Die meisterhafte Überraschung

  • Welcher Klassikfreund kennt die Situation nicht? Man hört Radio, während man sich eigentlich mit etwas ganz anderem beschäftigt, und plötzlich hört man ein Werk, von dem man noch nie etwas gehört hat, ja von dessen Existenz man nicht einmal ahnte, und ist spontan von dessen Schönheit eingenommen.


    Mir ging es heute so, während ich Rundfunkaufnahmen von Haydn-Sinfonien durchhörte und plötzlich auf ein Werk stieß, bei dem ich (bzw. meine Quelle) einfach die Aufnahme hat weiterlaufen lassen ohne das Werk zu identifizieren. Zum Glück gab es da eine Ansage, und ich stellte fest, dass es von dem Werk sogar diese Aufnahme gibt, die wegen des Programms auf meinem Wunschzettel gleich ganz weit obern eingetragen wurde:



    Zwei der Werke auf dieser Sammlung (Verdi, Puccini) kannte ich bereits, obwohl auch sie für ihre Komponisten relativ untypisch sind. Das Werk, dessen Existenz ich bis dato allenfalls abstrakt vermuten konnte (warum sollte Humperdinck auch keine Quartette geschrieben haben?), ist das Streichquartett c-Dur von Engelbert Humperdinck, das mich mit seiner melodischen Schönheit sofort für sich einnahm.


    Nun würde mich interessieren, über dieses Werk etwas mehr zu erfahren, und ich dachte mir "wozu gibt es Tamino?" Da wird doch bestimmt jemand etwas dazu sagen können, ohne dass man gleich einen eigenen Thread aufmachen muss. Oder doch? Kann jemand dazu was sagen?


    Vor allem aber: mit welchen Werken ist es Euch womöglich ähnlich gegangen?


    :hello: Jacques Rideamus

  • Ja, lieber Jacques, das kommt glücklicherweise immer wieder vor, auch wenn ich fast kein Radio mehr höre. Aber neulich, auf einer Rückfahrt vom Rhein nach einem sonnendurchfluteten Abend am Ufer desselben, kömmt mich doch tatsächlich - ich fuhr durchs malerische Duisburg direkt am liebereichen Thyssenwerk vorbei - der Strauss mit seiner Rosenkavaliers-Suite!


    Straussens instrumentellere Taten ohndies nicht so gut kennend hatte ich besonders diese kleine Handarbeit immer für einen sahnigen Aufguß aus dem unschlagbaren "eigentlichen" Werk gehalten, das ich selbstverständlich bestens kenne und innigst liebe - und wurde nun in voller Lautstärke aufs Angenehmste eines Besseren belehrt.


    Gerade dadurch, das viele Themen hier in einen etwas anderen Zusammenhang gestellt werden, gewinnt die Suite eine Art Eigenleben, werden ganz andere Bezüge gestiftet (auch harmonisch), die interessant und bereichernd wirken.


    Das werde ich jetzt öfter hören.


    Ähnliche Erlebnisse hatte ich - Du sprachst es ja schon an - mit Verdis Streichquartett (da hatte ich in Gedanken vergessen, beim Namen "Verdi" so rasch wie möglich das Radio auszuschalten, was ich sonst unfehlbar tue, und mich plötzlich ertappt, wie ich begeistert dem Geschehen jener vier vernüftigen Menschen folgte, die dort das Ihre taten), oder auch mit Haydns Violinkonzert C-Dur.


    Das Radio hat, bei allem Gelabere, das man da reingedrückt bekommt, nun auch sein Gutes. Und, wie Du, lieber Jacques, nett titeltest, handfeste Überraschungen parat.


    Vor wenigen Tagen lief auf WDR 3 eine kleine Themazusammenstellung zu Schuberts "Winterreise" (jedenfalls, soviel ich mitbekommen habe). Und da war es zu hören, das, was ich schon nicht mehr für möglich gehalten hatte. Ich habe die "Hannes Löschel Stadtkapelle" erstmals dort vernommen, die aus Österreich sein muß, mit einem Lied, also mit einem Lied... seitdem denke ich mir: Kennen Sie lustige Musik? Ich schon. Jetzt.


    Das hat mich schlichtweg umgehauen, mit welch gesunder Naivität da alles mögliche zu einem ungeheuerlichen Liedermachermix zusammengesungen, -gefidelt, -getrötet und -gestampft worden war.


    Eine wahrhaft "meisterliche Überraschung". Und die nach Schuberts "Im Dorfe", gar von diesem inspiriert? Ich konnte es nicht fassen...



    Alex.

  • Ich höre auch nur noch wenig Radio - aber als Student ist es mir öfter so gegangen, daß ich mit meinem Tonband aufnahmebereit neben dem Radio saß, um aber etwas ganz anderes zu tun als aktiv Musik zu hören - und plötzlich war sie da, eine verzaubernde Melodie, für deren Rest man nur noch schnell den Aufnahmeknopf drücken konnte, in der Hoffnung, daß sie noch lange andauern und daß ihr Hauptthema noch möglichst oft wiederholt werden möge.


    Eine dieser Gelegenheiten war ein Stück, das ich erst Jahre später identifiziert habe als Heitor Villa Lobos, Bachianas Brasileiras 1, Satz 2 (Modinha), das nach knapp einer Minute eines von diesen raren, überirdisch schönen Themen bringt, auf das zu warten sich einen Tag oder auch eine ganze Woche lohnt. Nach knapp 6 Minuten taucht das Thema dann nochmal auf, es ist im Kasten und man hört es immer und immer wieder, ohne zunächst eine Idee zu haben, was es denn sein könnte. Und wenn man es schließlich irgendwann einmal per Zufall findet, ist es ein Festtag, egal, was sonst für Widrigkeiten passieren.


    Ich freue mich, daß es Dir mit dem Hadn auch so ergangen ist, und zum Glück gab es ja noch die Ansage, um was für ein Stück es sich handelt.