Aufnahmen von Schubert Klaviersonaten auf historischen Instrumenten.

  • Lieber Musikfreunde und Liehnaber historischer Hammerflügel


    Zu diesem Thread hat mich heute Cäesars Beitrag in seime persönlichen Thread "Unverzichtbare Klassikaufnahmen" angeregt.
    Dort herrscht nämlich die Regel daß kein anderes Mitglied ein Statement abgeben dard. Was sinnvoll ist, wenn irgendwo eine Liste von Aufnahmen von einem einzelnen Mitglied empfohlen werden sollen - verhindet andrerseits natürlich eine "lebende Threadkultur" welche von Wiedrspruc- Bestätigung und letztlich auch von neuen Empfehlungen aus anderem Munde besteht, welche durch den Erstposter angeregt wurden.


    Für mich gilt im Falle Schuberts: Wer noch nie eine Schubert Sonate auf historischem Flügel gehört hat - der kennt sie nicht wirklich.
    Aus meiner Sicht hat Beethoven sich bemüht Sonaten für Klaviere zu schreiben, die es zu seiner Zeit noch gar nicht gab (ich räume aber ein, daß ich unrecht haben könnte), wogegen Schubert den spezifischen Klan der zeitgenössischen Klaviere voll in seine Komositionen integrierte,
    Schubert auf modernem Flügel gewinn natürlich auch - gleichzeitig geht aber auch etwas verloren, das den spezifischen Reiz ausmacht.


    Hier sollen also ausschließlich Aufnahmen von Schuberts Klaviersonaten und Solostücken für Klavier vorgestellt, bzw besprochen werden, welche auf historisch Instrumenten , bzw deren Nachbauten eingespiel wurden....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Für mich gilt im Falle Schuberts: Wer noch nie eine Schubert Sonate auf historischem Flügel gehört hat - der kennt sie nicht wirklich.


    Das kann ich vorbehaltlos unterschreiben!


    Zitat

    Aus meiner Sicht hat Beethoven sich bemüht Sonaten für Klaviere zu schreiben, die es zu seiner Zeit noch gar nicht gab (ich räume aber ein, daß ich unrecht haben könnte) ...


    Naja, ich würde sagen, er hat die Instrumente an ihre Grenzen getrieben, sie aber nicht überschritten. Aber das ist was für einen anderen Thread.


    Danke für die Höranregung - die Herren Badura-Skoda, Immerseel u.a. sind gut vertreten in meiner Sammlung. Fortsetzung folgt.

  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Aus meiner Sicht hat Beethoven sich bemüht Sonaten für Klaviere zu schreiben, die es zu seiner Zeit noch gar nicht gab (ich räume aber ein, daß ich unrecht haben könnte), wogegen Schubert den spezifischen Klan der zeitgenössischen Klaviere voll in seine Komositionen integrierte, ...


    Was Beethoven angeht, will ich mich dazu hier natürlich gar nicht äußern. Würde ich es tun, müsste ich darauf hinweisen, dass der Gedanke für mich fern liegt, dass Beethoven (oder Schubert oder sonstwer aus jener Zeit) ein Klangbild eines Steinway, Fazioli oder sonstigen modernen Instruments als Wunschvorstellung gespeichert haben könnte - woher hätte er ein solches Klangziel gewinnen sollen, da er doch nur die Instrumente seiner Zeit und davor kannte? Gerrit Zitterbart hat darauf hingewiesen, dass für ihn der Bösendorfer Imperial in manchen Konstellationen ein Klangbild mitbringt, das an einen Hammerflügel erinnern könnte. Aber selbst dieses Klangbild kann Beethoven mangels Kenntnis nicht vorgeschwebt haben, hier projizieren wir eher unsere eigenen Erfahrungen nach 200 Jahren Musikgeschichte in unser Bild vom genialen Menschen hinein. Und eine Äußerung Beethovens, dass er eine solche Klangbildveränderung wünscht, ist nicht überliefert. Aber auf all das werde ich hier natürlich, wie gesagt, nicht hinweisen.


    Zutreffender finde ich da Miguels Hinweis, Beethoven habe die Möglichkeiten der bestehenden Instrumente entsprechend ihrer jeweiligen Weiterentwicklung an ihre Grenzen getrieben und ausgereizt. Ein solches Ausreizen meine ich allerdings bei Schubert nicht so wahrnehmen zu können. Seine Sache waren vielleicht weniger die klaviertechnischen Extreme, die er nicht benötigte um das zu sagen, was er sagen wollte - mit Ausnahmen, auf die Paul Badura-Skoda (CD-Heft zu Arcana A410, Schubert-Sonaten 11, 13, 14, 19, 20, 21 auf Hammerflügeln, Seite 14) hinweist: In der Sonate Nr. 11 D625/505 aus dem Jahr 1818 verwendet Schubert im Scherzo zweimal das viergestrichene gis. Diese Note, die er auch noch kurz danach im Forellenquintett schreibt - im Erstdruck weggelassen - gab es damals noch auf keinem Clavier. Die Instrumente reichten nur bis zum hohen f, Badura-Skoda (a. a. O., S. 15) hält einen ca. 1846 gebauten Hammerflügel von Schweighofer für eines der ersten Wiener Instrumente, die bis zum viergestrichenen a reichten.


    War es also vielleicht sogar Schubert, der für noch nicht existierende Instrumente schrieb - 1818 für ein erst 28 Jahre später gebautes Instrument?


    Liebe Grüße, Ulrich

  • Zitat

    Original von Ulrich Kudoweh


    [...] mit Ausnahmen, auf die Paul Badura-Skoda (CD-Heft zu Arcana A410, Schubert-Sonaten 11, 13, 14, 19, 20, 21 auf Hammerflügeln, Seite 14) hinweist: In der Sonate Nr. 11 D625/505 aus dem Jahr 1818 verwendet Schubert im Scherzo zweimal das viergestrichene gis. Diese Note, die er auch noch kurz danach im Forellenquintett schreibt - im Erstdruck weggelassen - gab es damals noch auf keinem Clavier. Die Instrumente reichten nur bis zum hohen f, Badura-Skoda (a. a. O., S. 15) hält einen ca. 1846 gebauten Hammerflügel von Schweighofer für eines der ersten Wiener Instrumente, die bis zum viergestrichenen a reichten.


    War es also vielleicht sogar Schubert, der für noch nicht existierende Instrumente schrieb - 1818 für ein erst 28 Jahre später gebautes Instrument?


