Haydn, Joseph: Sinfonie Nr. 99 Es-Dur

  • Haydn: Sinfonie Nr. 99 Es-Dur


    Bei dieser ersten der sechs für die zweite Londonreise komponierten Sinfonien (1793) handelt es sich um ein Werk, bei dem ich besonders schade finde, daß es - vermutlich aufgrund des mangelnden Spitznamens - vergleichsweise unbekannt ist. (Ich persönlich stelle es deutlich über z.B. die #100) Ich habe das Stück beinahe zufälligerweise schon kennengelernt, als ich noch gar kein so großer Haydnianer gewesen bin, weil es mit #104 auf einer damals günstigen Einspielung unter Gielen enthalten war, und es hat mir sofort sehr gut gefallen.
    Klarinetten scheinen in den 1780er/90er Jahren noch immer eine Ausnahme im Orchester gewesen zu sein; sie finden sich zwar schon in Mozarts Pariser Sinfonie 1778, Haydn verzichtet aber selbst in der ersten Staffel der Londoner noch auf sie. Das vorliegende Werk ist das erste, in dem er Klarinetten einsetzt und sie treten hier mehrfach deutlich hervor, während sie z.B. in 101 meist im Tutti verschwinden. (Man könnte mutmaßen, daß sich die Klarinettisten in London nicht gerade bewährt haben, angesichts der eher untergeordneten Rolle, die sie in den folgenden Werken spielen...)


    Einleitung: Adagio


    Nach einem Es-Dur-Akkord des vollen Orchesters (man erinnert sich an Beethovens 5. Klavierkonzert oder Mozarts 39. Sinfonie) folgt eine zunächst eher zögernde, leicht melancholische Passage; nach einer Steigerung landet man in einem unisono gespielten Ces. Wieder wandert das kleine Motiv vom Beginn durch Oboe und Flöte, es kommt zu einer wuchtigeren Steigerung, die diesmal auf ein gemeinsames G herausläuft; ein gehaltener Bläserakkord (D7) leitet zum

    Vivace assai (4/4)

    Ein glänzendes Beispiel für Haydns Kunst, mit vergleichsweise nichtssagendem thematischen Material einen abwechslungsreichen und mitreißenden Satz hervorzubringen. Das Hauptthema hat allerdings einen mitreißenden Schwung, die folgende Überleitung trumpft mit Signalmotiven in Bläsern und Pauken auf. Wie häufig bei Haydn beginnt dann die zweite Gruppe zunächst ebenfalls mit dem Hauptthema in der Dominante, es folgt nach motivischer Verarbeitung aber noch ein abschließendes zweites Thema, wiederum eine sehr einfache, etwas volkstümliche Melodie (wie schon das erste Thema mit einer "Schrumm-Schrumm"-Begleitung).
    Die Durchführung beginnt zwar mit einem zweimaligen "fragenden" Erscheinen des Hauptthemas. Die "Antwort" besteht nun aber darin, das unscheinbare 2. Thema durch alle möglichen Instrumente und Harmonien zu jagen. Dazu treten allerdings bald auch Elemente der ersten Gruppe und schließlich beißt sich das Doppelschlag-Motiv gleichsam fest. Das Seitenthema ist aber noch nicht geschlagen und bestreitet auch den Rest der Durchführung. Die Reprise folgt ff im vollen Orchester. Die Überleitungen der Expo sind hier weitgehend herausgekürzt, sehr schnell folgt das 2. Thema, das nun noch einmal, als sei es noch nicht genug, durchführungsartig verarbeitet wird. In der Coda gibt es dann noch mal eine Wiederkehr des 1. Themas in den Holzbläsern mit scherzando-Charakter.


    Adagio (G-Dur - 3/4)
    Dieser feierlich-ernste Satz ist vielleicht der Höhepunkt des Werks und in mehrfacher Hinsicht außergewöhnlich: Er ist einer von sehr wenigen langsamen Sätzen in voll ausgearbeiteter Sonatenform in den Londoner Sinfonien (m.E. ist nur der in 98 noch einer), er steht in der Terztonart (bei gleichzeitig entstandener Kammermusik wählt Haydn zwar mitunter noch entferntere Tonarten, aber in Sinfonien gewöhnlich die Tonika-Parallele (95, 103), Dominante (98, 102), Subdominante (der Rest der Londoner) und die Instrumentierung fällt ebenfalls auf. Ähnlich wie in etlichen anderen der späten Sinfonien treten die Bläser hier zwar auch solistisch auf, bilden aber andererseits eine Art "Klangteppich", der dem Satz einen durchaus romantischen Anstrich verleiht (der aus 102 sticht in ähnlicher Weise heraus, man vergleiche damit aber den "Spaltklang" im andante der 101 oder dem allegretto der 100)


    Das erste Thema wird allerdings noch von den Streichern vorgestellt, wobei die Bläser, besonders die Flöte eine Art "Echo"-Funktion wahrnehmen.
    Die Überleitung zu D-Dur bildet eine Version des 1.Themas, unbegleitet von den Holzbläsern vorgetragen und umspielt. Das wichtige 2. Thema folgt erst als Schlußgruppe (die letzten 8 Takte vor dem Doppelstrich, 27-44). Wichtig, denn die Durchführung wird mit diesem Material bestritten, wobei es zu ff-Steigerungen des vollen Orchesters kommt.
    Die Reprise setzt unvermittelt nach einer Pause ein. Natürlich hat Haydn sie wesentlich umgestaltet: Die Überleitung, die vorher ätherisch in den unbegleiteten Bläsern erklang, erscheint nun variiert in den Streichern, erst beim 2. Thema stimmen die Bläser wieder ein. Dieses Thema wird nun noch einmal in einer ausführlichen (20 Takte bei einer Satzlänge von 98 Takten)
    erweiterten Reprise oder Coda in zwei Wellen in satt leuchtenden Farben zu erhabener Größe, einschließlich schmetternder Horn/Trompetenfanfaren, gesteigert.


