Anatol Ugorski

  • Sagitt meint:
    Ugorski wurde 1942 in Leningrad geboren. Er stammt aus einer jüdischen Familie und wuchs mit fünf Geschwistern in bescheidenen Verhältnissen auf, ein Xylophon und seine Stimme waren die einzigen Instrumente, über die er zu Hause verfügte. Im Alter von sechs Jahren nahm er, ohne irgendwelche Beziehungen zu haben und ohne Vorbereitung, an einer Aufnahmeprüfung für die Musikschule am Leningrader Konservatorium teil. Er wurde aufgenommen, obwohl er bis dahin noch nie Klavier gespielt hatte. 1960 verließ er die Schule und setzte sein Studium bis 1965 am Konservatorium bei Nadeschda Golubowskaja fort.Doch seine Karriere mit öffentlichen Auftritten gestaltete sich schwierig. Das für russische Pianisten übliche Repertoire mit Werken von Tschaikowsky und Rachmaninow lehnte er ab, lieber spielte er Bach, Beethoven, viel Skrjabin und andere Stücke des 20. Jahrhunderts. So fristete er als Liedbegleiter der Jungen Pioniere und mit Soloabenden in entlegensten Provinzen seine Existenz, immer misstrauisch beäugt auch wegen seiner Herkunft. Als er beim ersten Konzert von Pierre Boulez in der UdSSR diesem zu sehr zujubelte wurde er sogar disziplinarisch belangt. Doch an Auswanderung - wie so viele andere jüdische Musiker in dieser Zeit - dachte Anatol Ugorski nicht, er verbucht diese Jahre heute als wertvolle Lern- und Übungszeit: "Ich konnte mich auf meinem Weg festigen, hatte Zeit, stand noch nicht im gleißenden, oft grausamen Rampenlicht."
    Diejenigen, die Anatol Ugorski hören wollte, wussten, wo sie ihn finden konnten: Seine meist nicht öffentlich plakatierten Konzerte in Leningrad waren immer überfüllt, sein Ruhm blühte im Verborgenen. Als er trotzdem immer berühmter wurde, berief ihn 1982 das Konservatorium als Lehrer. Als die antisemitischen Angriffe immer schlimmer wurden und sogar seine Tochter bedroht wurde, floh die Familie im Sommer 1990 über Ostberlin nach London, wo sich ein Kontakt zu der damals in Berlin ansässigen amerikanischer Schriftstellerin Irene Dische herstellen ließ.Mit ihr machte er einen gemeinsames Projekt zu den Diabelli-Variationen und diverse Lesetourneen. Mit deren Hilfe - und der der Presse - konnte sich Anatol Ugorski fast überstürzt auf dem internationalen Markt positionieren. Worauf andere lange hinarbeiten, das hatte er plötzlich und schnell - einen Plattenvertrag mit einer renommierten Firma, einen guten Agenten, Auftritte in der ganzen Welt, große Artikel in den Zeitungen.Schnell polarisierte er die Gemüter. Den einen galt er als Exzentriker, der mit dem Notentext viel zu frei umgeht, anderen als avantgardistisch aufgeschlossener Musikintellektueller mit einem Touch "hoffmannesk-romantischer Interpretationsindividualität".
    Ugorski wurde von der DG in den frühen Neunzigern groß herausgestellt, Beethoven op. 111, Diabelli-Variationen und eine großartige Darstellung von op. 129- ein echtes Kabinettstück.
    Brahms alle Klaviersonaten, Händelvariationen. Messian, catalogue d´oiseaux und diverse andere. Auf dem " Markt" ist es recht ruhig um diesen Pianisten geworden,viele ältere Aufnahmen bei der DG gestrichen.
    Er liebt Extreme- Schnelles noch schneller, Langsames noch mehr zu dehnen, dabei unverkennbar " russische Pranke". man höre nur den ersten Satz von op. 5 von Brahms.
    Da er polarisiert sind mal wieder kontroverse Meinungen erwartbar.

