Joseph Haydn: Sinfonie Nr. 3 G-Dur
Entstanden ca. 1760/61
Vier Sätze:
Allegro (G-Dur, 3/4-Takt, 122 Takte)
Andante Moderato (g-Moll, 2/4-Takt, 86 Takte)
Menuet (G-Dur, 3/4-Takt, 48 Takte [incl. Trio])
Alla breve (Allegro) (G-Dur, 2/2-Takt, 131 Takte)
Besetzung: 2 Oboen, 2 Hörner, Fagott, Streicher (Vl. I+II, Vla., Vc., Kb.). Ein b.c. ist nicht notiert.
Diese 1760 oder 1761 entstandene Sinfonie gehört in Haydn erste Phase sinfonischen Schaffens, den Werken also, die er für den Fürsten Morzin in Lukavec geschrieben hat. Die 3. Sinfonie gilt dabei (was ich, als ich mich dafür gemeldet habe, diese Sinfonie vorzustellen, nicht wußte) als das in verschiedener Hinsicht bedeutendste Werk dieser frühen Gruppe von Sinfonien und sie weist dann tatsächlich auch einige Charakteristika auf, die einigermaßen zukunftsweisend sind. Zu nennen ist dabei zunächst einmal die Viersätzigkeit, mit der sich die Sinfonie als Gattung von ihrer Herkunft aus der italienischen Opernsinfonie emanzipiert (allerdings ist die Viersätzigkeit, wie wir wissen, keineswegs von diesem Zeitpunkt an verbindlich gewesen, nicht einmal für Haydn selbst, der auch nach 1760 durchaus noch einige dreisätzige Sinfonien komponiert hat) und dann die Einfügung eines Menuets als Binnensatz, hier sogar an der späterhin weitgehend verbindlichen Stelle als 3. Satz. Über diese makrostrukturellen Besonderheiten im Kontext des Haydnschen Frühwerks ist die 3. Sinfonie aber auch auf der mikrostrukturellen Ebene der vier Sätze gewichtiger als ihre Geschwisterwerke: alle vier Sätze sind komplex gearbeitet, der Kopfsatz weist deutlich in Richtung der Sonatenhauptsatzform und das Finale steht erstmals in Haydns sinfonischem Schaffen nicht als eher leichtgewichtiger Kehraus da, sondern wird deutlich aufgewertet – sowohl was Form und Faktur anbetrifft (es handelt sich um ein komplex gearbeitetes Fugato), als auch was den Gehalt des Satzes anbetrifft.
Ingesamt handelt es sich hier um ein Werk, das – wenn auch im Charakter insgesamt licht und heiter – gehaltvoll und gewichtig ist.
Ganz kurz zu den einzelnen Sätzen:
1. Satz: Allegro (G-Dur, 3/4-Takt, 122 Takte)
Wie schon gesagt, weist der Satz formal deutlich in Richtung der Sonatenhauptsatzform. Er setzt ein mit der Vorstellung des markanten Hauptthemas, das von zwei fallenden Intervallen (einem Quartschritt und einem Sextschritt) bestimmt wird (die vier Töne werden ganztaktig gehalten). Vorgetragen wird das Thema forte im Unisono von Oboen und Violinen, begleitet von einer schreitenden Bewegung der Bassinstrumente. Diesem markanten Hauptthema stellt Haydn nach einem figurativen Zwischenspiel ein eher sangliches, im Wechselspiel von Oboen und Violinen im piano vorgetragenes 2. Thema in der Dominanttonart D-Dur zur Seite (ab T. 29). Die Durchführung wir bestimmt von der Verarbeitung des Hauptthemas und verschiedener Motive aus dem figurativen Zwischenspiel. Das 2. Thema erkling in der Durchführung nicht. Interessant ist, daß die Durchführung in die Reprise (ab T. 80) hineingreift, indem das wieder in der Grundtonart angeschlagene Hauptthema zunächst zwar in reiner Gestalt erklingt (vorgetragen wie zu Beginn von Oboen und Violinen im unisono), dann aber von den tiefen Streichern aufgenommen und von den Violinen umspielt wird. In der Reprise erklingt dann auch das 2., sangliche Thema wieder. Haydn schreibt Wiederholungen von Exposition, Durchführung und Reprise vor.
