seine Arbeitgeber zu würdigen wussten, ist eher fraglich. Die Stücke sind keineswegs so zurückhaltend, wie man es im konservativen Halle erwartet hat, sondern eher an den prunkvollsten des Vaters und der Desdner Hofkirchenmusik orientiert.
    Peter Wollny hat einen sehr lesenswerten Begleittext für diese beiden CDs verfasst - er hat überhaupt die meisten W.F. Bach CDs der letzten 15 Jahre kommentiert, da er der ausgewiesene Experte ist (auch die Texte der beiden folgenden CDs sind von ihm).


    Die Sinfonia zu BR F 14 hat W.F. Bach wohl auch einzeln verwendet; Concerto Köln und Tafelmusik haben sie einzeln aufgenommen - sie trägt dann die Werknummer BR C 8 / Falck 64:



    Drei weitere dieser Sinfonias hat Hartmut Haenchen in mühsamer Arbeit aus wassergeschädigten Noten rekonstruiert, die zu den Kantaten:
    BR F 12 \ Wo geht die Lebensreise hin? (Fk 91)
    BR F 2 \ O Wunder ! wer kann dieses fassen? (Fk 92)
    BR F 15 \ Ertönt, ihr seligen Völker (Fk 88 )


    Zu hören auf dieser CD mit dem Kammerorchester mit Namen des Bruders (moderne Instrumente, leichtes Vibrato, aber gut gespielt - in zwei verschieden aussehenden Auflagen erschienen):



    Alle drei Orchester-CDs enhalten außerdem eines der bekanntesten Orchesterstücke von Wilhelm Friedemann, Adagio und Fuge (oder Sinfonia) d-moll BR C 7 / Falck 65, für zwei Traversflöten, Streicher und Continuo - für mich eine der beeindruckendsten Orchesterfugen. Die Aufnahme von Concerto Köln ist hier mein Favorit (es gibt noch weitere Aufnahmen, auf die ich bei der Vorstellung der Orchesterwerke zu sprechen kommen werde). Auch von diesem Stück vermutet man, daß es als Kantatensinfonie gedient haben könnte - wenn, dann ist es eine äußerst bemerkenswerte!

  • Zitat

    Original von miguel54


    Meinst Du La Favorite aus dem Troisième Ordre? Das ist doch nur entfernt ähnlich ... Lange galt eine Allemande für zwei Cembali von Couperin als ein Werk Wilhelm Friedemanns, bis es endlich jemand gemerkt hat ... :rolleyes:
    Couperin hat er natürlich durch seinen Vater auch kennengelernt und studiert - wäre ein Wunder, wenn da nichts hängengeblieben wäre. Aber davon hat er sich schnell gelöst. Ansonsten steht seine Cembalomusik ziemlich einzigartig im 18. Jahrhundert da.


    Ja, genau. Ich habe da eine Couperin-CD mit Bob van Asperen, die ich mir gekauft habe, nachdem ich "La Favorite" im Radio gehört hatte. :D
    Der "Refrain" klingt mir bei beiden Stücken aber schon ähnlich.


    Zitat


    Wie man inzwischen weiß, ist die Sonate a-moll, Falck nv8 nicht von Wilhelm Friedemann Bach, wie ich schon weiter oben erwähnt habe - also solltest Du ihm wirklich noch eine Chance geben!


    Interessant. Ich werde es mal weiter mit der CD von Rousset versuchen und zwar mit den Fugen, auch wenn Wilhelm Friedemann da noch nicht so recht aus dem Schatten seines Vaters getreten sein sollte. Schließlich liebe ich Fugen schon sehr.


    Viele Grüße


    :hello:

  • Abt. G: Weltliche Vokalmusik:


    BR G 1 \ O Himmel, schöne Frau (Kantate) (Fk 90)
    BR G 2 \ Lausus und Lydie (Fk 106) (Oper, unvollendet, verloren)


    Abt. H: Lied
    BR H 1 \ Cantilena nuptiarum consolatoria (Fk 97)


    An der Oper Lausus und Lydie hat W.F. Bach während seiner letzten Lebenszeit in berlin gearbeitet - über seine Motive für diese Komposition ist nicht bekannt, erhalten ist von diesem Fragment gebliebenen Werk nichts.


