Haben Listen einen Wert?

  • Was ist der Wert von Listen? Eigentlich hat Liebestraum mich schon öfter mit dieser Frage konfrontiert.


    Ich sah wieder eine "Liste" mit den 100 besten Tenore des zwanzigsten Jahrhundert. Wer die zusammengestellt hat, weiß ich nicht.
    Um ganz klar zu machen, was ich meine, werde ich einige Namen aus der Liste geben:
    1 Enrico Caruso
    2 Alfredo Kraus
    3 Fritz Wunderlich
    4 Francisco Araiza
    5 Jussi Björling
    6 Beniamino Gigli
    7 Placido Domingo
    8 Richard Tauber
    9 Roberto Alagna
    10 Giuseppe di Stefano


    Abgesehen von Alagna finde ich jedenfalls von diesen Sängern, daß sie zu den ganz großen gehören.
    Die Liste geht aber weiter. Und auf Nummer 23 sehe ich dann plötzlich eine Name, die mich die Brauen heben läßt: Mario del Monaco. Sofort gefolgt von Peter Schreier!
    Kollo steht übrigens auf Platz 55, also unter u.a. Jerusalem, Windgassen und Schock.


    Benno Kusche bekleidet Platz 59. :D:D:D


    Leopold Simoneau auf Platz 70?? Und Robert Tear sowohl Platz 58 als 88??
    Die Liste endet mit Nummer 100. Da steht... Johannes Heesters.


    Ich vermute, daß die Liste durch Amateure zusammengestellt wurde. Die Tatsache, daß Benno Kusche hier steht, und daß Robert Tear zweimal erwähnt wurde, sagt mir alles.


    Die Antwort auf die Frage "Was ist der Wert von Listen?" ist also "Der Wert ist nur bedingt". Sie sind ein Hilfsmittel. Nichts mehr.


    LG, Paul

  • Zitat

    Original von musicophil
    Die Antwort auf die Frage "Was ist der Wert von Listen?" ist also "Der Wert ist nur bedingt". Sie sind ein Hilfsmittel. Nichts mehr.


    Lieber Paul,


    Den Wert einer Liste bestimmt, wer sie für wen mit welchen Kriterien angefertigt hat. Nur wenn ich die Kriterien kenne, kann die Liste mir helfen.


    Liebe Grüße Peter

  • Zitat

    Original von musicophil
    [..]
    Die Antwort auf die Frage "Was ist der Wert von Listen?" ist also "Der Wert ist nur bedingt". [..]


    Entscheidend scheint mir zu sein, welche kriterien für die Rangfolge einer Liste herangezogen wurde. Ich kann zwischen subjektiven und objektiven Kriterien unterschieden werden.


    Als objektive Kriterien bezeichne ich Merkmale des Aufzuzählenden, die belegbar sind und vor allem einen Zahlenwert aufweisen. Wer verkaufte die meisten CDs, wer sang Aida am öftesten, wer gewann welchen Wettbewerb mit welcher Punktzahl. All das sind Merkmale, nach denen wunderbar und gänzlich objektiv gelistet werden kann. Solche Listen sind zwar von ihrem Informationsgehalt eher schmalbandig, aber bezüglich dieses einen Kriteriums eindeutig. Gerade diese Eindeutigkeit steigert aber den Wert ganz erheblich.


    Subjektive Kriterien scheinen mir jene zu sein, die ich eben nicht quantifizieren kann. Wer sang am bewegensten, welcher Komponist war der bedeutendste, welches sind die beeindruckendsten Requien. Hier kann als Unterscheidungsmerkmal fast nur die subjektive Empfindung und Wahrnehmung eingesetzt werden, und genau deswegen sind diese Listen extrem different, je nach demjenigen, der sie aufstellt. Solche Listen scheinen mir ein guter Start in eine Angeregte Disskussion zu sein, aber eigentlich nicht viel mehr als ein netter und flüchtiger Zeitvertreib. Demzufolge scheint mir der "Wert" eben jender Liste eher gering zu sein.


    Interessant ist aber, dass Menschen dazu neigen, derlei Listen aufzustellen. Die Medien (und auch diese Forum) sind voll davon, und wir alle haben großen Spaß daran sie aufzustellen bzw. mit großem Interesse durchzulesen. Für eine ernsthafte Einordnung und Beschäftigung der zu listenden Dinge oder Personen sind sie allerdings ungeeignet. Für Entertainment und Zertreung aber sehr wohl, und dies scheint mir durchaus ebenfalls ein "Wert" zu sein?


