Die Partitur - Gesetz oder Rezept?

  • Meine Lieben


    Ich gestehe, dass mich die hip-as-hip-can-Keilerei, wie sie im Moment durch das Forum rasselt, nicht sonderlich interessiert, wohl aber der Zusammenhang zwischen Partitur und Execution, zwischen Idee und Realisierung.


    Ist die Partitur ein Gesetzestext oder eine Art Rezept?


    Beim Lesen eines Kochrezepts mag einem das Wasser im Mund zusammenlaufen aber essen kann man das Rezept nicht (ausser es ist aus Reispapier).
    Köchin X transponiert die Rezept-Idee in die Materie hinein, à la facon de la patronne!
    Klar, dass Koch Y dasselbe Rezept à la facon du patron realisieren wird, und mit den gleichen Zutaten ein anderes Resultat aufs Teller zaubert.


    Nicht einmal der Rezept-Erfinder wird zweimal das gleiche Resultat herstellen können.
    Das Rezept ist ja nicht ein Gesetztestext sondern eine Wegbeschreibung.
    Parallelen mit dem Musikbetrieb sind rein zufällig...und ich neige zu einer durchaus überdrehten Folgerung:


    Dass Zinman seinen Beethoven nach der neuen Del Mar-Ausgabe spielen lässt, mag aus gesetzteshüterischer Sicht vorbildlich sein, aber es macht seine Interpretationen nicht wesentlicher, sondern liefert vor allem ein musikwissenschaftlich abgesegnetes Argument für die neunundneunzigste Gesamtaufnahme.


    Weshalb wurde in unserem Kulturkreis die textgetreue Interpretation ein solches Dogma?
    Weshalb hat neben dem legitimen, aber starren (für viele Leute notwendigen, weil stabilisierenden) Dogma der Texttreue in der sog. E- Musik nicht auch eine Prise improvisatorische „Leichtigkeit des Seins“ ihren Platz, so nach dem Motto:


    Hier ist das Rezept für ein „Tournedot „Eroica“ à la Ludwig van“, und jetzt, lieber Diri-koch, mach was EIGENES draus: leg etwas Schlagzeugpfeffer unter das Streicher-Fleisch, verdopple die Hörner durch ein Saxophonquartett..., ersetze die Reprise durch einen neukomponierten Schluss, usw. Mach einfach was Leckeres draus, mach uns Freude mit deiner Fantasie und deinem dir zur Verfügung stehenden Material.


    Ich weiss, die Gesetzeshüter werden sich die Haare rauffen. Aber Bach, Beethoven und Konsorten würden wohl lachen und wären stolz darauf, auch nach Jahrhunderten noch als Inspirationsquelle zu dienen, nicht nur als Executionsquelle.

    Ich wünschte mir die interpretatorische Chuzpe für kreative Eingriffe in den Notentext im Sinne der Kochkunst:


    „Tournedot „Eroica“ à la Ludwig van“:
    vielleicht mal Lammfleisch statt Rind (Darmsaiten, statt Stahlsaiten),
    mal Olivenöl statt Sonnenblumenöl (Mandolinen statt Harfen),
    mal Pfeffer statt Muskatnuss (E-Bass, statt akustuscher Bass),
    mal Kartoffelstock statt Pommes frites (Jazz-Combo statt Camerata)
    mal Bocuse statt Biolek (Boosey and Hawkes statt Bärenreiter)


    Und zudem: das „Tournedot „Eroica“ à la Ludwig van“ wird anders schmecken, je nach dem ob es
    auf 80 Grad 2 Stunden lang köchelt (Klemperer),
    auf 100 Grad eine Stunde lang schmort (Celi)
    oder auf 150 Grad 15 Minuten kurz steamt (Zinman)


    (Bitte das Geschreibsel zu später Stunde nicht ganz ernst nehmen!)


    Jede Aufführung wäre ein Unikat und würde schonungslos den Geschmack und die Fantasie der KöchInnen offenlegen. Ueber solche "Uraufführungen" liesse sich trefflich diskutieren und die ganze Hip-Hopperei würde obsolet.


    Dieser Wunsch nach kreativem und grosszügigem Umgang mit dem Rezept wird wohl kaum je erhört werden. Solch aufwändige Projekte scheitern am Mangel an Geld und Zeit, an den betonierten Hörgewohnheiten des Publikums, an den drohenden Bussenzetteln der wissenschaftlichen Ordnungshüter und an der Bequemlichkeit der ausführenden Musiker...


    Um dies noch einmal klarzustellen: Ich würde mir wünschen, dass die „Erioca“ bei jeder Neuinszenierung wirklich anders klingt, je nach Bearbeitung durch den löffelschwingenden Koch: Es würde dann nicht mehr Beethovens: 3. Sinfonie erklingen (die als orthodoxe Interpretation ihr legitimes Aufführungsrecht behält) sondern quasi eine „Musik nach Beethovens Eroica“.
    Solches habe ich bisher leider noch nicht erlebt. Ihr?


    Man mag mich bitte jetzt nicht kloppen für meinen Proletarieranfall. Ich habe einfach wenig Verständnis für museale Musikverwaltung als Selbstzweck und würde gerne für mehr grandezza im Umgang mit den Noten-Bibeln plädieren.


    Nun aber die konkrete Frage:
    Habt Ihr Erfahrungen mit „Improvisierten Interpretationen“?
    Wer kennt die Klavier-Improvisationen von Gabriela Montero?
    Kennt ihr Werke, die wesentlich über eine orthodoxe Bearbeitung/Transkription (wie Liszt, Schönberg/Bach oder Schönberg/Brahms Klavierquartett g-moll) hinausgehen, also etwa
    Hans Zehnders: „Winterreise, eine komponierte Interpretation“ oder
    Rodion Shchedrins „Carmen-Suite“?



    Liebi Grüessli aus Bern von


    Walter

  • Die Frage lässt sich nicht so einfach beantworten - es ist eine Frage des Temperaments und des persönlichen Standpunkts - und zwar sowohl des Komponisten - als auch des Interpreten - sowie letztlich des Publikums und der Kritik.



    Mozart soll einst regelrecht hysterisch gebrüllt haben:


    "Wollt Ihr das wohl so spielen wie ich es aufgeschrieben habe ?"



    und von einem anderen Komponisten (Name und Quelle momentan nicht gegnwärtig - aber zuverlässig aus dem Gedächtin zitiert:
    "Meine Werke braucht niemand zu interpretieren - es genügt sie so zu spielen wie ich sie notiert habe"


    Das ist wohl eindeutig.


    _________________________


    In der Praxis wurde jedoch stets interpretiert - das war schon eine NOtwendigkeit, weil eben in den Noten letztlich doch nicht alles steht.


    Man kann dies begrüßen oder aber als Schwäche des Notensystems auslegen


    _________________________


    Nun kommen wir aber zu einem Spezialfall: Der Tonaufzeichnung


    Sie sollte in jedem Fall maßstäblich sein, da sie immer wieder als Referenz herangezogen werden kann.
    Eigenwilligkeiten sind hier fehl am Platz - sie verfälschen das eigentlich Werk,


    Tonaufzeichnungen sind ja der Versuch die Zeit einzufrieren und ein Rendevouz mit der Ewigkeit zu ermöglichen.
    Hätte beispielsweise seine Werke für die Schallplatte eingespielt (in bester Qualität natürlich), dann wären IMO alle weiteren Einspielungen überflüssig.


    Interpretation ist heute gefragt und der Interpret ist für viele oft interessanter als der Komponist - indes war Interpretation URSPRÜNGLICH lediglich eine Krücke, die dazu dienten, das was nicht aufgeschrieben war,bestmöglich zu rekonstruieren. War anfangs noch ein gewisses kollektives Basiswissen vorhanden, welches gewisse Tempo- Rhytmus uns Verzierungsfragen erst gar nicht aufkommen liess - so war man im Laufe der Zeit (wenn sich die Aufführung von der Zeit, da das Stück komponiert worden war zunehmends entfernte) auf Mutmaßungen und guten Geschmack angewiesen. Die Darbietung entfernte sich nach und nach immer mehr vom (angestrebten) Originalklang - was je nach Werk zu überraschenden- oft beeindruckenden Ergebnissen führen konnte - die aber mit der Komposition nur mehr wenig zu tun hatte.......


    Der Kampf der Kreativen ("Verfälscher") gegen die Vertreter der "Werktreue" ("Notenbuchstabierer") ist wahrscheinlich so alt wie die (notierte) Musik....


    mfg
    aus Wien


    Alfred



    ______________________

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Danke, leber Alfred für die freundliche Antwort.
    Mozart hat natürlich (immer) recht:
    So stehts geschrieben, so ists zu spielen.


    Das will ich gar nicht betreiten. Es geht mir um eine zusätzliche Erlaubnis, mit dem vorhandenen Material kreativ und zeitgemäss umgehen zu dürfen ohne dem Plagiatsvorwurf zum Opfer zu fallen oder in die crossover-Ecke verstossen zu werden.


    Wäre der verehrte Wolfgang mir wohl sehr gram, wenn er hörte, wie ich lustvoll den ersten Satz aus seiner martialischen a-moll-Klaviersonate verjazze, wozu sie sich ja wirklich anbietet.


    „Na Buberl, wennst si aa so spüln konnst, wia i si gschribn hob, do konnst macha, wast wüllst mit era.“


    (Lieber Alfred: vergib dem unverschämten Berner, der noch nie in Wian war, den holprigen Versuch, des Amadeus und Deine Muttersprache zu imitieren, aber die späte Stunde verzeiht doch fast alles, gell...)


    Ich möchte eigentlich vermeiden, neben dem Hip-Ring noch eine Arena „Verfälscher gegen Buchstabierer“ zu eröffnen. Aber wenns darauf hinausläuft, so seis drum. Schaumemal.