  • Tag,


    A.U. mit dem 3. Klavierkonzert von Beethoven, dem Philharmonischen Staatsorchester Hamburg, Leitung Gerd Albrecht: Es knallt, der Diskant von äußerster Schärfe, der Flügel als Schlaginstrument traktiert ('traktiert', das passende Wort), viel Lärm in der Hamburger Musikhalle. Albrecht machte auch noch Lärm, mit Brahms/Schönberg, Orchesterfassung von op. 25. Fortefortissimofortefortissimo. Man vergisst Derartiges. Die Beethoven-Bagatellen, Deutung A.U., vergessen. Vergessen Die Bilder einer Ausstellung, die vielgelobte Durchbruch-Aufnahme der Deutschen Grammophon-Gesellschaft. - Man erinnert die Geschichte? A.U. kam besitzlos nach Berlin (West), für eine Nacht kam er auf Vermittlung bei einem Manager der DGG unter, zum Schlafen und Frühstücken. A.U. war schon früh auf, Die Bilder einer Ausstellung erklangen vom Flügel des Hausherrn, der durch die Türe A.U. den Wohnungsschlüssel reichte, der den ersten Kontrakt mit der DGG sicherte. Der Spiegel berichtete, die Kaskade des Erfolges brach los.


    Making a star.


    MfG
    Albus

  • Kennt jemand neuere Aufnahmen von Anatol Ugorski? Mir scheint er ist irgendwie in der Versenkung verschwunden. Bei der DG hat er jedenfalls schon länger nichts mehr aufgenommen. Meine einzige Aufnahme mit ihm sind "seine" Diabelli Variationen- die habe ich allerdings schon eine Ewigkeit nicht mehr gehört.



    Herzliche Grüße,


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Von A. Ugorski habe ich mittlerweile mehrer Aufnahmen: Diabelli, Skijabin Klako, die Brahms Sonaten und Werke für 2 Klaviere.


    Zur Skrijabin Aufnahme kann ich sagen das ich die Aufnahme insgesamt als rehct gut bezeichnen kann. Auch wenn ich im Zweifelsfall die Demidenko Aufnahme vorziehen würde.


    Seine Diabelli Variationen habe ich eher als extreme Aufnahme in Erinnerung, bei der mehr gedonnert wird als Musik gespielt.
    Ist aber schon einige Zeit her und ich werde sie mir gleich nochmal anhören.


    Die Brahms Aufnahme machte beim ersten Hören einen guten Eindruck, muß ich mich aber noch intensiver mit beschäftigen.


    Seine Beethoven Sonaten sollen sehr gut sein! kann das jemand bestätigen?

  • Zitat

    Original von Richard


    Die Brahms Aufnahme machte beim ersten Hören einen guten Eindruck, muß ich mich aber noch intensiver mit beschäftigen.


    Sie kam kürzlich wieder bei JPC für 9,99 € ins Angebot. Hatte ich lange drauf gewartet. Vielleicht kommen mehrere Aufnahmen wieder auf den Markt!

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  • Professor Anatol Ugorski beendet offensichtlich seine Lehrtätigkeit an der Hochschule für Musik Detmold. Am 8. Juni gibt es ein Abschiedskonzert mit ehemaligen Studenten des russischen Meisterpianisten. Auch die beiden als Pianisten auftretenden Mitglieder der Familie Ugorski sind mit von der Partie und spielen Mozart.


