Auf zu neuen Ufern! Revolutionäre Opern.

  • Liebe Tamino-Gemeinde,


    um eines gleich vorweg zu stellen: In diesem Thread soll es NICHT um Opern gehen, deren Inhalt sich um das Thema Revolution dreht (also z.B. Lortzings "Regina"). Vielmehr ist nach Opern gefragt, die durch Tonsprache, Instrumentierung, Aufbau, Struktur, Libretto oder aufgrund eines anderen Aspektes als "revolutionär" im weiteren oder engeren Sinn angesehen werden können.


    Beste Grüße, Florian

  • Da fällt mir doch spontan die Oper "Die Stumme von Portici" ein.


    Die Aufführung der Oper im Theater „La Monnaie“ in Brüssel am 25. August 1830, anlässlich des 59. Geburtstages von König Wilhelm I. der Niederlande, hatte weitreichende Folgen.


    Bereits in der Aufführung rief das Publikum "Zu den Waffen".


    Die nach der Opernaufführung ausgelösten Unruhen gegen die ungeliebte Niederländische Herrschaft führten zur belgischen Revolution und schließlich zur Unabhängigkeit Belgiens.


    Gruß
    Rosenkavalier

  • Guten Tag


    für mich gehört Cl. Monteverdis Oper "L`Orfeo" zweifellos zu den Opern, die "Reolution" gemacht haben, die erste "richtige" Oper der Musikgeschichte :jubel:
    Sie eröffnet gänzend den musikalischen Barock, obwohl sie noch die üüppige und bunte Klangpalette der Renaisanncemusik verwendet.


    Gruß :hello:


    aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • D i e revolutionäre Oper des 19. Jhs, schlechthin, die auf die weitere Entwicklung der Musik maßgeblichen Einfluss nahm, dürfte wohl unbestritten Wagners Tristan und Isolde sein.


    Florian

  • Da fallen mir doch spontan gleich einige ein, wenn ich unter revolutionär nicht (nur) die Thematik verstehe, sondern den Aspekt, dass die Oper allgemein mit diesen Werken aufregendes Neuland betrat, das danach nicht mehr ignoriert werden konnte, aber danach oft (und oft genial) beackert wurde:


    Peri: EURIDICE - Die Geburt der Oper noch vor Monteverdis ORFEO


    Lully: Ob man seine die Opernwelt revolutionierenden Werke schon bei ALCESTE (1674) oder THESÉE (1675) ansetzt, mögen die Spezialisten entscheiden


    Purcell: THE FAIRY QUEEN - Dieses Amalgam aus Oper, Ballett und Zirkus war fraglos revolutionär, auch wenn es sich lange nicht so erkennbar auswirkte. Händels opere serie wären ohne ihn jedenfalls kaum in der bekannten Form denkbar.


    Pergolesi: LA SERVA PADRONA - Das Urbild aller Buffoopern


    Gluck: ORPHÉE ET EURYDICE - Kann eine "Reformoper" per Definition überhaupt revlutionär sein? Jedenfalls wenn man den Bruch mit den Konventionen der Seria zugunsten psychologisch fundierter Menschenführung betrachtet.


    Mozart: LE NOZZE DI FIGARO - Nicht nur thematisch "revolutionär", sondern auch das Vorbild aller großen Ensemblefinali und -opern.


    Cherubini: LES DEUX JOURNÉES ist zwar auch textlich ziemlich revolutionär und ein früher Vorläufer des Leitmotivs, aber die psychologische Orchesterführung von MEDÉE war wohl noch folgenreicher. Beethoven hat nicht von ungefähr beide Werke bewundert.


    Weber: DER FREISCHÜTZ - Es gab zwar schon früher populäre Opern und auch welche um Vertreter des einfachen Volkes, aber erst mit diesem Werk war die Gattung der Volksoper geschaffen


    Bellini: IL PIRATA - das große Vorbild der italienischen romantischen (Belcanto-) Oper


    Meyerbeer: ROBERT LE DIABLE - die wahre Geburtsstunde der Grand Opéra


    Berlioz hätte ich hier liebend gerne genannt, aber seine Opern waren einfach nicht erfolgreich genug um so revolutionär zu wirken wie seine SYMPHONIE FANTASTIQUE.


    Jacques Offenbach: LES DEUX AVEUGLES - Der konsequente Bruch mit der großen Oper und die Etablierung der Operette. Gilbert and Sullivan waren dagegen eher evolutionär.


