1964 komponierte der noch recht junge Terry Riley ein minimalistisches Werk, welches die Musikgeschichte wie kaum ein anderes Werk der 2. Hälfte des 20. Jahrunderts prägen sollte:
In C
Zunächst stellt sie die Frage: C.. was? Moll..Dur? Ist überhaupt eine Tonart gemeint, oder mehr der Ton selbst? Schon der Name weist auf den Charakter des Werkes hin: Minimalismuss.
In C wird vielfach als DAS erste großen Werke der minimal music bezeichnet, welche durch die Komponisten Steve Reich, Terry Riley, Phillip Glass, John Adams und La Monte Young begründet wurde. In den letzten 40 Jahren hat es zahllose Musiker geprägt. Es gab unzähle Aufführungen, zahlreiche Einspielungen. Und noch immer erfreut sich das Werk einer großen Beliebtheit. All dies ist eher ungewöhnlich für moderne Musik.
Aufbau
In C besteht aus 53 sogenannten "Patterns". Das sind kurze,mehrheitlich sehr einfache, Themen bzw. Themenfragmente, die aus nur wenigen Noten zusammengesetzt sind. Die Patterns haben teilweise einen unterschiedlichen Umfang. Grundprinzip ist es, das jeder Musiker des Ensembles individuell das Pattern unter stetigem Wiederholen musiziert. Er darf dabei eine beliebige Oktavlage verwenden. Welches Instrument der Musiker spielt, ist quasi ihm selbst überlassen, eine Instrumentierung ist nicht festgelegt. Spielt er ein Perkussions-Instrument, spielt er nur den Rhythmuss des Patterns. Wichtig ist vor allem der exakte Rhythmus des Themas.
Der Musiker beginnt mit dem ersten Pattern, und wechselt nach einer Weile, welche er selbst frei entscheiden kann, zum zweiten Pattern. Auf diese Weise durchläuft er nach und nach alle 53 Themen, bis er am Ende angelangt ist. Dann wiederholt er das letzte Pattern so lang, bis alle Musiker ebenfalls am Ende angekommen ist.
Die wichtigste Stimme des Stücks ist der Puls. Auf einem Klavier werden die 2 obersten C's als Viertelnoten stetig wiederholt..das gesamte Stück hindurch. Damit gibt der Puls das Grundmetrum, eben den Puls, des Stückes vor, nach dem sich alle anderen Musiker richten. (Auf diese Weise muss der bedauernswerte Pianist im Laufe einer Perfomance etwa 9000 bis zu 16000 mal die gleichen Tasten im immerwährenden Viertel-Rhythmus drücken..). Hier findet sich übrigens ein weiterer Grund für den Namen von In C.
Die Idee des Stückes ist, dass die Musiker trotz aller Individualität ihrer Patterns aufeinander hören. Aus vielen Einzelstimmen entsteht so ein Tongeflecht, welches in seiner Gesamtheit eine sehr rhythmische aber auch stark tonale Musik ergibt. Durch die verschiedenen Kombinationen von unterschiedlichen Patterns entstehen so im Laufe der Aufführung verschiedene Tonarten bzw. Tonalitäten.
Ein weiterer Schlüsselgedanke ist, dass nahezu jeder Musiker, ob Laie oder Profi, an einer Auffürhung von In C mitwirken kann. Da nicht nur Klavier, Xylophon oder Violine erlaubt sind, sondern nach Belieben auch Triangel, Waschbrett oder Babyrassel, kann nahezu jeder musisch begabte Mensch an der Musik aktiv teilhaben. Die in ihrem Aufbau sehr einfachen Themen fördern diesen Gedanken zusätzlich. So haben Aufführungen von In C eher den Charackter einer "Jam-Session" denn einer steifen klassichen Performance.
Übrigens ist nicht nur die Wahl der Instrumente völlig frei, auch die Anzahl der Musik ist quasi beliebig. Riley spricht lediglich eine Empfehlung von etwa 35 Musiker aus. Gute Aufführungen können aber auch mit 10 oder 100 Musikern realisiert werden.
Durch die Freiheiten in der Anzahl von Wiederholungen der Patterns und den selbstorganisierenden Effekten beim Speilen kann die Länge des Stücks stark variieren. Allgemein schwanken die Aufführungen zwischen 45 und 90 Minuten. Es gab jedoch bereits Konzerte mit 20 bzw. über 200 Minuten.
Wirkung
In C ist als Frühwerk der Minimal Musik ausgesprochen minimalistisch. Die stark repetative Charackter der Musik wirkt auf viele menschen regelrecht hypnotisch, ätherisch. dies sit sicher ein wesentlicher Aspekt der Musik, jedoch nicht der einzige.
Spannend ist es, die Einzelstimmen zu einem Tongeflecht zusammenzuführen. Auf diese Weise entsteht eine übergeordnete musikalische Ebene, in denen die Gesamtheit der Stimmen als eine homogene Struktir erscheint. Der Effekt wird durch gemeinsame cressendi und decressendi verstärkt. Nach belieben kann der Zuhörer diese Gesamtheit auf sich wirken lassen oder in diese eintauchen und die individuellen Stimmen erleben. Deren Kombination erzeugt sich stetig ändernde Schwerpunkte, Betonungen und Tonalitäten.
Auf diese weise begibt man sich als Zuhörer auf eine stetige Entdeckung, bei der selbst nach dem vielfachen Hören einer Einspielung noch neues gefunden werden kann.
Spielanweisungen und Noten
Die Noten der 53 Patterns finden, recht übersichtlich, auf einem A4-Blatt Platz. Eine Partitur von In C kann hier als PDF-Datei kostenlos heruntergeladen werden: OtherMinds.org Partitur: In C.
