Diskographie: Fluch oder Segen!?!

  • Hallo,


    tja, das Wunder der Technik. LP , CD und SACD. Welches Medium auch immer eines haben sie alle gemein.


    Für die Künstler ist es ein Segen aber auch ein Fluch.


    Der Segen ist klar. Mit der CD kann ihre Kunst in jedes Wohnzimmer gelangen und natürlich wird das karge und anstrengende Künstlerleben :stumm: so zumindesten finanziell etwas erträglich.


    Es ist aber doch auch ein Fluch.


    Erstens tritt man gegen eine Vielzahl von "Referenzaufnahmen" an, die meist durch Legenden aufgenommen wurden, die für alle Zeit im Olymp der Klassischen Musik ihren Platz gefunden habe.


    Bsp.: Julia Fischer's Aufnahme mit russischen Violinenkonzerten. Mit auf der CD das Kachaturian und das Prokofiev VC. Ein Vergleich mit Oistrach und Heifetz kann man dann gar nicht vermeiden. Vielleicht nicht einmal "bestehen" da diese beiden bereits Legenden sind!


    Zweitens und das ist vielleicht noch "gefährlicher" kann man jederzeit mit der eigenen Leistung verglichen werden. Damit meine ich nicht nur die Möglichkeit die Aufnahme mit der Leistung im Konzert zu vergleichen.
    Viel eher denke ich daran, daß es durchaus in einem Künstlerleben dazu kommt, daß man ein Werk mehrfach aufnimmt.


    Wer möchte schon erkennen, daß sein Ton verblasst ?


    Wie seht ihr diese Thematik?

  • Hallo,


    an dieser Problematik wird sich kein Künstler vorbeimogeln können.
    Natürlich kann er versuchen, in seiner Karriere ein Werk nicht ein zweites Mal aufzunehmen, um Vergleiche mit sich selbst zu vermeiden. Andererseits ist das doch immer ein Indiz dafür, dass man sich weiterentwickelt hat und ein Werk aus einer ganz anderen Perspektive sieht und es demnach auch anders interpretiert.


    Das Verglichenwerden mit anderen Künstlern, vielleicht mit sogenannten Legenden, gehört nun mal einfach dazu.
    Ich glaube aber, dass sich die wenigsten darüber große Gedanken machen, wie sie im Vergleich mit den Brendels, Sterns oder Du Prés abschneiden.


    Und ohne CD-Aufnahmen geht es doch heute gar nicht mehr, oder?



    Gruß, Peter.


  • Das ist ein wenig irreführend. Plattenaufnahmen tragen zwar auch zum Einkommen bei, die Solisten (zu einem geringeren Teil auch die Dirigenten) leben aber von den Konzerttourneen. Maxim Vengerov (gegenwärtig in der Publizität nicht mal erste Reihe) etwa verdient 35.000 Euro - pro Abend.


    Zitat

    Erstens tritt man gegen eine Vielzahl von "Referenzaufnahmen" an, die meist durch Legenden aufgenommen wurden, die für alle Zeit im Olymp der Klassischen Musik ihren Platz gefunden habe.


    Das ist für den Künstler erstmal zweitranging, wenn es denn überhaupt bedeutsam wird. Der Vergleich wird primär von den Kritikern und den verrückten Sammlern angestellt.


    Zitat


    Zweitens und das ist vielleicht noch "gefährlicher" kann man jederzeit mit der eigenen Leistung verglichen werden. Damit meine ich nicht nur die Möglichkeit die Aufnahme mit der Leistung im Konzert zu vergleichen.
    Viel eher denke ich daran, daß es durchaus in einem Künstlerleben dazu kommt, daß man ein Werk mehrfach aufnimmt.


    Gut so, denn die Künstler entwickeln sich ja auch weiter, ihre Sicht von einem Werk unterliegt Änderungen.


    Zitat


    Wer möchte schon erkennen, daß sein Ton verblasst ?


    Wie seht ihr diese Thematik?


    Ich habe das bei vielen Künstlern noch nicht bemerkt: Rubinstein ist selbst im Alter von 85 Jahren noch auf der Höhe seines Könnens gewesen, Horowitz Klang ist am Ende seiner Karriere immer noch so glänzend gewesen, wie am Anfang - auch Heifetz oder Michelangeli, Gilels, Oistrakh, Milstein, Kempff habe relativ spät in ihrem Leben sehr gute Aufnahmen gemacht. Man spielt vielleicht nicht mehr so fehlerfrei.


    So lange ein Künstler mit der Aufnahme zufrieden ist, habe ich da nichts auszusetzen - und bei Künstlern, die im hohen Alter eine zweite oder dritte Aufnahme machen dürfen, handelt es sich ausschließlich um etablierte Stars, die zu nichts gezwungen werden können, egal wie gierig die Plattenfirmen sind.

    Gruß,
    Gerrit

  • Zitat

    Das ist ein wenig irreführend. Plattenaufnahmen tragen zwar auch zum Einkommen bei, die Solisten (zu einem geringeren Teil auch die Dirigenten) leben aber von den Konzerttourneen. Maxim Vengerov (gegenwärtig in der Publizität nicht mal erste Reihe) etwa verdient 35.000 Euro - pro Abend.


    Ja, aber wie kommt er zu dieser Abendgage? Weil er erfolgreich Platten veröffentlicht hat, die von vielen gekauft wurden, die ihn auch einmal Live sehen wollen und bereit sind, für entsprechend teure Karten viel Geld an der Abendkasse abzuliefern...