    Verdi: NABUCCO - die Überwindung des reinen Belcanto, zugleich ein Werk mit beinahe revolutionären Folgen


    Wagner - TRISTAN UND ISOLDE - wurde zu Recht schon genannt


    Mussorgsky: BORIS GODUNOV - nicht nur vom Inhalt her ein revolutionäres Werk, denn niemals zuvor hatte der Chor in diesem Maße eine Hauptrolle oder die russische Oper einen solchen Rang


    Mascagni / Leoncavallo: CAV und PAG - die Etablierung des Verismo


    Berg: WOZZECK - Mag das begründen, wer will, ich kann's wohl nicht fundiert genug. Trotzdem finde ich, dass die Oper hierher gehört


    Krenek: JOHNNY SPIELT AUF - Der Einzug des Jazz in die Oper war zwar zunächst nur eine vorüpbergehende Mode, aber nichtsdestoweniger wurde dies ein folgenreiches Werk.


    Weill: DIE DREIGROSCHENOPER - Kommentar überflüssig, oder?


    Zimmermann: DIE SOLDATEN - Nie wirklich populäre, aber einflussreich wie kaum eine andere Oper


    Ich bin gespannt, wen ich alles vergessen habe.


    :hello: Jacques Rideamus

  • Zitat

    Original von Jacques Rideamus
    Berg: WOZZECK - Nicht die allererste Zwölftonoper, aber sicher die erste von dauerhaftem Rang und Einfluss


    Tut mir leid, bleibt trotzdem falsch.
    :motz:

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister


    Tut mir leid, bleibt trotzdem falsch.
    :motz:


    Ich fehlerhaftes Wesen lasse mich ja gerne korrigieren, aber nur meckern ist nicht besonders konstruktiv für den Dialog. Welches Werk würdest Du denn nehmen oder sprichst Du Bergs Oper den dauerhaften Rang und Einfluss ab?


    :yes: J.R. II

  • Zitat

    Original von Jacques Rideamus


    Ich fehlerhaftes Wesen lasse mich ja gerne korrigieren, aber nur meckern ist nicht besonders konstruktiv für den Dialog.


    :yes: J.R. II


    Entschuldigung, das haben wir hier zwar schon (ein paar?) mal richtiggestellt, aber Du musst ja nicht dabeigewesen sein ...


    Der Wozzeck ist nicht zwölftönig.
    :hello:

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    Entschuldigung, das haben wir hier zwar schon (ein paar?) mal richtiggestellt, aber Du musst ja nicht dabeigewesen sein ...


    Der Wozzeck ist nicht zwölftönig.
    :hello:


    Da muss ich tatsächlich gefehlt haben. Nehm ich halt meine Begründung raus und überlasse sie anderen, die mir da gerne überlegen sein dürfen.


    :stumm: J.R. II

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  • Den Rosenkavalier würde ich auch als revolutionär ansehen.
    Bis zum Rosenkavalier gab es eine kontinuierliche Entwicklung der Oper bis hin zu immer extremeren Ausdrucksmitteln, gipfelnd in der Elektra.
    Der Rosenkavalier hat dann erstmals diesen linearen Verlauf der Geschichte in Frage gestellt. Die erste postmoderne Oper, möglicherweise sogar das erste postmoderne Werk überhaupt?
    Jedenfalls ein gewagter Schritt rückwärts, reich an Zitaten, ein Bruch mit der Geschichte - mit Sicherheit revolutionär!

    "Das Große an der Musik von Richard Strauss ist, daß sie ein Argument darstellt und untermauert, das über alle Dogmen der Kunst - alle Fragen von Stil und Geschmack und Idiom -, über alle nichtigen, unfruchtbaren Voreingenommenheiten des Chronisten hinausgeht.Sie bietet uns das Beispiel eines Menschen, der seine eigene Zeit bereichert, indem er keiner angehört." - Glenn Gould

  • Zitat

    Original von rappy
    Jedenfalls ein gewagter Schritt rückwärts, reich an Zitaten, ein Bruch mit der Geschichte - mit Sicherheit revolutionär!


