Die lateinischen Messekompositionen von Franz Schubert ( immerhin sechs Zyklen: F-dur, 1814, G-dur, 1815, B-dur, 1815/16, C-dur, 1816, As-dur, 1819-22, Es-dur, 1828 ) werden immer noch unterschätzt. Als Meister der kleinen Form, des Liedgesanges, hat man ihn früh eingeordnet, dass er die große Form beherrschte, muss - wie im Fall der Messen - immer noch nachgewiesen werden.
So nehme ich als Einstieg dankbar die Frage der Textauslassungen auf, die sich in einem anderen Zusammenhang stellte. Sie weist ja unmittelbar auf den historischen Zeitpunkt und die Problemstellung der Kirchenmusik Schuberts hin. Schubert erlebte das Erstarken der Kirchenmusik mit der Restauration des Katholizismus in der nachjosephinischen Zeit. Gegen die Annäherung der Messekompositionen an die Sprache der Oper hatte es schon vorher Tendenzen gegeben, die eine Renaissance auf der einen Seite von homophonen a cappella-Sätzen auf der anderen Seite von einer an Palestrina orientierten Polyphonie anstrebten.
Wenn man nun auf die Textauslassungen zu sprechen kommt, so muss vorangestellt werden, dass in den wenigsten Messen der Zeit der liturgische Text ohne Abweichung vertont wurde. Erst im Lauf der Reformbestrebungen des Cäcilianismus wurde die Textvollständigkeit verbindlich (Kantner, Schubert-Studien, S. 137).
Von Messe zu Messe differieren bei Schubert die Eingriffe in den Text. Hans Jaskulsky (Die lateinischen Messen Franz Schuberts, Mainz, 1986) ist der Frage nachgegangen und hat die bisher in der Forschung gegebenen Begründungen diskutiert. Dabei fasst er zusammen:
- mangelnde Lateinkenntnisse können nicht zugrunde gelegt werden, seine bei den Piaristen des Konvikts erworbenen Kenntnisse dürfen für das Verständnis des Textes durchaus ausgereicht haben.
- mangelnde Kenntnis des Messetextes kann ausgeschlossen werden, da Schubert sowohl bei der Aufführung vollständig textierter Messen mitwirkte und seine erste Messe belegt, dass er den Text des Ordinariums kannte
- Gedächtnisfehler sind bei der Komposition der Messen der Frühzeit innerhalb kürzester Zeit nicht auszuschließen
- einige Textauslassungen ergeben sich aus übergeordneten musikalischen Lösungen und beweisen, dass für Schubert die Musik Vorrang vor dem Text hat
- private Einstellungen zeigen die konsequenten Auslassungen von "et in unam sanctam catholicam et apostolicam ecclesiam". Sie bekunden die Distanz zu der Kirche als Institution (Dürr/Krause: Schubert Handbuch.1997). Eine persönliche Scheu zeigt wohl die Auslassung des "et expecto ressurectionem".
Dazu Jaskulsky: "Eine aus der liberalen josephinischen Ära herüberreichende Unbedenklichkeit im Umgang mit liturigischen Texten, vor allem aber subjektive Differenzen gegenüber einigen fundamentalen Lehren der katholischen Kirche müssen die Auslassung zentraler Glaubenssätze zumindest begünstigt, wenn nicht sogar bewirkt haben. 'Gewiss, ein Kämpfer wie Beethoven war Schubert nicht' (Goldschmidt), gerade aber die Textgestalt seiner Messen bezeugt den nachdenklichen. kompromißlosen Menschen und Komponisten besonders eindringlich da, wo Beethoven sich dem Wortlaut des Meßtextes unterwarf." (S. 72)
Liebe Grüße Peter