Paolo Gavanelli – ein Bariton, der polarisiert

  • Hallo zusammen,


    mit großer Überraschung lausche ich gerade der Aufzeichnung des „Elisir“ aus London und erlebe einen Dulcamara, dessen Sänger ich eine so spielerisch-humorvolle Gestaltung dieser Rolle gar nicht zugetraut hätte. Vielleicht also Zeit, dem promovierten Juristen Paolo Gavanelli einen eigenen thread hier im Forum zu widmen.



    Zum ersten Mal bewusst gehört habe ich die Stimme von Paolo Gavanelli vor etwa vier Jahren in dem Münchener Premierenmitschnitt der Traviata vom Oktober 1993, wo er den Giogio Germont sang. Sofort fiel mir seine Neigung dazu auf, mezza voce zu singen – auch an Stellen, wo ich das bislang von keinem seiner Kollegen gehört hatte.
    Inzwischen habe ich ihn in verschiedenen Rollen und Radio- oder Fernsehaufzeichnungen gehört und gesehen. Auf der Bühne erlebte ich ihn durchaus unterschiedlich.


    Zum ersten Mal sah ich ihn im Dezember 2004 als Enrico Ashton in Lucia di Lammermoor in München, zu hören war viel mezza voce. Im März letzten Jahres habe ich dort einen sehr überzeugenden Rigoletto vom ihm gehört. Sein Giorgio Germont – den ich übrigens auch in München in der wunderbaren Vorstellung gehört habe, die Ivan Anguélov am 26.April 2007 dirigiert hat bestätigte jedoch den Höreindruck der Aufzeichnung aus dem Jahr 1993, dass sich Gavanelli viel in einem (IMO) Mezza-Voce-Gesäusel aufhält, bei dem aber seine Stimme nicht immer richtig anspricht. Gleiches ist mir bei seiner Gestaltung des Miller im Juni letzten Jahres aufgefallen.


    Seinen Nabucco hörte ich kürzlich nur in der Radioübertragung – das Publikum war offenbar zufrieden…


    Wirklich überrascht – und zwar im besten Sinn – bin ich aber gerade von seinem Dulcamara. Eine der ersten Rollen Gavanellis war im Jahr 1985 der Leporello – sollte er vielleicht im Baßbuffo-fach doch recht gut aufgehoben sein?


    Interessanterweise polarisiert Gavanelli in München: gerade auf der Galerie ist regelmäßig von der größten Begeisterung bis zu Missfallenskundgebungen, die in ihrer Wortwahl so beleidigend sind, dass ich sie hier nicht wiederholen möchte (zumal ich sie inhaltlich nicht teile), alles zu hören…


    Welche Erfahrungen habt ihr gemacht?


    LG, Elisabeth

  • In meiner Sammlung finden sich folgende Aufnahmen mit Paolo Gavanelli:


    Zunächst ein Arienrecital, das das Label Bongiovanni im Jahr 2003 herausbrachte. Keine Studioaufnahme, sondern der Mitschnitt eines Konzerts, das Gavanelli am 9.1.1999 in Padua sangt. Unter der Leitung von Francesco Rosa spielte das Orchestra Filharmonica die Padova, zu hören sind Arien aus Macbeth, Rigoletto, La Traviata, Un ballo in maschera, Don Carlo, La Gioconda, I Pagliacci und Andrea Chenier.



    Dann die Aufnahme der Alzira von Giuseppe Verdi unter Fabio Luisi, die derzeit zumindest noch antiquarisch zu haben ist. Neben Gavanelli singen Maria Mescheriakova und Ramon Vargas:




    Und schließlich La Traviata unter Zubin Mehta, die 2006 aus einer Aufführungsserie an der BSO entstanden ist, mit Anja Harteros und Pjotr Beczala



    Eine Fernsehübertragung des Rigoletto aus Baden-Baden (2004) wurde mW nie auf DVD herausgrebracht. Schade, denn diese Vorstellung zählt für mich zu den Sternstunden Gavanellis.


    LG, Elisabeth

  • Hallo Elisabeth,


    ja, Sternstunde, das ist das richtige Wort für den absolut herausragenden Rigoletto, den ich mit ihm im September 2005 in der Hamburgischen Staatsoper erleben durfte. Besser habe ich den Rigoletto live nie erlebt - wobei ich mich leider nicht mehr an Einzelheiten erinnern kann. Das Publikum jedenfalls war einhellig begeistert.