    Hallo,


    [Fast ganz] sicher nicht:


    Sowohl von D625 also auch von D667 sind die Autographen heute verschollen. Von D625 existiert eine Abschrift des Bruders Ferdinand Schubert, welche nicht datiert ist - sie enthält lediglich die Angabe "Sonate von Franz Schubert September 1818", was den Kompositionszeitpunkt, nicht aber jenen der Abschrift, darstellt. Bei D667 ist eine Abschrift in Stimmen von Albert Stadler erhalten geblieben, ebenfalls undatiert.


    Ob also die fraglichen Noten tatsächlich von der Erfindung Franz Schuberts sind, ist daher nicht bewiesen. Vielmehr spricht dafür, daß es sich um eine spätere "Nachbesserung" handelt, ggfs. durch die Verleger veranlasst. D505 beispielsweise wurde passend zum 1846er Schweighofer erstmals 1848 im Druck aufgelegt, D625 erstmals 1897.


    Das "im Erstdruck weggelassen" bezgl. D667 würde ich uminterpretieren: D667 wurde 1829 verlegt und dürfte der somit der damals noch existenten Urschrift gefolgt sein - dies wäre jedenfalls ein Indiz dafür, daß die entsprechenden Stellen später "romantisiert" bzw. [um es neutraler auszudrücken] den neuen Interpretationsmöglichkeiten angepasst wurden.


    Bei Mozarts Klavierwerken, bei denen ich mich bedeutend besser auskenne, als bei jenen Schuberts, ist z.B. ganz deutlich das markente "Ende" der Tastatur beim Spielen spürbar: höchster Ton war damals das dreigestrichene f. Besonders bei den Hauptsätzen der Konzerte KV 453 und 459 ist dies gut nachvollziehbar:


    KV 453: Mozart geht in der DF ab T. 184 ganz bewußt nach B-Dur, um als höchsten Ton f³ nehmen zu können.


    KV 459: in der Reprise wandelt Mozart das triolische Thema so ab, daß f³ als höchster Ton ausreicht [T. 351 - gedoppeltes f³ vs. T. 176], obschon man heute höher könnte - Gottseidank hat da niemand dran herumromantisiert.


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Hier sollen also ausschließlich Aufnahmen von Schuberts Klaviersonaten und Solostücken für Klavier vorgestellt, bzw besprochen werden, welche auf historisch Instrumenten , bzw deren Nachbauten eingespiel wurden....


    Sehr zu empfehlen [der urlaubende Observator wird mir beipflichten] ist die Interpretation von Ludwig Sémerjian mit der Reliquie D 840 und den drei posthum veröffentlichten Klavierstücken D946:


    Bei jpc unverständlicher Weise ohne Coverabbildung bestellbar - bei amazon hingegen mit:



    Der junge [und hübsche] Pianist aus Canada spielt auf einem Conrad Graf aus dem Jahr 1824. Sémerjian hat bereits die Mozart-Klaviersonaten als Gesamteinspielung auf verschiedenen historischen Instrumenten vorgelegt, so daß bei Schubert eine Hoffnung und dringende Bitte auf Fortsetzung bleibt.


    :hello:


    Ulli

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    (Blaise Pascal, 1623-1662)

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  • Zitat

    Original von Ulli
    Ob also die fraglichen Noten tatsächlich von der Erfindung Franz Schuberts sind, ist daher nicht zu beweisen.


    Ja dannnn ... sollen sich doch die Geleerten :D mit Ulli streiten :baeh01:


    Ich habe eine wirklich große Freude an der enormen klanglichen Vielfalt, die die Tasteninstrumente bieten, die wir heute als Hammerklaviere (Fn. 1) bezeichnen. In viel höherem Maße, als dies heute beim viel weitergehend standardisierten Flügelklang der Fall ist (Fn. 2), treten die Instrumente aus jenen Zeiten als klangliche Individuen vor mein Ohr. Das mag sicher damit zu tun haben, dass seit der Fortentwicklung vom Cembalo geradezu ein internationaler Wettbewerb um das bessere System und die Verbesserung gegebener Systeme stattfand. Daraus erkläre ich mir, dass jeder Instrumentenbauer es "anders" machen wollte und mit der Vielfalt der Systeme und der Vielfalt der Ausführungsvarianten auch die Klangvielfalt einherging.


    Andererseits ist nicht zu verkennen, dass die Hörwirkung des heute gepflegten Spiels auf dem historischen Instrument - nicht auf den zahlreichen und oftmals sicher hervorragenden Nachbauten - entscheidend vom Erhaltungszustand des Instruments abhängt - ein Parameter, das sich naturgemäß umso kritischer verhält, je älter das Instrument ist.


    Eine sehr schöne Demonstration dieser Klangvielfalt bietet uns Paul Badura-Skoda auf seiner Arcana-Gesamtaufnahme der Schubert'schen Pianoforte-Sonaten. Der Pianist verfügt über eine umfangreiche Instrumentensammlung, die er wechselnd für diese Einspielung genutzt hat. Auf Volume 3 - dem einzigen Triple-Volume, von dem noch nennenswerte Stückzahlen erhältlich sind, ansonsten in erster Linie die vorhergehenden Einzel-CD-Ausgaben - nutzt er beispielsweise den Hammerflügel 432 von Conrad Graf von etwa 1823 für die Sonaten Nr. 14 D 748 und Nr. 20 D 959, das Instrument 1118 von Conrad Graf von etwa 1826 für die Sonaten Nr. 13 D 664 und Nr. 21 D 960 und das schon angesprochene Instrument von J. M. Schweighofer von ca. 1846 für die Sonaten Nr. 19 D 958 und Nr. 11 D 625/505, ein Instrument also, dass der 1828 verstorbene Schubert auf keinen Fall gekannt haben konnte - und dies allein wegen seiner laut Ulli leider irrigen Annahme, Schubert habe dort ein gis'''' verwendet, was sich eben erst auf dem spätgeborenen Instrument erstmals darstellen ließ:
    [amx=B00005RTGJ]300[/amx]


    Die klanglichen Unterschiede zwischen dem Graf von 1823 und dem Schweighofer sind "krass", die Klangcharakteristika der beiden Instrumente von Graf liegen deutlich näher zusammen, sind aber gleichwohl gut herauszuhören. Dabei klingt das über 30 Jahre jüngere Instrument deutlich voller, freier schwingend, bildhaft könnte man sagen glockiger. Dafür erreichen die Grafs eine Samtigkeit in den mittleren und unteren Lagen, die in besonderer Weise die lyrische Aussage in Schuberts Klaviermusik, das sangliche z. B. im letzten Satz der vorletzten Sonate D 959 anspricht. Obwohl ich gerade bei diesem Satz die musikalische Aussage bevorzuge, die Uchida auf dem Steinway (Mitte 20. Jhdt.) umsetzt, lässt sich mit der Klangcharakteristik der Grafs doch eine Intimität hervorrufen, die unmittelbar Schuberts Rede zu entsprechen scheint. Dies scheint mir sogar ein recht gutes Beispiel für Alfreds These zu sein, Schubert habe den spezifischen Klang der zeitgenössischen Instrumente in seine Komposition integriert.