2. Satz: Andante moderato (g-Moll, 2/4-Takt, 86 Takte)
Der 2. Satz ist im Charakter sehr verhalten (nahezu durchgehend ist p. vorgeschrieben), die Bläser werden gänzlich ausgespart. Formal handelt es sich auch hier ebenfalls um einen Sonatensatz, der von zwei Themen bestimmt wird: einem sechstaktigen Hauptthema in g-moll (das wiederholt wird) an das sich unmittelbar ein achttaktiges zweites Thema in der Paralleltonart B-Dur anschließt. Beide Themen sind jeweils in zwei Phasen geteilt, wobei die beiden Phasen ganz unterschiedlichen Charakters sind: Im Hauptthemen wird die erste Phase durch markante Sechzehntelpausen strukturiert und weist einen leicht stockenden Charakter auf, während die zweite Phase ruhig schreitet. Im 2. Thema ist es genau umgekehrt: hier reicht das ruhige Schreiten der zweiten Phase des Hauptthemas in die erste Phase des Seitenthemas hinein, während die zweite Phase des Seitenthemas den stockenden Charakter der ersten Phase des Hauptthemas wieder aufnimmt. So gesehen sind die beiden Themen wunderbar komplementär, ja symmetrisch entworfen. Allerdings erhält das Hauptthema durch seine Wiederholung zu Anfang mehr Gewicht. Auf die Vorstellung des 2. Themas folgt dann in der Exposition noch ein figuratives Nachspiel. In der Durchführung (ab T. 29) wird – wie schon im Kopfsatz – nur das Hauptthema verarbeitet. Die Reprise (ab T. 60) ist ziemlich eng an die Exposition angelehnt. Auch in diesem Satz schreibt Haydn Wiederholungen für Exposition, Durchführung und Reprise vor.
3. Satz: Menuet (G-Dur, 3/4-Takt, 48 Takte [incl. Trio])
Das an dritter Stelle stehende Menuet erscheint hier nicht allein als stilisierter Tanzsatz, sondern wird aufgewertet, indem Haydn den Satz als Kanon gearbeitet hat: Die erste Stimme bilden Oboen und Violinen, die zweite Stimme Viola, Cello und Kontrabass. Das Trio (ebenfalls G-Dur) wird von den durch die Violinen ergänzten Bläser bestimmt.
4. Satz: Alla breve (Allegro) (G-Dur, 2/2-Takt, 131 Takte)
Der vierte Satz ist der vielleicht interessanteste der ganzen Sinfonie und dem Kopfsatz hinsichtlich der Gewichtigkeit mindestens gleichwertig. Dabei muß ich gestehen, daß meine dürren analytischen Fähigkeiten diesem komplex gearbeiteten Fugato nicht gewachsen sind. Feststellen lassen sich aber auch mit Schweinsohren anhand von Einspielungen und Maulwurfsaugen entlang der Partitur, daß Haydn hier in einer 38 Takte umfassenden Exposition zwei Themen und eine ganze Reihe kontrapunktischer Motive vorstellt, die dann in einer großen Durchführung (T. 39-102) in Form einer freien Fuge verarbeitet werden, bevor dann in T. 103 zunächst das 1. Thema wieder in seiner Ursprungsgestalt einsetzt. Es folgt aber keine Reprise im eigentlichen Sinne (ist ja auch eine Fuge und kein Sonatensatz) sondern ein zweiter, kürzerer Durchführungsabschnitt (bis T. 122) der in eine von Unisonoläufen bestimmte Coda mündet.
Noch was zum diskutieren:
In der Literatur liest man bisweilen, die Gewichtigkeit und Zukunftsträchtigkeit dieser Sinfonie zeige sich auch insbesondere daran, daß das Hauptthema des ersten Satzes eine »in Dur vorweggenommene Variante« des Hauptthemas im Kopfsatz von Mozarts kleiner g-moll Sinfonie (KV 183, entstanden 1773) sei (vgl. etwa. Dietmar Holland, in: Csampai/Holland: Der Konzertführer. Orchestermusik von 1700 bis zur Gegenwart, Reinbek : Wunderlich (2. Aufl.) 1988, S. 84; oder auch Hahn/Hohl: Der große Konzertführer, Gütersloh: Bertelsmann 2000, S. 209) .
Strukturell ist das in der Tendenz sicherlich schon richtig (Intervallstruktur, ganze Takte auf einer Note, wobei in Mozarts KV 183 die Töne nicht ganztaktig gehalten werden, sondern durch bohrende Synkopen rhythmisiert sind). Aber: Charakter, Ausdruck und Gehalt der beiden Werke und auch der jeweiligen Themen scheint mir doch jenseits dieser eher oberflächlichen Strukturhomologien eher grundverschieden zu sein. In dieser Hinsicht ist das Kopftthema im 1. Satz von Haydns 26. Sinfonie (1768 ) IMO ganz erheblich näher an Mozarts kleiner g-moll ...
Viele Grüße,
Medard