    Als Rigoletto wird er im März/April 2008 in Berlin zu hören sein (Deutsche, Regie: Neuenfels). Also, liebe Taminoortsgruppe Berlin: Kauft Karten! Es lohnt sich.


    Liebe Grüße
    Thomas

  • Leider kenne ich diese DVD selbst noch nicht - Gavanelli singt hier den Rigoletto in der Londoner Inszenierung von David McVicar:


    Giuseppe Verdi (1813-1901)
    Rigoletto


    Gavanelli, Alvarez, Halvarson, Schäfer,
    Royal Opera House Chorus & Orchestra, Downes
    Label: OpusArte , FSKoAB, 00





    LG, Elisabeth

  • Des Weiteren wirkt er hier mit:



    (bei 2001 momentan 14 € günstiger zu erwerben als bei unserem Werbepartner)

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


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  • Liebe Elisabeth!


    Ich besitze diese DVD, könnte jetzt aber nicht sagen, dass Gavanelli mich wirklich vom Stuhl gerissen hätte. Allerdings habe ich sie schon länger nicht mehr angeschaut, dein Thread wäre also ein Anlass dazu ;) Mein Kaufgrund seinerseits waren Christine Schäfer und Marcelo Alvarez, den ich in seinen Anfängen stimmlich sehr schätzte, inzwischen ist er leider auch schon am absteigenden Ast und produziert statt Piani nur mehr heiße Luft....
    lg Severina :hello:

  • Thomas


    Ja das stimmt,Gavanelli singt den Rigoletto mit P.Ciofi umd leider mit
    einem nicht überragenden Tenor(Velozo).
    Er hat den Rigoletto schon öfters hie gesungen,
    er ist gut aber mehr auch nicht.
    Mich hat er nicht so begeistert,da gibt es Bessere.


    Rita

  • Als ich mich - in den ersten Tagen meiner Tamino-Zugehörigkeit - leichtsinnigerweise positiv über die samtweiche Baritonstimme des Paolo Gavanelli äußerte - wurde ich von mehreren Seiten scharf zurechtgewiesen: Bei Tamino muß man diesen Sänger ablehnen, ebenso wie Netrebko, Alagna usw.


    Also habe ich mich zurückgehalten und muß jetzt erstaunt feststellen, dass ihm plötzlich sogar ein eigener Thread gewidmet wird. Früher war dieser Bariton mir noch nicht aufgefallen, man hört soviele Stimmen und vergißt die Namen wieder. Als Vater Germont ist er mir allerdings positiv im Gedächtnis geblieben, und den Rigoletto werde ich mit auch noch genauer anhören!


    LG

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Lieber Harald,


    ganz persönlich bin ich nicht der Auffassung, dass ich irgendeinen Sänger ablehnen muss. Genauso wenig meine ich, dass bei den „Berühmten Stimmen“ nur die (tatsächlichen oder vermeintlichen) „Weltstars“ portraitiert werden sollten.


    Dass ich die Leistungen Paolo Gavanellis durchaus differenziert sehe, habe ich mE in meiner Zeit hier im Forum immer wieder deutlich gemacht – vielleicht manchmal zu ironisch-pointiert.



    Liebe Rita,


    natürlich gibt es „bessere“ – oder zumindest solche, deren Stimme, Technik, Timbre dem einzelnen Hörer besser gefällt.


    Was mich zu diesem thread (auch) bewogen hat – neben dem überraschend guten Dulcamara -, ist das „Phänomen Gavanelli“, und ich hoffe, diesem durch eine fruchtbare Diskussion noch besser auf die Spur kommen zu können. Denn mir ist zumindest an der BSO kein anderer Sänger bekannt, bei dem (für dieselbe Vorstellung) die Schere zwischen Begeisterung und Ablehnung derart weit aufgeht wie bei Gavanelli.


    LG, Elisabeth

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  • Zitat

    Original von Elisabeth


    Zunächst ein Arienrecital, das das Label Bongiovanni im Jahr 2003 herausbrachte. Keine Studioaufnahme, sondern der Mitschnitt eines Konzerts, das Gavanelli am 9.1.1999 in Padua sangt. Unter der Leitung von Francesco Rosa spielte das Orchestra Filharmonica die Padova, zu hören sind Arien aus Macbeth, Rigoletto, La Traviata, Un ballo in maschera, Don Carlo, La Gioconda, I Pagliacci und Andrea Chenier.



