Brockhaus am Ende

  • Nun ist es also soweit: Die "neuen Medien" insbes. das Internet haben dem Brockhaus in gedruckter Form den Garaus gemacht.
    Wie in zahlreichen Presssemeldungen zu lesen, wird das renommierte Lexikon künftig nur noch als online Ausgabe "erscheinen". Traurig, traurig.
    "http://www.taz.de/1/leben/buch/artikel/1/abschied-vom-bildungsbuergermoebel/?src=AR&cHash=e3c663551f"

    res severa verum gaudium


    Herzliche Grüße aus Sachsen
    Misha

  • Wahrlich ein trauriger Tag!!!! ;(;( :kotz: :kotz:


    Mein Brockhaus ( Ausgabe 1999) gehört zu den unermesslichen Freuden meines Bücherschrankes. Bei jedem Blick auf die Buchrücken fühle ich unendliche Dankbarkeit diesen Schatz mein eigen nennen zu dürfen. Wie sollte eine online Ausgabe mir das einmalige Bildungserlebnis verbunden mit dem haptischen Fest beim Aufschlagen eines Bandes ermöglichen?


    Das kann niemals sein! Jammerschade für Euch, Ihr nach uns Kommenden...!


    Gruß
    Stefan

    Psalmen sprechen und Tee trinken kann niemals schaden!

  • Hallo,


    Ich finde es auch extrem schade - aber ich bin ja auch selbst mitschuld...
    Wenn ich etwas such, dann schlage ich es ganz fix bei google nach - Fertig.
    Allerdings hatte ich mir immer vorgenommen, mir , wenn ich denn später mal Geld haben sollte eine schöne, große Brockhaus-Edition zu erwerben...das wird sich sicher nicht ändern...ich werde dann wohl auf antiquarische Schätzchen zurückgreifen müssen... :(


    LG
    Raphael

  • Das wahrhaft Traurige dabei ist aus meiner Sicht die Geringschätzung von Wissen, die hier dokumentiert wird. Sicher, irgendwie wird wohl auch weiterhin ein Redaktionsstab bezahlt werden. Und irgendwie wohl auch die Autoren. Doch daß das Ganze für den Nutzer dieses Wissens gratis sein soll, das ist die eigentliche Ungeheurlichkeit an diesem Vorgang. Ein Schlag ins Gesicht der Menschen, deren (Berufs-)Kapital ihr Wissen und ihre Kenntnisse sind. Und die "Munzinger" zeigen ja, daß es auch anders geht.


    Das Argument, von der gedruckten Version abzusehen, ist indes bis zu einem gewissen Grade nachvollziehbar. Eine der letzten Ausgaben ging 1988 an den Start und war 1989 bis zum Bande D gediehen. Ihr erinnert Euch? Da gab es noch die BRD und die DDR. Den zweiten Staat kurze Zeit später schon nicht mehr. Im Brockhaus schon. Folglich begann man alsbald, Supplementbände zu drucken.


    Ich will nicht schon wieder Hermann Lübbes Diktum von der Generationenschrumpfung bemühen, dessen Beobachtung zufolge die Innovationsverdichtung pro Zeiteinheit rapide zunimmt. Dadurch werden auch die Zeiträume, in denen Gelerntes und Erlerntes als alt erfahren werden, immer kleiner. Für einen schwerfälligen Koloss wie den Brockhaus (einam als Synonym für Meyers, Larousse oder die Britannica). Lübbe formulierte das immerhin schon 1987, anlässlich der Wissenschaftskonferenz in (West-)Berlin. Die Britannica immerhin war seinerzeit clever genug, sich in Micro- und Macropedia aufzuteilen. Doch auch hier dürfte die Zerfallszeit für naturwissenschaftliche Artikel rapide sinken.


    Also ins Netzt mit dem Wissen? Sicherlich, dagegen ist grundsätzlich nicht viel zu sagen. Aber gratis? Angesoichts der Faulheit und Bequemlichkeit eines Mausklicks? Eine bodenlose Frechheit.


    Ach ja, und auch das geht verloren: die Dokumentation dessen, was eine Generation zu einem bestimmten Zeitpunkt - in diesem Falle Redaktionsschluss - für wissenswert erachtet hat. Wer heutzutage einmal zum "Zedler" greift, weiß was ich meine.


    Eine traurige Entwicklung in einer immer geschichts- und gesichtsloser werdenden Zeit.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Zitat

    Original von Thomas Pape
    Ich will nicht schon wieder Hermann Lübbes Diktum von der Generationenschrumpfung bemühen, dessen Beobachtung zufolge die Innovationsverdichtung pro Zeiteinheit rapide zunimmt. Dadurch werden auch die Zeiträume, in denen Gelerntes und Erlerntes als alt erfahren werden, immer kleiner.


    Die Zeiträume, in denen Gelerntes als alt erfahren wird, scheinen ja besonders im Bereich Kunst und Musik immer kleiner zu werden, wie dieses Forum wunderbar demonstriert ...
    :hahahaha:
    Aber wie das in der Naturwissenschaft ist, weiß ich nicht. Die große Beschleunigung in der Kunst und Musik soll mir mal jemand plausibel machen.
    :hello:

  • Meine Lieben,


    Als häufiger Lexikonmitarbeiter kann ich mich den Klagerufen über dem Brockhaus-Grab nur anschließen. Trotz häufigen Googlens war und bin ich doch auch ein eifriger Benützer und Schätzer der unentbehrlichen Bücherlexika. Aber ich weiß, daß letztlich auch in diesen die Qualität immer mehr gefährdet ist, weil die Verlagseigentümer die Vorgaben immer enger schnüren und es damit oft unmöglich machen, einen Artikel wirklich gründlich zu recherchieren. Im Moment schustere ich, immer von Abgabeterminen bedrängt, die Daten in einer Form zusammen, die mir weniger und weniger behagt. Nur weiß ich: Besser so als gar nicht.


    LG


    Waldi

  • Ehrlich gesagt - für ein Lexikon finde ich die Online-Verfügbarkeit besser, da sie ständig aktualisiert werden kann. Auch ich habe in meiner Kindheit ein altes Meyers Lexikon meiner Großeltern geliebt und fleißig konsultiert, habe es immer noch, aber heutzutage ist ein Lexikon schon veraltet, wenn es erscheint. Nachschlagewerke aller Art sind im Internet gegen Gebühr einfach aktueller, und das erscheint mir ein entscheidender Vorteil zu sein.
    Ein Kompromiß sind Loseblatt-Lexika, wie "Komponisten der Gegenwart" - aber das ständige Austauschen von Blättern ist nur bei einem begrenzten Thema zu bewältigen (trotzdem habe ich schon wieder vier Nachlieferungen ungeöffnet im Regal liegen ...).