    BR G 1 wurde für eine Universitätsfeier in Halle zum Geburtstag Friedrichs II. am 24. Januar 1758 geschrieben, für 4 Vokalisten, Trompeten, Pauken, 2 Flöten, Streicher und B.c.


    BR H 1 ist ein Hochzeitslied für Sopran und Cembalo; es befand sich im Besitz der Berliner Singakademie und ist seit 1945 verschollen - offensichtlich hofft man, daß es unter den in Kiew wiedergefunden Noten wieder auftaucht. Es ist eine Bearbeitung des Mittelsatzes des ebenfalls verschollenen Concerto für Cembalo solo in G Dur (BR A 13 \ Fk 40), was es doppelt interessant macht.



    Abt. I: Verschiedenes
    BR I 1 \ Canons & Studien für Orgel (Fk 39)
    BR I 2-5 \ 4 Tripel Canons für Orgel (Fk 212)
    BR I 6 \ Fugal exposition für Orgel in C Dur (Fk 35)
    BR I 7 \ Fugenexposition über B-A-C-H für Orgel (Fk 210)
    BR I 8 \ Abhandlung vom harmonischen Dreiklang (verloren)


    Die theoretische Abhandlung vom harmonischen Dreiklang war in einer Zeitung angekündigt, ist aber wie fast alles dann nie erschienen. Die hier angeführten Orgelwerke haben theoretisch/pädagogischen Charakter und wurden deshalb in den mir bisher bekannten Tonträgeraufnahmen seiner Orgelwerke nicht berücksichtigt.

  • na, dann poste ich nach hinweis auf diesen thread (danke, ulli), meine meinung und frage nochmals hier:


    bei mir einer, den ich - trotzdem er so oft als genialisch und rebellisch bezeichnet wurde - (ancheinend zu unrecht, wie ich nun las) immer eher als recht einfach und eher einfallslos betrachtet habe ... ich schließe mich da ulli an, recht hübsch, mehr nicht ...(oder kenn ich nicht das richtige)??


    wilhelm friedemann bach: sinfonische musik


    hartmut hänchen dirigiert das kammerorch. cpe bach (hänssler).


    das beste ist die sinfonia zur auferstehungskantate (klingt auch am meisten nach dem papa sel.)


    von der sog. dissonanzensinfonie hab ich mir viel mehr erwartet ... da gibts doch viel, viel kühneres aus damaliger zeit


    viell. ist aber auch das spiel des cpe-orch. einfach zu glattgebügelt a la rondo veneziano ...


    dennoch: was ist denn nun wirklich dran am friedemann?

    --- alles ein traum? ---


    klingsor

  • Die Haenchen-CD habe ich weiter oben abgebildet. Vom Hocker reißt sie mich auch nicht - Bei WF spürt man wie sich die barocken Formen allmählich überleben bzw. schon ausgedient haben, vielleicht hat er auch deshalb die Stelle in Darmstadt nach Graupners Tod nicht angetreten, weil er sich nicht in die überholten Rollenmuster fügen wollte und/oder konnte. Seine wenigen Kompositionen in alten höfischen Musikgattungen wie diese Sinfonia, die in meinen Ohren eher wie ein halb fertiger Zwitter mit Elementen einer Suite klingt, wahrscheinlich auch als instrumentale Einleitung eines Kirchenwerkes diente und ohne dieses seines thematischen Bezugs beraubt ist, spiegeln dieses Unentschiedene wider, sind weder Fisch noch Fleisch. Manchmal, wie in den Konzerten, kommen da faszinierende Eigenwege heraus. Aber diese Sinfonia, die ihren überkandidelten Titel "Dissonanzen-Sinfonie" natürlich nicht vom Komponisten hat, führt irgendwie nirgendwo hin - von den ersten frühklassischen Gehversuchen zur größeren Form ist sie weit entfernt. Wäre da noch ein schneller Schlußsatz, der das thematische Material zusammenbringt ... so wie sie ist wirkt sie auf mich unfertig. Auch ein Umstellen der Sätze, denn das melancholische Menuett schließt das Stück nicht wirklich ab, per Programmiertaste, bringt nicht viel. Das an dritter Stelle stehende Allegro hat auch keinen Schlußsatzcharakter. Da hat Bruder C.P.E. interessantere Sinfonien in Richtung Sturn und Drang geaschrieben, und Bruder Johann Christian unbeschwerteres, das Mozart inspirieren konnte. Nicht sein stärkstes Werk.


