Eine der apartesten Erscheinungen im Mezzofach, die nach dem 2. Weltkrieg ihre große Karriere startete, war zweifelsohne die in Polen geboren Ukrainerin Ira Malaniuk.
Und obwohl sie ihre künstlerische Anwesenheit auf München und Wien aufteilte (und nebenbei in Zürich wohnte), muss man sie doch als eine der Unseren nennen.
Ich traf sie, mit einem Opernfreund, in einem traditionellen Wiener Stadtcafé an einem milden Novembernachmittagtag, im Jahr 1986, mit ihr.
"Ich hoffe, Sie erkennen mich noch", waren ihre letzten Worte, am Telefon und ich habe das Café schnell gefunden und ich wartete nun.
Ich gedachte vor allem meiner Lieblingspartie von ihr, der Adelaide, der Mutter Arabellas, in der gleichnamigen Straussoper.
Durch mehr als zwei Jahrzehnte war sie hierhin mit Lisa della Casa, Anneliese Rothenberger und Hilde Güden, Otto Edelmann, George London und Dietrich Fischer-Dieskau die Inkarnation dieser verarmten Adeligen im mattgoldenen Schimmer des ersterbenden fin de siècle gewesen.
Unvergessen ist da der 2. Akt, als sie mit Arabella die Eingangstreppe zum Ballsaal herunterkommt - zwei Bühnenerscheinungen, die immer alles rundherum verblassen ließen und einmal mehr demonstrierten, dass man trotz Verarmung immer eine grande dame sein kann.
Eingesponnen in diesen meinen vergangenheitsbezogenen Gedanken, öffnet sich die Türe, und herein kam eben jene Adelaide, pardon Kamersängerin Ira Malaniuk, und es erschien mir die Zeit der letzten 20 Jahre überhaupt nicht existiert zu haben.
Dieselbe Erscheinung, eine Mischung aus stiller Bescheidenheit und herzlichem Wesen - quasi eine glückliche Vereinigung von slawischen Blut mit mitteleropäischer Kultur trat mir entgegen, und wie selten zuvor bei einem Gespräch war die menschliche Brücke zu meinem Vis-à-vis sofort geschlagen.
Gegen Kriegsende, als der Zusammenbruch des Deutschen Reiches nur mehr eine Frage der Zeit schien, gelangte Ira Malaniuk nach einem Vorsingen in Breslau nach Wien, wo sie ab 1944 ihre weitere Stimmausbildung bei der berühmten Kammersängerin Bahr-Mildenburg genoss. Auf der Suche nach einem Engagement sang sie zunächst in Graz vor - doch scheinbar ohne Erfolg. Und so war ihre nächste Station Linz, wo man sofort bereit war, sie unter Vertrag zu nehmen.
Doch wie ein Deus ex machina erschien eines Tages der ehemalige Bürgermeister von Graz, Dr. Speck, und eröffnete ihr, dass ihr damaliges Vorsingen eine Initiative ausgelöst habe, sie sofort nach Graz zu holen. Und so wurde die steirische Landeshauptstadt die erste künstlerische Heimat der jungen Mezzonachwuchshoffnung und zugleich ihr Sprungbrett für ihre weitere große Karriere.
Ihre ersten beiden großen Partien waren ebendort die Azucena im "Troubadour" im italienischem und die Dorabella in "Cosi fan tutte" im deutschen Fach.
Der eigentliche künstlerische Durchbruch erfolgte aber mit dem Cherubin an der Seite mit Maria Cebotari in Mozarts "Hochzeit des Figaro" anlässlich der Grazer Festspiele.
Ihre nächste Station in der Karriere von Ira Malaniuk begann 1947 mit einem Engagement an das Züricher Opernhaus, für Nachkriegsbegriffe also ins schweizerische Schlaraffenland, wo sie fünf Jahre blieb und schon mit den größten Dirigentenpersönlichkeiten wie Furtwängler und Knappertsbusch arbeiten konnte.
Ganz entscheidend für ihre weitere sängerische Entwicklung war aber die Begegnung mit dem deutschen Regisseur Hartmann, der maßgeblichen Anteil am nächstfolgenden Engagement nach München hatte. Die bayrische Landeshauptstadt sollte von diesem Zeitpunkt an (dann später mit Wien) die künstlerische Heimat von Ira Malaniuk werden.
Speziell in München sang sie alle großen Rollen ihres Faches - vom deutschen Spielmezzo über Carmen, Eboli, Orpheus bis hin zu den Strausspartien konnte sie mit ihrer slawischen, sehr fraulich timbrierten Mezzostimme begeistern.
Zu Beginn der 50er Jahre erfolgte dann die Berufung zu den Bayreuther Festspielen, wo sie sensationellerweise kurzfristig für die absagende Elisabeth Höngen als Fricka einsprang.
1951 war sie die Idealbesetzung der Magdalena in Karajans "Meistersinger"- Produktion, im darauffolgenden Jahr wirkte sie in dessen Premiere von "Trstan und Isolde" als Brangäne mit, gemeinsam mit Martha Mödl, Ramon Vinay, Hans Hotter und Ludwig Weber - eine Produktion die man auch auf LP/CD nachempfinden kann, und die zum ersten Mal den Neo - Bayreuth - Geist erahnen lässt, mit einem Wort: Musiktheater in voller Vollendung!
1952 war Ira Malaniuk wider Fricka Im "Ring des Nibelungen" unter den Dirigenten Joseph Keilberth, Hans Knappertsbusch und Clemens Krauss. Diese Bayreuther Tätigkeit legte auch den Grundstein für die internationale Karriere, die sie mit den sogenannten Wagnerproduktionen an die großen Opernhäuser in aller Welt führen sollte.
Die Bindung an Wien war eigentlich durch ihre Zusammenarbeit mit Karajan in Bayreuth begründet, und er war es auch, der sie zunächst als Venus im "Tannhäuser" an die WSTO berief.
Ab diesem Zeitpunkt wohnten im künstlerischen Herzen von Ira Malaniuk (um es in Dichterworten auszudrücken) "zwei Seelen, ach, in ihrer Brust", und heute müssen wir Wiener nur bedauern, dass wir sie auf Grund der Präsenz von Giulietta Simionato hauptsächlich nur im deutschen Fach hören konnten - es ist uns einiges entgangen!
Gegen Ende ihrer Karriere berief sie der damalige Volksoperndirektor Moser nach ans Haus am Währinger Gürtel, wo sie im Spielmezzofach ("Wildschütz", "Lustige Weiber von Windsor") und in der Operette als Palmatica im "Bettelstudent" auch ihr komödiantisches Talent voll zur Entfaltung bringen konnte.
Im Gespräch kam es dann, dass Ira Malaniuk in Graz Professorin im Fach Kunstlied weiter Erfüllung gefunden hatte, das war aber bitte vor 20 Jahren.
Auch kamen wir darauf zurück, dass sie eigentlich alle Partien ihres Faches gesungen hatte, meinte sie:
"Doch, eine Rolle hätte ich liebend gern gesungen, aber da hätte ich Sopran sein müssen: die Leonore im "Fidelio".
Ich glaube, das sagt alles zur menschlichen Göße und Humanität von Ira Malaniuk aus - einer der "stillen", aber doch sehr geliebten Großen auch in unserem Haus, der Wiener Staatsoper.