    Liebe Grüße, Ulrich


    (1) instruktiv als Kurzeinstieg der Artikel "Hammerklavier" bei de.wikipedia.org
    (2) Dass auch hier Unterschiede nicht nur zwischen den Herstellern, sondern auch zwischen einzelnen Klavieren desselben Herstellers und erst recht zwischen in verschiedenen Jahrzehnten hergestellten Klavieren hörbar sind, brauchen wir an dieser Stelle nicht zu erörtern, einschlägige Threads existieren bereits.

  • Hallo,


    wenn ich nichts überlesen habe, dann wurden hier noch nicht die Aufnahmen mit A. Staier genannt.




    Alle drei CDs sind (erwartungsgemäß) sehr gut, besonders schätze ich aber die CD mit dem Duo Staier/Lubimov. Und obwohl ja nicht direkt eine Klaviersonate, möchte ich diese CD hier doch ausdrücklich erwähnen, da ich das historsches Intrument (bzw. den Nachbau) auf dieser Aufnahme für mich wirklich als unverzichtbar wahrenhme.


    Gruß pt_concours

    Hören, hören und nochmals hören: sich vertraut machen, lieben, schätzen.
    Keine Gefahr der Langeweile, im Gegensatz zu dem, was viele glauben, sondern vielmehr Seelenfrieden.
    Das ist mein bescheidener Rat. (S. Richter, 1978)

  • Eine der schönsten Schubert-CDs ist für mich diese hier von Jos van Immerseel auf dem kleinen Label NorthWest Classics - sie haben nur noch wenige Exemplare davon, so daß sie nur noch direkt vom Label zu bekommen ist (auf der Website des Labels http://www.northwestrecords.com/ unter "recordings" unten auf der Seite - der Service ist zuverlässig):



    Der Tröndlin-Flügel gefällt nicht allen hier, ich finde ihn sehr passend.

  • Deine Einschätzung, Miguel, ist auch die meine.


    Der Tröndlin-Flügel klingt für mich wesentlich anders als die Graf-Flügel, von denen es mehrere Aufnahmen von Beethoven-Stücken gibt, sonorer, voller.
    Insofern weiß ich nicht, ob die Schubert-Einspielung darauf die beste Wahl ist, wenn es um Authentizität geht.
    Davon abgesehen, ist diese CD s e h r schön !


    Die Einspielung von Badura-Skoda steht noch auf meiner Wunschliste für einen besonderen Tag.
    Lieben Gruß aus Bonn :hello:

    Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem andern zu

  • Guten Morgen,


    die Frage des Tonumfangs bei den Komponisten zwischen 1770 und 1830 ist nach meiner Meinung immer sehr stark von den benutzten Instrumenten abhängig. Aber es ist immer verwirrend vom einzelnen Beispiel abhängig!
    Beispiel Mozart: ein einziges Mal, in der Sonate für 2 Klaviere KV 448, benutzt Mozart ein Fis''', im ersten Klavier. Bei der Uraufführung der Sonate spielte er selbst die zweite Stimme auf seinem Anton Walter-Flügel mit genau 5 Oktaven, also ohne Fis''', seine Schülern Josephine von Aurnhammer hatte für die erste Stimme einen anderen Flügel, der (wie viele andere Instrumente dieser Zeit) bereits bis zum G''' reichte, also war hier ein Fis''' möglich.
    Beethoven hat in seinen Werken bis ca. op.47 nie den Umfang von 5 Oktaven überschritten. Daher fehlen in manchen Werken an sich logische Töne im Diskant. Aber: er hat später nie diese frühen Werke korrigiert, nachdem doch Instrumente mit mehr Umfang vorhanden waren. Zeitmangel, Mangel an Interesse, Scheu vor Neuauflage???
    Schubert hat bis ca. 1821 einen Flügel ohne Pedale (also mit Kniehebeln zur Dämpferaufhebung) besessen (siehe Skizze Moritz von Schwind 1821). Der hatte sicher 5 Oktaven plus wenige Töne. Trotzdem gibt es in dieser Zeit bereits Werke mit mehr Umfang.
    Der Einwand der späteren Ergänzung von hohen Tönen in Editionen, die nicht aufs Autograph zurückgehen, ist sicher richtig, man hat damals eben nicht so sorgfältig auf den Urtext geachtet, sondern vielfach "verbessert".
    http://www.bezirksmuseum.at/innerestadt/data/media/1010.jpg
    Ich glaube, daß beide Versionen der Musik gerecht werden können: historisches Instrumentarium und modernes, es kommt am Ende doch darauf an, wie man das jeweilige Instrument zum Klingen bringt. Alles Beschäftigung mit den historischen Clavieren lehrt uns: es gab mehr Vielfalt der Klänge, es gab mehr das Gefühl von Grenzen im Klang, es gab eine gewisse "Verletztlichkeit", die ein Steinway oder Bösendorfer heute nur sehr schwer ausdrücken können.
    Schöne Grüsse
    Gerit Zitterbart

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  • Zitat

    Original von Zitterbart
    Alles Beschäftigung mit den historischen Clavieren lehrt uns: es gab mehr Vielfalt der Klänge, es gab mehr das Gefühl von Grenzen im Klang, es gab eine gewisse "Verletztlichkeit", die ein Steinway oder Bösendorfer heute nur sehr schwer ausdrücken können.
    Schöne Grüsse
    Gerit Zitterbart


    Das mit der Verletzlichkeit finde ich sehr schön formuliert - das könnte es sein, was ich am modernen Flügel vermisse, und natürlich die Vielfalt der Klänge.

