Ben Cohrs hat mich ermuntert, hierzu einen eigenen Thread aufzumachen…
Bruckners Wagnerverehrung wird gemeinhin als die etwas beschränkte Sicht eines frömmelnden Kirchenmusikanten abgetan, der vom Klangrausch des Meisters überwältigt ein wenig die Fassung verloren hat, ohne in seinem eigenen Werk im geringsten dieser Obsession zu folgen, folgen zu können. Eugen Jochum hat das wie folgt beschrieben:
ZitatWas die Instrumentation betrifft, ist Bruckner kaum romantisch zu nennen, sondern er basiert absolut auf dem barocken Klangideal und antizipiert dadurch Instrumentations-Tendenzen, die erst in der Moderne wieder lebendig geworden sind. Seine Gedanken aber reichen von der frühgotischen Mystik über die Welt Palestrinas bis hinein in die Naturverbundenheit des 19. Jahrhunderts, und nur in diesem letzten Punkt berührt er sich näher mit seinem Zeitgenossen Richard Wagner. Dessen großartiges Werk jedoch bringt die ganze nervöse Sensibilität seiner Zeit zum Ausdruck, ist erfüllt von einer glühenden Erotik und schrankenlosen Subjektivität, verbunden mit einer grandiosen Naturschau. Bruckner ist vollständig frei von dieser sensualistischen Erotik, aber dafür erfüllt von der Wärme und Lebendigkeit der österreichischen Landschaft und des österreichischen Volkstums; der Hintergrund indes all eines Musizierens ist eine Frömmigkeit und mystische Gottverbundenheit, wie sie in der europäischen Musik nur noch bei Bach zu finden ist.
Nun, ich meine, daß diese Sicht auf Bruckner dann doch heute allzu simpel und eingeschränkt wirkt und wohl auch ist und dem Klischee entspricht, das lange von dem Menschen Bruckner aufgrund der Äußerlichkeiten seines Lebens gepflegt wurde und z. T. immer noch wird. Insofern wäre es in der Tat mal interessant zu diskutieren, ob es Anhaltspunkte dafür gibt, daß in der Musik der beiden Komponisten nicht doch untergründige Beziehungen bestehen, die über gewisse Klanganverwandschaften hinaus gehen und so auch das Bild von Bruckner als dem völlig aus der Zeit herausgefallenen 'standalone'-Künstler relativieren (dem ich auch zugeneigt habe).
Bruckner hat z. B. ja auch die Neunte von Beethoven bereits zu einem Zeitpunkt hochgeachtet, als diese noch nicht als FFE-Hymne zu einer Marke entwürdigt war…
Gruß
helmutandres