    Eine gute Nacht wünscht Dir
    Walter

  • Hallo,


    wir haben ja einen Thread mit ähnlicher Fragestellung:


    Der Wille des Komponisten - Dogma oder Empfehlung ?


    Davon abgesehen: Wenn der Koch anstelle von Kalbs- eben Schweinefleisch verwendet, gibt es im Ergebnis kein Wiener Schnitzel, sonder "nur" Schnitzel Wiener Art.


    Das Paradoxe daran ist, daß das "Schnitzel Wiener Art", abgesehen vom Preisunterschied, durch die genormte EU-Sau immer gleich schmeckt und damit den Anspruch auf Richtigkeit erhebt, während das HIPpe "Wiener Schnitzel" mit seinem stets individuellen Geschmack im Abseits steht.


    Der Konsument, der sich auskennt, entscheidet...


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Hallo lieber Ulli


    Ich danke Dir für den Hinweis. Eigentlich wollte ich die kulinarischen Gedanken in den aktuellen Beethoven- Thread einfügen (Beethovens Sinfonien: Interpretationen und Irrwege). Aber mit der Länge der Nacht wurde der Text eben auch länger und länger, und ich entschloss mich, damit einen eigenen Thread zu eröffnen, leider zu später Stunde zu faul, um im Directory nachzuschauen, ob da schon etwas ähnliches existiert.


    Ein geneigter Moderator mag entscheiden, ob man diesen Faden hier in die frühere Diskussion einfügen soll.


    Liebi Grüessli aus Bern von
    Walter



    PS. Das „HIPe Wiener Schnitzel“ nimmt mir alle Argumente aus dem triefenden Mund...:jubel:
    oder doch: ich plädiere für ein paniertes Schnitzel aus Wildschwein :D

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  • Zitat

    Original von Walter Heggendorn
    ... oder in die crossover-Ecke verstossen zu werden.



    nix verstoßen !! Das ist eine außerordentlich geschätzte Ecke.


    Und der von Dir vorgeschlagene freiere Umgang mit Instrumentierung und Partitur ist doch nun so ziemlich genau das...Eine Interpretation mit den zur Verfügung stehenden Mitteln und den Ausdrucksmöglichkeiten der aktuellen Zeit - also z.B. Barockmusik mit einem swinging Jazz-Trio.


    Aus meiner Sicht ergänzt es sich ganz gut: Hip für die Puristen, voller Klang für die nicht ganz so leidensgewohnten Weicheier und ein bißchen Klassik-Offroad für diejenigen, die auch der aktuellen Mainstream-Musikszene etwa abgewinnen können.

  • Dieser Thread erinnert mich an ein Thema dass ich hier auch schon ansprechen wollte.
    Denn gerade im HIP Bereich macht sich langsam das gleiche Breit wie im Main Stream Bereich der Klassik:


    stets die gleichen Werke
    Beschränkung auf wenige Komponisten
    eine Standard Besetzung
    keine neuen Erkenntnisse
    Ideenlose Interpretationen




    Die Partituren des 17. Jahrhunderts sind z.B. schon so abgefasst, dass man improvisieren muss, ja man muss - und soll die Instrumentierung nach den Möglichkeiten selbst erstellen.
    Aber auch da gibt es vollkommen ausgeschriebene Partituren - die jedoch nur ein Vorschlag sind, kein Dogma.


    Und das gilt auch für die Musik der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts.



    Und doch macht man es anders. Dieser Unsinn steht selbst bei Wikipedia:


    Ein Barockensemble hat klein - solistisch zu sein etc.


    Das ist völliger Quatsch - wenn man sich die Hoforchester ansieht, dann ist die Besetzung sicherlich nicht mit den Massen zu Vergleichen die man für Strauß oder Mahler benötigt, aber doch zwischen 40 und 60 Mann stark!
    Und das ist sogar schriftlich wie auch als Stich festgehalten und in vielen Formen erhalten.



    Mann kann sich nicht nur an die Partitur halten, man muss auch wissen welche Instrumente zu welcher Zeit schon in Gebrauch waren und welche noch in der Entwicklung waren.


    Ein Beispiel, dass ich auch schon mal angesprochen habe:


    Die Oboe - zu frz. Hautbois (Hohes Holz) wurde erst gegen Mitte der 1670er Jahre soweit entwickelt, dass sie langsam die Instrumente der Schalmei-Familie ablöste.


    Nun was bedeutet das?
    Eigentlich sollte Musik vor 1675 nicht mit Oboen gespielt werden, weil es genau so ist, als würde man Cembalowerke auf dem Steinway spielen.


    Und doch wird es gemacht und man hält es für HIP.


    Dann werden viele Instrumente erst gar nicht verwendet:


    das Krummhorn (eine 2m lange Oboe für einen donnernden Bass)
    der Serpent (ebenfalls ein tiefes Holzblasinstrument - wurde bis zu Mozarts Zeiten verwendet!)
    Der Trumscheit (ebenfalls ein unterstützendes Bassinstrument, ca. 2m lang mit einer einzigen Saite)
    etc.


    Solche Instrumente sind in kaum einer Partitur angegeben und doch wurden sie verwendet und sind meiner Meinung nach die Prise Salz die zum Gelingen des Gerichts entscheidend beitragen.


    :hello:

  • Zitat

    Original von Walter Heggendorn
    Beim Lesen eines Kochrezepts mag einem das Wasser im Mund zusammenlaufen aber essen kann man das Rezept nicht (ausser es ist aus Reispapier).


    Weshalb wurde in unserem Kulturkreis die textgetreue Interpretation ein solches Dogma?
    Weshalb hat neben dem legitimen, aber starren (für viele Leute notwendigen, weil stabilisierenden) Dogma der Texttreue in der sog. E- Musik nicht auch eine Prise improvisatorische „Leichtigkeit des Seins“ ihren Platz


    Lieber Walter,


    danke schön für diese schöne Rezeptur. Mit diesem herrlichen Bild sprichst Du eine weitere meiner Leidenschaften an, und während ich auf Dein schönes Bild schaue, wird mir bewusst, wie frei, kreativ und lustvoll ich meinen Kochkünsten nachgehen kann, ein Rezept, wenn ich es denn nutze, als Ideenstarter, als Gedankenanreger nutzend, aber nicht als das Gesetz, das Ihr befolgen sollt, und nicht mal als Krücke, um zum gewünschten Ergebnis zu gelangen, vielleicht eher als Flügel.


    Alfred hat im Beethoven-Interpretations-Fred ein, wie ich finde, sehr schönes anderes Bild benutzt:



    Und gleich war eine andere Leidenschaft angesprochen, das Spiel mit Farben und Formen, die Freiheit und Ausdrucksfähigkeit, die dies in mir anspricht und die ich in ein Bild hineingießen kann, wenn ich mir diese Freiheit gestatte.


    Was bedeutet es, wenn ich mir diese Freiheit bei der HIP-Frage nicht gönne? Wenn ich darauf beharre, am Anfang sei der Notentext und der Wille des Komponisten, und danach komme (möglichst) nur noch deren Exekution?


    Zitat

    Original von Robert Stuhr
    Besetzung, korrekte Wahl der Instrumente, deutsche oder amerikanische Aufstellung, Aufführungsort, historische Verortung der Komposition und des Komponisten, das geistig-gesellschaftliche Umfeld usw, sind Dinge, die ich gut überprüfen kann. Tempofragen und alle Merkmale einer Interpretation, die ich mit der Partitur überprüfen müßte, verschließen sich mir (beim Tempo kann man ohnehin ewig streiten).


    Unsere individuelle Rezeption dürfte ganz erheblich von unserem eigenen geistig-gesellschaftlichen Umfeld, unserer gegebenenfalls jahrzehntelangen Hörerfahrung, unserer sozialen Prägung, Zufälligkeiten unserer persönlichen Entwicklung vorgegeben oder mindestens beeinflusst sein. Spielt aber möglicherweise die jeweilige Individualpsychologie eine ebenso ausschlaggebende Rolle?


    Ich stelle den Notentext und den Willen des Komponisten als das Gesetz über alles. Ist es dafür völlig bedeutungslos, dass ich Jurist bin, mich also inzwischen seit fast dreißig Jahren - unglaublich ist das - mit Gesetzen beschäftige? Andererseits gibt es Juristen, die diesen Zwang, den Notentext und Komponistenwillen als das letzte Gesetz anzuerkennen, nicht haben, sondern in munterer Vielfalt die vielen verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten nebeneinander bestehen lassen und goutieren können. Bin ich also ein zwanghafter Charakter?


    Oder: Ich meide Interpretationen, bei denen - so kommt es bei mir an - der Wille, ja sogar die Gefühle des Dirigenten den Notentext und Komponistenwillen in für mich unerträglicher Weise überlagern. Liegt das vielleicht daran, dass ich Probleme damit habe, meine eigenen Gefühle zu zu lassen, habe ich gar Angst vor soviel unkontrolliertem Gefühl?


    Nun halte ich mich, was die geschilderten möglichen Zusammenhänge angeht, für nicht so einmalig, als dass ich nicht eine gewisse Spiegelung derartiger Zusammenhänge auf der sozialen Ebene annehmen würde - wenigstens ebenso stark, wie diejenige anderer bei den Mitgliedern der Gesellschaft vorhandener psychologischer und sozialisatorischer Vorgaben. Und da gehe ich schon von einer Rückwirkung auf die Art und Weise der musikalischen Rezeption zwischen Texttreue und freier Improvisation aus.