    Menuetto. Allegretto
    Für dieses Menuett ist, ungeachtet des "allegretto" eine außerordentlich rasche (Takte=96) Tempoangabe überliefert (allerdings aus erste einigen Jahrzehnte später erstellten Klavierfassungen von Komponisten wie Czerny oder Hummel; es ist nicht auszuschließen, daß dieser Tempovorschlag von einer "Beethovenisierung" geleitet war). In diesem Tempo gespielt, handelt es sich um ein vollwertiges "Scherzo" Beethovenscher Dimensionen. Das spielt allerdings keiner annähernd so flott. Dennoch ist man sich erfreulicherweise über ein relativ zügiges Tempo einig: Brüggen und Harnoncourt kommen auf ca. 68-74, Gielen immerhin ca. 60. Jedenfalls ein mitreißender Satz mit off-beat-Akzenten und durchführungsartigen Passagen.
    Das lyrisch-melancholische Trio steht in C-Dur (wiederum ein in Haydns Sinfonien eher seltener Wechsel in eine terzverwandte Tonart) hier dominieren die Oboen und es gibt eine auskomponierte Überleitung zum Scherzo.


    Finale. Vivace (2/4)
    Auch hier wird den Bläsern, nicht zuletzt den Klarinetten ausgiebig Gelegenheit zur Brillanz gegeben. Wieder einmal haben wir es mit einem "Sonatenrondo" zu tun.
    Nach der Vorstellung des Rondothemas (1-8 ) wird dieses in der Fortspinnung bereits auf witzige Weise in seine Bestandteile zerlegt. Ein zweites, allerdings verwandtes Thema tritt ab T. 67/68 auf die Bläser verteilt auf, wird dann von den Streichern übernommen. Es folgt ein erster durchführender Abschnitt (ab 99), die knappe Wiederkehr des Rondo-Themas (113), ernsthafte polyphone Verarbeitung (ab 132), inklusive Umkehrung des Themas und eine Reprise (ab 171/172), bei der in äußerst witziger Weise das Material auf die Holzbläser und Streicher verteilt wird. Das folgende Tutti endet in Fermate und Generalpause Ein neuer Anlauf mit dem Rondothema in langsamem Tempo bleibt stecken. Aber es ist noch lange nicht Schluß: Takt 222/23 kommt die Reprise des 2. Themas, wieder in komisch-grotesker Weise auf die Bläser verteilt. Ein furiose Coda des gesamten Orchesters schließt eines der geistreichsten und witzigsten Haydn-Finali.


    (Beethoven begann wohl etwa zu der Entstehungszeit des Werks bei Haydn zu studieren; er hat sich die kontrapunktischen Passagen aus dem Finale abgeschrieben; dabei ist allerdings unklar, ob das aufgrund eigener Faszination oder auf Geheiß des Lehrers geschehen ist.)


    Insgesamt eine hochoriginelle, farbenreiche Sinfonie, wobei für mich die besonderen Höhepunkte im Adagio und im Finale liegen.

    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hallo!


    Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Klarinetten scheinen in den 1780er/90er Jahren noch immer eine Ausnahme im Orchester gewesen zu sein; sie finden sich zwar schon in Mozarts Pariser Sinfonie 1778, Haydn verzichtet aber selbst in der ersten Staffel der Londoner noch auf sie. Das vorliegende Werk ist das erste, in dem er Klarinetten einsetzt und sie treten hier mehrfach deutlich hervor, während sie z.B. in 101 meist im Tutti verschwinden. (Man könnte mutmaßen, daß sich die Klarinettisten in London nicht gerade bewährt haben, angesichts der eher untergeordneten Rolle, die sie in den folgenden Werken spielen...)


    Zwar findet man in Mozarts "Pariser" Sinfonie Clarinetten, aber die folgenden Sinfonien KV 318, 319, 338, 385 [Flöten und Clarinetten später hinzugefügt!], 425, 504, 550 [Clarinetten erst später hinzugefügt!] und 551 haben keine vorzuweisen. Grund: Man hatte in Salzburg und Wien keine Clarinetten.


    Ach, wenn wir nur clarinetti hätten! – sie glauben nicht was eine sinfonie mit flauten, oboen und clarinetten einen herrlichen Effect macht!


    [Mozart aus Mannheim an seinen Vater, 1778]


    Mannheim an erster Stelle und folgend dann Paris waren diesbezüglich Vorreiter. Umso mehr wundert es eigentlich, daß Haydn in seinen Pariser Sinfonien keine Clarinetten verwandte. Was London betrifft, so müßte Joh. Chr. Bach maßgebend für die Clarinette als Sinfonieinstrument gewesen sein [?].



    Zitat


    Einleitung: Adagio


    Nach einem Es-Dur-Akkord des vollen Orchesters (man erinnert sich an Beethovens 5. Klavierkonzert oder Mozarts 39. Sinfonie)


    Mir fällt es eher schwer, den Akkord von Beethovens 5tem Klavierkonzert mit jenem von Mozarts Zauberflöte auseinanderzuhalten - KV 543 würde ich sofort heraushören.


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Guten Morgen


    In der Liste der Mannheimer Hofkapelle von 1758 ("Chur-Pfätzischer Hoff- und Staats-Calender auf das Jahr 1759, Mannheim") waren schon zwei Klarinettisten, Johannes Hampel und Michael Quallenberg, eingetragen.


    Gruß :hello:


    aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Klarinetten scheinen in den 1780er/90er Jahren noch immer eine Ausnahme im Orchester gewesen zu sein; sie finden sich zwar schon in Mozarts Pariser Sinfonie 1778, Haydn verzichtet aber selbst in der ersten Staffel der Londoner noch auf sie. Das vorliegende Werk ist das erste, in dem er Klarinetten einsetzt und sie treten hier mehrfach deutlich hervor, während sie z.B. in 101 meist im Tutti verschwinden. (Man könnte mutmaßen, daß sich die Klarinettisten in London nicht gerade bewährt haben, angesichts der eher untergeordneten Rolle, die sie in den folgenden Werken spielen...) f



    die Klarinetten sind in Paris schon relativ früh verwendet worden.
    In Rameaus späteren Bühnenwerken sind die Instrumente recht hähig zu finden und der Vorgänger der Klarinette, das Chalumeau war bereits fester Bestandteil des Hoforchesters Louis XIV.