    Das Marathon-Programm enthält zahlreiche Hits der Klaviermusik. So gibt es:


    Ludwig van Beethoven: Sechs Variationen über ein eigenes Thema F-Dur op. 34


    Frédéric Chopin: 24 Préludes op. 28


    Franz Schubert: Wandererfantasie


    Modest Mussorgski: Bilder einer Ausstellung


    Felix Mendelssohn Bartholdy: Variations sérieuses


    Maurice Ravel: La Valse - Transcription par l'auteur pour piano


    Wolfgang Amadeus Mozart: Konzert für zwei Klaviere und Orchester Es-Dur KV 365


    Um 19.30 in der Hochschule für Musik Detmold

  • hallo,
    zum thema ugorski und beethoven nur kurz: die diabelli-variationen gefallen mir nach wie vor sehr gut und ich denke, dass man sie kaum als "gedonnert" empfinden kann: whar ist, dass hier ausdrucksgehalte ins extrem gesteigert werden und ein sehr individualistischer stil erkennbar ist, der aber dem werk keine gewalt angehört. im gegenteil: wer sich daruf einlässt, wird mit großem farben- un danschlagsreichtum (und v.a. auch vielen "leisen" tönen) belohnt.


    evtl. extremer fällt die letzte beethoven sonate aus: ich gebe zu, das ich dafür eine schwäche besitze, da ich bei op 11 sowieso inzwioschen der meinung bin, dass sie im allgemeinen viel zu schnell gespielt wird : und ugorski ist hier ein extremist der langsamkeit: 11'12'' der erste, 26'54'' (!) der zweite satz - ich kenne hier niemanden, der sich mehr zeit nimmt (und ihr?).
    dennoch: sehr spannungsreiches klavierspiel, kein manierismus, kein pseudo-tiefsinn, den man mit langsamkeit zu erreichen versucht. unbedingt hörenswert, vielleicht für den/die, der/die schon andere aufnahmen von op111 besitzt.
    mit auf der cd: bagatellen op. 126, "für elise" und "wut über den verlorenen..."


    bleibt zu hoffen, dass er nochmal einen plattenvertrag bekommt und aufnahmen von ihm erscheinen: ich hörte ihn seinerzeit live in freiburg u.a. mit scarlatti, von dem ich mir eine aufnahme mit ihm wünschen würde


    gruß,
    john lackland

  • 6 Jahre sind seit dem letzten Eintrag in diesem Thread vergangen und Ugorski hat sich - soweit es Tonaufnahmen betrifft - scheinbar zurückgezogen. Aber zumindest EINE Einspielung hat er inzwischen für das Label CAvi gemacht, nämlich eine Doppel-CD mit Scriabins Klaviersonaten. Die Aufnahme entstand 2009 und wurde im Herbst 2010 veröffentlicht. Das lässt weitere Veröffentlichungen für möglich erscheinen, insbesondere, da seine Tochter Dina Ugorskaja zeitnah ebenfalls 2 Aufnahmen für dieses Label gemacht hat. Im Scriabin Thread hat a.b. übrigens bereits Ende 2012 auf diese Aufnahme aufmerksam gemacht. Aber wie heisst es so schön: Steter Tropfen höhlt den Stein....

    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !





  • Diese vier Aufnahmen sind in meinem Regal. Zum Teil gibt es diese Aufnahmen gebraucht zu kaufen. Den Messiaen werde ich mir zum Tagesbeginn anhören.


    Ein schönes Bild auf dem Cover der Skriabin-CD. Über sich selbst zu lachen ist eine vornehme Tugend. Diese CD werde ich mir zulegen. Lieber Alfred_Schmidt, so ist schon ein wenig vom Stein abgetragen.


    Eine Bemerkung sei noch angebracht: Die antisemitischen Angriffe sowie die Verfolgung anderer Minderheiten (Der Grund für Anatol Ugorskis Ausreise) sind seit 1990 in Putin-Land nicht weniger geworden sein.
    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Zum heutigen Geburtstag von Anatol Ugorski habe ich diese Aufnahmen ausgesucht:





    Anatol Ugorski feiert heute seinen 73. Geburtstag.


    Herzlichen Glückwunsch!


    Willi :jubel::jubel::jubel::jubel::jubel:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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  • Vor knapp 2 Monaten erschienen:



    Ich habe sie mir gerade zugelegt und auch die Scriabin-Sonaten:



    Ich freue mich auf das Hörabenteuer - denn mit Ugorski habe ich mich bislang nur eher randläufig beschäftigt.


    Schöne Grüße
    Holger