    Bei sonstiger Literatur - NEIN! Bei Nachschlagewerken - JA! Aber gegen Gebühr. Eine Wikipedia ohne redaktionelle Kontrolle, wo manches exzellent, manches fürchterlich ist, ist keine Alternative.

  • Ich denke dies war nur eine Frage der Zeit. Einer Zeit, in der jede Information sekundenschnell, unterstützt von Suchalgorhythmen und Eingabemasken gefunden werden kann.


    Informationen im Netz sind einfach viel einfach, schneller und umfassender zu beschaffen. Dazu steigt das Wissen sekündlich an. Nicht zuletzt aus diesen Gründen nutze ich bereits seit Jahren das elektronische Wikipedia statt gedruckten und gebunden Lexika. Ich halte dies für keine beklagenswerte Entwicklung, sondern für eine eher zwingende.


    Der einzige Nachteil, der sich mir aufdrängt, ist jener, dass das Wissen immer flüchtiger wird. Internetseiten gehen plötzlich offline, Festplatten sterben und reißen ihre Daten mit sich ins Nirvana. Was aber nützen mir 2 Meter Lexikon im Bücherregal, wenn ich dort vom "Planet Pluto" oder dem "Freiheitskampf braver afgahnischer Taliban gegen die Besatzungsmacht Russland" lesen muss? Wissen ist stetig im Wandel begriffen. Ein Medium, welches auf diese Eigenheit überhaupt nicht eingehen kann, wird daher gegenüber den neuen Möglichkeiten, wohl zu Recht, auf der Strecke bleiben.


    Liebe Grüße, der Thomas. :hello:

  • Zitat

    Original von Thomas Pape
    Die Britannica immerhin war seinerzeit clever genug, sich in Micro- und Macropedia aufzuteilen. Doch auch hier dürfte die Zerfallszeit für naturwissenschaftliche Artikel rapide sinken.


    Ich muß ehrlich sagen, dass ich das nur schwer nachvollziehen kann, auch wenn es seit Jahrzehnten behauptet wird. Für die "klassischen" und reinen Naturwissenschaften wäre m.E. ein "update" alle ca. 20 Jahre ausreichend. Ein Lexikon muß nicht den naturgemäß immer noch umstrittenen letzten Stand der Forschung spiegeln, sondern etabliertes "Lehrbuchwissen". In der Physik z.B. hat sich zwischen 1900 und 1930 *wesentlich" mehr getan als zwischen 1975 und 2008. 90% eines Physik-Studiums kann man m.E. mit Lehrbüchern bestreiten, die älter als 40 Jahre sind...
    Was ändert sich in Zoologie oder Botanik so rapide, dass ein Artikel über "Löwe" oder "Alge" alle Jahre überarbeitet werden muß?


    Die extreme Zerfallszeit betrifft vermutlich eher gewisse technische Anwendungen und einzelne Gebiete wie Digitaltechnik, Gentechnik usw.
    Aber auch hier gilt m.E., dass eine Enzyklopädie auch schon vor einigen Jahrzehnten kaum je schnell genug gewesen wäre und das auch gar nicht sein muß.


    Zitat


    Also ins Netzt mit dem Wissen? Sicherlich, dagegen ist grundsätzlich nicht viel zu sagen. Aber gratis? Angesichts der Faulheit und Bequemlichkeit eines Mausklicks? Eine bodenlose Frechheit.


    Eine Geringschätzung von Wissen folgt m.E. nur aus einer vorschnellen Gleichsetzung von Wert mit Tauschwert. Das in einer UB gespeicherte Wissen wird auch nicht gering geschätzt, weil man gratis oder gegen geringe Gebühr einen Leseausweis erhält und beliebig ausleihen kann. Irgendjemand muß es natürlich bezahlen. Das gilt auch für die Server mit den Daten des Online-Brockhaus.


    Was aber nicht heißen soll, dass die Entwicklung trotzdem ein Signal für eine Geringschätzung von Wissen oder wenigstens eine weniger verbreitete Hochschätzung sein kann (aber auch hier fallen mir wesentlich bodenlosere Frechheiten ein, z.B. der Einsatz von Hinz&Kunz in Hessen zur "Unterrichtsgarantie" oder die Ausbeutung von Privatdozenten als unbezahlte Lehrkräfte an Universitäten)


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von miguel54
    ... aber heutzutage ist ein Lexikon schon veraltet, wenn es erscheint.


    Das stimmt nur teilweise, denn jeder Geisteswissenschaftler wird Dir sagen, wie wertvoll alte Lexika oft sind, weil sie Informationen enthalten, die man in neuerschienenen nicht findet. Wie oft habe ich unsere Institutsbibliothek gesegnet, die noch ein Lexikon aus dem 19.Jahrhundert hinten im Kasten aufbewahrt nebst altem Meyer, alten Brockhausausgaben etc. Leider ändert die Platznot hier einiges.
    Wenn es z.B. um Fremdwörter geht, benutze ich natürlich den Fremdwort-Duden, aber viel häufiger noch "Petri's Handbuch der Fremdwörter" in einer Auflage aus der Zeit um 1900 - das ist unübertroffen.


    LG


    Waldi

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  • Zitat

    Original von Johannes Roehl


    Ich muß ehrlich sagen, dass ich das nur schwer nachvollziehen kann, auch wenn es seit Jahrzehnten behauptet wird. [...] Die extreme Zerfallszeit betrifft vermutlich eher gewisse technische Anwendungen und einzelne Gebiete wie Digitaltechnik, Gentechnik usw. Aber auch hier gilt m.E., dass eine Enzyklopädie auch schon vor einigen Jahrzehnten kaum je schnell genug gewesen wäre und das auch gar nicht sein muß.


