Mendelssohn-Bartholdy: Schauspielmusiken

  • Felix Mendelssohn-Bartholdys Schauspielmusik zu Shakespeares "Sommernachtstraum" op. 61 kennt fast jeder. Aber was ist mit den anderen drei Schauspielmusiken?


    Antigone Schauspielmusik zur Tragödie von Sophokles op. 55
    Oedipus in Kolonos Schauspielmusik zur Tragödie von Sophokles op. 93
    Athalia Musik zum Schauspiel von Jean Racine op. 74



    In den Vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts ließ der preußische König Friedrich Wilhelm IV. im Potsdamer Theater im Neuen Palais drei griechische Tragödien aufführen: Sophokles’ Antigone [1841], Euripides’ Medea [1843] und, erneut von Sophokles, Oedipus in Kolonos [1845]. Wesentliches Element dieses Rekonstruktionsversuches des griechischen Theaters stellte die eigens in Auftrag gegebene Schauspielmusik dar: Felix Mendelssohn Bartholdy komponierte die Musik zu den beiden Sophokles-Dramen, Wilhelm Taubert [1811 – 1891] die zu Medea. Es handelte sich hierbei um die ersten Aufführungen jener Werke in unbearbeiteter Form auf dem deutschsprachigen Theater, was vom zeitgenössischen Publikum als außergewöhnlich wahrgenommen und als wirkliche »Wiedergeburt« der griechischen Tragödie betrachtet wurde. Die damals schon in der Krise befindliche Gattung der Schauspielmusik erlebte durch Mendelssohns kongeniale Vertonungen eine letzte Blüte.


    Antigone
    Schauspielmusik zur Tragödie des Sophokles op. 55
    für Sprecherrollen, Bass-Solo, zwei Männerchöre und Orchester


    Ouvertüre
    Nr. 1 "Strahl des Helios, schönes Licht"
    Nr. 2 "Vieles Gewaltige lebt"
    Nr. 3 "Ihr Seligen, der deren Geschick nie kostet Unheil"
    Nr. 4 "O Eros, Allsieger im Kampf"
    Nr. 5 "Noch toset des Sturmes Gewalt ratlos"
    Nr. 6 "Vielnamiger! Wonn und Stolz der Kadmosjungfrau"
    Nr. 7 "Hier kommt er ja selbst"


    Oedipus in Kolonos
    Schauspielmusik zur Tragödie des Sophokles op. 93
    für Sprecherrollen, Bass-Solo, zwei Männerchöre und Orchester


    Introduktion - Nr. 1 "O schau! Es entfloh"
    Nr. 2 "Grausam ist es, o Freund"
    Nr. 3 "Zur rossprangenden Flur, o Freund"
    Nr. 4 "Von deinen Töchtern"
    Nr. 5 "Ach, wär ich, wo bald die Schar der Feinde"
    Nr. 6 "Wer ein längeres Lebensteil"
    Nr. 7 "Auf uns bricht von den blinden Greis"
    Nr. 8 "Ist es verstattet, dich, mächtige Göttin"
    Nr. 9 "Weh uns! Überall und ewig müssen wir klagen"



    Als Felix Mendelssohn Bartholdy 1843 vom preußischen König Friedrich Wilhelm IV. den Auftrag zur Komposition von Jean Racines Tragödie Athalie erhielt, schrieb er zunächst eine Fassung, die nur Frauenchöre [auf französisch] abseits des eigentlichen Handlungsverlaufs beinhaltete. Der Wunsch des Königs nach einer Aufführung in deutscher Sprache nötigte Mendelssohn zu einer ersten Umarbeitung, die sich bis 1845 hinzog und nun auch Männerstimmen einbezog. Später kamen noch die Ouvertüre, eine Zwischenmusik und ein erneut veränderter Schlusschor hinzu. Nach Mendelssohns Tod fasste sein Freund Eduard Devrient den Entschluss, den Text Racines zu komprimieren und »Zwischenreden« zu verfassen.