    Sind jetzt auch alle Schritte rückwärts revolutionär?
    Gab es vor Richard Strauss keine konservativen Komponisten?
    :baeh01:


  • Lieber Jacques,


    und was sollen wir anderen nun dazu noch schreiben??? :D ;)


    Florian

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister


    Sind jetzt auch alle Schritte rückwärts revolutionär?
    Gab es vor Richard Strauss keine konservativen Komponisten?
    :baeh01:


    Strauss war ja anfangs gar nicht konservativ. Ich sehe den Rosenkavalier als Bruch mit der linearen Entwicklung der europäischen Kunstmusik, nach dem Motto: So Leute, jetzt nimmt der große Pfad ein Ende verzweigt sich. Nehmt den Pfad, den ihr wollt, oder sucht einen neuen und macht was ihr wollt.
    Mal ganz polemisch ausgedrückt :D

    "Das Große an der Musik von Richard Strauss ist, daß sie ein Argument darstellt und untermauert, das über alle Dogmen der Kunst - alle Fragen von Stil und Geschmack und Idiom -, über alle nichtigen, unfruchtbaren Voreingenommenheiten des Chronisten hinausgeht.Sie bietet uns das Beispiel eines Menschen, der seine eigene Zeit bereichert, indem er keiner angehört." - Glenn Gould

  • Zitat

    Original von rappy
    Ich sehe den Rosenkavalier als Bruch mit der linearen Entwicklung der europäischen Kunstmusik, nach dem Motto: So Leute, jetzt nimmt der große Pfad ein Ende verzweigt sich. Nehmt den Pfad, den ihr wollt, oder sucht einen neuen und macht was ihr wollt.


    Es gibt keine lineare Entwicklung der europäischen Kunstmusik.
    Dazu mach ich aber erst einen Thread, wenn wir uns bei der Tonalität und der Natur etwas besser verständigen könnten. Dort habe ich meinen letzten Beitrag noch etwas erweitert.
    :hello:


  • Lieber Herr Teufel,


    nicht einmal ich wäre so vermessen, zu unterstellen, dass ich


    a) das Thema auch nur annähernd erschöpfend behandelt hätte


    b) mit meinen Kurzthesen überhaupt Recht habe. KSMs Hinweis auf den missgelobten Berg ist sicher nicht der einzige Fehler von Relevanz, auch wenn es verdienstvoll wäre, den nicht nur aufzudecken, sondern auch eine Alternative aufzudecken, sei es bei der Nominierung oder Begründung.


    Also nicht verschrecken lassen. Wenn man es genau betrachtet, könnte man sogar jede meiner Nominierungen aushebeln. Und ergänzen sowieso.


    NACHTRAG nach Lektüre der ersten folgenden Beiträge: QUOD ERIT DEMONSTRANDUM :D


    Fragen wir uns also: was ist eigentlich revolutionär?


    Oder füttern wir unsere Olympioniken.:D


    :hello: Jacques Rideamus

  • Zitat

    Original von Diabolus in Opera
    und was sollen wir anderen nun dazu noch schreiben???


    Warum wurde nicht die Entführung genannt? Die erste "gelungene" deutsche Oper, die noch immer in Operhäusern gespielt wird?


    Ist Beethovens Fidelio nicht revolutionär? Wie er den Stoff verarbeitete.


    Und Mayr, der "trait d'union", der mehrere Opern geschrieben hat, worin ich sowohl "klassische" als "bel canto" Elementen spüre.


    Oder Mercadante, der m.E. die erste Oper schrieb wobei nacheinander durchkomponiert wurde, statt Rezitativen zu benützen. Was Verdi übrigens danach ganz gut benützte.


    Und dann rede ich nur über meine kleine Nische, die Epoche von grob weg 1750-1850.


    LG, Paul

  • Ich denke das Peris "Eurydice" (die ja ähnlich wie die kaum erhaltene Daphne sein dürfte) weitaus revolutionärer als Monteverdis "L'Orfeo" ist.
    Denn im Gegensatz zu Monteverdi, verpflichtete sich Peri ganz der Avantgarde seiner Zeit und griff nicht auf Madrigale u.ä. zurück.



    1647 Luigi Rossi : Orfeo


    diese Oper lößte den frz. Bürgerkrieg aus.
    Denn das der Adel gezwungen wurde dieser italienischen Prunkoper beizuwohnen war wohl der letzte Tropfen der noch fehlte um den Aufstand losbrechen zu lassen.
    Musikalisch ist die Oper allerdings kaum revolutionär.