    Möglicherweise ist die HIP/HOP-Diskussion, wie sie im parallelen Beethoven-Fred ihre schönsten Blüten treibt, viel stärker von derartigen individualpsychologischen und sozialisationsbedingten Grundlagen geprägt, als uns das in jedem Augenblick bewusst ist. Die Beiträge von Peter Brixius, Loge, Miguel54, Hildebrandt und anderen in allen Ehren - dankbar bin ich für sie und sie haben mich ganz entscheidend weitergebracht -, sie zeigen doch, dass, wenn die Ansichten auf ihre Spitze getrieben werden, HIP- und HOP-Befürworter am Ende nicht zusammenkommen können (solange sie nicht die Synthese zulassen, was ja erfreulicherweise auch einige geschehen lassen). Denn die Diskussionen beziehen sich eigentlich nicht aufeinander, können dies in der Form, in der sie geführt werden, auch gar nicht, weil ausschlaggebend für den einen wie den anderen Standpunkt die jeweilige unüberprüfbare Prämisse ist. Die jeweilige Prämisse wiederum scheint auf der individualpsychologischen und Sozialisationsebene zu fußen.


    Deshalb haben wir es hier bei uns wohl auch nicht so einfach, mal eben gerade lustvoll darauf los zu improvisieren: Der Notentext prägt seit so langer Zeit unsere Musik, dass die Loslösung ein kaum zu überwindendes Problem darstellt. Das war in Amerika etwas ganz anderes: der von den Siedlern mitgebrachte Notentext traf ganz unmittelbar auf nicht-notengebundene Musik der Ureinwohner und später auf die ebenfalls überlieferte Musik der aus Afrika in das Land geholten Menschen.


    Solche unmittelbaren Einflüsse waren bei uns in Europa ja nur eher spärlich vorhanden, und wenn, dann wurden sie aus den bereits genannten Gründen eher abgewehrt.


    Und dennoch gab es die Freiheit, sich vom Notentext zu lösen sehr wohl. In den Zeiten vor der Wiener Klassik allemal - der Lullist hat eben auf einige Aspekte hingewiesen, und die weitere Bearbeitung eigener oder "sogar" fremder Notentexte war bekanntlich üblich.


    Dann kam Mozart, der sich so gespielt haben wollte, wie er es aufgeschrieben hatte, und andere wollten keine Werkinterpretation, sondern Wiedergabe des Notierten. Ich liebe die Anekdote über den jungen Günter Wand, der auf die Frage, welche Beethoven-Interpretation man von ihm denn nun erwarten könne, eine wie Furtwängler oder eher eine wie Toscanini, gesagt haben soll: "Wie Beethoven."


    Und trotzdem gab es auch in diesen nachklassischen Zeiten den freien, wenn auch gebundenen Umgang mit dem Notentext: Für "richtig" :baeh01: halte ich die Interpretationen der Symphonien Robert Schumanns, wie sie Gardiner oder auch Harnoncourt gespielt haben. Aber in hohem Maße goutiere, genieße ich die Einspielungen der Symphonien, die Riccardo Chailly jüngst mit dem Gewandhausorchester Leipzig vorgelegt hat, Schumann in der Bearbeitung von Gustav Mahler. Das hat nach meinem Bild nur noch wenig mit dem Klangbild zu tun, das Schumann vorgeschwebt haben mag, das ist schon nach der unglaublichen Anzahl der angeblich vielen hunderten angebrachter Veränderungen im Notentext dessen Vergewaltigung, aber es ist bei der zweiten bis vierten Symphonie (die Erste finde ich in dieser Fassung weniger gelungen), und besonders bei der Dritten, eine klangliche Schlemmerei ohnegleichen. Ich stelle dann mein schlechtes Gewissen Schumann gegenüber hintenan :pfeif: , und genieße nur noch :angel: .


    Aber natürlich, auch Mahlers Improvisation über Schumanns Symphonien MUSSTE in Notentext gegossen werden, damit wir heute dieses "Sakrileg" überhaupt erneut begehen und Schumann in Mahlers Gestalt aufführen können.


    Letztlich hörte ich eine jazzartige Gitarrenimprovisation über eine der Cellosolosuiten J. S. Bachs. Nun liebe ich die Suiten sehr, halte sie für vollendet, und mich ließ die ganze Zeit die Frage nicht los: Brauche ich das, braucht das irgendjemand? Was soll denn nach dem Vollendeten noch kommen, was tatsächlich eine tiefergehende Erkenntnis oder einen größeren Lustgewinn ermöglichen könnte? Oder bin ich vielleicht einfach lustfeindlich?


    Oder greift das Bild von dem Rezept, lieber Walter, vielleicht auch einfach zu kurz, wenn ein Notentext vorhanden ist? Ist ein Notentext seit der Wiener Klassik nicht im Regelfall wesentlich differenzierter in seinen ausgeschriebenen Vorgaben, als es ein Rezept sein kann oder auch nur sein will? Und andererseits: Die Sachertorte, so habe ichs in Erinnerung, ist keine Sachertorte mehr, sobald der Konditor nur ein Jota vom Rezept abweicht.

  • Zitat

    Original von Ulrich Kudoweh


    Ich stelle den Notentext und den Willen des Komponisten als das Gesetz über alles.


    Wobei ja auch Gesetzestexte ausgelegt werden. Und auch hier gilt doch: Je weniger im Gesetz selbst geregelt wurde, desto mehr Raum bleibt für die (ergänzende) Auslegung. Die Grenze bildet allerdings völlig zu recht der Wortlaut des auszulegenden Begriffs; eine noch so stimmige "Auslegung" sollte nicht dazu führen, dass das Gegenteil von dem herauskommt, was nach dem ursprünglichen Wortsinn gemeint war.


    Auf die Interpretation von Musik übertragen: Je weniger schriftlich fixiert, weil als selbstverständlich vorausgesetzt wurde, desto mehr darf, ja muss improvisiert werden, allerdings auch hier, wie bei der Testamentsauslegung, dem mutmaßlichen Willen des "Erblassers", sprich: Komponisten folgend. Je mehr schon in der Partitur notiert wurde, desto weniger Raum bleibt für Improvisationen. Wem dieses Kleid zu eng ist, der oder die soll selber komponieren.


    Mit Gruß von Carola


    PS. In einem gewissen Widerspruch zu meinen eigenen Ausführungen steht allerdings, dass ich die Bach-Aufnahmen von Glenn Gould großartig finde...

  • Zitat

    Original von Carola
    Je mehr schon in der Partitur notiert wurde, desto weniger Raum bleibt für Improvisationen. Wem dieses Kleid zu eng ist, der oder die soll selber komponieren.


    Liebe Carola,


    genau, dass es so sein müsste, fand ich immer ganz selbstverständlich. Dass dies aber keineswegs herrschende Meinung ist - also kein allgemeiner Konsens - musste ich im Fred zu Beethovens Symphonien - Interpretation ... lernen.


    Letztlich ist es aber gerade auch diese selbstgesteckte (?) Grenze, die Walter gerne überwunden sähe. Und wenn ich ihn recht verstehe, sucht er diesen Weg nicht auf der rationalen Ebene, sondern eher auf derjenigen des Genusses, der Emotionalität. Ich sehe es auch so, dass wir solche rationalen Grenzen - wie die Definition der Auslegungsgrenzen des Notentextes eine ist - nur auf der emotionalen Ebene überwinden können. Das sollte dann aber auch offen so ausgesprochen werden.


    Und an diese emotionale Schnittstelle passt es doch gut, wenn Du Deine Vorliebe für Glenn Goulds Bach-Interpretation als unstimmig gegenüber Deiner Grenzdefiniton zur Auslegung des Notentextes empfindest. Das zeigt doch sehr schön, dass beide Parameter ihren gleichberechtigten Stellenwert haben.


    Liebe Grüße, Ulrich

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  • Zitat

    Original von Ulrich Kudoweh
    Was bedeutet es, wenn ich mir diese Freiheit bei der HIP-Frage nicht gönne? Wenn ich darauf beharre, am Anfang sei der Notentext und der Wille des Komponisten, und danach komme (möglichst) nur noch deren Exekution?


    Es gibt, lieber Ulrich, keine Exekution in der Musik, sonst könntest Du Deinen Computer programmieren, da gibt es fantastische Software, und könntest die Interpetation eines Werkes hören, die man allenfalls noch nachahmen kann. Der Witz ist: Wenn Du so etwas tust, kommt eine seelenlose Musik zum Vorschein, der ein entscheidendes Merkmal fehlt: Die Individualität des Interpreten. Der Notentext, das wurde hier schon mehrfach angesprochen, ist nur eine ungefähre Anweisung, und der Wille des Komponisten ... da muss ich zum Geisterseher werden und spirituellen Kontakt aufnehmen, um den zu erfahren. Sobald wir es selbst verfolgen können, wissen wir, dass Komponisten ihre Werke selbst sehr unterschiedlich aufgeführt haben, bzw. auch unterschiedliche Interpretation nachdrücklich billigten. Wo wir noch Komponisten als Praktiker erleben, haben sie immer wieder ihre Kompositionen realen Bedingungen angepasst. Sie haben dabei nichts an der kompositorischen Arbeit verändert, aber das entscheidende Ziel war, mit dem Werk das Publikum zu erreichen. Der ästhetische Kommunikationsprozess kennt eben nicht nur einen Partner - und die Mittel des ästhetischen Kommunikationsprozesses wie auch der Zeichenvorrat und der Gebrauch der Zeichen ändert sich.