  • gestern hörte ich in heidelberg einen graf-flügel (no.102 aus wien stand drauf) aus den 20ern des 19. jhdts. (gegeben wurde ein schubert/haydn/field-liederabend) und muss sagen, dass grade das Klangvolumen mich etwas überrascht hat. er hatte keine mühe mit der opernerprobten mezzosopranistin mitzuhalten.
    im tonumfang reicht der flügel bis zum g und ist mit gewissen pedaleffekten ausgestattet (ist das sozusagen der steinway der damaligen zeit?).

  • Guten Morgen,


    in Wien gab es um 1800 etwa 100 Klavierbauer. Eine genaue historisch korrekte Beschreibung der Entwicklung, der Verflechtungen durch Lehrer und Schüler in diesem diffizilen Handwerk muß noch geschrieben werden.
    Conrad Graf war ein wichtiger und guter Name in den 20. Jahren, aber wichtig waren auch Nannette Streicher und ihr Sohn Baptist, waren Brodmann, Rosenberger, André Stein und viele andere. Also: einen "Steinway" in dem heute herrschenden Sinn von alles beherrschender Marke gab es nicht.
    Der Flügel in Heidelberg ist ganz schön, müßte aber dringend gut restauriert werden. Was viele Hörer auch von CDs nicht wissen: ein Flügel kann scheußlich klingen - aber ein Schmuckstück in unrestauriertem Zustand sein. Ein Flügel kann wunderbar klingen - aber ein "namenloser" Findling sein (Beispiel hierfür: der Lagrassa von Edwin Beunk). Wirklich gute Restauratoren gibt es leider nur wenige. Einige -bitte alle ungenannten nicht böse sein, vielleicht hatte ich mit denen noch nichts zu tun, es gibt natürlich noch viel mehr! - sind neben Edwin Beunk in Enschede Robert Brown in Oberndorf, Gert Hecher in Wien, Alexander Langer in Klagenfurt, Christopher Clark in Frankreich usw. usw.
    Je mehr man sich mit diesem erregenden Thema der alten Flügel beschäftigt, umso mehr lernt man: ich weiß noch längst nicht alles!


    Herzliche Grüße
    Gerrit Zitterbart

  • Zitat

    Original von Maexl
    ... graf-flügel (no.102 aus wien stand drauf) ... (ist das sozusagen der steinway der damaligen zeit?).


    So ist das sicher nicht zu sagen. Genauso wie heute Steinway für Klaviere mit einer bestimmten - zudem im Lauf der Jahrzehnte sich wandelnden - Klangcharakteristik steht, die man mögen kann oder auch nicht - genauso wie andere Klavierbauer, seien es Bösendorfer, Yamaha, Bechstein, Kawai, Fazioli, Blüthner oder einer der vielen anderen, heute mit anderen Klangcharakteristiken aufwarten und es stets eine höchstpersönliche Entscheidung des Einzelnen ist, welche der verschiedenenen Klangcharakteristiken er für welche Art Musik bevorzugt und welchen Flügel er jeweils auswählt - so gab es auch zu Hammerflügels Zeiten eine noch unüberschaubarere Vielzahl an Klavierbauern mit einer noch breiteren Individualität der Klangcharakteristiken. In Wien stand Graf neben Streicher, die verschiedenen Steins neben Walter oder Schweighofer, um nur wenige zu nennen. Ganz sicher aber hatte keiner dieser Klavierbauer zu der damaligen Zeit eine Klangcharakteristik, die auch nur in die Richtung der Firma Steinway ging - oder strebte dies auch nur an ...


    Die Flügel von Conrad Graf wurden allerdings anscheinend schon geschätzt, z. B. von Beethoven, aber auch diejenigen von Anton Walter, worauf Beethoven, aber auch Schubert spielten.


    Der Anbau von zwei oder mehr Pedalen war jedoch damals bereits Standard nicht nur für Graf, nachdem die Steuerung über Kniehebel durch Pedale abgelöst war und außer Forte und Una corda teils auch andere Klangeffekte über gesonderte Pedale angesteuert wurden.


    Dein Erstaunen darüber, dass der gehörte Graf keine Mühe hatte, mit der Sängerin mit zu halten, verblüfft mich allerdings, stellt er doch die gegebenen Verhältnisse auf den Kopf. Es waren ja die modernen Flügel, die mit ihrem Klangvolumen das natürliche kammermusikalische Gleichgewicht zwischen dem Tasteninstrument einerseits und der Singstimme bzw. dem begleiteten Instrument andererseits zerstörten. Die von Gerald Moore überlieferte ständige Furcht: "Maestro, bin ich zu laut?" ist in dem Zusammenhang ja legendär und völlig berechtigt: Wie sehr muss sich ein Begleiter auf dem modernen Flügel zurücknehmen, um den Begleitenden nicht zu erschlagen! Das Problem stellt sich (u. a.) beim Hammerklavier nicht in dem Maße, so dass Du lediglich ein völlig natürliches Gleichgewicht in einem für eine derartige kammermusikalische Darbietung offenbar geeigneten Raum gehört hast. Glückwunsch.


    Auf diese Zusammenhänge gehe ich noch einmal in dieser Ausführlichkeit deswegen ein, weil sie für die von Alfred eingangs aufgestellte These, Schubert habe "den spezifischen Klang der zeitgenössischen Klaviere voll in seine Kompositionen integriert", von ausschlaggebender Bedeutung sein könnten. Dazu folgt in Kürze mehr.


    Liebe Grüße, Ulrich

  • Dafür wäre ich glatt nach Heidelberg gefahren! Ich konnte schon zwei- oder dreimal Liederabende mit Graf-Flügeln hören, u.a. mit Christoph Prégardien und Andreas Staier, die Klangbalance war immer perfekt und der Flügelklang bezaubernd.

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  • Zitat

    Original von Zitterbart
    ... es kommt am Ende doch darauf an, wie man das jeweilige Instrument zum Klingen bringt. Alles Beschäftigung mit den historischen Clavieren lehrt uns: es gab mehr Vielfalt der Klänge, es gab mehr das Gefühl von Grenzen im Klang, es gab eine gewisse "Verletztlichkeit", die ein Steinway oder Bösendorfer heute nur sehr schwer ausdrücken können.