    Athalia
    Musik zum Schauspiel von Jean Racine op. 74
    in der dt. Übersetzung von Ernst Raupach mit den Zwischenreden von E. Devient


    Ouvertüre
    Deklamation "Ein Vorgang ist´s aus heiligen Geschichten"
    Nr. 1 "Herr durch die ganze Welt"
    Deklamation "Die reinen Herzens sind"
    Nr. 2 "O seht, welch ein Stern"
    Deklamation "Verschwunden aber ist nicht die Gefahr"
    Nr. 3 "Lasst uns dem heil´gen Wort"
    Nr. 4 "Ist es Glück, ist es Leid?"
    Deklamation "Dem Frieden eine Stätte zu bereiten"
    Kriegsmarsch der Priester
    Deklamation "Hebt eure Augen auf. ihr Söhne Levi"
    Nr. 5 "So geht, so geht, ihr Kinder AArons, geht"
    Deklamation "Herein dringt jetzt"
    Nr. 6 "Ja, durch die ganze Welt"



    Zum Kennenlernen eignisch die folgende Box hervorragend:




    Welche Erfahrungen habt ihr mit diesen Werken gemacht?

  • Sollte ich nun jemanden neugierg auf diese Werke gemacht haben:


    Das mdr - Sinfonieorchester führt alle vier Schauspielmusiken im Mendelssohn - Jahr 2009 im Leipziger Gewandhaus auf!


    Ein Sommernachtstraum op. 61
    01.01.2009 20.00 Uhr
    Dirigent: Mario Venzago


    Antigone op. 55
    11.01.2009 11.00 Uhr
    Dirigent: Jun Märkl
    Sprecher: Dominique Horwitz


    Oedipus in Kolonos op. 93
    07.04.2009 20.00 Uhr
    Dirigent: Jun Märkl
    Sprecher: Dominique Horwitz


    Athalia op. 74
    07.06.2009 19.30 Uhr
    Dirigent: Jun Märkl
    Sprecher: Dominique Horwitz



    Also, ich werde dabei sein!


  • Gibt es hier keinen Sprecher?
    Man braucht eigentlich einen, da es einige, auf Platten meistens gestrichene Melodram-Stellen gibt.
    Oder hat man es sogar in eine (gekürzte) Aufführung des Schauspiels eingefügt?


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hallo Johannes, das hab ich wohl übersehen:


    Sommernachtstraum op. 61
    01.01.2009 20.00 Uhr
    Dirigent: Mario Venzago
    Sopran: Viktorija Kaminskaite
    Alt: N. N.
    Sprecherin: Oda J. Pretzschner

  • Da es völlig unverständlicherweise noch keinen Einzelthread zu der berühmtesten Schauspielmusik der Klassik zu geben scheint, füge ich den Überblick erstmal hier ein:


    William Shakespeare (übers. Schlegel):


    A Midsummer Night's Dream/Ein Sommernachtstraum


    Ouvertüre Op. 21


    Schauspielmusik op. 61


    Nr 1 Scherzo


    Nr 2 L'istesso Tempo (Melodram mit Musik des Scherzos im Hintergrund: Dialog Fairy/Elfe und Puck: "Over hill, over dale..."/"Über Täler und Höh'n")


    Fairies' March


    Nr 3 Lied mit Chor: "You spotted snakes"/"Bunte Schlangen, Zweigezüngt" (Titanias Schlummerlied)


    Nr 4 The Spells Andante - allegro molto
    (Melodram Oberon (Titania mittels des Blütensafts verzaubernd): "What thou see'st when thou dost wake"/"Was Du wirst erwachend sehn" (0:41))

    Nr 5 Intermezzo


    Nr 7 Notturno


    Nr 8 Melodram - Andante
    Oberon (macht den Zauber rückgängig): "Be as thou wast wont to be"/"Sei, als wäre nichts geschehn!" ... Dann Titanias Erwachen