    Als Interpret muss ich mir den Gehalt eines Stückes erarbeiten und dann Wege finden, diesen Gehalt anderen mit der Aufführung des Stückes mitzuteilen. Uhde/Wieland ( Denken und Spielen. Studien zu einer Theorie der musikalischen Darstellung,. Kassel 1988 ) weisen mit Adorno darauf hin, dass die naive Musizierpraxis nur dem Notenfolge folgt, als könne sie sich von allein entrollen. Dabei kann bestenfalls nur eine durchschnittliche Wiedergabe erreicht werden, denn die individuellen Sinnbezüge bleiben dabei unartikuliert:


    Welche spezifische Einheit diese Bezüge zusammen bilden, ist indessen "nicht gegeben, sondern aufgegeben", sie ist ein [...] Postulat des Textes. "Es ließe sich sagen" heißt es pointiert in den grundlegenden ersten Passagen von AdornosvFragmenten zur Reproduktionstheorie, "die Interpretation, die zum Text dazutritt, macht diesen überhaupt erst zum Text". [...] In diesem Sinn ist Interpretation "die Kopie eines nicht vorhandenen Originals". [...] Das Werk an sich gibt es nicht, es muß erst werden. (Uhde/Wieland, S. 14; Die Adorno-Zitate aus "Aufzeichnung zu einer Theorie der musikalischen Reproduktion" I, S. 72 und I, S. 28 )


    Zitat

    Möglicherweise ist die HIP/HOP-Diskussion, wie sie im parallelen Beethoven-Fred ihre schönsten Blüten treibt, viel stärker von derartigen individualpsychologischen und sozialisationsbedingten Grundlagen geprägt, als uns das in jedem Augenblick bewusst ist.


    In meiner jahrelangen Auseinandersetzung mit den Grundlagen der Musikästhetik habe ich solche individualpsychologischen und sozialisationsbedingten Aspekte durchaus reflektiert. Für mich ist ein entscheidender Unterschied, ob jemand seinen Geschmack artikuliert - der ist jedem unbenommen - oder daraus versucht, allgemeinere Schlussfolgerungen zu ziehen. Womit ich mich kritisch beschäftige, sind nur diese allgemeineren Schlussfolgerungen. Wen jemand die Beethovenschen Equali WoO mit Krummhörnern aufgeführt hören will, so werde ich da allenfalls belustigtes Interesse anmelden, wenn er aber behauptet, das sei die einzig richtige Art, alles andere sei eine Verfälschung des Werkes, werde ich mich zu Wort melden.


    Zitat

    Die Beiträge von Peter Brixius, Loge, Miguel54, Hildebrandt und anderen in allen Ehren - dankbar bin ich für sie und sie haben mich ganz entscheidend weitergebracht -, sie zeigen doch, dass, wenn die Ansichten auf ihre Spitze getrieben werden, HIP- und HOP-Befürworter am Ende nicht zusammenkommen können (solange sie nicht die Synthese zulassen, was ja erfreulicherweise auch einige geschehen lassen). Denn die Diskussionen beziehen sich eigentlich nicht aufeinander, können dies in der Form, in der sie geführt werden, auch gar nicht, weil ausschlaggebend für den einen wie den anderen Standpunkt die jeweilige unüberprüfbare Prämisse ist. Die jeweilige Prämisse wiederum scheint auf der individualpsychologischen und Sozialisationsebene zu fußen.


    ich bin im Gegenteil der Meinung, dass die unterschiedlichen genannten Aspekte durchaus in einer das Gesamte umfassenden Argumentation zusammen kommen, denn die künstlerische Berechtigung, es auf dem Weg des sog. "HIP" zu versuchen, ist von niemandem bezweifelt worden, ebenso war man einig, dass andere Ansätze auch ihre Gültigkeit haben. Nur Ideologen, die meinen, alles auf ihren Zugang abbilden zu müssen, sind nicht konsensfähig. Dass sich die unterschiedlichen Ansätze dem ästhetischen Werturteil zu stellen haben, ist auch von allen Seiten unbestritten. Warum also hier diesen erreichten Konsens wieder in Frage stellen?


    Liebe Grüße Peter

  • Es wurde ja erfreulicherweise darauf hingewiesen, dass auch Gesetzestexte und heilige Schriften der Auslegung bedürfen. (Der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig, 2. Korinther 3,6)


    Was strittig ist und Interpreten als unzulässige Freiheit angekreidet wird, sind sehr häufig Sachen, die eben nicht eindeutig und explizit in einer Partitur stehen. Der Unterschied zwischen einer Barockpartitur, in der die Melodie ausgeziert, der bezifferte Baß ausgesetzt werden muß usw. und einer von Mahler ist hierbei graduell. Jemand wie Mahler notiert vielleicht 8 oder 10 Stärkegrade von ppp bis fff, aber ein Orchester vermag ganz sicher mehr als 10 unterschiedliche Lautstärken zu spielen.

    Eine scheinbar ausführliche Anweisung wie "Im Tempo eines gemächlichen Ländlers. Etwas täppisch und sehr derb" (Mahler 9, ii) ist offensichtlich keineswegs eindeutig ;) Wie derb dürfen die Holzbläser herausplatzen, ohne dass dem Ensemble mangelnde Spielkultur vorgeworfen wird? Im gegenteiligen Fall besteht die Gefahr, dass der bizarr-komische Charakter des Anfangs nicht deutlich genug herauskommt usw. Es ist naiv, anzunehmen, dass solche Fragen ein für allemal eindeutig auf Basis der Partitur entschieden werden könnten. Es ist immer ein Blick aufs Ganze, auf den Hintergrund nötig, sowie unzählige (Vor-)entscheidungen (wie überhaupt ein Ländler zu spielen sei wird ja vorausgesetzt), die dem Interpreten niemand abnehmen kann.


    Und auch mündliche Überlieferung hilft nur bedingt weiter. Die beiden Mahler wohl am nächsten stehenden Dirigenten, die mit ihm zu Lebzeiten zusammengearbeitet haben, von denen wir Aufnahmen besitzen, sind Mengelberg und Bruno Walter (also wieder, wenn man denn diese Eintelung treffen will, ein eher "dionysischer" und ein "apollinischer"). An wen sollte man sich halten, wenn überhaupt?


    Fazit: Selbst die (fragwürdige) Auffassung als "Gesetz" oder Heiliger Text enthebt nicht von der Notwendigkeit der Auslegung. Damit sind die Unterschiede zwischen den (angeblich) eher texttreuen (*) und den (angeblich) allzu freizügigen Interpreten graduell. Es kommt auch immer auf den eigenen Hintergrund an, wie Auslegungsentscheidungen beurteilt werden. Ein Hindu wird nur schwer nachvollziehen können wie die Unterschiede zwischen Protestanten und Katholiken zu heftigen Auseinandersetzungen, Acht, Bann und Krieg geführt haben.


    viele Grüße


    JR


    (*) verglichen mit Furtwängler u.ä. als textgenau geltende Interpreten wie Toscanini oder Leibowitz lassen alle z.B. im Kopfsatz der 5. von Beethoven Hörner statt Fagotte im zweiten Thema in der Reprise spielen. Ich weiß nicht, wer der erste war, der das com' escritto dirigiert hat. Die erste mir bekannte Aufnahme der originalen Instrumentation ist C.Kleibers.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Meiner Meinung nach sollte man kein Gesetz daraus machen, ob nun die Partitur Gesetz oder Rezept ist. Das wird wohl von Komponist zu Komponist verschieden sein.
    Ein ganz gutes Beispiel kann es sein, wenn man sich anhört, wie Komponisten ihre eigenen Werke interpretieren - und zwar nicht in den Fällen der dilettantischen Dirigenten (wie Strawinskij oder Walton), sondern in den Fällen, in denen die Komponisten gute bis herausragende Dirigenten waren.


    Benjamin Britten etwa erlaubte sich bei einigen seiner Werke Kürzungen, die man, nähme sie ein anderer Dirigent vor, wennschon nicht als werkzerstörerisch so doch zumindest als werkstörend bezeichnen würde.
    Was die Tempi betrifft, hält sich Britten im Ausgangstzempo ungefähr an seine Metronomzahlen (aber eben nur ungefähr) - was aber wenig aussagt, denn - zumindest in den Opern - modifiziert er seine Tempi auch dort entsprechend dem dramatischen Ausdruck, wo er in den Partituren keine Tempoangaben vermerkt.
    Was Balancen anlangt: Man weiß, daß Britten etwa im Finale der Purcell-Variationen verlangte, das Fugen-Thema und das Purcell-Thema mögen gleichberechtigt sein. In seiner eigenen Aufnahme verschiebt er - mit grandiosem Effekt - die Balance eindeutig zugunsten des Purcell-Themas...


    Leonard Bernstein geht mit seinen eigenen Werken so frei um wie mit den Werken anderer Komponisten: Er mißachtet Metronomzahlen und versucht, ein Tempo zu finden, das für den Moment der Aufführung richtig ist. So konnte die "Candide"-Ouvertüre in noch schnellerem Tempo ablaufen als dem notierten, die Zweite Symphonie oder "Kaddish" extrem verlangsamt werden. Bei der eigenen Einspielung der "West Side Story" dirigiert Bernstein bestimmte (opernhafte) Züge der Partitur übermäßig stark heraus. In der Wiener Aufführung von "Songfest" war eine satirische Übersteigerung zu spüren, die mit keinem Wort in der Partitur steht (und in der Einspielung eigentlich auch nicht zu merken ist).


    Pierre Boulez betrachtet seine Partituren als auszulegendes Gesetz, nicht als frei auszugestaltende Vorlage (es sei denn, er notiert sie als solche). Er ist bei Fragen des Tempos relativ kompromißlos: Was er notiert, dirigiert er - was logisch ist, weil seine Musik ja auch in bestimmten Proportionen entworfen ist, die man bei stärkeren Tempoabweichungen u.U. verzerren würde (es sei denn, man weicht konsequent in den entsprechenden Relationen ab). Boulez mißachtet dabei seine eigenen Vorschriften so wenig wie die anderer Komponisten in deren Partituren: Was notiert ist, wird ausgeführt. Der interpretatorische Spielraum beschränkt sich auf Ausdrucksnuancen und Abstimmungen von Balancen.