    Bei Zeitgenossen - gerade der Mannheimer Schule ist der Einsatz von Klarinetten recht häufig anzutreffen.


    :hello:

  • So interessant die Verwendung von Klarinetten in Mannheim oder Paris seit den 1760ern sein mag, führt uns das zum einen vom Thema weg, zum andern wird dadurch noch eher erklärungsbedürftig, warum Haydn sie in den Parisern und der ersten Hälfte der Londoner gar nicht und danach nur recht sparsam eingesetzt hat. Entweder war er noch zu sehr daran gewöhnt, ohne sie zu schreiben, oder (wahrscheinlicher) er wollte die Zweit- und Drittnutzung und Verbreitung der Stücke nicht durch die vergleichsweise seltenen Instrumente einschränken. Wobei ich allerdings bezweifle, daß sich ein Kapellmeister durch so etwas abhalten hätte lassen. Man hätte die einfach weggelassen und wichtige Solopassagen auf die anderen Bläser verteilt.
    (Sie waren vielerorts noch nicht regelmäßig besetzt; C.M. v. Webers Sinfonien über 20 Jahre später verzichten aus diesem Grund noch auf sie)



    viele Grüße


    JR

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  • Ich habe diese sehr eindrucksvolle Sinfonie erst im Rahmen dieser Haydn-Aktion kennen gelernt und bin allein deshalb schon dankbar für diese Initiative.


    Ich habe "nur" eine hinreißende Rundfunkaufnahme (live) der Sinfonie mit dem WDR- SO unter Ton Koopman, würde mir aber wünschen, dass es von dieser Kombination eine kommerzielle GA mindestens der "Londoner" gäbe, denn die wäre dann mein Kauffavorit.


    Zu dem Werk selbst kann ich noch nicht sehr viel beitragen, weil ich es dafür noch nicht gut genug kenne, habe aber doch eine Frage: ist es nur der Eindruck meiner subjektiven Assoziationsketten, dass ich von dem in der Tat beeindruckenden Adagio immer wieder an das Adagio von Mozarts Klarinettenkonzert erinnert wurde? Natürlich versteckt sich dahinter kein Plagiatsvorwurf, obwohl zwischen beiden Werken nur drei Jahre liegen und Haydn schon/noch einen frischen Eindruck von Mozarts Komposition gehabt haben könnte. Aber beides sind Meisterwerke sui generis. Trotzdem, irgendwoher muss der Eindruck ja kommen, denn an der hier oben vorangehenden Diskussion liegt es eher nicht, eher an der für Haydn ungewöhnlichen Klangfarbe der Klarinette. Aber wer kennt sich schon in seinem Unterbewusstsein aus.


    Derzeit denke ich, dass es eher, wie ich gelesen habe, damit zu tun hat, dass dieses Adagio unter dem Eindruck des Todes von Haydns enger Freundin Marianne von Genzinger entstanden sein soll, denn auch Mozarts Adagio hat für mich etwas besonders Elegisches. Überflüssig zu sagen, dass Mozarts Adagio für mich zu den absoluten Höhepunkten instrumentaler Musik gehört, so dass sich schon von daher ableiten lässt, wie beeindruckt ich von dieser Symphonie bin. Sie ist jedenfalls sofort unter meine Favoriten in diesem Repertoire aufgestiegen, ohne deswegen gleich für mich an die Nr. 88 heran zu reichen, die bezeichnenderweise auch ein unbenanntes Schattendasein zwischen den großen Werkgruppen von Paris und London führt.


    :hello: Jacques Rideamus

  • Diese Sinfonie mochte ich schon immer sehr gern, wobei das Adagio mein Favoritsatz ist: Die anspruchsvolle Form, die aparte Instrumentierung, der leicht verschattete Charakter verleihen ihm eine besondere Stellung unter den langsamen (Sinfonie-)Sätzen Haydns. Am frappierendsten finde ich die Fanfaren-Passage mit Trompeten und Hörnern kurz vor Schluss, die den Satz nochmal auf harmonische Abwege führt. Ganz entzückend auch der Beginn der Reprise, bei dem ansatzweise eine kontrapunktische Verarbeitung angedeutet wird.



    Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Das lyrisch-melancholische Trio steht in C-Dur (wiederum ein in Haydns Sinfonien eher seltener Wechsel in eine terzverwandte Tonart) hier dominieren die Oboen und es gibt eine auskomponierte Überleitung zum Scherzo.


    Es gibt ja auch eine kurze Überleitung vom Menuett zum Trio, bestehend aus vier Oboentönen. Das erinnert mich sehr stark an die entsprechende Stelle in Schuberts großer C-dur-Sinfonie. Vielleicht stehe ich ja auf dem Schlauch, aber mir fällt jetzt keine andere Haydn-Sinfonie ein, bei der es ähnliche Überleitungen sowohl zum Trio als auch wieder zum Menuett zurück gibt. Die Rückkehr zum Menuett ist ja von der gleichzeitig spielerischen und didaktischen Art, die die Verwandtschaft zwischen Trio- und Menuetthema auch demjenigen vor Ohren führt, der sie während des Trios selbst noch nicht gehört hat.


    Zu den Klarinetten: Klar, hier treten sie mehr hervor als etwa in Nr. 101. Verglichen etwa mit Mozarts KV 543 hält sich das aber im Rahmen, finde ich. Eine Verwandtschaft des Adagios zum entsprechenden Satz in Mozarts Klarinettenkonzert kann ich übrigens eher nicht erkennen, höchstens auf einer relativ vagen "Stimmungs"-Ebene.


    Zur Auffrischung habe ich die Sinfonie gestern nochmal in der Brüggen-Aufnahme gehört, die mir aber insgesamt nur mit Einschränkungen zugesagt hat. Der zweite Satz gelingt gut, aber im Menuett fehlt mir etwas die Widerborstigkeit und das Finale könnte etwas pointierter gespielt sein. Verfehlt finde ich die zu langsame, zu verwaschene und dynamisch eingeebnete Einleitung zum ersten Satz. Die Gielen-Einspielung besitze ich übrigens auch - gefiel mir beim letzten Hörduchgang vor drei, vier Wochen sehr gut. Diese direkte, unverblümte, fast knorrige Art hat schon was, trotz einiger "altertümlicher" Phrasierungen.