    Da ich selber mit den Naturwissenschaften keine Berührungspunkte habe, hatte ich aus einem Beitrag des heutigen "Kölner Stadt-Anzeiger" zitiert. Hier das Zitat im Zusammenhang:


    "Als „bemerkenswert, klug und folgerichtig“ bewertet Peter Weingart, Professor für Wissenschaftssoziologie an der Universität Bielefeld, den Schritt von Brockhaus. „Enzyklopädisches Wissen, also der Anspruch, ein abgeschlossenes, fertig erlernbares Wissen dauerhaft vorhalten zu können, von dieser Erwartung hat sich die Gesellschaft längst verabschiedet“, sagt Weingart. Die Halbwertzeiten des Wissens haben sich enorm verkürzt. Grob geschätzt verdoppelt es sich zudem alle 15 Jahre - in manchen naturwissenschaftlichen Disziplinen erneuert es sich grundlegend alle drei Jahre. Zum Zeitpunkt der Drucklegung ist mancher Lexikon-Beitrag also bereits veraltet."


    Du hast selbstverständlich recht mit der Anmerkung, daß es eben auch Wissen gibt, was wenig Änderung unterliegt, daher mein Verweis auf die Britannica.



    Genau aber das ist der Punkt: Jemand, der hauptberuflich akademisch arbeitet, sollte für seine Arbeit auch ein entsprechendes Gehalt erwarten dürfen. Das hat sich bis zu den "Usern" des Web aber noch nicht herumgesprochen. Es ist diese Grundhaltung des "Suum quique et mihi plerumque", die fast noch schlimmer als der geile Geiz ist, und die sich durch alle Gesellschaftsschichten zieht und die mich - mit Verlaub- anwidert und anekelt.


    Immerhin sichert Brockhaus zu, daß man in den online-Brockhaus nicht von außen hineinschreiben kann. Fernerhin werden die Beiträge auch künftig in einer Redaktion wissenschaftlich abgesichert (und dies mit Gruß an Wikipedia: akademische Erkenntnis toppt persönliche Meinung).


    Dennoch: die sich gerade in der jüngeren Generation breitmachende Vorstellung, daß Wissen grundsätzlich aus dem Netz beschaffbar sei - die Validität der Information auch gar nicht geprüft wird - finde ich sehr bedenklich. Zuweilen müssen Studeinanfänger zu ihrem großen Erstaunen darauf hingewiesen werden, daß es Wissen auch aus Büchern in Bibliotheken gibt (und daß man auf diese Bücher zuweilen auch einmal warten muß).


    Schöne neue Welt!


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    ... In der Physik z.B. hat sich zwischen 1900 und 1930 *wesentlich" mehr getan als zwischen 1975 und 2008. 90% eines Physik-Studiums kann man m.E. mit Lehrbüchern bestreiten, die älter als 40 Jahre sind...


    Das kann man so nicht sagen. Zwischen 1975 und 2008 hat sich in der Physik sicherlich nicht weniger getan als im erstgenannten Zeitraum. Der Unterschied liegt darin, dass die Umwälzungen von 1900 bis 1930 gerade noch populärwissenschaftlich aufbereitet werden können. Aktuelle Entwicklungen in der Physik kannst du nur jemandem erklären, der ohnehin schon über ein profundes physikalisches Wissen verfügt. Sie sind für den gehobenen Bildungsbürger bereits völlig unverständlich und sprengen schlichtweg den Rahmen eines Lexikons wie dem Brockhaus.


    Tatsächlich gibt es aber viel statisches Wissen, das sich kaum verändert, sondern nur laufend ergänzt wird. Daneben gibt es aber Teilgebiete, die einem dynamischen Wandel unterliegen, extrem schnell wachsen und sich dabei auch verändern. Zwar wird auch hier vorhandenes Wissen nicht über Nacht falsch, aber es kann tatsächlich fast über Nacht obsolet werden, weil die laufenden Entwicklungen eine andere Richtung einschlagen und Geisterstädte des Wissens hinterlassen. Da kann praktisch wirklich nur Online-Information mit dem Galopp der Entwicklung einigermaßen mithalten...

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat

    Original von Thomas Pape
    Dennoch: die sich gerade in der jüngeren Generation breitmachende Vorstellung, daß Wissen grundsätzlich aus dem Netz beschaffbar sei - die Validität der Information auch gar nicht geprüft wird - finde ich sehr bedenklich. Zuweilen müssen Studeinanfänger zu ihrem großen Erstaunen darauf hingewiesen werden, daß es Wissen auch aus Büchern in Bibliotheken gibt (und daß man auf diese Bücher zuweilen auch einmal warten muß).


    Ja, und zudem muß man Studenten (und oftmals nicht nur solchen des 1. oder 2 Semesters) immer häufiger erklären, daß wissenschaftliches Arbeiten etwas anderes ist als googlen und sich das Erstellen einer Hausarbeit auch nicht im perfekten Collagieren aus irgendwelchen Internetquellen via copy & paste erschöpfen kann. »Wikipediaisierung der Wissenskultur« nannte dies letzthin ein Bochumer Philosoph.


    Man muß nicht gleich den Teufel an die Wand malen und wieder den Spengler aus der Tasche ziehen, aber die Allverfügbarkeit von Halbwissen hat bisweilen schon gewisse Wärmetodtendenzen...


    Ganz herzlich,
    Medard

  • Zitat

    Original von Klawirr
    zudem muß man Studenten (und häufig nicht nur solchen des 1. oder 2 Semesters) immer häufiger erklären, daß wissenschaftliches Arbeiten etwas anderes ist als googlen und sich das Erstellen einer Hausarbeit auch nicht im perfekten Collagieren aus irgendwelchen Internetquellen via copy & paste erschöpfen kann. »Wikipediaisierung der Wissenskultur« nannte dies letzthin ein Bochumer Philosoph.


    Lieber Medard,


    mich erstaunt schon die Heilsgewissheit, mit der man - sei es aus wikipedia, sei es aus dem Brockhaus - Informationen abruft. Dass man mit Informationen erst einmal etwas anfangen kann, wenn man sich auch leidlich in dem Gebiet auskennt - und wenn man etwas von dem Erkenntnisinteresse des Artikelschreibers weiß, brauche ich sicher nicht zu erwähnen. Da finde ich in einem renommierten englischen Nachschlagewerk, dass Gluck Tscheche gewesen sei (und der deutschen Sprache nicht mächtig), und lese oft genug, dass Gluck Barockkomponist sei (zuletzt wurde dergleichen von Pina Bausch berichtet - in Bezug auf den Orfeo). Auch die Reform Glucks in den sog. Reformopern habe ich in Nachschlagewerken allgemeiner Art noch nicht korrekt entnehmen können (entweder wird sie "über- oder untertrieben"). Fachlexika helfen da natürlich weiter, haben aber meist für die Benutzer schon gewisse Schwellen. Dafür haben sie aber segensreich viele Literaturangaben, die einen auf die Reise zum Wissen eine erste Kartierung geben können.