    1672 Robert Cambert: Pomone


    Cambert schrieb die erste frz. Oper und nicht Lully.
    Sein Werk (das leider nicht mehr vollständig erhalten ist) war damals absolut neuartig und revolutionär, was ja Lully überhaupt erst dazu brachte selbst Opern zu schreiben.
    Allerdings ist "Cadmus et Hermione" seine erste Oper hier stilbildend, die Nachfolgenden Werke Thesee und Alceste gehören deshalb nicht hierher.
    Allerdings gibt es in Lullys Opernschaffen mehrer kleine Revolutionen, wenn er seinen Stil umformt:
    - Atys 1676
    - Persee 1682
    und die Triology Amadis - Roland - Armide was das Sujet anbelangt.



    1693 Marc Antoine Charpentier: Medée


    Kaum ein Komponist hatte so viel Mut bewiesen um die alten Formen Lullys aufzubrechen und italienische Elemente einfließen zu lassen, aber die Oper wurde aus besagten Dingen schnellstmöglich abgesetzt.


    1711 Georg Friedrich Händel: Rinaldo


    mit dieser Oper löste Händel nicht nur den Opernboom in London aus, sondern bewirkte ein wirklich revolutionären Stilwandel in der englischen Musik.
    Die alten Masques und andere englische Gengres verschwanden entgültig.


    1733 Jean Philippe Rameau: Hippolyte et Aricie


    nachdem man nun fast 50 Jahre den Stil Lullys imitierte und wenig Neuerungen in der frz. Oper vermerken konnte, war dieses Werk (die erste Oper des fast 50 jährigen) ein absoluter Kulturschock.
    Rameau behandelte das Orchester in nie gekannter Art und Weise, ein völlig neuer Stil.
    Der erste große Streit brach los zwischen den Lullisten, die das Werk als Verrat an der Sache Lullys sahen und die Ramoneurs die den neuen Stil forderten.


    1753 Giovanni Battista Pergolesi: La serva padrona


    Nein, diese Oper ist nicht der Ursprung der Buffa Opera, die gab es schon vorher, diese Oper löste in Frankreich den Buffonistenstreit aus und löste den Streit um Rameau ab.
    Denn die Lullisten erwählten jetzt Rameau als ihren "Führer"
    Das revolutionäre ist vor allem die Thematik und dass was es im kulturellen Leben in Frankreich bewirkte.


    1774 Christoph Willibald Gluck : Iphigenie en Aulide


    Glucks wirkliche Reformoper.
    Zur Thronbesteigung Louis XVI und Marie Antoinettes in Paris gegeben, läutete dieses Werk die langersehnte neue Ära ein - denn Glucks Stil unterschied sich natürlich stark von dem frz. Stil à la Rameau und Mondonville. Die Oper fegte die Werke der Vergangenheit aus den Spielplänen.


    aber die wohl meisten "Revolutionen" darf sich wohl Mozart auf die Fahne schreiben :D

  • Zitat

    Original von Jacques Rideamus
    Purcell: THE FAIRY QUEEN - Dieses Amalgam aus Oper, Ballett und Zirkus war fraglos revolutionär, auch wenn es sich lange nicht so erkennbar auswirkte. Händels opere serie wären ohne ihn jedenfalls kaum in der bekannten Form denkbar.


    Das halte ich für ein Gerücht. Händel ist in der Opera Seria erstmal "Italiener". Purcell eigenartige Semi-operas (und Dido) sind zweifellos großartige Einzelwerke, aber meinem Eindruck nach bilden sie einen Seitenstrang der Entwicklung der Gattung, der keinen nennenswerten Einfluß auf nachfolgende Komponisten von Rang ausgeübt hat. Vielleicht hätten Händels Anthems oder Acis&Galathea oder L'allegro... ohne Purcell anders ausgesehen, aber Opern hat er schon geschrieben, als er sicher noch keinen Ton von Purcell gehört hatte, in Hamburg und Italien.


    Ich nominiere:


    Mozart: Die Entführung aus dem Serail
    Hier wird die deutsche Oper/das Singspiel auf eine ganz neue Ebene gerückt, durch Aufwertung des musikalischen (auch orchestralen) Anteils und das Hereinnehmen gattungsfremder Elemente (Konstanzes Marten-Arie würde eigentlich in eine Seria gehören)


    viele Grüße


    JR


    (ich sehe gerade, Paul hat die Entführung gerade genannt, er hat recht :yes: )

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)