    ***


    Eine andere Frage ist die von Johannes aufgeworfene mit "Instrumentierungsverbesserungen", die sich ja nicht nur bei Beethoven eingebürgert haben, sondern an einigen Stellen auch bei Tschaikowskij, und sogar bei Wagner - nicht jedes Opernhaus verfügt über die im "Ring" vorgeschriebene Kontrabaßposaune... Und natürlich gibt es in den Werken Janáceks - über die bekannten echten Bearbeitungen hinaus - immer wieder Kapellmeisterretuschen der Instrumentierung. Ich glaube allerdings, daß das alles wenig mit interpretatorischem Konzept zu tun hat (so habe ich die Themenstellung des Threads verstanden), sondern mit Retuschen zugunsten leichterer Spielbarkeit.


    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner


    Eine andere Frage ist die von Johannes aufgeworfene mit "Instrumentierungsverbesserungen", die sich ja nicht nur bei Beethoven eingebürgert haben, sondern an einigen Stellen auch bei Tschaikowskij, und sogar bei Wagner - nicht jedes Opernhaus verfügt über die im "Ring" vorgeschriebene Kontrabaßposaune... Und natürlich gibt es in den Werken Janáceks - über die bekannten echten Bearbeitungen hinaus - immer wieder Kapellmeisterretuschen der Instrumentierung. Ich glaube allerdings, daß das alles wenig mit interpretatorischem Konzept zu tun hat (so habe ich die Themenstellung des Threads verstanden), sondern mit Retuschen zugunsten leichterer Spielbarkeit.


    Den rein praktischen Aspekt sollte man natürlich nicht unterschätzen. Viele Tempoanpassungen sind sicher auch vor diesem Hintergrund nachvollziehbar. Das von mir genannte Instrumentationsbeispiel, das
    hier ausführlicher diskutiert wird, ist aber keine bloß praktische Veränderung. Es hängt nicht vom Nachhall des Saales oder der Virtuosität des Orchesters ab und ist nicht "vage" wie rubato, sondern eine klare Änderung der Instrumentation.


    Man war wohl schlicht und einfach der Ansicht, dass Beethovens Uminstrumentierung in der Reprise der Not (die Naturhörner können die Noten vielleicht spielen, aber nicht "schmetternd", es fragt sich halt, warum dann nicht zwei Hörnerpaare in Es und in C verwendet wurden) gehorchte und fand den Effekt der ff-Fagotte wohl unfreiwillig komisch.


    Inwiefern ein interpretatorisches Konzept damit verbunden ist, ist mir nicht klar. Sicher jedoch ist eine bestimmte Sichtweise des gewünschten Effekts dieser Stelle im Spiel.


    Eine andere "gut gemeinte" Änderung, die ich in jenem thread erwähnte, ist m.E. ein regelrechter Pointenkiller: Da man das Thema in den Celli in der Reprise der 8. kaum gegen das fff des Orchesters ausmachen kann, wurden die Celli mitunter mit Hörnern verstärkt...


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von pbrixius
    Der Notentext, das wurde hier schon mehrfach angesprochen, ist nur eine ungefähre Anweisung


    :no:
    Das soll jetzt für alle Notentexte der Musikgeschichte gelten?
    Ich will nicht wissen, was Dir diverse Komponisten darauf geantwortet hätten.
    :D
    Im Bereiche der Neuen Musik sieht man das heute jedenfalls sicher nicht so.

    Zitat

    Es gibt, lieber Ulrich, keine Exekution in der Musik


    "Exekution" ist ein Wort, bei dem manches Unangenehme mitschwingt ...
    "Ausführender", lieber pbrixius, ist aber ebenso gebräuchlich wie "Interpret" und trifft es mE viel besser.
    Der Computer führt natürlich nur Computermusik aus.
    :hahahaha:

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  • Zitat

    der Serpent (ebenfalls ein tiefes Holzblasinstrument - wurde bis zu Mozarts Zeiten verwendet!)


    Und noch lange darüber hinaus: er kommt noch im "Requiem" von Berlioz vor !

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister


    :no:
    Das soll jetzt für alle Notentexte der Musikgeschichte gelten?


    Lieber KSM,


    wieso nicht. Bekanntlich war ja die Einführung der Notenschrift eine Vereinheitlichung des kirchlichen Gesanges, aber auf Kosten einer in der Notenschrift nicht mehr ausdrückbaren Differenzierung. Das gilt für die normale Notation in der ganzen Musikgeschichte ...


    Zitat

    Im Bereiche der Neuen Musik sieht man das heute jedenfalls sicher nicht so.


    Es gibt, wie Edwin angeführt hat, Komponisten und Komponisten. Es gibt solche, die bis ins I-Tüpfelchen eine Ausführung des Textes festzulegen versuchen (und dabei sich selbst nicht immer daran halten) und solche, die weite Teile der Ausführung den Interpreten im Rahmen gewisser Regeln freigeben. Ich denke, dass die Aleatorik auch für Dich noch in den Bereich der Neuen Musik gehört.

    Zitat


    "Exekution" ist ein Wort, bei dem manches Unangenehme mitschwingt ...


    Ich habe das Wort von meinem Vor-Poster übernommen, beschwere Dich bei ihm, nicht bei mir.


    Zitat

    "Ausführender", lieber pbrixius, ist aber ebenso gebräuchlich wie "Interpret" und trifft es mE viel besser.
    Der Computer führt natürlich nur Computermusik aus.


    Wenn Du den Adorno weiter oben gelesen hast, so wirst Du dort eine andere Auffassung kennen gelernt haben. Man kann nicht ausführen, ohne zu interpretieren. Was die Computermusik angeht, so gibt es inzwischen Notensatzprogramme, bei denen Du umfangreichste Module laden kannst, um sie täuschend echt umsetzen zu können. Ich habe gerade so ein Angebot von Capella auf dem Tisch liegen:


    Mit dem capella Vienna orchestra erklingen Ihre capella-Partituren in einer Qualität, die von der eines echten Orchesters kaum noch zu unterscheiden ist. In Zusammenarbeit mit der Vienna Symphonic Library haben wir für Sie eine Klangbibliothek entwickelt, die in jeder Hinsicht unvergleichlich ist: Jeden Ton, den capella vorspielt, hat zuvor ein(e) Musiker(in) - Ton für Ton - im eigens dafür gebauten Studio eingespielt


    LG Peter

  • Zitat

    Original von pbrixius
    Es gibt, wie Edwin angeführt hat, Komponisten und Komponisten. Es gibt solche, die bis ins I-Tüpfelchen eine Ausführung des Textes festzulegen versuchen (und dabei sich selbst nicht immer daran halten) und solche, die weite Teile der Ausführung den Interpreten im Rahmen gewisser Regeln freigeben.


    Eben, darum ging es mir. Dass Notation generell nur eine "ungefähre Anweisung" ist, muss man deshalb zurückweisen.

    Zitat

    Wenn Du den Adorno weiter oben gelesen hast, so wirst Du dort eine andere Auffassung kennen gelernt haben. Man kann nicht ausführen, ohne zu interpretieren.


    Freilich. Man muss auch den U-Bahn-Fahrplan erst interpretieren lernen, um ihn richtig lesen zu können.


    Intrepretieren kann ich einen Notentext auch, indem ich einen Vortrag darüber halte.


    Die Erkenntnis, dass Ausführen auch Interpretieren ist, halte ich eben nicht für sehr umwerfend.

    Zitat

    Was die Computermusik angeht, so gibt es inzwischen Notensatzprogramme, bei denen Du umfangreichste Module laden kannst, um sie täuschend echt umsetzen zu können.


    :hahahaha:
    Entschuldige, aber ein Computer, der täuschend echt Computermusik umsetzen kann, ist wirklich köstlich ...

  • Meine Lieben


    Ich verfolge mit Interesse die Reaktionen auf die Thread-Frage.


    Also damit das klar ist: Crossover hat meine persönliche Zustimmung. Was „Play Bach“ betrifft, habe ich überhaupt keine Probleme damit. Mögen die Assoziationen Loussieres bisweilen etwas süsslich sein, so what!
    (Ich rede bewusst von „Assoziation“ in der Abgrenzung zur „Interpretation“)


    Mir persönlich macht Loussiers Sicht/Hörweise Freude (und Lust am eigenen dilettierenden Ausprobieren). Und es ist nicht von der Hand zu weisen, dass solches Musizieren den Leuten gefällt, sogar sehr gefällt, und man damit Geld verdienen kann...


    Ich argumentiere auch als Vater von drei angehenden Berufsmusiker-Kindern, die sich in ihrer persönlichen Projektwahl unweigerlich dem Publikumsgeschmack anpassen müssen, um zu überleben. Und dieser bewegt sich jenseits aller philologischen Spitzfindigkeiten.


    Es geht mir aber bei meinem „Rezept“-Bild nicht um Crossover zwischen den Musikstilen, sondern um Crossover zwischen den Polen Notation und Inspiration.
    Zwar mag ein Bach-Praeludium „in the way of a jazz band“, oder eine Fünfte Beethoven, gespielt durch eine Rockband, einen gewissen Reiz haben, aber ich plädiere eigentlich nur („nur“ ist gut...) für einen unkomplizierteren, toleranteren und kreativeren Umgang mit dem „göttlichen Wort“ in der Partitur.


    Ich habe das Wort „Execution“ (für Aus- bzw Aufführung) bewusst in die Diskussion geworfen, weil ich finde, dass die „wörtliche“ Textkleberei die grosse Geste der Klangwerdung im schlechtesten Fall tötet. Ich sollte diese Behauptung eigentlich jetzt mit Beispielen untermauern. Das fällt mir aber schwer, weil solche Qualifizierungen halt so schrecklich subjektiv sind..., wie etwa die Feststellung, dass ich von Harnoncourts Exegesen noch nie so warm geworden bin wie von Chaillys Fantasien...


    Dass man mich nicht missverstehe: ich hüte mich davor, jemandem die wissenschaftliche Akribie zum Vorwurf zu machen. Sie hat ihr Recht an ihrem Ort: In der universitären Musikwissenschaft.