    Das klangliche Merkmal der „Verletzlichkeit“ - auch Miguel weist im Anschluss an Gerrit darauf hin - ist auch für mich ein wesentlicher Bestandteil der Klangcharakteristika von Hammerflügeln, vielleicht sogar ihr wesentliches Merkmal, dasjenige, das uns bei den heutigen Flügeln, wie Miguel meint, geradezu abhanden gekommen ist. Es fehlt das Auftrumpfende des Klangs, das Rabiate, das klangliche Selbstbewusstsein (?). Beethoven hat teilweise gegen diesen Klangcharakter angeschrieben, hat sich mit seiner Musik teilweise über diese instrumental bedingte Verletzlichkeit, Empfindlichkeit, Empfindsamkeit, Verwundbarkeit seines Instrumentariums hinweg gesetzt. Schubert hat dies, da würde ich Alfred Recht geben, nicht getan.


    Zitat

    Original von Zitterbart
    Schubert hat bis ca. 1821 einen Flügel ohne Pedale (also mit Kniehebeln zur Dämpferaufhebung) besessen (siehe Skizze Moritz von Schwind 1821). Der hatte sicher 5 Oktaven plus wenige Töne. Trotzdem gibt es in dieser Zeit bereits Werke mit mehr Umfang.


    Bei einem so geschilderten Instrument gehe ich davon aus, dass es das angesprochene Klangmerkmal der Verletzlichkeit aufweist. Nach 1821 hat Schubert dann vermutlich an dem bereits genannten Walter-Flügel gearbeitet. Ich weiß nicht, ob das Instrument noch existiert und dann auch klingt. Ich Augenblick meine ich mich an einen Walter-Nachbau zu erinnern, der eine ähnlich brüchige Klangstruktur hatte, wie sie bei den Graf-Instrumenten jener Zeit hörbar ist.


    Ich meine, dass an dieser Stelle die Frage gestellt sein muss, ob für die Aufführung Schubert’scher Musik in historischer Aufführungspraxis nicht auf Instrumente zurückgegriffen werden sollte, die tatsächlich eine so brüchige Klangstruktur aufweisen, wie sie bei den Schubert zugänglichen Instrumenten anzunehmen ist.


    Lieber Gerrit, Du hast Dich in dem CD-Heft zu Deiner neueren Einspielung von D 960 sehr ausführlich mit genau dieser Frage mit sehr wertvollen Hinweisen auseinandergesetzt. Ich gestehe, dass ich diese Einspielung mit zweierlei Gefühlen höre. Ich liebe den spezifischen Klang gerade dieses Streicher-Flügels von 1829 mit der Besonderheit einer oberschlägigen Mechanik - ein ganz wunderbarer, großer, voller, glockiger Ton mit großem Modifikationspotential. Von ähnlich großem Ton ist der Schweighofer von 1846, also 17 Jahre jünger, den Paul Badura-Skoda für die Sonaten D 958 und D 625/505 verwendet.


    Aber abgesehen davon, dass Schubert weder die beiden konkreten Instrumente noch Instrumente dieses Typs gehört haben konnte, entsprechen sie - nimmt man Alfreds These ernst - in keiner Weise der instrumentalen Brüchigkeit, die gerade Schubert in sein Komponieren integriert hat. Wie relativ das Thema historische Aufführungspraxis in diesen Zusammenhängen zu sehen ist, hast Du oben schon und auch in dem CD-Heft angesprochen, und auch die Frage gestellt, ob gerade bei den späten Schubert-Sonaten überhaupt von einem historisch verbürgten Instrument gesprochen werden kann.


    Trotzdem bleibt bei aller Schönheit des gespielten Streicher-Flügels die Frage offen: Setzt die Nutzung eines introvertierteren Instruments, wie eines Graf- oder Walter-Flügels aus der Zeit um die Mitte der 20er Jahre/19 Jhdt. die Vorstellung des Komponisten nicht adäquater um?


    Liebe Grüße, Ulrich

  • Zitat

    Original von Ulrich Kudoweh
    Das klangliche Merkmal der „Verletzlichkeit“ - auch Miguel weist im Anschluss an Gerrit darauf hin - ist auch für mich ein wesentlicher Bestandteil der Klangcharakteristika von Hammerflügeln, vielleicht sogar ihr wesentliches Merkmal, dasjenige, das uns bei den heutigen Flügeln, wie Miguel meint, geradezu abhanden gekommen ist. Es fehlt das Auftrumpfende des Klangs, das Rabiate, das klangliche Selbstbewusstsein (?). Beethoven hat teilweise gegen diesen Klangcharakter angeschrieben, hat sich mit seiner Musik teilweise über diese instrumental bedingte Verletzlichkeit, Empfindlichkeit, Empfindsamkeit, Verwundbarkeit seines Instrumentariums hinweg gesetzt. Schubert hat dies, da würde ich Alfred Recht geben, nicht getan.


    Ohne mich zur Frage Hammerflügel vs. Steinway & Co äußern zu wollen (ich bin für beides offen): Dieses Schubert-Bild mit seiner Reduzierung auf "Verletzlichkeit, Empfindlichkeit, Empfindsamkeit, Verwundbarkeit" behagt mir nicht so sehr. Es gibt z.B. ein Werk wie die Wanderer-Fantasie mit ihren fast schon mechanisch-virtuosen Exzessen. Ähnlich der Kopfsatz von D.850. Es gibt vor allem die brutalen Ausbrüche, die bestimmt nicht auftrumpfender, aber sehr wohl rabiater und destruktiver sind als vieles, was Beethoven für das Klavier komponiert hat: natürlich der anarchische Mittelteil des Andantino von D.959, die Überleitungstakte zur Wiederholung der Exposition des Kopfsatzes in D.960, die fff-Ausbrüche in der Durchführung des Kopfsatzes von D.894, aber auch der erste und letzte Satz von D.784 (und so manches in der vierhändigen Klaviermusik Schuberts).


    Wohlgemerkt: ich bezweifele nicht, dass man solche Passagen auch auf dem Hammerflügel angemessen interpretieren kann. Wogegen ich mich wende, ist die Reduktion eines Komponisten bzw. eines kompositorischen Personalstils auf historisch leicht klischierte Eigenschaften (mir ist klar, dass gleich wieder das "Wienerische" etc. etc. ins Feld geführt wird, das hatten wir ja schon bei den Sinfonien Schuberts).



    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von Zitterbart
    Beispiel Mozart: ein einziges Mal, in der Sonate für 2 Klaviere KV 448, benutzt Mozart ein Fis''', im ersten Klavier.


    Hallo,


    könnte ich da bitte mal eine Takt/Satz-Angabe haben? Ich konnte bei flüchtiger Sichtung nichts entdecken...


    Danke.