    Was man von einem Nachschlagewerk erwarten darf und was nicht, muss man doch ein wenig genauer formulieren. Ich bin auf jeden Fall für jeden Meter dankbar, der an Nachschlagewerken aus meinen Regalen schwindet (wie etwa beim Handwörterbuch des Aberglaubens, das ich jetzt auf CD-ROM habe - und das mich Abschied nehmen lässt von einem Werk, das ich als Student noch Band für Band abgestottert habe) und Platz macht für Primär- und Sekundärliteratur. Mit der Volltextrecherche arbeite ich weit effektiver - und schmökern tue ich noch immer.


    Für mich ist das also alles andere als der Untergang des Abendlandes, sondern willkommen. (Wenn ich beim Groves 175 englische Pfund pro Jahr Benutzung hinlegen darf, streike ich allerdings und fahre lieber zur Musikbibliothek, wo die englische Alternative zum MGG auch einzusehen ist).


    Zitat

    Man muß nicht gleich den Teufel an die Wand malen und wieder den Spengler aus der Tasche ziehen, aber die Allverfügbarkeit von Halbwissen hat bisweilen schon gewisse Wäremtodtendenzen...


    Aber das ist doch nichts Neues unter der Sonne, oder?


    Liebe Grüße Peter



  • Lieber Peter,
    da muß ein Mißverständnis vorliegen. Ich erwarte mir weder von einem online-publizierten Lexikon noch von einem alt-ehrwürdigen in Papierform irgendwelches »Heil«. Und das Problem besteht auch nicht darin, daß Wissen allgemein und für den schnellen Zugriff abrufbar gemacht wird. So wie Du die Arbeit mit suchfähigen Volltexten schilderst, ist da gar nicht gegen einzuwenden – im Gegenteil.


    Das was ich oben geschildert habe, ist aber eben etwas anderes. »Wikipedia« gilt heute vielen schon als der Garant gesicherten und fachlich/sachlich erschöpfenden Wissens. Ich lese alle Nase lang Hausarbeiten, in denen sich 2/3 der Titel im (meist nicht besonders umfangreichen) Literaturverzeichnis aus mehr oder minder dubiosen Online-Nachweisen rekrutieren. Wikipedia ist (fast) immer dabei – und häufig auch schon das Seriöseste und qualitativ Hochwertigste was da zu finden ist. Und hier begann mein Elend...



    Zitat

    Aber das ist doch nichts Neues unter der Sonne, oder?


    Liebe Grüße Peter


    Prinzipiell nicht, graduell schon – denn die Allverfügbarkeit des Halbwissens ist erheblich allverfügbarer geworden in den vergangenen 15 Jahren. So ist das eben: »Die Sonne neu jeden Tag, nichts neues unter der Sonne, aber...« Auf das »aber« kommt es hier allerdings an... ;)


    Ganz herzlich,
    Medard

  • Hallo Medard,


    wird die Wikipedia denn überhaupt als zitierfähige Quelle akzeptiert? Da wäre doch ohnehin eine besondere Art der Quellenkritik seitens der Studenten vonnöten. Überhaupt: websites als Quellen... :stumm: Quod non est in libris non est in mundo. :D


    :hello:


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)



  • Hallo Giselher,


    nein, Wikipedia wird selbstverständlich nicht als zitierfähige Quelle akzeptiert (zumal dann nicht, wenn es die einzige angegebene/verwendete Quelle ist) - allerdings ist es nicht gar so einfach den Leutchen deutlich zu machen, warum das so ist. »Quellenkritik« ist ein Wort, das im aktiven Sprachschatz der meisten Studenten nicht unbedingt vorhanden ist.
    Gegen Websites als solche ist nichts einzuwenden, wenn a) die Seriösität der Quelle überprüft wird, b) die Website ebenso sorgfältig zitiert und nachgewiesen wird, wie man es mit einem Printtext zu tun pflegt, c) das Datum des letzten Zugriffs auf die zitierte Website angegeben wird und vor allem d) die Website nicht blind als Quelltext für die »eigene« Arbeit abgepastet wird...


    Ganz herzlich,
    Medard

  • Zitat

    (Thomas Paope) "Als „bemerkenswert, klug und folgerichtig“ bewertet Peter Weingart, Professor für Wissenschaftssoziologie an der Universität Bielefeld, den Schritt von Brockhaus. „Enzyklopädisches Wissen, also der Anspruch, ein abgeschlossenes, fertig erlernbares Wissen dauerhaft vorhalten zu können, von dieser Erwartung hat sich die Gesellschaft längst verabschiedet“, sagt Weingart. Die Halbwertzeiten des Wissens haben sich enorm verkürzt. Grob geschätzt verdoppelt es sich zudem alle 15 Jahre - in manchen naturwissenschaftlichen Disziplinen erneuert es sich grundlegend alle drei Jahre. Zum Zeitpunkt der Drucklegung ist mancher Lexikon-Beitrag also bereits veraltet."


    Das ist in dieser Form eine ziemlich uninteressante Beobachtung, auch wenn sie wahr sein mag. Mag sein, dass das "Wissen" sich rein quantitativ alle 15 Jahre verdoppelt, aber eben nicht qualitativ, was ein Wissenssoziologe eigentlich sehen sollte. Gewiß gibt es heute 100mal oder 1000mal so viele Physikstudenten, Fachzeitschriften oder Aufsätze wie 1920. Aber es gab in den letzten 30 Jahren keine qualitative "Revolution", während es in den ersten 30 Jahren des 20. Jhds. mindestens drei gegeben hat.
    Verästelungen von Spezialwissen sind größtenteils völlig unerheblich für eine Enzyklopädie.


    Es kann natürlich sein, dass eine "alte" Wissenschaft wie die Physik hier ein ganz ungeeignetes Beispiel ist. Dennoch würde ich gerne wissen, in welcher Disziplin Wissen sich "grundlegend" alle 3 Jahre erneuert. Das scheint mir eine absurde Behauptung. Dann wäre nämlich beim Examen obsolet, was man im ersten Semester gelernt hätte.
    Und sowas stimmt noch nicht mal nach revolutionären Entdeckungen. Newtonsche Mechanik wird immer noch gelehrt (und angewendet), auch wenn wir seit 100 Jahren wissen, dass sie genau genommen "falsch" ist.
    Es kann m.E. höchstens für extrem spezialisiertes Wissen, bestimmte technische Verfahren etwa, die durch eine Neuentwicklung obsolet werden, gelten.