    Wir wissen ja nicht, was alles verloren ist - aber es sieht alles in allem so aus, als ob er größer besetztes immer für konkrete Anlässe geschrieben hat, und deren gab es außer für den Kirchenmusikbetrieb in Halle nicht so viele. Wir haben keine Ahnung, wer seine Konzerte z.B. konkret aufgeführt haben könnte. Vielleicht die Kollegen in Dresden, während seiner Zeit dort? Die Berliner in den späten Jahren haben schon viel galanter als er geschrieben. Diese anspruchsvollen Stücke fordern gute Musiker; Datierungen sind auch schwierig. Als Einleitungssinfonia für ein Kirchenstück macht diese Sinfonia für mich Sinn - aber was danach kam, wissen wir nicht. Es könnte durchaus auch ein Werk des Vaters oder eines anderen Komponisten gewesen sein. (Auch die Sinfonia BR C 8 / Falck 64, die nachweislich zur Kantate Dies ist der Tag BR F 14 / Falck 85 gehörte, hat er einzeln verwendet; CDs sind weiter oben angeführt.)


    Diese Sinfonia wurde auch von Tafelmusik und der Akademie für Alte Musik Berlin eingespielt und wirkt dort wesentlich beschwingter und konsequenter als bei Haenchen mit dem etwas zäheren Klang seines Orchesters. Ich werde beide CDs später anläßlich der Vorstellung der "Orchesterwerke" ausführlicher vorstellen.


  • Zitat

    Original von miguel54
    Abt. G: Weltliche Vokalmusik:


    BR G 1 \ O Himmel, schöne Frau (Kantate) (Fk 90)


    Nachtrag zu diesem Werk aus Friedemanns Hallenser Zeit: Es gilt inzwischen als sicher, daß es als Kantate zur Feier des Geburtstags Friedrichs des Großen im Januar 1758 entstand.

  • Auf die CD von Anthony Spiri muß ich noch einmal zurückkommen:



    Wie gesagt, Spiri hat den richtigen Draht zu dieser Musik, nur sind fast die Hälfte der Musik auf dieser CD, 29 von 62einhalb Minuten, nicht von Wilhelm Friedemann Bach, sondern von Johann Wilhelm Hässler (1747-1822) ...


    Die Geschichte dahinter ist folgende: Im Besitz der Staatsbibliothek Berlin finden sich etliche Handschriften mit Werken von Mitgliedern der Bach-Familie, die Martin Falck, als dessen maßgebliche Biografie 1913 erschien, z.T. nicht bekannt waren. Paul Kast hat sie alle gesichtet und 1963 eine detaillierte Aufstellung publiziert (Die Bach-Handschriften der Berliner Staatsbibliothek. Tübinger Bach- Studien, hg.v. Walter Gerstenberg, Heft 2/3). Eines der Manuskripte aus dem Besitz eines H.E. Wiedemann mit der Nummer P.883 trägt den Titel "I Fantasia VI Sonate & I Arietta con Variazioni per il Cembalo" - von u.U. anderer Hand steht dabei "Wilh. Friedemann Bach". Paul Horn hat diese Stücke 1981 im Rahmen der Stuttgarter Bach-Ausgaben der Hänssler Edition veröffentlicht.
    Was Horn und allen Interpreten, die nach dieser Ausgabe oder einer Kopie des Berliner Manuskriptes spielen, entgangen ist: Alle diese Stücke sind (mit einem unterschiedlichem, in P.883 unvollständigen Sonatensatz und zweien, die im Manuskript fehlen) 1776 von Hässler in Leipzig veröffentlicht worden - weshalb Peter Schleuning die c-moll Fantasie (der Paul Kast die Nummer Falck nv2 gab) nicht in seine bereits 1974 (!) im Mainzer Schott Verlag erschienene kritische Ausgabe der Clavierfantasien W.F. Bachs aufgenommen hatte und Peter Wollny sie in seiner Dissertation 1993 nicht in das revidierte Werkverzeichnis aufnahm, das man auch in der zweiten Ausgabe der MGG und des New Grove Dictionary of Music and Musicians nachlesen kann. Auch im Werkverzeichnis des Buches zum Dresdner Symposion (s.o.) stehen sie nicht mehr.
    Ich konnte inzwischen Kasts Buch einsehen und Horns Notenausgabe endlich bei einem Amsterdamer Musikalienhändler auftreiben (der sie selbst mit einem Vermerk versah, dass sie von Hässler sind!) und so den ganzen Irrtum nachvollziehen.
    Spiri ist in guter Gesellschaft: Auch Christophe Rousset spielt auf seiner oben erwähnten CD die Fantasie Falck nv2 und Sonate nv8, die von Hässler sind; Maude Gratton auf ihrer brandneuen CD bei Mirare wie auch Brown auf ihrer CDs bei Naxos und Harald Hoeren auf seiner CD bei CPO mit den Polonaisen spielen die Fantasie nv2, Spiri außer ihr noch zwei Sonaten ..... So sehr ich all diese Interpreten schätze oder zumindest respektiere, frage ich mich, wie man sowas übersehen kann, da alle eigentlich auf dem neusten Stand der Forschung sein und Schleunings Ausgabe der Fantasien kennen könnten ... alle CDs sind nach dem Erscheinen von Schleunings Ausgabe eingespielt worden. Fünf Einspielungen eines nachweislich nicht von diesem Komponisten stammenden Stücks unter seinem Namen ... da setzt sich die Welle der Fehlurteile hartnäckig bis in die neuste Zeit fort ... Welch Ironie, wenn einzelne Textheftautoren gerade in dieser c-moll Fantasie ein Beispiel für Friedemanns kompositorische Genialität sehen ...