    Was Schubert betrifft, so findet man in seinen Klaviersonaten , z.B. D 537 [op. posth. 164] a-moll, komponiert 1817, durchaus in der r.H. Töne, die über das f³ hinausgehen, wie das viergetrichene e [1. Satz, T. 76]. Oder aber auch im 6/8-Allegro der A-Dur-Sonate D664 von 1819: [aufgelöstes] g³ T. 13, viergestrichenes h [T. 64] usw. - in nahezu jeder Sonate finden sich solche Stellen. Schubert sollte, wenn er nicht gar eines besessen hat, zumindest Zugang zu einem entsprechenden Instrument gehabt haben.


    Zitat

    Original von Zwielicht
    Wohlgemerkt: ich bezweifele nicht, dass man solche Passagen auch auf dem Hammerflügel angemessen interpretieren kann.


    Umgekehrt wird ein Schu[-bert] draus: Ich bezweifle nicht, daß man solche Passagen auch auf einem modernen Flügel angemessen interpretieren kann. Eine "angemessene Interpretation" auf einem Hammerflügel ist ja ersteinmal die Voraussetzung, da es zur Entstehungszeit der Werke gar keine Alternativen gab [D959 auf'm Cembalo...? :pfeif: ].


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Hallo,


    aber klar: 1. Klavier im 3. Satz Takt 98 rechte Hand ein D-Dur Akkord Fis''A''D'''Fis'''. Quelle: NMA (Neue Mozart-Ausgabe) Bärenreiter 1964.
    Mit herzlichem Gruß
    Gerrit Zitterbart

  • Guten Abend,


    der Walter-Flügel könnte der auf dem Schwind-Bild sein. Denn Walter lebte von 1756-1826 und baute in seinen letzten Jahren keine Flügel mehr. Auch ein Graf klingt durchaus voll und rund, es kommt eben auf den Erhaltungs- oder Restaurierungs-Zustand an.
    Am Sonntag werde ich übrigens in Hannover in der Musikhochschule ein Programm an 6 verschiedenen Flügeln spielen, da kann man dies alles hören. (11:30 und 19:30, morgens modern, abends historisch) Die Werke und Flügel: Brahms op.117: Steingräber und Söhne E 272 und Baptist Streicher 1857, Beethoven op.53: Steinway & Sons und Anton Walter 1795 (Kopie!), Schubert D 960: Bösendorfer und Graf 1835.
    Herzlichen Gruß
    Gerrit Zitterbart

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  • Zitat

    Original von Zitterbart
    Hallo,


    aber klar: 1. Klavier im 3. Satz Takt 98 rechte Hand ein D-Dur Akkord Fis''A''D'''Fis'''. Quelle: NMA (Neue Mozart-Ausgabe) Bärenreiter 1964.
    Mit herzlichem Gruß
    Gerrit Zitterbart


    Tatsache. Danke.


    Wenn sich's dabei nicht mal um einen Schreibfehler Mozarts oder einen Lesefehler der Verleger handelt...!? Wenn Mozart die Möglichkeit hatte, einen Flügel mit diesem Tonumfang für ein ganzes Werk zu verwenden, hätte er das m. E. sicher öfters ausgenutzt. Zudem glaube ich nicht, daß der besagte Phantomflügel mit fis³ endete, also wäre noch mehr drin gewesen, z. B. hätte die ab T. 169 des. 1. Satzes stattfindende Transposition um eine Oktave nach oben bereits mindestens einen Takt früher stattfinden können, gleich darauf folgender T. 173 hätte analog T. 71 stattfinden können: Solche "Umkompositionen" bei eigentlich wörtlicher Wiederholung hat Mozart prinzipiell nur dann vorgenommen, wenn die Tasten nicht mehr gereicht hatten...


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)



  • ...oder er hat sich den Witz erlaubt, eben nur einmal diesen Ton zu verwenden... Der Akkord wäre ja auch ohne das Fis''' in Ordnung gewesen.
    Die Ausgabe ist schon sehr zuverlässig, das Autograph ist vorhanden, also nichts hinzugemogelt. Fis''' als Ergänzung der 5 Oktaven der frühen Wiener Flügel ist absolut öfter vorhanden, bald auch zum G''' erweitert. Angesichts der Tatsache, daß in England bereits Flügel mit 5 1/2 Oktaven existierten, ist das auch nicht verwunderlich. Alles ein Wettlauf...


    GZ

  • Zitat

    Original von Zitterbart
    ...oder er hat sich den Witz erlaubt, eben nur einmal diesen Ton zu verwenden... Der Akkord wäre ja auch ohne das Fis''' in Ordnung gewesen.
    Die Ausgabe ist schon sehr zuverlässig, das Autograph ist vorhanden, also nichts hinzugemogelt. Fis''' als Ergänzung der 5 Oktaven der frühen Wiener Flügel ist absolut öfter vorhanden, bald auch zum G''' erweitert. Angesichts der Tatsache, daß in England bereits Flügel mit 5 1/2 Oktaven existierten, ist das auch nicht verwunderlich. Alles ein Wettlauf...


    GZ


    Ja, möglich ist Vieles. Mich stört nur, daß Mozart ansonsten das fis³ in diesem Werk meidet, wie ein faules, stinkendes Ei... und wie in anderen tonartgleichen Klavierwerken ebenfalls zu beobachten ist. Seine Art von musikalischem Humor sieht m. E. auch etwas anders aus [das Publikum z.B. hätte nichts von diesem dreigestrichenen fis]. Ist es denn nachweisbar, welches Instrument Josephine von Aurnhammer zu dieser Zeit bespielte und wenn ja, ob es diesen Tonumfang hatte? Außerdem müßte sie dieses Instrument gerade brandneu erhalten haben, denn die etwas früher komponierten sechs Sonaten KV 296, 376, 377, 378, 379 und 380 dediés a Mademoiselle Josephe d'Aurenhammer weisen keine Töne jenseits des f³ auf...


    Was die Zuverlässigkeit der NMA betrifft: Ja, prinzipiell schon - allerdings vermisse ich gerade in Band 20 der NMA die gewöhnlich umfangreichen Rezensionen zu den abgedruckten Werken - da hat sich vielleicht doch niemand großartig drum gekümmert? Leider ist ja nur die erste Seite des ersten Satzes faksimiliert abgedruckt, sonst wäre eine Überprüfung möglicher Weise einfacher.


    :hello:


    Ulli


    P.S. Langsam kann man das Mozart betreffende in einen separaten Thread auslagern.