    Liebe Grüße, der Thomas. :hello:

  • Lieber Paul,


    ich neige dazu, deine Frage weitgehend zu verneinen. Zur seriösen Beurteilung von Künstlern tragen sie jedenfalls nichts bei. Allenfalls wenn ich die Kriterien ihrer Zusammenstellung usw, wie es Peter oben angemerkt hat, kenne, sagen sie mir etwas, über den, der sie aufgestellt hat, aus. Ich weiß dann vielleicht etwas besser, wie ich z.B. Empfehlungen desjenigen einzuschätzen habe, aber auch das nur, wenn ich zusätzliche Informationen habe, etwa wenn ich auch exemplarische und ausführlicher begründete Einzelbewertungen desjenigen kenne. Dann und nur dann können Listen mir vielleicht auch mithelfen, mich in einem Gebiet zu orientieren, z. B. mir weitere Werke oder Interpretationen, die ich noch nicht kenne, auf einer Liste, von der ich schon sehr viel oder besser, das meiste kenne, auch einmal anzuhören. Aber auch das geht eigentlich wirklich nur, wenn ich schon das meiste auf der Liste kenne, so dass ich schon viele Anhaltspunkte habe und ich so zusätzliche, mir unbekannte Nennungen schon etwas einordnen kann.


    Über solche Prozesse stiften Listen dann aber Hörer- oder Fan-Gemeinschaften, weisen in solchen Gemeinschaften besondere Kennerschaft aus und stiften innerhalb solcher Gemeinschaften sozialen Prestige bzw. führen zu sozialer Anerkennung in solchen Gemeinschaften, in dem ich z.B. in der Liste der 10 "besten" Einspielungen eines Werks, neben den von den innerhalb der Gemeinschaft allgemein anerkannten, noch einige besonders "exotische", schwer beschaffbare, weniger bekannte benennen kann.


    Insofern scheint mir der Hauptgrund, weswegen wir Listen aufstellen, der zu sein, dass sie für uns einen sozialen Wert zu haben scheinen, im Sinne der Vergemeinschaftungen. Das macht offenbar Spaß, ist aber nicht ganz unproblematisch, denn es gilt auch: Keine Inklusion ohne Exklusionen. Listen können (und sollen offenbar auch) einschüchtern, Nicht-Kenner ausschließen oder zu einem Mindestmaß an Konformität mit der Gemeinschaft der Listenaustauscher führen, etc.


    Schließlich ein vergnüglich zu lesender Buchtip: Nick Hornsby: High Fidelity


    [jpc]3-426-61270-4[/jpc]


    Auch wenn dieser Roman in der Welt der Rock-Plattensammler spielt, die Milieu-Beobachtungen sind vorzüglich, die Beschreibungen der sozialen Prozesse in der Lebenswelt der Hardcore-Sammler und begeisterten Listenersteller sind äußerst präzise und gelungen beschrieben; ebenso der Einbruch des "Außen" und die Krise in der geschützten Gemeinschaft in Form der Liebe zu einer Frau mit dem "falschen" 0815-Musikgeschmack.
    Auch das ein mir bei Freunden durchaus bekanntes reales Problem, wenn der neue Partner/die neue Partnerin "keinen Musikgeschmack hat" oder kein Verständnis dafür, dass die Sammelleidenschaft leider keine Urlaube zuläßt, die Wohnung bis zur letzten Ecke vollrümpelt, die alten Freunde nur Insider-mäßig, z.B. über Listen, über Musik reden können und Shopping-Bummel regelmäßig und über Stunden in Musikgeschäften verenden.


    Soo anders dürfte es bei manchen Klassik-Fans auch nicht zugehen, auch wenn das Milieu-Ambiente etwas anders zu beschreiben wäre.


    Nick Hornsbys Roman ist übrigens auch gerade in den Milieu-Beobachtungen sehr gelungen verfilmt und als DVD verfügbar.


    :hello: Matthias

  • Dazu sollte der geneigte Listenschöpfer den philosophischen Bezug herstellen, und zwar mit diesem Buch:


    "Die Kunst, Listen zu erstellen", von Francois Jullien (Herausgeber)


    In dem Buch geht es schwerpunktmäßig um die Listen im berühmten Kopfkissenbuch der jap. Hofdame Sei Shonagon aus der Heian-Zeit (etwa 1000 nChr).


    Die auch hier im Forum so beliebten Best Of - Listen sind nicht mehr als ein amüsantes Spiel von sehr eng begrenztem Wert. Da bevorzuge ich doch r die Threads "Heute gerade gekauft", "Was höre ich gerade" oder auch die Unverzichtbaren.


    Für mich wichtiger sind Listen, die mir dabei helfen, ein bestimmtes Sammelgebiet zu erfassen und zu durchdringen. Wenn ich also mit Hilfe der entsprechenden musikwissenschaftlichen Literatur Listen mit wichtigen Komponisten einer bestimmten Epoche erstelle, zB franz Komponisten zur Zeit Ludwigs XIV. Oder um bestimmte Zentren der Musikpflege herum Komponisten, Musiktheoretiker und Musiker listenmäßig gruppiere, etwa Neapel oder Dresden. Oder bestimmte Werkgattungen erfasse, zB das Requiem. Das hilft Schneisen in das riesige Angebot zu schlagen.