    Aber sind wir doch realistisch: Den Durchschnittshörer interessiert es doch herzlich wenig, ob hier die Bläser verdoppelt sind, oder nicht, oder dort ein Takt mezzoforte statt piano interpretiert werden sollte, usw. Die Durchschnittshörerin, (die ich in diesem Thread vertrete) will einfach Spass, das heisst gute Musik für sein gutes Geld, so simpel scheint mir das zu sein.
    (Notabene: Dieser geneigte Durchschnittshörer wird Interpretationsabweichungen erst dann wahrnehmen, wenn sie gravierend genug sind, und er wird diese nicht mit Kopfschütteln und anderen Missbilligungszeichen quittieren, sondern allenfalls mit Schmunzeln.)


    Ich sage es doch noch ganz konkret: Es ödet mich an, von Konzertsaal zu Konzertsaal zu pilgern und mir immer die mehr oder weniger gleiche Eroica-Interpretation anhören zu müssen.
    Das langweilt mich einfach.
    Ich sehne mich nach so etwas, wie einem „Musikstück nach Beethovens Erioca“,
    Aber das ist offenbar mein persönliches Problem,
    es musste einfach einmal gesagt sein.

    (Das Werk ist auswechselbar: es sind eh immer die gleichen „100“ Werke, die im öffentlichen Raum erklingen)


    Ich kann nicht umhin, den Vergleich mit der Theologie anzuführen: was an der Theologischen Fakultät zu recht Lehr- und Lernstandart ist, interessiert die Gemeinde herzlich wenig:
    Im Dickicht des Lebens zählt nur noch das Zuhören, das Improvisieren mit Textfragmenten, die Grosszügigkeit, die Liebe, die Stille.


    Man erlaube mir eine persönliche Anmerkung: Ich stelle bei mir fest, dass meine Abneigung von allem Dogmatischen in der Theologie, und die Hinwendung zu Wortlosigkeit, Stille und Staunen auch in meiner Musikpraxis zu mehr Grosszügigkeit und Toleranz mit den Partituren, zu mehr Mut zur Improvisation und zu mehr Ruhe im musikalischen Duktus geführt hat.


    Abgesehen vom unerfreulichen Umstand, dass eine jahrelange gesundgeitliche Krise zu diesem Fokus geführt hat (und mich nach wie vor in jeglicher Art von Ausführung behindert),bin ich nicht nur unglücklich über diesen Prozess.


    Ich respektiere das Engagement der Befürworter einer rigid texttreuen Exegese (ich rede jetzt wieder von der Musik!), ich bewundere sie aber nicht. Ich halte sie für legitim im Rahmen der musealen Konservierung eines Kulturgutes, nicht aber im Zusammenhang mit der Ereigniswerdung bei der Aufführung:
    Was bringen dem geneigten Zuhörer die verdoppelten Hörner, wenn er doch eigentlich dringend auf die Toilette müsste? Noch mehr Blasendruck!
    Ich karikiere, man möge mir verzeihen. Aber die Imponderabilien während der Gestaltwerdung einer musikalischen Idee im realen Raum und der realen Zeit sind sicher nicht kleiner als die textkritischen Unsicherheiten.


    Ich will kein dogmatischer Nicht-Dogmatiker sein (der vielleicht nur sein interpretatorisches Unvermögen tarnt), aber ich finde, dass
    Musik primär der „Rekreation des Gemüthes dienen“ will und erst sekundär ein Gegenstand von Geist und Vernunft ist.


    Mit liebem Gruss aus Bern,


    Walter

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    Eben, darum ging es mir. Dass Notation generell nur eine "ungefähre Anweisung" ist, muss man deshalb zurückweisen.


    Lieber KSM, tatsächlich ist die Notation in vielen Hinsichten eine ungefähre Anweisung. Sie legt vor allem die Tonhöhe und die Tonlänge fest. Erst zur Moderne hin gibt es immer weitgehendere Ansätze, die konkrete Verwirklichung der Partitur zu bestimmen, allerdings nicht allgemein. Die Erfindung des Metronoms hat es ermöglicht, Tempoangaben zu präzisieren, trotzdem findet man neben den Metronomangaben noch weitere, von der Spielpraxis der Beethovenzeit bis in die Moderne kennt man Rubati u.ä. Die weitgespannten Ausdrucksmöglichkeiten sind in den wenigsten Fällen festgelegt, Insofern, denke ich, ist der Ausdruck "ungefähr" gerechtfertigt. Wenn einem Einzelinstrument schon eine Vielzahl von Nuancen innerhalb des Notentextes möglich sind, so doch erst recht dem Zusammenspiel von Instrumenten im Orchester.

    Zitat


    Freilich. Man muss auch den U-Bahn-Fahrplan erst interpretieren lernen, um ihn richtig lesen zu können. Trotzdem kann man ihn nachher lesen.


    Bedauerlicherweise hast Du den Adorno-Text doch nicht gelesen, was eine Diskussion mit Dir etwas mühsam macht. Ich versuche, Deine Argumente in Deinem Sinne aufzunehmen, um ihnen zu erwidern, was ich zu sagen habe. Du scheinst Dir die Mühe nicht zu machen. Ich wüsste nicht, um Dir auf Deinen Einwand zu antworten, dass ein U-Bahn-Fahrplan ein ästhetischer Text ist. Damit ist aber Dein Argument irrelevant.


    Zitat

    Intrepretieren kann ich einen Notentext auch, indem ich einen Vortrag darüber halte.


    Richtig, dazu habe ich schon in dem anderen Thread geantwortet. Hier wiederhole ich mich:


    Hermann Danuser (Zur Interdependenz von Interpretation und Rezeption in der Musik, in: Danuser/Krummacher:Rezeptionsästhetik und Rezeptionsgeschichte in der Musikwissenschaft. Laaber 1991) stellt fest:


    Bekanntlich hat der Begriff der Interpretation in der Musik, wie bei allen darstellenden Künsten, zwei Bedeutungsdimensionen, eine theoretisch-hermeneutische und eine aufführungspraktische: Er beinhaltet somit einerseits eine verbalsprachliche Deutung von Musikwerken durch Analyse ihrer Texte, Kommentar ihrer Gehalte und Kritik ihrer Reproduktionen, andererseits eine diese Deutungsproblematik aufgreifende Klangrealisation von Werken, ihre Aufführung, Wiedergabe oder Reproduktion. Bei beiden Dimensionen des Begriffs ist die Kategorie des musikalischen Kunstwerks Dreh- und Angelpunkt im Sinne einer prinzipiellen Vieldeutigkeit des autonomen Werkes. (S. 165f.)


    LG Peter

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  • Zitat

    Original von Walter Heggendorn
    Ich argumentiere auch als Vater von drei angehenden Berufsmusiker-Kindern, die sich in ihrer persönlichen Projektwahl unweigerlich dem Publikumsgeschmack anpassen müssen, um zu überleben. Und dieser bewegt sich jenseits aller philologischen Spitzfindigkeiten.


    Danke, dass das mal jemand sagt :lips:


    Zitat

    Original von Walter Heggendorn
    Man erlaube mir eine persönliche Anmerkung: Ich stelle bei mir fest, dass meine Abneigung von allem Dogmatischen in der Theologie, und die Hinwendung zu Wortlosigkeit, Stille und Staunen auch in meiner Musikpraxis zu mehr Grosszügigkeit und Toleranz mit den Partituren, zu mehr Mut zur Improvisation und zu mehr Ruhe im musikalischen Duktus geführt hat.


    Das kann ich gut verstehen, moechte aber auch zu bedenken geben, dass es bei dieser inneren Entwicklung gerade die "Kenntnis des Dogmas" benoetigt, um dann irgendwann die Entscheidung dagegen zu treffen.


    Zitat

    Original von Walter Heggendorn
    Ich will kein dogmatischer Nicht-Dogmatiker sein (der vielleicht nur sein interpretatorisches Unvermögen tarnt), aber ich finde, dass
    Musik primär der „Rekreation des Gemüthes dienen“ will und erst sekundär ein Gegenstand von Geist und Vernunft ist.


    Das wiederum kommt auf die persoenliche Definition von "Geist und Vernunft" an. Als ausuebender Musiker ist einem gerade die Vernunft manchmal ungemein behilflich, seinen Beruf eben ueberhaupt auszuueben, ohne permanent entweder in Traenen zu zerfliessen oder aber vor Langeweile zu vergehen ;)


    Bin ich allerdings Zuhoerer, sieht das schon wieder ganz anders aus. Da kann eine Interpretation 1000mal akademisch korrekt sein, jedes dynamische Zeichen bis zur Perfektion (???) ausgefuehrt sein - mag mich trotzdem kalt lassen. Hingegen haben mich schon Interpretationen, die von Kritikern ob ihrer mangelnden Werktreue ganz uebelst zerfetzt wurden, sehr bewegt, weil eben trotzdem (oder gerade) etwas Authentisches mitschwang.
    Inwieweit da die eigene Toleranzschwelle geht, ist eben etwas sehr Persoenliches und wird auch kaum zu fassen sein ...

  • Zitat

    Original von Walter Heggendorn
    Also damit das klar ist: Crossover hat meine persönliche Zustimmung. Was „Play Bach“ betrifft, habe ich überhaupt keine Probleme damit. Mögen die Assoziationen Loussieres bisweilen etwas süsslich sein, so what!
    (Ich rede bewusst von „Assoziation“ in der Abgrenzung zur „Interpretation“)


    Lieber Walter,


    wie Dir mit Loussier geht es mir etwa mit der Mozartband. Abgesehen davon, dass ich sie selbst einfach gut finde, hat die Werbung für diese Band dazu geführt, dass in meinem Freundeskreis rundum Mozarts ""Il rè pastore" steht - und meine Jungs (nicht nur) "Se vuol ballare" heiß und innig lieben. Für eine solche Wirkung allein würde ich die meisten Prinzipien aufgeben, brauche es aber nicht, denn - wie gesagt - ich finde die Mozartband ausgezeichnet - und seit ich sie beim Bonner Beethovenfest live erlebt habe, hat sich das eher gesteigert.