    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von Zwielicht
    Diese Sinfonie mochte ich schon immer sehr gern, wobei das Adagio mein Favoritsatz ist: Die anspruchsvolle Form, die aparte Instrumentierung, der leicht verschattete Charakter verleihen ihm eine besondere Stellung unter den langsamen (Sinfonie-)Sätzen Haydns. Am frappierendsten finde ich die Fanfaren-Passage mit Trompeten und Hörnern kurz vor Schluss, die den Satz nochmal auf harmonische Abwege führt. Ganz entzückend auch der Beginn der Reprise, bei dem ansatzweise eine kontrapunktische Verarbeitung angedeutet wird.


    Das findet sich ja vorher schon in der Bläser-Überleitung, die in der Reprise von den Streichern übernommen wird. T. 60-70 korrespondieren T. 16-26, 7-15 fehlen in der Reprise. Solche leichten Varianten, wie hier dann auch die bewegtere Celli/Bass-Stimme finden sich bei Haydn allenthalben, in den Streichquartetten vielleicht sogar noch häufiger.


    Zitat


    Zu den Klarinetten: Klar, hier treten sie mehr hervor als etwa in Nr. 101. Verglichen etwa mit Mozarts KV 543 hält sich das aber im Rahmen, finde ich. Eine Verwandtschaft des Adagios zum entsprechenden Satz in Mozarts Klarinettenkonzert kann ich übrigens eher nicht erkennen, höchstens auf einer relativ vagen "Stimmungs"-Ebene.


    Ich kann es eigentlich auf gar keiner Ebene nachvollziehen. Das Mozart-Adagio ist ein sehr schlichter, träumerischer, von der Stimmung her ganz einheitlicher Satz. Während man hier die Kontrast zwischen Streichern/Bläsern, zwischen dem Hauptthema und dem später dominierten Schlußgruppenthema und schließlich die zwischen den relativ dramatischen (oder "erhabenen") und den eher lyrischen Stellen hat.


    Zitat


    Zur Auffrischung habe ich die Sinfonie gestern nochmal in der Brüggen-Aufnahme gehört, die mir aber insgesamt nur mit Einschränkungen zugesagt hat. Der zweite Satz gelingt gut, aber im Menuett fehlt mir etwas die Widerborstigkeit und das Finale könnte etwas pointierter gespielt sein.


    Das Menuett ist aber wenigstens flott genug.


    Zitat


    Verfehlt finde ich die zu langsame, zu verwaschene und dynamisch eingeebnete Einleitung zum ersten Satz. Die Gielen-Einspielung besitze ich übrigens auch - gefiel mir beim letzten Hörduchgang vor drei, vier Wochen sehr gut. Diese direkte, unverblümte, fast knorrige Art hat schon was, trotz einiger "altertümlicher" Phrasierungen.


    Gielen ist sehr zügig in der Einleitung und im Adagio, das ist vielleicht etwas gewöhungsbedürftig. Die schnellen Sätze könnten alle einen Tick schneller sein, aber gerade im Finale bevorzuge ich die größere Transparenz und Zuspitzung, die Gielen bei einem ein wenig breiteren Tempo bringt.
    Aber da ich das Stück mit dieser Einspielung kennengelernt habe, ist sie sowieso mein unbewußter Maßstab.


    Harnoncourt gefiel mir auch ziemlich gut, allerdings ein sehr langsames Adagio (überhaupt fand ich seine "Londoner", die ich als sehr eigen in Erinnerung hatte, nun beim Wiederhören wesentlich besser als erwartet). Tate mit dem Englischen Kammerorchester ist im Menuett deutlich zu langsam, insgesamt eher lyrisch, aber nicht schlecht.
    Nur kurz reingehört habe ich in Müller-Brühls Naxos-Aufnahme; der ist zwar sehr flott unterwegs und ungewöhnlich transparent, aber es fehlt doch einiges an Durchschlagskraft und bleibt insgesamt etwas flach und richtig gut ist der Klang auch nicht, obwohl man einige Holzbläserstellen sehr gut durchhören kann (ich hatte mir die mal hauptsächlich wg. 80 u. 81 gekauft).


    :hello:


    JR

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  • Hallo!


    Seit ein paar Wochen höre ich jetzt Haydn-Symphonien rauf und runter, und es hat sich eine wahre Schatztruhe aufgetan. Es gibt so viel zu entdecken!
    Zum Glück hat die Uni-Bibliothek meines Vertrauens die Begleitbücher zu einer Radiosendereihe des SWR aus den 80er Jahren vorrätig (bzw. für längere Zeit bei mir zwischengelagert ;) ), in denen Walter Lessing neben kurzen Besprechungen u.a. aller Haydn-Symphonien haufenweise Anekdoten und Briefwechsel aus dem Umfeld der Stücke liefert.


    Die 99 war schon vor Beginn des Projektes einer meiner Lieblinge und ist es auch heute noch. Der Kopfsatz ist einfach mitreißend (am Anfang fehlt aber eindeutig das Klavier ;) ). Das Adagio finde auch ich toll; an KV 622 habe ich dabei aber noch nie gedacht.


    In Bezug auf das Menuett würden mich Vergleichsspielzeiten interessieren: Jochum benötigt 5:34 Minuten, ich vermute, damit gehört er zu den Langsameren?
    Übrigens


    Zitat

    Original von Zwielicht
    Es gibt ja auch eine kurze Überleitung vom Menuett zum Trio, bestehend aus vier Oboentönen.


    sind das bei mir fünf Oboentöne?!


    Für das Finale sind laut Lessing Haydns Entwurfsskizzen erhalten: Auf vier Seiten seien von Haydn 30 einzelne Gedanken verstreut notiert worden, um dann, über Nummern identifiziert, in mehreren Schritten zum Finalsatz zusammengefügt zu werden.
    Das Ergebnis klingt für mich trotzdem völlig homogen und ergibt einen tollen Schlusssatz! :jubel:



    Gruß,
    Spradow.