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  • Lieber Paul,


    Alles, was da geschrieben wurde, kann ich größtenteils nur bestätigen. Für mich ist das Listenspiel aber auch insofern anregend, als ich neugierig werde, wenn Künstler prominent gereiht werden und ich sie nicht und nur unzureichend kenne. Dann kriege ich nicht selten Lust, meine Kenntnisse über sie zu bereichern bzw. überhaupt etwas über jene in Erfahrung zu bringen.
    Und auch wenn jemand in der Liste nicht aufscheint, von dem ich eigentlich denke, daß er nicht fehlen dürfte, dann setze ich mich unter Umständen hin und sammle Argumente, warum man den X oder die Y nicht vergessen soll, höre mir alte Aufnahmen an und suche meine Erfahrungsbasis zu verbreitern. Dadurch haben die Listen für mich auf alle Fälle Sinn, sie sind nicht nur ein Mittel zur Selbsterkenntnis, sondern auch ein probates Movens, um zur Reflexion anzuregen.
    Wer natürlich Ranglisten als solche zu ernst nimmt, ist selbst schuld, wenn er die Welt nur verzerrt sieht.


    LG


    Waldi


  • Scheint sich um eine Sortierung nach Lebensalter zu handeln...


    :beatnik:

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Hallo zusammen,


    je länger die Liste, desto zweifelhafter wird ihr Wert für mich.


    Top ten oder auch unsere Sänger/Sängerinnen-Listungen - absolut ok und (noch) übersichtlich.
    Aber 100 Listenplätze und dann noch qualitativ gewichtet ?
    Was ist der Unterschied zwischen Platz 53 und 72 ? Und wen interessiert das wirklich ?
    Na ja, Platz 100 (alternativ der letzte Platz) hat schon einen gewissen Reiz - welche arme Willi wurde da noch aus Mitleid mitgenommen.


    Ich finde, in der Kürze liegt die Kunst (der Liste).


    Grüsse
    Achim :hello:

  • Man denkt, ein Schlauer biste,
    Machst Du Dir eine Liste.
    Doch ist der/die nicht drauf,
    Prügelt man Dich zuhauf.
    Die Liste liegt im Miste.


    Wenn wir's nicht besser wüssten,
    Machten wir keine Listen.
    Doch listen sie die Drögen
    Und alle, die wir mögen,
    Weil sie die Musen küssten.


    Man muss sich halt bequemen,
    Sie nicht zu ernst zu nehmen.
    Nimmt man sie nur als Spiel,
    Dann bringen sie auch viel
    Und niemand muss sich schämen.


    :hello: Jacwues Rideamus

  • Lieber Paul,


    dass Listen häufig, nein: allzu häufig, missbraucht werden, glaube ich schon. Auch das Erstellen von Prioritätenlisten kann wegen seiner optischen Einfachheit dazu verleiten, überlegt und vorschnell zu bewerten, so dass die Aussage wenig wert ist. Listen als scheinbar objektive Grundlage von Entscheidungen der Leser zu erstellen ist ja in der Wirtschaft üblich und lohnend.


    Aber dennoch sind mir Listen irgendwie angenehm. Das Erfassen einer Übersicht auf einen Blick tut irgendwie gut und entspannt.


    Aber ich will auf einen Nutzen von Listen in Form unserer üblichen "Rankings" hinaus. Ich halte es für eine guten Motivationsanreiz, selber Bewertungslisten zu erstellen. Vorausgesetzt, ich betreibe es gewissenhaft und mit einer Freude an Wahrheit, kann es mich fordern, über die Gründe und Kriterien nachzudenken, abzuwägen, persönliche Anforderungen zu erzwingen; kurz: das durch Relation zueinander zu Bewertende hinsichtlich meines Geschmacks und meiner Natur zu prüfen. So manches Mal kam ich durch das Erstellen von Bewertungen und Ranglisten auf neue Ideen, neue Aspekte und konnte mein Bewusstsein dafür, was mir denn eigentlich gefällt und wichtig ist bzw. welche Kriterien mir eigen sind, erweitern.


    Durch das Setzen in Relationen kann man m.E. viel über eine Sache erkennen, und warum nicht durch einfache Listen sichtbar machen und zum Kriterientausch anbieten? Aber, wie gesagt: Vorsicht beim Konsumieren fremder Listen...Mann sollte sie nicht zu ernst und als Wahrheit nehmen, sondern sie höchstens als Grundlage zum eigenen Nachdenken und Meinungsaustausch nutzen.


    Und, wie oben gesagt: lange Listen und Aufzählungen ermüden...


    Gruß,


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

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