    Zitat

    Original von Theophilus


    Das kann man so nicht sagen. Zwischen 1975 und 2008 hat sich in der Physik sicherlich nicht weniger getan als im erstgenannten Zeitraum. Der Unterschied liegt darin, dass die Umwälzungen von 1900 bis 1930 gerade noch populärwissenschaftlich aufbereitet werden können. Aktuelle Entwicklungen in der Physik kannst du nur jemandem erklären, der ohnehin schon über ein profundes physikalisches Wissen verfügt. Sie sind für den gehobenen Bildungsbürger bereits völlig unverständlich und sprengen schlichtweg den Rahmen eines Lexikons wie dem Brockhaus.


    Das sehe ich anders. Im Gegenteil: Weitgehend ungedeckte Spekulationen von Hawking &Co verkaufen sich exzellent in populärwissenschaftlicher Darstellung. Auch wenn es keiner versteht. Und sehr wenig in zeitgenössischen Theorien ist schwieriger zu verstehen als Quantentheorie, Spezielle und Allgemeine Relativität. Denn alle neueren Theorien sind im Grunde nur Verfeinerungen und Weiterentwicklungen dieser Theorien, aber nichts grundlegend Neues.
    Natürlich ist quantitativ sehr viel Wissen dazugekommen. Aber das ist Spezialwissen, was nicht einmal für Fachleute außerhalb des jeweiligen Spezialgebiets wissenswert ist. Es mag irgendwelche stark verbesserten Laser geben, aber wie ein Laser im Prinzip funktioniert muß seit den 60ern nicht neu geschrieben werden und mehr muß auch nicht ins Lexikon. Was explodiert sind eher die Anwendungen. Während es vor 40 Jahren sicher wenige Laser in Privatbesitz gab, hat heute jeder einen im CD-Spieler.


    Zitat


    Tatsächlich gibt es aber viel statisches Wissen, das sich kaum verändert, sondern nur laufend ergänzt wird. Daneben gibt es aber Teilgebiete, die einem dynamischen Wandel unterliegen, extrem schnell wachsen und sich dabei auch verändern. Zwar wird auch hier vorhandenes Wissen nicht über Nacht falsch, aber es kann tatsächlich fast über Nacht obsolet werden, weil die laufenden Entwicklungen eine andere Richtung einschlagen und Geisterstädte des Wissens hinterlassen. Da kann praktisch wirklich nur Online-Information mit dem Galopp der Entwicklung einigermaßen mithalten...


    Was wären Beispiele hierfür außer aus dem Computer- und Telekommunikationsbereich? Und selbst da scheint es mir eher für das spezialisierte Wissen der Profis zu gelten als für die prinzipiellen Sachen, die in ein Lexikon gehören.
    In einem Lexikon reicht doch z.B. die grundsätzliche Funktionsweise eines Verbrennungsmotors zu schildern. Was es da heute für Raffinessen mit elektronischer Feinsteuerung geben mag, ist sekundär.
    Ebenso ist es meistens ziemlich egal für den Eintrag zu Löwen, wenn eine vorher nicht bekannte Krankheit die Löwen befallen kann, entdeckt wird.
    Politische Umwälzungen kann es ebenfalls über Nacht geben und sie machen Atlanten obsolet. Dagegen ist man nie gefeit.


    Was ich typischerweise nachschlagen würde, hat sehr selten was mit neuartiger Technik zu tun. Es wäre fast immer historisch, geographisch, botanisch oder zoologisch. Auch auf diesen Gebieten wird gewiß fortlaufend mehr Wissen erworben. Aber deswegen braucht man keine alljährlichen Updates zu Beethoven, Löwen oder der Sahara. ;)


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
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    (Bob Dylan)

  • Ich habe keinen großen Brockhaus und vermisse ihn auch nicht. Wenn ich etwas recherchieren will, erhalte ich mit einer guten Internetrecherche incl. Google und Wikipedia in der Regel mehr an Information als ich von einem Universallexikon erwarte, oder aber, in meinem speziellen Arbeitsgebiet benötige und besitze ich auch wesentlich tiefer gehende Nachschlagewerke. Insofern ist der Schritt von Brockhaus für mich durchaus nachvollziehbar: für dieses Format gibt es einfach zu wenig Bedarf.


    Natürlich kann man das bedauern. Ein mit wissenschaftlicher Kompetenz geschriebener Artikel, der peer reviewed, d.h. von kompetenten "Gutachtern" oder Redakteuren gegengelesen und beurteilt wird, hat ein anderes Gewicht als ein Wiki-Artikel. Die notwendigerweise begrenzte Aktualität allerdings kann auch den besten Brockhaus-Artikel wertlos machen. In meinem Fachgebiet sind z.B. 20 Jahre alte Erkenntnisse zu einem sehr großen Teil heute überholt.


    Vor der Zeit des Internet hatten die großen Enzyklopädien einen ganz anderen Stellenwert. Eines hat sich allerdings nicht geändert: ob Brockhaus oder Wiki, der Leser muß in der Lage sein, die Informationen kritisch zu hinterfragen und ein gesundes Mißtrauen gegen die Informationen haben, insbesondere wenn der Gegenstand potentiell ideologiebeladen ist.


    Ich erfahre in meiner Arbeit die Unterschiede zu früher sehr deutlich. Wenn ich in den 70er Jahren ein neues Problem zu bearbeiten hatte, so brauchte ich oft, bis ich alle wesentlichen Informationen aus einer Bibliotheksrecherche zusammen hatte, etwa 12 Wochen. Heute komme ich mit einer Internetrecherche innerhalb 4 bis 6 Stunden zu einem Vergleichbaren Ergebnis. Und da viele Kollegen auch ihre Originalarbeiten ins Netz stellen, komme ich z.T. auch ohne Bibliotheksrecherche aus.