  • Zitat

    Original von Spradow
    Zum Glück hat die Uni-Bibliothek meines Vertrauens die Begleitbücher zu einer Radiosendereihe des SWR aus den 80er Jahren vorrätig (bzw. für längere Zeit bei mir zwischengelagert ;) ), in denen Walter Lessing neben kurzen Besprechungen u.a. aller Haydn-Symphonien haufenweise Anekdoten und Briefwechsel aus dem Umfeld der Stücke liefert.


    Diese drei (?) blauen etwa 2 cm dicken Hefte sollte ich auch noch haben... ich fand diese Reihe damals derart klasse!


    :jubel: :jubel: :jubel:


    Wenn ich die [wieder-] finden sollte, könnte ich auch noch einiges zur Taminoreihe "beitragen".


    :)


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

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  • Zitat

    Original von Spradow
    In Bezug auf das Menuett würden mich Vergleichsspielzeiten interessieren: Jochum benötigt 5:34 Minuten, ich vermute, damit gehört er zu den Langsameren?


    Für Nicht-HIP vermutlich normal (Tate ist noch ein wenig langsamer 5:48). Gielen (und langsamer finde ich es eigentlich schon verkehrt) benötigt nicht ganz 5 min, das entsprach wenn ich richtig sehe, ziemlich genau 1 Takt pro Sekunde
    Am einfachsten stoppt man mittels CD-Display wie lange der Menuett-Hauptteil dauert. Das sind 2mal 68 Takte. Zwar mit einer Fermate (kostet 2-3 sec.), aber damit kann man grob sehen, wieviele Takte pro Minute gespielt werden. Meine flotteste, Brüggen hat 4:13 Gesamtspieldauer und ca. 1:55 für den Hauptteil mit Wdh. bis zum Trio.


    Zitat

    sind das bei mir fünf Oboentöne?!


    Stimmt! 5mal g in Oktaven. Der 6. ist der Auftakt im eigtl. Thema des Trios.


    Hast Du die bibliographischen Angaben zu diesen Begleitbüchern? Sind das richtige Bücher oder nur so Funkkolleg-Kladden?


    Mit diesen Büchern ausgestattet könntest Du ja eigentlich auch noch eine der noch offenen Wiedereröffnungen (94, 97) übernehmen...


    :hello:


    JR

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    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Hast Du die bibliographischen Angaben zu diesen Begleitbüchern? Sind das richtige Bücher oder nur so Funkkolleg-Kladden?


    Es handelt sich dabei um die teils sehr ausführlichen und sehr gut recherchierten Skripte zur Sendung, die es damals kostenlos beim SWF gab. Ich würde dort mal nachfragen, ob es die noch gibt...


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zitat

    Original von Spradow


    sind das bei mir fünf Oboentöne?!


    Äh, ja, natürlich :O. Weiß auch nicht, wie das passiert ist, normalerweise kann ich bis Fünf zählen... :D



    Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Gielen ist sehr zügig in der Einleitung und im Adagio, das ist vielleicht etwas gewöhungsbedürftig.


    Gerade bei der Einleitung gefällt mir das sehr gut. Im Adagio ist es ebenfalls eine recht straffe Sache, aber immer noch hinreichend "poetisch". Unverzeihlich allerdings, dass Gielen bei diesem Satz den ersten Teil nicht (wie vorgeschrieben) wiederholt. So dauert der zweite Satz hier nur 4:47, mit Wiederholung wären es 6:25.


    Unerklärlich Harnoncourt. Satz 1, 3 und 4 gelingen vorzüglich. Aber beim Adagio hat er entweder an Bruckner gedacht oder wollte mit Celibidache konkurrieren: etwas über 10 Minuten zieht sich das Stück. Ich bin ja für vieles offen, aber hier kippt der Satzcharakter hintenrunter. Allein wie das zweite Thema kaugummimäßig gedehnt wird... Schade! (In der Regel finde ich Harnoncourts "Londoner" sehr überzeugend!)



    Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Hast Du die bibliographischen Angaben zu diesen Begleitbüchern? Sind das richtige Bücher oder nur so Funkkolleg-Kladden?


    Lessing, Walter: Die Sinfonien von Joseph Haydn: dazu: sämtliche Messen; eine Sendereihe im Südwestfunk Baden-Baden; 1987 - 1989. - Baden-Baden: Südwestfunk
    (drei Bände)
    Teil 1 . - ([1989?]). - XVIII, 157 S.
    Teil 2 . - ([1989?]). - IV, 245 S.
    Teil 3 . - ([1989?]). - III, 221 S.


    Auch in der UB Gießen zur Ausleihe bestellbar ;).


    Hier allerdings nicht :motz:.




    Viele Grüße


    Bernd

  • Hallo Bernd!


    Zitat

    Original von Zwielicht
    Unerklärlich Harnoncourt. Satz 1, 3 und 4 gelingen vorzüglich. Aber beim Adagio hat er entweder an Bruckner gedacht oder wollte mit Celibidache konkurrieren: etwas über 10 Minuten zieht sich das Stück. Ich bin ja für vieles offen, aber hier kippt der Satzcharakter hintenrunter. Allein wie das zweite Thema kaugummimäßig gedehnt wird... Schade! (In der Regel finde ich Harnoncourts "Londoner" sehr überzeugend!)


    Ehrlichgesagt, hat mich das nicht gestört. Es ist zwar so nichts für alle Tage, aber diesen Satz so zu hören empfand ich als durchaus interessant. Scherchen z.B. braucht 9:20 für den Satz, insofern ist Harnoncourt nicht weit außerhalb des Üblichen.
    Der zweite Satz der 99. ist übrigens momentan mein liebster 2. Satz einer Haydn-Symphonie.
    Da die Sätze 1,2,4 (wohl unbestritten?) bei Harnoncourt sehr gut gelangen, ist das auch meine Lieblingsaufnahme des Werks.


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Neben Harnoncourts sehr überzeugender Aufnahme (WARNER) finde ich dass die Spielfreude und Spritzigkeit bei Bernstein (SONY) noch mehr im Vordergrund steht. Es steht der Genuss der Musik an erster Stelle und keine akademische Sicht auf die letzten Feinheiten. In der tat etwas lahm wirkt Karajan (DG) gegen Beide.