    Ciao

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Sagitt meint:


    Mir selbst als Sammler geht es natürlich so. Ich bin ein Betroffener. Ich höre eine neue Aufnahme und habe diverse im Schrank stehen und kann mich von den Vergleichen gar nicht frei machen. Ein neuer Star wrid aufgebaut- Medien müssen das tun, denn sie wollen ja Geld verdienen. Unsereins denkt: kenn ich aber besser ( ironische Anmerkung von Beikircher in seinen herrlichen Konzertführer).
    Ohne die Speicherung war der Künstler nur sich selbst Referenz. Das wird er/sie heute sicher oft so machen. Eine Netrebko wird sicher nicht zuhause sitzen und hören, wie die Callas oder die Caballè die Violetta gesungen haben.


    Ist man jünger, hört man natürlich die Aufnahmen der älteren- wird jedenfalls oft in Interviews bestätigt. Ich weiss nicht, was in einem jungen Liedersänger vorgeht, wenn er beste Aufnahmen von Dieskau hört ? Aber wer wird schon sagen, das schaff ich nie und den Berufswunsch aufgeben ?


    Also glaube ich, die wirklich Betroffenen sind diejenigen, die sich mit diesem Medium der Speicherung intensiv beschäftigen. Übrigens nicht nur unsereins, auch der Großkritiker Kaiser hat einmal zugegeben, es falle ihm gelegentlich schwer, sich zu freiem Hören zu motivieren- es sei da ein gewisser ennui vorhanden. Ich kanns verstehen.

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  • Zitat

    Original von sagitt


    Ist man jünger, hört man natürlich die Aufnahmen der älteren- wird jedenfalls oft in Interviews bestätigt. Ich weiss nicht, was in einem jungen Liedersänger vorgeht, wenn er beste Aufnahmen von Dieskau hört ? Aber wer wird schon sagen, das schaff ich nie und den Berufswunsch aufgeben ?


    Ein selbstbewußter Künstler wird es eher daraus Motivation ziehen und hoffentlich dabei erkennen das Nachahmung kein gutes Ziel ist.
    Eigenständigkeit und Entwicklung der eigenen Fähigkeiten ist dann gefragt.


    Im Begleitheft ihrer ersten CD schreibt Julia Fischer z.B. auch davon, daß David Oistrach ihr Vorbild ist.


    Was die Netrobko angeht: Warum sollte sie sich nicht alte Aufnahmen anhören?


    Wenn ich ein junger Geider wäre, dann würde ich mir ganz bewußt z.B. Heifetz und Oistrach anhören auch wenn es nicht mein Ziel wäre den einzigartigen Geigenton von Heifetz oder das Vibrato von Oistrach "nachzuspielen"!


    Gruß

  • Sagitt meint:


    Das ist eine hoch-interessante Fragestellung,die mich immer wieder beschäftigt hat. Das Selbstbewußtsein der Künstler. Einerseits sind die sehr sensibel, andererseits stehen sie in stärkster Konkurrenz. Sehr viel genauer als wir Laien können sie das Können der Konkurrenz einschätzen.
    Es schreibt sich leichter als es ist, sie sollen Selbstbewußtsein haben. Ich selbst habe erlebt, wie junge Sängerinnen im eine Rolle gekämpft haben und dann kamen hintereinander fünf und mehr Sängerinnen in den Raum hinein, die alle hätten die Rolle singen können. Bei einer solchen Situation von Austauschbarkeit sein Selbstvewußtsein zu bewahren, ist sicher schwierig.
    Natürlich finden große Künstler in der Regel ihre Identität ( aber wird nicht von Carlos Kleiber kolportiert, er habe sich an seinem eigenen Vater und dessen Interpretationen aufgerieben ?).
    Ich deute, dass die oftmals schwierige Persönlichkeitsstruktur u.a. darauf zurückzuführen ist, dass es an genau diesem Selbstbewußtsein fehlt.
    Und wenn wir dann auch noch schreiben zum Pianisten XY und der Sängerin Z, dass kennen wir aber besser,trägt es auch nicht gerade zum Selbstbewusstein bei.

  • Hier nun auch meine Meinung:


    Furtwängler hat einmal geäußert, dass sich mit der Möglichkeit der Aufnahme der Klang der Orchester gewandelt hat und deswegen analytischer und besser durchhörbar geworden ist. Dafür blieben Musikalität und subjektiver Klang mehr auf der Strecke. Die pessimistische Grundhaltung des Musikers hat sich auch auf mich übertragen. Trotz des Segens einer CD-Sammlung zu Hause, die es mir ermöglicht, gerade Musik des 20.Jahrhunderts kennen und schätzen zu lernen, halte ich Aufnahmen für einen Fluch. Der individuelle Weg eines Künstlers zu einem Werk, die Entwicklung seines eigenen Klanges können nicht mehr so reifen, als wenn er nur seine Lehrer, einige Konzerterlebnisse und seine Erfahrungen hat. Dies gilt auch für die Lehrer. Welche Veränderungen haben sich dadurch vollzogen? Heute wird Wert gelegt auf Technik, Durchhörbarkeit und Perfektionismus, nicht nur auf Tonträger, sondern automatisch auch im Konzert. Wenn eine schöne Melodie gespielt wird, dann wird sie ausgekostet. Alles wird zu sehr durchdrungen. Ich habe das Gefühl, dass heute viele Künstler große Denker sind, aber keine Musiker. Wo bleibt das Erleben von Melodik und Harmonik, ja eines einzelnen Tones?


    nubar

  • Ich finde es eigentlich einen Segen. Denn durch die verschiedenen Aufnahmen, wobei immer andere Akzente gelegt werden, lernt man als Laie eigentlich erst ein Werk kennen.


    Es ist erst einen Fluch, wenn die Firmen versuchen ein mittelmäßig ausgeführtes Werk zu promoten. Und das gescheht leider noch zu oft.


    LG, Paul