    Bei näherer Betrachtung und Analyse der Stücke finde ich auch, dass sie im Vergleich zu den Friedemann sicher zuzuschreibenden Stücken eine oder zwei Nummern einfacher gestrickt sind - Hässler war ein erfolgreicher Klavierpädagoge und wußte offensichtlich den Fähigkeiten seiner potentiellen Käufer gemäß zu schreiben, was Friedemann nie gekümmert hat, weshalb seine Musik als "schwierig" galt - eine Reduktion der linken Hand auf Begleitfunktionen, wie sie bei Hässler dominiert, findet man bei ihm selten, und schon gar keine Alberti-Bässe, wie sie in der von Spiri eingespielten D-Dur Sonate zu hören sind. Friedemann ist ein echter Sohn seines Vaters und schreibt "beidhändige" Musik - die Inventionen etc. des Papas, die er schon als Knabe bewältigte, legen beredtes Zeugnis seiner Schulung ab. Inzwischen kann man einige Stücke aus dem "Clavierbüchlein" sicher ihm zuordnen oder von Gemeinschaftsarbeiten von Vater und Sohn ausgehen.

  • Zitat

    Original von miguel54


    Nachtrag zu diesem Werk aus Friedemanns Hallenser Zeit: Es gilt inzwischen als sicher, daß es als Kantate zur Feier des Geburtstags Friedrichs des Großen im Januar 1758 entstand.


    Nachtrag:
    Der Titel der Kantate lautet richtig O Himmel, schone - damit konnte jemand wohl nichts anfangen und hat die Frau ergänzt und den Vokal angepasst.

  • Zitat

    Original von miguel54
    Paul Horn hat diese Stücke 1981 im Rahmen der Stuttgarter Bach-Ausgaben der Hänssler Edition veröffentlicht.


    Ergänzung: Das war die zweite Auflage - zuerst erschien diese Ausgabe 1960 - das erklärt, warum Horn die Erkenntnisse Schleunings über die Autorschafts Hässlers an den Stücken in diesem Manuskript noch nicht kennen konnte.

  • Ich hole diesen Thread nochmal hervor, auch um daran zu erinnern, dass 2010 ja auch ein Bach-Jahr ist. Wilhelm Friedemann Bach wurde vor 300 Jahren, am 22.11. in Weimar, geboren.


    Bin gerade dabei die Reihe von 4 CDs, die den Bach Söhnen gewidmet ist und vom Freiburger Barockorchester für Carus eingespielt wurde, auf meinen iPOD zu transferien. Und schlage mich gerade mit der ordentlichen Betitelung und Numerierung der Werke herum (von wegen Bach Repertorium und Falck-Verzeichnis).


    Was ich dabei parallel bislang von WF Bach gehört habe, macht mich neugierig, mehr zu erfahren und zu hören.



    Gruß enkidu2

    Nach Schlaganfall zurück im Leben.

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