    Bei bernstein wird im 1.Satz 8:46 nichts verschleppt und der 2.Satz zieht sich nicht dahin, sondern wird angemessen in 8:44 gespielt. Harnoncourt über 10Minuten hielt ich vorab für einen Druckfehler; aber karajan braucht auch 10:21 .. neeee. Das Menuett könnte, wie so oft bei Bernstein, flotter sein - da sind mir 6:42 fast zu lang; trotzdem gelungen ... ist eben ein Allegretto. Dafür geht dann im 4.Satz Vivace angemessen die Post mit 4:05 ab, dass es eine Freude ist.


    :thumbsup: Für mich die Beste der Nr.99 !



    SONY, ADD

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

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  • Wie Johannes im Eröffnungsbeitrag schreibt, zählt die 99. zu den eher vergessenen Perlen der Londoner Symphonien von Haydn (teil in der Hinsicht ein ähnliches Schicksal wie die 95. oder 97.).


    Gehört habe ich sie schon vor Jahren, als ich die Dorati-Box durchhörte. Einen bleibenden Eindruck hinterließ sie damals nicht, was aber auch der Masse an neu gehörter Musik geschuldet sein könnte. Jedenfalls stieß ich gestern auf einen seltenen Mitschnitt der Wiener Philharmoniker unter Giulini vom 10. Juni 1986 aus dem Goldenen Saal des Musikvereins. Hinreissend interpretiert. Dass dieses Werk so paukenstark ist, wusste ich wirklich nicht mehr. Wohl macht's doch die Interpretation aus. Nun muss man wissen, dass Giulini viel war, aber sicher kein genuiner "Haydn-Dirigent". Seine Diskographie listet nur sage und schreibe drei Haydn-Symphonien, von denen er lediglich die berühmte 94. öfter auf dem Programm hatte. Daneben gibt es nur diesen Mitschnitt der 99. und einen der 104. mit dem Orchester der RAI von 1965.


    I. 8:57
    II. 5:31
    III. 6:22
    IV. 4:16


    Interessant, dass er in den Sätzen 1, 3 und 4 fast dieselben Spielzeiten wie Bernstein hat. Ich frage mich gerade, weshalb er im Adagio so flott ist. Gibt es da irgendeine Wiederholung, die evtl. ausgelassen wurde?

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Das kann wohl sein mit der ausgelassenen Wiederholung, lieber Joseph. Ich habe mal meine Nummern 99 herausgesucht, und da ist eine dabei, deren Dirigent nicht gerade für langsame Tempi bekannt ist. Ich sage mal nicht wer es ist. Ich stelle mal die Zeiten untereinander:


    Leonard Bernstein: 8:46--8:44-6:42-4:05,
    Adam Fischer:8:44-8:29-5:57-4:22,
    George Szell: 8:29-5:22-6:13-4:14,
    Jeffray Tate: 8:15-8:36-5:48-4:18;


    Ich würde sagen, drei wiederholen 3 Minuten des Adagios, einer nicht. Und Giulinis Zeiten sehen im Vergleich zu den hier eingestellten ganz normal aus, der Kopfsatz mit einem einleitenden Adagio geringfügig langsamer, auch das gekürzte Adagio passend, das Menuett auch mit Entsprechungen und das Finale liegt nicht weit von der arithmetischen Mitte entfernt..


    Liebe Grüße


    Willi :)?(

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • s.o. Das adagio ist ein Sonatensatz mit Wiederholung der Exposition. Die im adagio sehr zügige Aufnahme Gielens benötigt etwas unter 5 min für den Satz, daher dürfte es sich bei den anderen genau so verhalten wie Willi sagt. Und a propos langsame Tempi, s.o. Harnoncourt mit 10 min. für den Satz. (Sehr ungewöhnlich, die langsamen Sätze sind bei HIPisten meistens eher zügiger als traditionell.)

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • JOSEPH HAYDN's Es-dur Sinfonie Nr. 99 zählte schon seit meiner frühen Jugend zu einer meiner Lieblingssinfonien. Sie beeindruckt durch ihren bei HAYDN eher seltenen Ernst, ihre Verinnerlichung und eine Gefühlstiefe, wie sie bei ihren Vorgängern noch nicht vorzufinden war. Sie kommt grüblerisch daher und schlägt schmerzliche Töne an, die sicher schon bei dem Eröffnungskonzert seines zweiten Londonder Aufenthalts am 10. 02.1794 das Publikum aufhorchen ließ.


    Das einleitende Adagio beginnt schon fast pathetisch und spannt weite Modulationen mit starken Kontrasten, um sich dann im Allegro in gewohnter HAYDN-Manier wieder aufzuheitern, sich dann aber gleich auch schon wieder zu verdüstern. Wunderschön dann das klagende, ergreifende Adagio, das der Überlieferung nach unter dem Eindruck des Todes der geliebten Freundin Marianne von Genzinger entstanden ist. Einen starken Kontrast dazu bildet dann das trotzig-grüblerische Menuett mit kräftigen Akzenten. Im grandiosen Finale findet diese Sinfonie dann durch fast strotzende Vitalität einen versöhnlich-befreienden heiteren Ausklang.


    Ich habe diese Sinfonie in unzähligen Interpretationen gehört und gebe von allen Einspielungen nach wie vor der Aufnahme durch JOSEF KRIPS mit den WIENER PHILHARMONIKERN den Vorzug. KRIPS war eben nicht nur ein begnadeter MOZART-Interpret, sondern auch seine HAYDN-Deutung ist dergestalt, daß man sofort den Eindruck bekommt, so und nicht anders muß das gespielt werden. Er war ein Musiker des Herzens und des Gefühls, dabei durchaus kraftvoll, intensiv, klar und natürlich. Expression und Form verschmolzen bei ihm zu einer wunderbaren Einheit. Dazu fand er bei aller ihn auszeichnenden Akribie stets die angemessene musikalische Gewichtung. Dies gilt auch für seine Interpretation der Sinfonie Nr. 94 mit den WIENER PHILHARMONIKERN, wie übrigens auch für seine Aufnahme der Sinfonie Nr. 92 mit den LONDONER SYMPHONIKERN



    Viele Grüße


    wok

  • Nr. 99 ist nach wie vor einer meiner persönlichen Favoriten unter den Londoner Symphonien. Ich könnte mir auch vorstellen, dass der fehlende prägnante Beiname Anteil daran hat, dass das Werk im Schatten anderer steht. Das Adagio und das Vivace zählen m. E. zu den stärksten langsamen und Finalsätzen bei Haydn überhaupt.