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Zitat

    Original von Caesar73
    Zweimal Schubert und zweimal die B-Dur-Sonate, einmal spielt Nikolaus Lahusen bei der zweiten Einspielung sitzt Gerrit Zitterbart am Instrument. Alleine schon wegen der beiden verwendeten Instrumente sind die Aufnahmen hörenswert. Nikolaus Lahusen spielt auf einem Conrad-Graf-Hammerflügel aus dem Jahr 1835, Gerrit Zitterbart auf einem Hammerflügel von Nanette Streicher und Sohn von 1829. Letzterer klingt im Vergleich mit dem Graf-Flügel silbriger, heller. Was beiden Instrumenten im Vergleich zum modernen Flügel gemein ist: Schuberts Musik klingt hier schärfer, die Kontraste innerhalb der einzelnen Sätze kommen deutlicher heraus. Nichts ist verschwommen oder unkonturiert.


    Lahusen spielt neben der B-Dur Sonate die drei Klavierstücke D 946, die der Sonate vorangestellt sind:
    [amx=B000056VCY]200[/amx]
    Lahusen hat die CD nach einer schweren Erkrankung aufgenommen. Lahusen hat, wie er im Beiheft schreibt die Musik Schuberts als "zutiefst heilend" empfunden. Und irgendwie meint man beim Hören der CD etwas davon zu spüren, obwohl die späte Klaivermusik Schuberts von einer tiefen Melancholie durchdrungen zu sein scheint. Lahusen nutzt den Farbenreichtum des Graf-Flügels voll aus, keine Wiederholung ist exakt gleich gespielt. Lahusen wählt zügige Tempi ohne zu hetzen.


    Das ist für mich wieder so ein erstaunliches Beispiel dafür, wie sehr unterschiedlich eine Interpretation bei verschiedenen Hörern ankommen kann.

    Zitat

    Lahusen wählt zügige Tempi ohne zu hetzen.


    Er hetzt an keiner Stelle, das finde ich auch. Eine Stelle hingegen, an der er Tempi wählt, die ich als zügig empfinden würde, habe ich nicht gefunden.


    Schon das Grundtempo ist alles andere als zügig. Werfen wir einmal einen Blick auf die Sätze im Vergleich zu den Einspielungen von Paul Badura-Skoda - PBS1 - (1986, Harmonic Records, Bösendorfer Impérial von 1923), Radu Lupu - RL - (1991, Decca), Paul Badura-Skoda - PBS2 - (1992, Arcana, Graf Nr. 1118 von 1826), Christian Zacharias - CZ - (1993, EMI), Mitsuko Uchida - MU - (1997, Philips, Steinway von 1962), Nikolaus Lahusen - NL - (2000, Celestial Harmonies, Graf von 1835) und Gerrit Zitterbart - GZ - (2007, Clavier/Charisma, N. Streicher von 1829):


    MU----21'53''--10'40''--3'56''--8'01''
    CZ-----20'47''--10'48''--3'44''--8'30''
    NL-----20'38''--10'26''--4'10''--8'44''
    PBS1--19'49''----9'04''--3'57''--8'14''
    PBS2--19'37''----8'52''--3'58''--8'00''
    GZ----19'08''----8'21''--3'39''--8'29''
    RL----18'17''----9'33''--3'50''--7'41''


    Fazit: In den ersten beiden Sätzen ist Lahusen immerhin zügiger als Zacharias und Uchida (im Vergleich zu Afanassiev oder Korstick ist das natürlich "zügig"), in den letzten beiden Sätzen aber der langsamste dieser Gruppe. Sieht man sich nur die Hammerflügel-Spieler an (NL, PBS2, GZ) benötigt er für jeden der Sätze die längste Spielzeit, im ersten, zweiten und vierten Satz mit deutlichem Abstand.


    Nun ist das ja nur Statistik und heißt erst mal gar nichts. Leider ist es nur so, dass das auch meinem Hörgefühl entspricht: Lahusen „fesselt“ mich nicht, Uchida gestaltet für mein Ohr interessanter, spannender, ja gestaltet im Vergleich zu Lahusen überhaupt, Lahusen gelingt der Spannungsbogen, den Uchida über den ersten Satz spannt, eben nicht. Erstaunlich auch Lahusens Sprunghaftigkeit bei der Tempogestaltung - ein typisches Beispiel: den zweiten Satz Andante sostenuto beginnt Lahusen mit einem Tempo, das bei Adagio oder gar Lento liegt, wohl um das Sostenuto zu unterstreichen - was ihm gleichwohl für mein Ohr nicht gelingt, nachdem er in den nachfolgenden Tempowechseln jeden Andantecharakter hinter sich lässt.


    Die Grundtempi sind langsam, was aber im Fall Lahusens noch nicht bedeutet, dass dem Pianisten eine lyrische Aussage gelingt. Die dem späten Schubert eigene Lyrik, Poetik, ist bei Lahusen für mein Ohr im Vergleich der genannten am schlechtesten aufgehoben bzw. herausgearbeitet. Leider hilft die Nutzung eines Hammerflügels alleine über ein emotionales Defizit nicht hinweg, wenn es dem Instrumentalisten nicht gelingt, die Möglichkeiten des Instruments tatsächlich umzusetzen. Genau die Farbigkeit, die Caesar hier hört, entgeht mir.


    Mir ist bewusst, dass mit Caesar andere und auch solche aus der Kritikerschar, z. B. Pieschacón Raphael für Rondo oder die Juroren des Schallplattenkritikerpreises, große Stücke auf diese Einspielung Lahusens halten. Für mein Ohr schrumpft er die Schubert’sche Ausdrucksbandbreite auf Schmalspur zusammen und lässt die potentielle Klangvielfalt des Hammerflügels weitestgehend ungenutzt. Er fährt mit angezogener Handbremse und arbeitet mit gebremstem Schaum. Das gilt vor allem, wenn man die Klangwelten im Ohr hat, die Gerrit Zitterbart und Paul Badura-Skoda auf ihren Hammerflügeln gestalten.


    Liebe Grüße, Ulrich

  • Zitat

    Original von Ulrich Kudoweh



    Mir ist bewusst, dass mit Caesar andere und auch solche aus der Kritikerschar, z. B. Pieschacón Raphael für Rondo oder die Juroren des Schallplattenkritikerpreises, große Stücke auf diese Einspielung Lahusens halten. Für mein Ohr schrumpft er die Schubert’sche Ausdrucksbandbreite auf Schmalspur zusammen und lässt die potentielle Klangvielfalt des Hammerflügels weitestgehend ungenutzt. Er fährt mit angezogener Handbremse und arbeitet mit gebremstem Schaum. Das gilt vor allem, wenn man die Klangwelten im Ohr hat, die Gerrit Zitterbart und Paul Badura-Skoda auf ihren Hammerflügeln gestalten.