    Zitat

    Ich argumentiere auch als Vater von drei angehenden Berufsmusiker-Kindern, die sich in ihrer persönlichen Projektwahl unweigerlich dem Publikumsgeschmack anpassen müssen, um zu überleben. Und dieser bewegt sich jenseits aller philologischen Spitzfindigkeiten.


    Da haben wir die gleichen Erfahrungen! Wo immer ich kann, will ich Freude an der Musik vermitteln und Freude an dem Produzieren an Musik. Und wenn mein Jüngster sich mit Eifer Vivaldis Vier Jahreszeiten auf dem Akkordeon erarbeitet, denke ich nicht über Instrumentierungsfragen nach (die Adaption von Romankov ist wirklich ausgezeichnet BTW).


    Zitat

    Ich habe das Wort „Execution“ (für Aus- bzw Aufführung) bewusst in die Diskussion geworfen, weil ich finde, dass die „wörtliche“ Textkleberei die grosse Geste der Klangwerdung im schlechtesten Fall tötet.


    Da bin ich in der Sache vollkommen einig mit Dir.


    Zitat

    Dass man mich nicht missverstehe: ich hüte mich davor, jemandem die wissenschaftliche Akribie zum Vorwurf zu machen. Sie hat ihr Recht an ihrem Ort: In der universitären Musikwissenschaft.


    Ich denke, sie hat auch ihren Platz in der geistigen Durchdringung des Werkes. Nur kann man dabei nicht stehen bleiben: Analyse und Interpretation befruchten einanander, sind aber zwei verschiedene Dinge.


    Zitat

    Ich sage es doch noch ganz konkret: Es ödet mich an, von Konzertsaal zu Konzertsaal zu pilgern und mir immer die mehr oder weniger gleiche Eroica-Interpretation anhören zu müssen.
    Das langweilt mich einfach.


    So geht es mir auch - und so bin ich ja auch dem HIP verfallen, da hier ein lebendiger Aufbruch stattfand und -findet. Dass es da auch immer Pfeffrsäcke und Pfennigfuchser gibt, damit wird man leben können. Das reguliert das Musikleben ohnedies über kurz oder lang.


    Zitat

    Ich sehne mich nach so etwas, wie einem „Musikstück nach Beethovens Erioca“,
    Aber das ist offenbar mein persönliches Problem,
    es musste einfach einmal gesagt sein.


    Ein solches "Musikstück" muss eben die innere Konsequenz und Konsistenz haben - Inspiration kann man sich nicht "erarbeiten" oder verdienen.

    Liebe Grüße nach Bern


    Peter

  • Zitat

    Original von Eponine
    Bin ich allerdings Zuhoerer, sieht das schon wieder ganz anders aus. Da kann eine Interpretation 1000mal akademisch korrekt sein, jedes dynamische Zeichen bis zur Perfektion (???) ausgefuehrt sein - mag mich trotzdem kalt lassen. Hingegen haben mich schon Interpretationen, die von Kritikern ob ihrer mangelnden Werktreue ganz uebelst zerfetzt wurden, sehr bewegt, weil eben trotzdem (oder gerade) etwas Authentisches mitschwang.
    Inwieweit da die eigene Toleranzschwelle geht, ist eben etwas sehr Persoenliches und wird auch kaum zu fassen sein ...


    Liebe Eponine,


    erstaunlich, dass wir gleichzeitig so Ähnliches geschrieben haben :) Akademismus war schon immer ein Einbringen von leeren Ähren. Der Begriff der Werktreue verbindet zwei problematische Wörter miteinander, den des Werkes (und der bedarf immer noch der Klärung) und den moralischen Begriff der Treue. Nun hat er sich eben eingebürgert, aber es ist sicher nicht falsch, sich seiner Problematik bewusst zu werden. Gerade Beethoven ist ein Beispiel eines Komponisten, bei dem ein Werk nie abgeschlossen war, immer ein Werk "in progress" war. Warum sollte die Entwicklung mit seinem Tod abgeschlossen sein? Sie ist es auch nicht, die Rezeptionsgeschichte ist ein Teil der Produktionsgeschichte. Gerade die Reflektion der Geschichtlichkeit muss eben auch den Zugewinn des Werkes in der Zeit berücksichtigen, sonst fällt er in ein ahistorisches Nirwana zurück.


    Liebe Grüße Peter

  • Liebe Eponine , lieber Peter


    Euer Hinweis auf den Begriff „Werktreue“ ist hilfreich. Die Bedeutung des moralischen Begriffs „Treue“ muss natürlich über die rigide Moral hinaus erweitert werden:
    Ich möchte ja nicht von Etwas abhängig sein (auch nicht von einer Partitur), sondern mit dem
    Menschen, dem Prozess, der Idee in einen Dialog treten, deren Entwicklungspotenz wertschätzen und fördern, mit deren Entwicklung Schritt halten, von deren Bewegung inspiriert werden. (Mag sein, dass die Wege sich trennen, aber auch in der Trennung gibt es noch Treue).


    Man kann also nicht stehen bleiben und das gegenüber anhimmeln. Ein gemeinsames „work in progress“ (nicht work in „regress“) ist gefordert, um die Qualität von Treue zu realisieren.
    Da ist viel Bewegung im Spiel und viel Beweglichkeit gefordert. Man übersetze in die Musik...


    Diese smarte Japanerin ist mE der „Waldsteinsonate“ treu geblieben:


    http://www.youtube.com/watch?v=Sc1avkJSADo


    Lieber Gruss von Walter

  • Zitat

    Original von Walter Heggendorn
    Ich habe das Wort „Execution“ (für Aus- bzw Aufführung) bewusst in die Diskussion geworfen, weil ich finde, dass die „wörtliche“ Textkleberei die grosse Geste der Klangwerdung im schlechtesten Fall tötet.


    Ich finde das doch sehr merkwürdig. Wenn man nicht das spielen will, was ein anderer einem vorschreibt (nämlich ein Komponist), dann soll man besser was improvisieren.

    Zitat

    Die Durchschnittshörerin, (die ich in diesem Thread vertrete) will einfach Spass, das heisst gute Musik für sein gutes Geld, so simpel scheint mir das zu sein.


    Tja, und jeder hat seinen Spass woanders, der eine, wenn jahrhunderte alte Noten executieret werden, der andere in der Disco.

    Zitat

    Ich sage es doch noch ganz konkret: Es ödet mich an, von Konzertsaal zu Konzertsaal zu pilgern und mir immer die mehr oder weniger gleiche Eroica-Interpretation anhören zu müssen.


    Hm, kann mich nicht erinnern, dass sowas schon von jemandem in diesem Forum geschrieben wurde - Du könntest hier ein Ausnahmefall sein. Mit meinen Hörgewohnheiten hat das überhaupt nichts zu tun, ich höre (außer meinen eigenen Stücken) keine Stücke in relativ kurzem Zeitraum so oft, dass sie mich langweilen würden, ich höre dafür viel zu viele unterschiedliche Sachen. Dabei nutze ich den CD-Markt und habe mit dem relativ wenige Probleme. Den Konzertbetrieb ignoriere ich weitgehend (außer bei Gegenwartsmusik).

    Zitat

    Ich sehne mich nach so etwas, wie einem „Musikstück nach Beethovens Erioca“,
    Aber das ist offenbar mein persönliches Problem,
    es musste einfach einmal gesagt sein.

    (Das Werk ist auswechselbar: es sind eh immer die gleichen „100“ Werke, die im öffentlichen Raum erklingen)


    Ah, Du sagst es selber.

    Zitat

    Im Dickicht des Lebens zählt nur noch das Zuhören, das Improvisieren mit Textfragmenten, die Grosszügigkeit, die Liebe, die Stille.


    Wow, ist das Theologie?

    Zitat

    Was bringen dem geneigten Zuhörer die verdoppelten Hörner, wenn er doch eigentlich dringend auf die Toilette müsste?


    :hahahaha:
    Das ist natürlich ein Argument ...
    :hello:

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  • Lieber Kurzstückmeister


    Vorab empfange meinen aufrichtigen Dank für Deine Replik. Allerdings kann ich nicht umhin, zu gestehen, dass ich nicht so recht klug werde aus Deinem Posting: Soll es ein substanzieller Beitrag sein oder möchtest Du einfach Deine Verärgerung, Deine Belustigung, oder im besten Fall Dein Nicht-Verstehen ausdrücken?


    Bitte beachte, dass ich mit diesen nachfragenden Worten nicht auf eine unergiebige Konfrontation aus bin. Ich kann verstehen, dass meine zuweilen ironischen und etwas überzeichneten Beiträge eine gewisse Irritation auslösen können.


    Es ist natürlich in Tat und Wahrheit nicht so, dass ich ganz real von Konzertsaal zu Konzertsaal pilgere (wenn irgendwo eine Eroica geboten wird...).
    Das lässt meine fragile Gesundheit gar nicht zu.


    Ich habe nicht herausgefunden, ob Dein Statement meine Wahrnehmung wirklich bestätigt, dass im landläufigen Konzertbetrieb immer die gleichen Werke aufgeführt werden. Das gepflegte Repertoire in den Abonnemenntskonzerten (ganz zu schweigen von den Tourneen) ist doch wirklich nicht sehr umfangreich.


    Mich langweilen diese Programme, weil ich ganz unbescheiden feststelle, dass ich die meisten Werke in- und auswendig kenne.
    Es genügt mir eigentlich, eine Taschenpartitur zur Hand zu nehmen, und so höre ich im inneren Ohr eine lebendigere Aufführung, als ich sie je in einem Konzertsaal erlebe. Ich bin mir bewusst, dass dies ein Privileg ist.