    Im Laufe der letzten Jahre haben sich doch einige Aufnahmen bei mir angesammelt, von denen ich ein paar herausgreifen will:



    New York Philharmonic / Leonard Bernstein (CBS, 1970)

    Spielzeiten: 8:46 - 8:44 - 6:42 - 4:05


    lax3d8md.jpg


    Berliner Philharmoniker / Sir John Barbirolli (Kapellmeister, 1970)

    Spielzeiten: 8:55 - 8:15 - 4:54 - 4:21



    RSO Berlin / Takashi Asahina (Weitblick, 1974)

    Spielzeiten: 9:50 - 8:54 - 6:50 - 4:56


    91Krp1GJPtL._SS300_.jpg


    Finnish Chamber Orchestra / Paavo Berglund (Ondine, 1992)
    Spielzeiten: 8:51 - 9:04 - 4:14 - 4:19


    Es handelt sich um zwei klassische Studioproduktionen (Bernstein, Berglund), eine Studioaufnahme für den Rundfunk (Asahina) und einen Live-Mitschnitt (Barbirolli), alle in Stereo. Klangtechnisch fällt der Mitschnitt ab; es handelt sich dabei um Barbirollis vorletztes Konzert in Berlin. Die rhythmisch wichtigen Pauken gehen leider ziemlich unter, Rauschpegel recht hoch. Den besten Klang hat Berglund, als einziger hörbar HIP-beeinflusst, kammermusikalisch detailliert und paukenstark. Sehr großsymphonisch und daher konträr Asahina, der das Werk schon zum Beethoven aufwertet und mich im Finalsatz am meisten überzeugt. Im Prinzip ist Bernstein die goldene Mitte zwischen zupackendem Zugriff und prachtvollem Orchesterklang.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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  • Nr. 99 ist nach wie vor einer meiner persönlichen Favoriten unter den Londoner Symphonien. Ich könnte mir auch vorstellen, dass der fehlende prägnante Beiname Anteil daran hat, dass das Werk im Schatten anderer steht. Das Adagio und das Vivace zählen m. E. zu den stärksten langsamen und Finalsätzen bei Haydn überhaupt.

    Na, da sind wir uns ja wieder einmal einig. Ganz genauso sehe ich das auch. Die Nr. 99 eine wunderbare Sinfonie, die man von Anfang bis Ende einfach lieben muiß und purster HAYDN ist, und die, wie schon gesagt, zusammen mit der Nr. 88, für die JOCHUM mit den BERLINER PHILHARMONIKERN meine Referenzaufnahme ist, für mich immer zu den schönsten HAYDN-Sinfonien gehören wird.

    Toll Deine Sammlung, die schon Deine Prädilektion für diese Symphonie Nr. 99 unterstreicht. Ich mag auch BARBIROLLI sehr, doch ist er für mich eher ein Dirigent für romantische Werke, vor allem für BRAHMS:

    Etwas erstaunlich, daß Du die KRIPS-Aufnahme mit den WIENER PHILHARMONIKERN nicht hast, denn KRIPS war bekanntlich nicht nur ein großartiger MOZART-Dirigent, sondern auch HAYDN erklang unter ihm stets natürlich und unverfälscht, eben geenau "haydn-like"!! . Ich meine, daß man die späteren HAYDN-Sinfonien kaum besser und schöner spielen kann, es sei denn, man läßt nur HIP gelten. Aber stop! Wir sind hier off-topic! Es geht hier ja um die Sinfonie Nr. 95!


    Viele Grüße

    wok

  • Etwas erstaunlich, daß Du die KRIPS-Aufnahme mit den WIENER PHILHARMONIKERN nicht hast, denn KRIPS war bekanntlich nicht nur ein großartiger MOZART-Dirigent, sondern auch HAYDN erklang unter ihm stets natürlich und unverfälscht, eben geenau "haydn-like"!! .

    Lieber wok,


    ja, die Krips-Aufnahme fehlt mir. Ich dachte bisher, diese liege nur in Mono vor, aber offenbar handelt es sich um eine ganz frühe Stereo-Einspielung von 1957, die ursprünglich zusammen mit Nr. 94 auf LP erschien. Mittlerweile ist sie in folgender CD-Ausgabe von Decca Eloquence enthalten:




    Der Rest, also vier von sechs Werken, ist aber nur in Mono. Da ich diese alle in künstlerisch und klanglich tollen Aufnahmen habe, steigert das meinen Kaufdrang nicht unbedingt.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Ich lausche gerade einer Einspielung, die ich einer Radioübertragung verdanke, die anlässlich dieses festivals gemacht wurde:


    http://www.schlosskonzerte.de/…9/08/16/faszination-haydn


    Das klingt nicht nur wegen der Klangfarbe des Instrumentariums ungewöhnlich, auch die Intonation ist hier eigenwillig, to say the least, bei manchen Bläsern wackelt es ganz schön, auch die Streicher sind teilweise etwas auseinander; dies ist jedoch sicher nicht dem Unvermögen des ansonsten insgesamt sehr souverän musizierenden Orchesters geschuldet, sondern zeigt eben, wie schwer diese Instrumente zu spielen sind. Entschädigt wird man mit einem Ton, der eben nicht glatt poliert ist und sein kann, der Ecken und Kanten aufweist, und dennoch sehr harmonisch, charakteristisch und vielgestaltig ist. Die Interpretation vermeidet auch schroffe oder harte Akzente; insgesamt durchaus interessant, das einmal in dieser Form zu hören.


    Wenn es auch diese Symphonie in dieser Besetzung noch nicht auf CD gibt, so kann man zumindest der Capella Augustina und Andreas Spering bei der Interpretation von Haydns Schöpfung auf diesem Tonträger lauschen:


  • Zur Sinfonie Nr 99 gibt es bei Wikipedia einen relativ langen Text. Diese Sinfonie ist an sich recht widersprüchlich in ihrer "Karriere" sie wurde bei der Uraufführung in London begeistert aufgenommen, sodass ein zweiter Konzerttermin eingeschoben werden musste, um sie zu wiederholen wird heute aber nur mehr selten gespielt.