    Der Wikipedia kommt - wie gesagt bei kritischer Herangehensweise - eine ganz bedeutende Funktion bei. Wer Wikipedia kennt, winkt bei vieler Kritik genervt ab, weil sie banal ist. Natürlich ist bei einem Projekt, bei dem jeder mitwirken kann, die Qualität der einzelnen Artikel sehr unterschiedlich. Soweit nicht gefunden und korrigiert, kann man auch ausgesprochenen Unsinn finden. Ideologen versuchen gelegentlich, ihre Sicht durchzudrücken, z.B. wird der gesamte Bereich Militaria weitgehend von rechten Militärfreunden geprägt. Viele Artikel ("Lemma") befinden sich auch in ihrem ersten Entwicklungsstadium. Aber insgesamt überwiegen nach meiner Erfahrung und Sicht brauchbare Artikel bis hin zu exzellenten Artikeln, die man in solcher Güte sonst nirgends findet.


    Ich habe den Eindruck, dass hinter einer generellen Wiki-Kritik häufig völliges Unwissen darüber besteht, wie Wiki funktioniert, und was die Grundregeln sind, die das Zusammenarbeiten regeln sollen. Oft unterstelle ich auch einen gewissen Hochmut, wenn triumpfierend auf Fehler und Unzulänglichkeiten hingewiesen wird, man aber trotz eigener Kompetenz nicht bereit ist diese Fehler auszumerzen.


    Trotz allem: insgesamt bin ich recht optimistisch. Die Zugänglichkeit von umfangreichen Informationen für jedermann ist ein Riesenfortschritt. Enzyklopädische Informationen bleiben nicht mehr auf diejenigen beschränkt, die bereit und in der Lage sind, 1600 € für eine papierne große Enzyklopädie auszugeben.


    Beste Grüße


    García

  • Ich bin glücklicherweise Besitzer einer Brockhaus -Enzyklopädie (19. Auflage)


    Aber soweit ich weiß ist die 21. Auflage derzeit in Arbeit. Soll heissen für die näxchsten fünf Jahre gibt es da keinen Mangel.


    ONLINE- das heisst natürlich noch lange nicht, daß diese Informationen kostenlos sind.


    WIKIPEDIA indes ist nicht immer zuverlässig, kann doch Krethi und Plethi dort seinen Senf dazugeben..


    EINE große deutsch Enzyklopädie sollte in Druckform zur Verfügung stehen, sie könnte gegebnen falls ja auch von Bertelsmann sein, die in diese Marktlücke vorstoßen könnten.


    Bertelsmann hatte ja im kleineren Bereich stets Konkurrenzprodukte anzubieten, die telweise sogar umfassender und besser ausgewählt waren als die Produkte des "Marktführers"


    Wenn erst mal jede anspruchsvollere Internetseite kostenpflichtig ist -und ich sage voraus, daß das kommen wird - dann sind Enzyklopädin in Buchform oft der preiswertere Weg.



    Wait and see


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Mag sein, dass das "Wissen" sich rein quantitativ alle 15 Jahre verdoppelt, aber eben nicht qualitativ, was ein Wissenssoziologe eigentlich sehen sollte. Gewiß gibt es heute 100mal oder 1000mal so viele Physikstudenten, Fachzeitschriften oder Aufsätze wie 1920. Aber es gab in den letzten 30 Jahren keine qualitative "Revolution", während es in den ersten 30 Jahren des 20. Jhds. mindestens drei gegeben hat.


    Richtig, und das trifft ja nicht nur auf die Physik zu. Auch in der Geschichtswissenschaft wissen wir heute viel mehr über gewisse historische Ereignisse, Prozesse und Persönlichkeiten (u.a. Ludwig den Frommen oder Wenzel den Faulen) als noch vor dreißig Jahren. Dennoch setzen sich solche neuen Erkenntnisse i.d.R. (gerade in der als besonders konservativ geltenden Geschichtswissenschaft) nur höchst zaghaft durch. So wird noch heute jedem Schüler beigebracht, daß die Antike 476 endete - obwohl schon im 19. und frühen 20. Jahrhundert viel sinnvollere Epochenabgrenzungen Antike/Mittelalter vorgeschlagen wurden.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    WIKIPEDIA indes ist nicht immer zuverlässig, kann doch Krethi und Plethi dort seinen Senf dazugeben..


    Lieber Alfred, mit Verlaub, das meinte ich mit Kritik, die banal ist. Ich würd mal folgenden Vorschlag machen: nimm Dir mal den Artikel über Richard Wagner vor, und schreibe an irgendeiner Stelle etwas verkehrtes rein, z.B. falsche Aufführungsorte oder Daten, Fehler in den Lebensdaten usw. Dann verfolge mal, nach wie viel Minuten das von jemanden korrigiert worden ist.


    Natürlich findet man bei Wiki auch Unsinn. Aber meistens ist es gar nicht leicht, dem Unsinn Bestand zu geben.


    Soweit eher meine Erfahrung


    Beste Grüße


    García

  • Manuel García


    Vielen Dank, dass jemand hier in Forum sich traut, auch mal was Positives zu Wickipedia zu schreiben!


    Ich habe selbst in der Anfangszeit der deutschen Wickipedia-Ausgabe fleissig mitgeschrieben, gehörte also, gemäß unserem Vorturner Alfred, zu "Krethi und Plethi ".


    Heute überlasse ich das den jüngeren Experten, und ich finde, sie machen es nicht schlecht, obwohl die Fehlerquote bisweilen noch höher ist als in Lexika, die von hochbezahlten Experten verfasst sind. Aktueller ist Wickipedia allemal!


    LG


    Harald

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Ich verstehe auch nicht, warum die Wikipedia hier überwiegend negativ gesehen wird. Die Wikipedia hat in der jüngeren Vergangenheit im Vergleich mit etablierten Lexika schon ganz gut abgeschnitten und brachte doch auf jeden Fall so etwas wie eine Demokratisierung des Wissens.


    In dieser Hinsicht ist die Nachricht, dass die Brockhaus-Enzyklopädie gratis verfügbar online gehen wird, ein neuer begrüßenswerter Erfolg der Wikipedia. Denn nun hat sie, die ja bekanntermaßen nicht ohne Fehler und Lücken ist, einen interessanten Vergleichsmaßstab. Wo Wikipedia und Brockhaus sich widersprechen, wird für ein viel breiteres Publikum deutlich werden, das Wissen und Bildung sehr wenig mit dem zu tun haben, was Günther Jauch in der Millionärsshow abfragt.
    Denn dort erscheint Wissen als eine unüberschaubare Ansammlung von Fakten bzw. "richtigen" Sätzen, die es in möglichst großer Zahl einzubimsen gelte.