    Aber ich bezweifle, dass ich mit dem Problem einer gewissen Uebersättigung durch das gängige Repertoire alleine bin. Ist es nicht irgendwie nachvollziehbar, dass man sich wünscht, all diese altehrwürdigen (durchaus geliebten) Werke in unkonventionelleren, zeitgenössisch erweiterten Hüllen zu erleben, durch Ergänzungen, Erweiterungen, Bearbeitungen usw?


    Mich beschleicht manchmal die Vermutung, dass man durch die Betonung der textkritischen Spitzfindigkeiten das permanente Aufwärmen der alten Gerichte zu legitimieren versucht.

    Ich weiss, dass der Sachverhalt des real existierenden Musikbetriebs natürlich jegliche Bemühung einer spontanen Aktualisierung der Museeumststücke erschwert oder gar verunmöglicht.


    Aber ein Forum ist doch das geeignete Gefäss, um auch über Utopien zu diskutieren.


    Musikalische Werke sind doch irgendwie „Kinder“ der Komponisten: Sind wir uns eigentlich bewusst, dass wir sie durch die museale Konservierung gar nie erwachsen werden lassen?! Stattdessen streitet man sich über die hip-e Beschaffenheit der Windeln, das Schnullers, des Strampelhöschens...
    (Muss ich jetzt wieder explizit darauf hinweisen, dass die vorangehenden Worte nicht ganz ernst genommen werden wollen..., dass musikalische Werke doch schon erwachsen auf die Welt kommen,....um früh zu sterben...)


    Du gehst auch selten in Konzerte, lieber Kurzstückmeister, weshalb wohl?
    Weil du auch, wie ich, übersättigt bist mit den alten Schwarten? Weil du auch, wie ich, nicht 100 Euro für einen harten Stuhl im Konzertsaal bezahlen willst, auf dem sowohl das Ohr wie auch das Gesäss einschlafen? (Muss ich jetzt auch wieder explizit darauf hinweisen, dass die vorangehenden Worte nicht ganz ernst genommen werden wollen?)


    Natürlich gibt es die Möglichkeit der Variabilität durch das Anhören verschiedener CD-Aufnahmen. Aber um das Bedürfnis nach Abwechslung zu befriedigen, bräuchte ich von jedem Werk mindestens 10 Aufnahmen....(zur Freude von jpc...).


    Wenn man aber auch den Sinn einer kontroversen Besprechung solcher Aufnahmen in Frage stellt, wie ich es geneigt bin zu tun: sägt man dann an der Mitgliedschaftsberechtigung in einem Klassikforum?


    (Siehe dazu mein Posting im Thread “Warum poste ich in einem Klassikforum?“)


    Mit gutem Gruss aus Bern
    Walter

  • Lieber Walter,


    ich kann das alles sehr gut nachvollziehen, geht es mir doch oft genauso. Ich finde es in klassischer Musik (sehr zum eigenen Aerger) allerdings oft sehr schwer, mich selbst zu entscheiden, was ich denn nun eigentlich will. Das ist so ein bisschen wie die Suche nach den karierten Maigloeckchen. Oft gefallen mir Improvisationen gar nicht, genauso oft gefallen mir allerdings auch auch "herkoemmliche", "hip-pe" oder "normale" Einspielungen nicht. :untertauch:


    Aber auch auf die Gefahr hin, dass man mir hier (in einem Klassikforum) den Kopf dafuer abhackt: Warum, wenn es sich doch immer strikt an das zu halten gilt, was in der Partitur (oder vereinfacht den Noten, denn die gibt es in anderen Stilrichtungen ja auch) steht, gibt es in anderen Musikrichtungen so viele gute Improvisationen eines oder ueber ein Stueck, in der Klassik ist das aber immer noch total verpoent? Oder sagen wir besser: Geben tut's die natuerlich, aber wer meint, er verstehe was von klassischer Musik, zieht darueber oft nur konsterniert die Augenbraue hoch.
    Warum geht man in anderen Musikrichtungen (und damit meine ich jetzt NICHT nur Pop oder Rock) so viel entspannter damit um? Ich finde das hin und wieder sehr befreiend. Wie weit dabei gegangen wird bzw. was tolerabel erscheint, kann ja jeder fuer sich ausloten.


    Ich willl damit nun um Gottes Willen nicht sagen, dass ich an keinen 1 : 1 Umsetzungen mehr interessiert bin, ganz im Gegenteil. Nur die wirklich erfrischeden fehlen mir oft (auch nciht immer, natuerlich wird auch sehr viel Gutes geboten). Daher denke ich manchmal, dass ein ein bisschen freierer Umgang mit der Partitur hin und wieder sehr spannend sein koennte OHNE ein Werk total zu verhunzen (das gibt es natuerlich auch).
    Ich habe selbst schon festgestellt, dass der freie Umgang mit klassischer Musik und ueberhaupt das Erlernen von Improvisationstechniken oder wie man arrangiert, auch wiederum sehr befruchtend fuer das "stilgerechte" Auffuehren sein kann. Beides kann extrem voneinander profitieren.


    Aber mit den Elfenbeintuermen ist das halt so eine Sache ...

  • Liebe Eponine


    Hach! Wie gut es doch tut, verstanden zu werden! Danke. (Wir sind doch alle "Kleine Kinder", die verstanden werden wollen). Ich spreche kein Wort gegen die textgetreue Aufführung eines Meisterwerkes. Ich plädiere für ein Zusätzliches: Für die Inspiration durch ein Meisterwerk und die (klar deklarierte) Lockerheit des Umgang mit (grossartigen) Dokumenten zugunsten von mehr Lebendigkeit, Spontaneität und Freude.


    Lieber Gruss nach Glasgow von
    Walter

  • Zitat

    Original von Walter Heggendorn
    Lieber Kurzstückmeister


    Vorab empfange meinen aufrichtigen Dank für Deine Replik. Allerdings kann ich nicht umhin, zu gestehen, dass ich nicht so recht klug werde aus Deinem Posting: Soll es ein substanzieller Beitrag sein oder möchtest Du einfach Deine Verärgerung, Deine Belustigung, oder im besten Fall Dein Nicht-Verstehen ausdrücken?


    Verzeihung, ich hatte gestern einen schlechten Tag.
    :rolleyes:

    Zitat

    Es genügt mir eigentlich, eine Taschenpartitur zur Hand zu nehmen, und so höre ich im inneren Ohr eine lebendigere Aufführung, als ich sie je in einem Konzertsaal erlebe. Ich bin mir bewusst, dass dies ein Privileg ist.


    :jubel:
    Da bewundere ich Dich. Und das bestärkt mich in der Vermutung, dass Du eher ein Ausnahmefall bist.
    :yes:

    Zitat

    Aber ich bezweifle, dass ich mit dem Problem einer gewissen Uebersättigung durch das gängige Repertoire alleine bin. Ist es nicht irgendwie nachvollziehbar, dass man sich wünscht, all diese altehrwürdigen (durchaus geliebten) Werke in unkonventionelleren, zeitgenössisch erweiterten Hüllen zu erleben, durch Ergänzungen, Erweiterungen, Bearbeitungen usw?


    Ich kann das schon verstehen, aber ich gehöre zu den auch nicht so selten Vorkommenden, die lieber andere Stücke hören wollen, wenn ihnen eines "abgenudelt" erscheint. Und es gibt SOOO viele, die gut und interessant sind (dass ein Menschenleben überhaupt nicht ausreicht, einen Bruchteil davon kennen zu lernen). Aber man kann sich natürlich auf die Hauptwerke der "ganz Großen" beschränken.

    Zitat

    Musikalische Werke sind doch irgendwie „Kinder“ der Komponisten: Sind wir uns eigentlich bewusst, dass wir sie durch die museale Konservierung gar nie erwachsen werden lassen?! Stattdessen streitet man sich über die hip-e Beschaffenheit der Windeln, das Schnullers, des Strampelhöschens...
    (Muss ich jetzt wieder explizit darauf hinweisen, dass die vorangehenden Worte nicht ganz ernst genommen werden wollen..., dass musikalische Werke doch schon erwachsen auf die Welt kommen,....um früh zu sterben...)


    Ein schönes Bild aus dem Blick des Interpreten. Komponisten neigen manchmal dazu, ihre Werke als "fertig" anzusehen, wenn sie den letzten Strich gemacht haben, also noch vor der Uraufführung. Das ist meine Sicht, die ich nicht als verbindlich anpreisen will.

    Zitat

    Wenn man aber auch den Sinn einer kontroversen Besprechung solcher Aufnahmen in Frage stellt, wie ich es geneigt bin zu tun: sägt man dann an der Mitgliedschaftsberechtigung in einem Klassikforum?


    Aber nein, sicher nicht.


    Ich gehe fast nie in Konzerte, weil mir die Programme kaum zusagen und weil mir das Live-Erlebnis als solches kaum was gibt und mir die Raumakustik nicht so wichtig ist und ich oft mangelnde Konzentrationsbereitschaft habe.


    (Eine Zusammenstellung "Haydn-Prokofieff-Brahms" bewirkt bei mir ein unmittelbares Fluchtbedürfnis, nicht weil ich einen dieser Komponisten nicht mag oder nicht mehr hören kann, sondern weil mir das zu wahllos durch die Musikgeschichte hüpft.)
    :hello:

  • Zitat

    Original von Eponine
    Daher denke ich manchmal, dass ein ein bisschen freierer Umgang mit der Partitur hin und wieder sehr spannend sein koennte OHNE ein Werk total zu verhunzen (das gibt es natuerlich auch).


    Wobei eben dem persönlichen Geschmack bleibt zu entscheiden, was er mag und was er als "Verhunzung" empfindet. Was "ein bisschen" ist und was "zu viel" ist.
    :hello:

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