    Wenn Haydn die erste Sinfonie edr 2. Londoner Staffel mit Klarinetten versehen haat. die erste indes nicht (übrigens ein Lieblinginstrumernt Mozarts) so mag das daran gelegen haben, daß er sich erst vor dem Vorhandensein diesees Instrumnts überzeugen wollte - keine Selbstverständlichkeit in jenen Tagen. Dazu kanen die ländespezifischen Baauformen und individuelle Varianten, die Klarinette bafand sich streng genommen noch im Experimentierstadium)


    aus einer Zeitgenössichen Kritik:

    Zitat

    "Die Wonne, die das Ganze bereitet hat, war unaufhörlich, und der Genius Haydns, verblüffend, unerschöpflich und hehr, war das übergreifende Thema"

    Dnm habe ich eigentlich nichts hinzuzufügen, außer vielleicht, daß ich diese Sinfonien in der Interpretation mit dem Austo Hungarian Haydn Orchester unter Adam Fischer gehört habe - und vom Klang und der Wärme dieses Orchesters angetan bin.

    Ich besitze lediglich 2 oder 3 Einzelveröffentlichungen auf dem ursprünglichen Label NIMBUS´S Records.

    Ich erinnere mich dunkel, daß diesen Aufnahmen - ungeachtet einiger freundlicher Kritiken - ursprünglich eigentlich wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde, vielleicht vor allem wegen der um 1990 besonders stark grassierenden HIP Welle, dem damals relativ unbekannten Orchester (das eigentlich aus einigen Orchestern "zusammengestoppelt" wurde. und den Vollpreis.

    Als Nimbus Records (bei WIKIPEDIA elegant verschwiegen) in finanzielle Bedrängnis geriet - das Ende war abzusehen, da war das relativ kurz vor der Vollendung stehende Haydn Projekt nicht nur gefährdet sondern es stand faktisch vor dem aus.

    Da sprang BRILLIANT CLASSICS mit helfender Hand ein und vollendete das Projekt. Plötzlich war das Interesse an diesen Aufnahmen geweckt und es ist bis heute - noch dazu sehr preiswert im Katalog

    Anzumerken ist noch, daß all Sinfonine dieser BoX Lt PR im historischen Haydn Saal in Eisenstadt aufgenommen worden sein sollen (Haydn hat selbst in diesem Saal musiziert)

    Dem gegenüber steht eine Notiz auf meinem ORIGINAL Exemplar der Erstveröffentlichung der Sinfonien Nr 99 und Nr 104 (1990)

    Recorded, mastered and manufactured in England by Nimbus Records


    In meinem Buch über die Weltgeschichte der Schallplatte konnte ich nachlesen, daß man schon immer mit den Angaben auf den Covern sehr großzügig umgegangen ist...


    mdg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Von Experimentierstadium kann im engeren Sinne in den 1790ern eigentlich keine Rede mehr sein. Die Klarinette war nur noch nicht so verbreitet, aber "experimentell" träfe eher auf 1740-60er zu. Wenn Klarinetten in den 1780ern/90ern eingesetzt werden, erhalten sie meinem Eindruck nach oft nicht weniger anspruchsvolle Passage als Oboen und Flöten. Etwa bei Mozart im c-moll-Klavierkonzert (das als einziges ALLE Holzbläser besetzt hat). Dass Haydn in den anderen Londoner Sinfonien mit Klarinetten (also nicht der 99) die Klarinetten selten so herauszustellen scheint, könnte alle möglichen Ursachen haben. Vielleicht waren etliche Sätze schon komponiert, bevor klar war, dass Klarinetten zur Verfügung stehen würden, vielleicht wollte er sie manchmal für besondere Effekte (Romanze in der Militärsinfonie) aufsparen etc.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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  • Von Experimentierstadium kann im engeren Sinne in den 1790ern eigentlich keine Rede mehr sein. Die Klarinette war nur noch nicht so verbreitet, aber "experimentell" träfe eher auf 1740-60er zu. Wenn Klarinetten in den 1780ern/90ern eingesetzt werden, erhalten sie meinem Eindruck nach oft nicht weniger anspruchsvolle Passage als Oboen und Flöten. Etwa bei Mozart im c-moll-Klavierkonzert (das als einziges ALLE Holzbläser besetzt hat). Dass Haydn in den anderen Londoner Sinfonien mit Klarinetten (also nicht der 99) die Klarinetten selten so herauszustellen scheint, könnte alle möglichen Ursachen haben. Vielleicht waren etliche Sätze schon komponiert, bevor klar war, dass Klarinetten zur Verfügung stehen würden, vielleicht wollte er sie manchmal für besondere Effekte (Romanze in der Militärsinfonie) aufsparen etc.

    Landon meinte dazu, dass die Klarinettisten im Salomons(/Viottis) Orchester nicht die allerbesten waren. Besondere Schwierigkeiten hatten sie anscheinend mit Klarinetten die auf A gestimmt waren, die in den Sinfonien 101 und 104 eingesetzt wurden. Daher hört man in den Werken die Klarinetten kaum. Wahrscheinlich spielten sie die Klarinetten die auf B gestimmt wurden etwas besser und in den Sinfonien 99 und 103 treten sie etwas prominenter auf. Ich glaube nicht, dass Haydn der Klarinette abgeneigt war, er setzt sie in den späten Messen und den beiden Oratorien sehr viel ein, weit mehr als in den Londoner Sinfonien. Vielleicht waren Klarinettisten in Wien damals besser als ihre Londoner Kollegen.


    LG aus Wien

  • Ja, Haydn geht in etlichen Passagen der Londoner auf "Nummer sicher", zB wird die Klarinette im Trio des Menuetts von 103 IIRC durchweg gedoppelt (fehlt daher auf einigen alten Aufnahmen der 50er! bevor die modernen krit. Ausgaben da waren, selbst in meinen weit neueren Dover scores fehlt die Klarinette in diesem Trio!) und das Horn am Beginn des 104-Finales ja ebenfalls.

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