    Diesen Irrtum legen nun leider Lexika, ganz gleich wie sie zustande gekommen sind, generell auch nahe. Sie sind Autoritäten für Wissen, die man nur dann begründet bezweifeln kann, wenn man schon mehr weiß.
    Aber zu dem Wissen gehört eben nicht bloß die korrekte Reproduktion von Lehrmeinungen, sondern auch das Verständnis der Gründe, die zu den Lehrmeinungen führen. Der Nürnberger Trichter ist eben nur ein Kindertraum.
    So stehen in der Physik meines Wissens das planetare und das quantenmechanische Atommodell immer noch unversöhnt neben einander. Sie sind halt beides Modelle, von denen jedes einige Phänomene gut erklärt, andere nicht.


    Die große Stärke der Wikipedia liegt jedenfalls in der Diskussion der Inhalte. Die stehen nicht so unhinterfragbar da, während ein Fehler im sorgfältig von Fachleuten erarbeiteten Brockhaus umso fataler für bare Münze genommen wird.


    Zum Abschluss ein Autoritätsargument für die Demokratisierung des Wissens: Schiller meinte, was einer im Reiche des Geistes gewonnen habe, das habe er allen gewonnen.


    Viele Grüße


    :hello:

  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Wenn erst mal jede anspruchsvollere Internetseite kostenpflichtig ist -und ich sage voraus, daß das kommen wird - dann sind Enzyklopädin in Buchform oft der preiswertere Weg.


    Lieber Alfred,


    Du unterschätzt die Werbung. Wenn genügend Menschen eine Seite besuchen, ist die Werbung interessiert. Auch wenn die Seite Mist zeigt. Und soo schlecht ist Wikipedia auch nicht.
    In viel Hinsichten aktueller als meine alte Enzyklopedie.


    Und was ist gegen das Medium "elektronische Datenträger"? Sogar "the Encyclopædia Britannica" ist auf DVD/CD zu bekommen. Die Möglichkeit von Querverweisungen sind doch viel größer. Und einen "update" kann man schneller und billiger machen.
    Und die Scheiben werden doch wieder durchs Internet geschlagen, wenn es um Geschwindigkeit geht. Da werden noch schneller Fehler verbessert (darf man hoffen).


    LG, Paul

  • Zitat

    Original von Kontrapunkt
    Ich verstehe auch nicht, warum die Wikipedia hier überwiegend negativ gesehen wird. Die Wikipedia hat in der jüngeren Vergangenheit im Vergleich mit etablierten Lexika schon ganz gut abgeschnitten und brachte doch auf jeden Fall so etwas wie eine Demokratisierung des Wissens.


    Die Qualität der Artikel ist aber außerordentlich variabel. Selbst solche die gut sind, sind oft viel zu lang oder zu wenig allgemeinverständlich. (Gerade zu mathematisch-naturwissenschaftlichen Themen).
    Bei einem traditionellen Lexikon kann man, obwohl es auch Fehler und Unzulänglichkeiten erhalten mag, dagegen idR davon ausgehen, dass keine Totalausfälle dabei sind, dass nicht irgendwelche Partisanenpositionen als Stand der Forschung verkauft werden usw.


    Zitat


    In dieser Hinsicht ist die Nachricht, dass die Brockhaus-Enzyklopädie gratis verfügbar online gehen wird, ein neuer begrüßenswerter Erfolg der Wikipedia. Denn nun hat sie, die ja bekanntermaßen nicht ohne Fehler und Lücken ist, einen interessanten Vergleichsmaßstab. Wo Wikipedia und Brockhaus sich widersprechen, wird für ein viel breiteres Publikum deutlich werden, das Wissen und Bildung sehr wenig mit dem zu tun haben, was Günther Jauch in der Millionärsshow abfragt.
    Denn dort erscheint Wissen als eine unüberschaubare Ansammlung von Fakten bzw. "richtigen" Sätzen, die es in möglichst großer Zahl einzubimsen gelte.


    So kann es aber auch in einem Lexikon, gleich welcher Art erscheinen. Leider ist Platons Menon, wo der Unterschied zwischen "Wissen" und "wahrer Meinung" erklärt wird, eben keine Pflichtlektüre in der 10. Klasse. ;)


    Ich will aber im Lexikon normalerweise schnell was nachschlagen, nicht Quellenvergleiche oder so etwas anstellen. Dass es Widersprüche geben kann, weiß ich seit meiner Kindheit, wo nie klar war, ob nun der Nil oder der Amazonas der längste Fluß der Erde ist ;)


    Zitat


    So stehen in der Physik meines Wissens das planetare und das quantenmechanische Atommodell immer noch unversöhnt neben einander. Sie sind halt beides Modelle, von denen jedes einige Phänomene gut erklärt, andere nicht.


    Nein.
    Das Bohrsche Modell dient höchstens noch didaktischen Zwecken und ist eigentlich von der Quantentheorie aufgehoben. Es erklärt nichts, was die spätere Theorie nicht ebenso oder besser erklären würde, ist dabei aber selbst inkonsistent (quasiklassisch mit zwei unbegründeten, unklassischen Ad-hoc-Annahmen, des strahlungsfreien Umlaufs der "Elektronen-Planeten" und der Quantelung des Bahndrehimpulses). Es sollte nach ca. 1925 in einem Lexikon höchstens als ein historisch außerordentlich wichtiges Modell, nicht aber als bestmögliche Darstellung der Atomhülle, auftauchen.


    Hier besteht auch ein wichtiger Unterschied zu z.B. Newtonscher Mechanik, die trotz Relativitätstheorie natürlich noch verwendet wird, mit dem Bohrschen Modell arbeitet niemand mehr.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl


    Nein.
    Das Bohrsche Modell dient höchstens noch didaktischen Zwecken und ist eigentlich von der Quantentheorie aufgehoben. Es erklärt nichts, was die spätere Theorie nicht ebenso oder besser erklären würde, ist dabei aber selbst inkonsistent (quasiklassisch mit zwei unbegründeten, unklassischen Ad-hoc-Annahmen, des strahlungsfreien Umlaufs der "Elektronen-Planeten" und der Quantelung des Bahndrehimpulses). Es sollte nach ca. 1925 in einem Lexikon höchstens als ein historisch außerordentlich wichtiges Modell, nicht aber als bestmögliche Darstellung der Atomhülle, auftauchen.