    Dieses Recital wird gerade wieder veröffentlicht:


    Paolo Gavanelli singt Arien


    von Verdi, Ponchelli, Leoncavallo, Giordano
    Gavanelli, Padova PO, Rosa
    Label: Bongiovanni , DDD, 99



    LG, Elisabeth

  • Habe Gavanelli in verschiedenen Rollen live gesehen, habe aber fast keine Aufnahmen von ihm. Er hat sicher eine ganz nette Stimme - aber (no hard feelings) auf der Bühne finde ich ihn ziemlich langweilig. Es gibt schlechtere aber es gibt (nach meinem subjektiven Geschmack) VIELE bessere.
    LG
    Isis

  • Ich habe ihn in München in allen Verdi-Partien gehört, zuletzt als Vater Miller. Er hat mich immer überzeugt und er dort hat ein hohes Niveau etabliert. Eine Ausnahmeerscheinung wie Cappuccilli ist er allerdings nicht. Was mir an Gavanelli immer gefallen hat ist sein emotionaler Ausdruck.

  • Paolo Gavanelli ist im Ensemble von St.Gallen und tritt hier regelmässig auf.


    ich habe Rigoletto mit ihm erlebt, sowohl in der Probenarbeit als auch bei Aufführungen.


    er kann die gesamte Oper auswendig, kennt alle Stimmen, Texte, und kann alle Übergänge dirigieren, also kann man unheimlich viel von ihm lernen, was Aufführungstraditionen betrifft.
    Diese Oper hat er hunderte Male gesungen, die genaue Zahl habe ich mir nicht gemerkt.


    Eine Aufführung mit ihm ist in jedem Fall ein Erlebnis, da er immer 100% gibt und sich nicht zurückhält.
    Manche Unklarheiten rechne ich seinem Alter zu, ich denke, diese Toleranz ist angebracht.

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

  • Als notgedrungener Besucher konzertanter Opernaufführungen ist mir Gavanelli in bester Erinnerung geblieben. Ich erinnere mich, ihn kurz vorher aus Baden-Baden als Rigoletto in einer verhunzten Fernseh- Aufführung gesehen zu haben, und mich hat es überhaupt nicht berührt. Ich wußte, daß ich ihn einige Wochen später in Dresden als Partner der Gruberova in den Puritanern sehen werde, aber meine Erwartung hielt sich in Grenzen. Andererseits habe ich mir gesagt, wenn die Gruberova mit dem singt, ist er keine 2. Garnitur.


    Und so war es. Sein erster Auftritt (natürlich im Frack, es war ja konzertant) und seine ersten Töne ließen mir die letzten Haare zu Berge stehen und es rieselte mir kalt den Rücken runter. Diese Kraft in der Stimme, leicht rauh, keinesfalls zart, das nahm mich gefangen. Und dieser Eindruck blieb bis zum Schluß.


    Über die Gruberova brauchen wir nicht zu reden. Ihretwegen waren Zuschauer aus München, Wien, sogar aus Zürich und London nach Dresden gekommen (es war etwa vor 10 Jahren). Sie bekam ihren verdienten Beifallssturm zum Schluß, aber Gavanelli stand ihr kaum nach. Ich habe in Dresden nichts von einer Polarisierung bemerkt. Es gab einmütig stärkste Zustimmung mit mind. 20 Minuten Applaus und Bravos. Unvergeßlich.


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

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  • Ich habe Paolo Gavanelli einige Male live erlebt. Spontan fallen mir Auftritte als Rigoletto, Macbeth, Miller, Michele und Posa ein. Ich habe ihn sehr unterschiedlich wahrgenommen. Seine Tongebung fand ich irgendwo eigentümlich, aber dennoch gefiel er mir an manchen Abenden durchaus. Er war (Auftritte sind seit 2016 nicht mehr bei Operabase zu finden) sicher ein überdurchschnittlicher, aber kein herausragender Bariton. Wie unterschiedlich sein Gesang war, habe ich 2006 beim Don Carlos in München erlebt: vor der Pause war er schwach, nach der Pause fast himmlisch.