    Lieber Ulrich,


    Deine ausführliche Besprechung hat mir wirklich gut gefallen, und dass Du anders- beziehungsweise andere Dinge hörst ist ja auch völlig legitim.


    Was Gerrit Zitterbarts Interpretation anlangt, so stimme ich Dir zu: Der Klang des von Zitterbart benutzten Hammerflügels ist ein ganz besonderer, ein silbriger, obertonreicher Klang. In anderen Worten: was Dir bei Lahusen fehlt, hat etwas mit der Wahl des Instruments zu tun- und weniger mit dem Gestaltungsvermögen- des Pianisten, oder?


    Natürlich kann man sich auch die Frage stellen, ob man Aufnahmen auf historischen Instrumenten mit denen auf einem modernen Konzertflügel eins zu eins vergleichen kann? In jedem Fall würde ich Alfred zustimmen, wenn er zu Beginn dieses Threads betont, wie wichtig die Wahl des Instruments gerade für die Musik Schuberts ist, was für mein Empfinden bei Beethoven eine etwas geringere Rolle spielt, auch wenn die Einspielungen von Brautigam und Co ganz andere Faccetten von Beethovens Musik hervortreten lassen.


    Ich habe Lahusen jetzt länger nicht mehr gehört, das hole ich nach und gehe dann noch etwas ausführlicher auf Deine Anmerkungen ein.


    Das Lahusen den Farbenreichtum des Hammerflügels sehr wohl zu nutzen versteht, hört man besonders bei den drei Stücken D 946: Vergleiche sie einmal mit den vergleichsweise neuen Aufnahmen auf dem Konzertflügel von Lars Vogt und Javier Perianes.



    Herzliche Grüße,:hello::hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

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  • Zitat

    Original von Caesar73
    In anderen Worten: was Dir bei Lahusen fehlt, hat etwas mit der Wahl des Instruments zu tun- und weniger mit dem Gestaltungsvermögen- des Pianisten, oder?


    Da bin ich mir eben gar nicht so sicher, lieber Christian.


    Badura-Skoda nutzt ebenfalls einen Graf, und zwar von 1826, bei anderen Sonaten seiner Gesamteinspielung einen Graf von 1823. Beide bringt er "zum Klingen", in ihrer ganzen klanglichen Vielfalt. Kaum anzunehmen, dass der zehn Jahre jüngere Flügel, auf dem Lahusen spielt, über ein minimiertes Klangbild verfügen sollte. Gerrit Zitterbart hat oben bereits darauf hingewiesen, dass „auch ein Graf ... durchaus voll und rund (klingt), es kommt eben auf den Erhaltungs- oder Restaurierungs-Zustand an.“. Fast habe ich das Gefühl, Lahusen habe sich besondere Mühe gegeben, die für den Hammerflügel typischen differierenden Klangcharakteristiken der verschiedenen Register möglichst zu negieren, auszugleichen, und damit dem Instrument ein Parameter „zu entwenden“. Hör Dir bitte mal die markanten langen Triller im Bassregister im ersten Teil der Exposition an. Gerrit Zitterbart genauso wie Paul Badura-Skoda „wühlen“ dort geradezu im Bass, der gewaltige „orgelartige“ Klang des Bassregisters der Instrumente nimmt Dir den Atem. Bei Lahusen wird nicht mal ein laues Lüftchen daraus. :D Behutsam streichelt er dort die Tastatur im Mezzopiano.


    Natürlich kann man das machen, wenn es interpretatorisches Konzept ist, gar keine Frage. Meine Bedenken gegen die Reinheit dieses Konzepts hat Bernd weiter oben schon sehr schön formuliert unter Hinweis auf zentrale Schubert’sche Stellen der „Brutalität“, „Anarchie“, „Exzessivität“:

    Zitat

    Original von Zwielicht
    Dieses Schubert-Bild mit seiner Reduzierung auf "Verletzlichkeit, Empfindlichkeit, Empfindsamkeit, Verwundbarkeit" behagt mir nicht so sehr. ... Wohlgemerkt: ich bezweifele nicht, dass man solche Passagen auch auf dem Hammerflügel angemessen interpretieren kann. Wogegen ich mich wende, ist die Reduktion eines Komponisten bzw. eines kompositorischen Personalstils auf historisch leicht klischierte Eigenschaften ...


    Der zweite und dritte Satz in der vorletzten Klaviersonate sind auch für mich solche Belegstellen, an denen die Berufung auf das rein wienerisch-biedermeierliche Schwammerl von Schubert selbst ad absurdum geführt wird. Für mein Ohr ignoriert Lahusen diese Aggressions-Reserve in seiner Interpretation schlicht. Von daher würde ich nicht von mangelhaftem Gestaltungsvermögen, sondern von einseitigem Gestaltungswillen sprechen wollen. Das Instrument wird schon das richtige sein, wahrscheinlich lässt Lahusen das nur nicht hören.


    Zitat

    Natürlich kann man sich auch die Frage stellen, ob man Aufnahmen auf historischen Instrumenten mit denen auf einem modernen Konzertflügel eins zu eins vergleichen kann? ... Dass Lahusen den Farbenreichtum des Hammerflügels sehr wohl zu nutzen versteht, hört man besonders bei den drei Stücken D 946 ...


    Eben, aber auch nur im ersten der drei Stücke. Vergleiche dagegen einmal für alle drei Stücke Paul Badura-Skoda auf dem Bösendorfer Impérial von 1923 (PBS1). :jubel:


    Grundsätzlich gebe ich Dir allerdings Recht. Interpretationen auf dem Hammerflügel und dem Flügel sind nie eins zu eins vergleichbar, sondern immer nur unter besonderer Berücksichtigung der speziellen Klangcharakteristik des Instruments. Das gilt auch für gewählte Tempi, weil das Nachklangverhalten einschließlich Klangdauer beim Hammerflügel eine ganz anderes ist. Dass die längeren Spielzeiten vorwiegend auf modernem Instrumentarium erreicht werden (siehe oben und im D 960-Fred), hat ja seinen Grund.


    Auf Deine ergänzenden Anmerkungen nach neuerlicher Lahusen-Hörsitzung bin ich schon gespannt.


    Liebe Grüße, Ulrich