    Hier besteht auch ein wichtiger Unterschied zu z.B. Newtonscher Mechanik, die trotz Relativitätstheorie natürlich noch verwendet wird, mit dem Bohrschen Modell arbeitet niemand mehr.


    Wird denn auch der Partikelcharakter von Atomen und Elektronen von der Quantentheorie erklärt? Ich dachte, da sind sie nur Energiequanten.


    Viele Grüße


    :hello:

  • Ich gestehe, dass ich dem Brockhaus auf Papier keine Träne nachweine. Als die ersten Trauergesänge auf das gedruckte Buch gesungen wurden, war ich mir ziemlich sicher, dass dies nicht Romane und Sachbücher betreffen werde.
    Bei Nachschlagewerken hingegen war ich mir ziemlich sicher, dass über kurz oder lange EDV- bzw. Internetlösungen die wichtigste Ressource stellen werden und so ist es auch gekommen. Der Schritt des Brockhaus ist insofern nur ein konsequenter innerhalb einer schon lange laufenden Entwicklung.


    Ich war anfangs ebenfalls ein großer Wikipediagegner, aber mit den Jahren habe ich anhand der Nutzung gelernt, welche Vorteile doch so ein System bietet. Ich kann heutzutage aktuelle Fakten in Sekundenschnelle abrufen.
    Neulich suchte ich - Tamino lässt grüßen - eine Info über Allan Petterson. Innerhalb von 10 Sekunden ein sehr guter und ausführlicher Wiki-Artikel. Was hätte ich vor 10 Jahren gemacht ? Der Weg zum MGG ist weit und ob der Brockhaus in Qualität und Quantität mit dem Petterssonartikel mithalten kann, müßte geprüft werden. Sicherlich schwankt die Qualität der Wikis, insbesondere die Verlässlichkeit der Artikel. Aber das sollte man nicht immer als ultimatives Argument gegen diese Form anführen, sondern es auch mal gegen die Vorteile abwägen. Und auch einmal eingstehen, dass eben auch ein gedrucktes Lexikon seine Nachteile aufweist und nicht eine Ideallösung darstellt.


    Was mich bisher hauptsächlich störte, war das Meinungsmonopol, das Google und Wikipedia mittlerweile inne haben. Wenn man Online eine Information sucht, erfolgt dies in den meisten Fällen ebend über diese beiden Instanzen. Und damit ist eine gewisse Meinungslenkung schon programmiert. Auch wenn Wikipedia bespielsweise von vielen Menschen mit unterschiedlicher Meinung geschrieben wird, kommt letztendlich eine Aussage heraus. Und aus diesem Grunde begrüße ich den Brockhaus Online extrem, da hier ein System zur Verfügung gestellt wird, dass antritt, die Vorteile Wikipedias zu übernehmen und die Nachteile zu verringern. Nur bei kostenlosem Zugang kann dies gelingen, weil die Lage ja sonst nicht vergleichbar wäre.
    Bezüglich der finanziellen Kritik sollte man erwähnen, dass durchaus noch jemand für die Arbeit der Beteiligten zahlt, nämlich die Werbeindustrie.


    Gruß
    Sascha

  • Ich sehe das strategisch ganz anders:


    Brockhaus bietet derzeit seine 21. Auflage (in 30 Bänden !! statt wie bei den letzten Auflagen 24) an:


    Die Aussage, dies wäre der letzte "Gedruckte Brockhaus"


    könnte einen Boom auf das Werk auslösen - sozusagen "Torschlußpanik"
    Man darf letztlich nicht vergessen, daß Brockhaus auch ein Prestigeobjekt ist.



    Ich bin davon überzeugt, daß die Umsatzzahlen für die 21. Auflage massiv angekurbelt werden.


    Und in 10-12 Jahren (so lange lässt sich Brockhaus in der Regel bis zur Neuauflage Zeit) reden wir weiter....


    Ich habe mein Leben lang von der eigenen Brockhaus Enzyklopädie geträumt - und sie mir vor va 12 Jahren gekauft. - Gegen WIKIPEDIA - die ganz anders strukturiert ist - möcht ich nicht tauschen.


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Kontrapunkt
    Wird denn auch der Partikelcharakter von Atomen und Elektronen von der Quantentheorie erklärt? Ich dachte, da sind sie nur Energiequanten.


    Das führt jetzt zu weit. Ich kann keinen Abriß der Interpretationsvielfalt der Quantentheorie geben. Elektronen sind insofern nicht "nur" Energiequanten, als dass sie immer noch etwas anderes sind als z.B. Lichtquanten; sie sind, wenn man so will Quanten eines "Materiefeldes", das andere Eigenschaften besitzt als das EM-Feld.


    Aber dieser "Partikelcharakter" wird im Bohrschen Modell ebensowenig "erklärt", er wird vielmehr vorausgesetzt, nur werden durch ad-hoc-Annahmen einige Eigenschaften, die das Elektron als klassische Partikel haben müßte, abgeändert.


    Aus heutiger Perspektive ist das Bohrsche Modell ein "halbklassisches Modell". Seine entscheidenden theoretischen Nachteile sind, dass es mit zwei Ad-hoc-Annahmen, die im Widerspruch zur klassischen Physik stehen, arbeiten muß. Nämlich der Quantelung des Bahndrehimpulses (um diskrete Bahnen zu erzwingen) und dem Postulat strahlungsfreier Umläufe der Elektronen (nach der klassischen E-Dynamik müßten die Elektronen auf ihren Planetenbahnen Energie abstrahlen und durch diesen Verlust sehr schnell in den Kern stürzen, tun sie aber nicht).
    Wenn ich nicht irre, war ein weiterer praktischer Nachteil, dass es kaum möglich war, das Modell auf Mehrelektronensysteme auszuweiten. (Das ist freilich eine prinzipielle Schwierigkeit beim Mehrkörperproblem schon in der Klassischen Mechanik.)


    Die beiden o.g. Postulate kommen bei der quantenmechanischen Lösung des Problems (mittels Schrödingergleichung) "automatisch" heraus, müssen also nicht ad hoc angenommen werden. Es gibt somit nichts, was das Bohrsche Modell erklären könnte, was nicht besser von der QM erklärt würde. (Die "verdammte Quantenspringerei" (Schrödinger) bleibt allerdings erhalten, das wurde dann irgendwann als "feature" anerkannt ;))


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
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