    Nr 9 Wedding March/Hochzeitsmarsch


    Nr 10 A Prologue/Prolog
    (eine kurze Fanfare für das Schauspiel der Handwerker)


    Nr 10 B Funeral March/Trauermarsch (für Thisbe) [well roared, Lion - well run, Thisbe ;)]


    Nr 11 Dance Of The Clowns/Ein Tanz von Rüpeln


    Nr 12 Allegro Vivace
    (Pucks Monolog: "Now the hungry lion roars"/"Jetzt beheult der Wolf den Mond"
    Hier erklingt zuerst nochmal der Beginn des Hochzeitsmarsches,
    Dann Oberons und Titanias Segen zur Musik vom Anfang der Ouvertüre)


    Finale: "Bei des Feuers mattem Flimmern"



    Ich habe das nach der vollständigsten mir vorliegenden Einspielung (in engl. Sprache mit Judy Dench als Sprecherin) zusammengestellt.



    Wie schon angedeutet, werden, da die meisten Aufnahmen ja ohne Sprecher auskommen, die kurzen Melodramstücke Nr. 2, 4 und 8 und 12 häufig weggelassen.


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hallo Andythr!


    Zitat

    Original von andythr



    Welche Erfahrungen habt ihr mit diesen Werken gemacht?


    Ich habe die selbe Box, mit der ich mich allerdings noch nicht wirklich viel beschäftigt habe. Den Sommernachtstraum kannte ich schon vorher (in einer besseren Aufnahme; allerdings ohne die Melodrampassagen), und die beiden Sophokles-Vertonungen haben erstmal bei mir Befremden hervorgerufen.
    Die Sophokles-Dramen kenne ich ja wie meine Westentasche, und Musik dazu konnte/kann ich mir kaum vorstellen (ich weiß, daß damals in Athen Musik zu den Tragödien aufgeführt wurde), und solche schon gar nicht. Ich fand sie unpassend und irgendwie komisch. ?(
    Aber ich werde nun die Gelegenheit nutzen, und die Werke demnächst nochmals hören.


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Mendelssohns großartige Shakespeare-Bühnenmusik tritt sicherlich nicht ganz zu Unrecht aus dem Kreise seiner Schauspielmusiken ein wenig hervor, ist es doch meiner Ansicht nach das bedeutendere und beste unter diesen Werken.


    Auch abseits vom leider überberühmten Hochzeitsmarsch entfaltet sich vor den Ohren des Hörers eine hochromantische Märchenwelt in vollendeter kompositorischer Schönheit. Bemerkenswert ist dabei auch die Tatsache, dass die Ouvertüre von Mendelssohn im Alter von nur siebzehn Jahren verfasst wurde (wohl ohne die Absicht, sie einer vollständigen Bühnenmusik voranzustellen), der übrige Teil wurde dann 1843, siebzehn Jahre nach der Ouvertüre als Auftragswerk für den Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. komponiert.
    Darin liegt auch der Grund für die eigene Opuszahl des Vorspiels (21), während die Schauspielmusik, wie von Johannes Roehl angeführt, die viel spätere Zahl 61 trägt. Gleichwohl stellt Mendelssohn im Finale durch Zitate aus der Ouvertüre einen engen Zusammenhang zwischen den zeitlich weit auseinanderliegenden Kompositionen her.



    Meine Aufnahme, mit der ich sehr zufrieden bin, ist eine Einspielung mit Arleen Auger, Ann Murray und den Ambrosian Singers; Sir Neville Marriner steht dabei am Pult des transparent und leichtfüßig und dabei immer spannungsvol agierenden Philharmonia Orchestra.





    Zudem würde mich auch jene mit dem großen Erich Leinsdorf interessieren, die momentan recht günstig in der SONY-Esprit Serie zu bekommen ist.


    'Architektur ist gefrorene Musik'
    (Arthur Schopenhauer)