Die dort ebenfalls abgedruckten Spielanweisung sind im Folgenden (in englisch) aufgelistet:
All performers play from the same page of 53 melodic patterns played in sequence.
Any number of any kind of instruments can play. A group of about 35 is desired if possible but smaller or larger groups will work. If vocalist(s) join in they can use any vowel and consonant sounds they like.
Patterns are to be played consecutively with each performer having the freedom to determine how many times he or she will repeat each pattern before moving on to the next. There is no fixed rule as to the number of repetitions a pattern may have, however, since performances normally average between 45 minutes and an hour and
a half, it can be assumed that one would repeat each pattern from somewhere between 45 seconds and a minute and a half or longer.It is very important that performers listen very carefully to one another and this means occasionally to drop out and listen. As an ensemble, it is very desirable to play very softly as well as very loudly and to try to diminuendo and crescendo together.
Each pattern can be played in unison or canonically in any alignment with itself or with its neighboring patterns. One of the joys of IN C is the interaction of the players in polyrhythmic combinations that spontaneously arise between patterns.
Some quite fantastic shapes will arise and disintegrate as the group moves through the piece when it is properly played.
It is important not to hurry from pattern to pattern but to stay on a pattern long enough to interlock with other patterns being played. As the performance progresses, performers should stay within 2 or 3 patterns of each other. It is important not to race too far ahead or to lag too far behind.
The ensemble can be aided by the means of an eighth note pulse played on the high c’s of the piano or on a mallet instrument. It is also possible to use improvised percussion in strict rhythm (drum set, cymbals, bells, etc.), if it is carefully done and doesn’t overpower the ensemble. All performers must play strictly in rhythm and it is essential that everyone play each pattern carefully. It is advised to rehearse patterns in unison before attempting to play the piece, to determine that everyone is playing correctly.
The tempo is left to the discretion of the performers, obviously not too slow, but not faster than performers can comfortably play.
It is important to think of patterns periodically so that when you are resting you are conscious of the larger periodic composite accents that are sounding, and when you re-enter you are aware of what effect your entrance will have on the music’s flow.The group should aim to merge into a unison at least once or twice during the performance. At the same time, if the players seem to be consistently too much in the same alignment of a pattern, they should try shifting their alignment by an eighth note or quarter note with what’s going on in the rest of the ensemble.
It is OK to transpose patterns by an octave, especially to transpose up. Transposing down by octaves works best on the patterns containing notes of long durations. Augmentation of rhythmic values can also be effective.
If for some reason a pattern can’t be played, the performer should omit it and go on.
Instruments can be amplified if desired. Electronic keyboards are welcome also.
IN C is ended in this way: when each performer arrives at figure #53, he or she stays on it until the entire ensemble has arrived there. The group then makes a large crescendo and diminuendo a few times and each player drops out as he or she wishes.
Einspielungen
Es sind im Laufe der letzten 40 Jahre zahlreiche Varianten von In C eingespielt worden. Jede einzelne ist, durch die Anlage des Stücks, ausgesprochen individuell. Daher möchte ich im folgenden auf die Einspielungen (in der Reihenfolge ihrer Entstehung) kurz eingehen:
Members of the Center of the Creative and Performing Arts in the State University of New York at Buffalo
Diese Ersteinspielung ist sehr lebendig. Terry Riley selbst übernahm die Leitung und spielte auch selbst mit. Die leichten rhythmischen Schwankungen der Performance verzeiht man ob einer gewissen Authenzität, die man beim Hören sehr stark empfindet.
L'Infonie
Diese Performance macht klar, worin der Reiz von In C liegt. Eingespielt wurde sie von einem waschechten Bigband-Orchester. Einige Swing-Elemente wurden zusätzlich in die Musik eingebaut, zudem wurde ein Intro vorangestellt. Lustigerweise ging bei der Aufnahme das Band aus, daher endet die Aufnahme bereits mit dem 48. Pattern.
Ensemble Percussione Ricerca, Eddy De
Zu dieser Aufnahme kann ich leider noch nichts sagen, ich warte seit gut 6 Wochen auf sie, JPC lässt sich ganz schön Zeit.. :boese2:
Shanghai Film Orchestra, Wang Yongji
Wieder eine sehr eigene Einspielung: In C gespielt von chineischen Instrumenten. Deren für westliche Ohren reichlich eigentümlicher Klang macht gerade diese Aufnahme sehr spannend. Interessant ist, das einige Instrumente nicht wohltemperiert gestimmt sind, und einige Töne etwas zu hoch oder zu tief erklingen.
piano circus
Sechs Klaviere plus overdub-Verfahren sind auf dieser Einspielung zu hören. Es ist meiner Meinung nach die geistloseste und langweilisgte. Ohne viel Gefühl wird das Werk in weniger als 25 Minuten durchgerattert..schade drum. (Bemerkung: das 2. stück der CD, Reichs "6 Pianos" dagegen ist wirklich gut gespielt).
25th Anniversary Concert
In diesem quasi Revival-Konzert scharte Riley selbst erneut Musiker um sich, um In C nach fast 30 Jahren erneut aufzuführen. Heraus gekommen ist eine der längsten Aufnahmen (über 75 Minuten). Die live-Performance wirkt sehr lebendig, man spürt die innere Begeisterung der Musiker für die Musik. Eine meiner Lieblingseinspielungen!
Ensemble Ictus
Diese Aufnahme ist eine der "saubersten". Die Musiker gehen mit einer ungeheuren Präzision zu Werk, was die Musik sehr transparent macht. Gerade dies hat seinen speziellen Reiz, weswegen ich auch diese Aufnahme sehr mag.
Quebec Contemporary Music Society, Raoul Duguay
Diese Aufnahme ist durch ein Wort treffend beschireben: verspult. Ein riesiges Orchester, ein großer Chor und ein frei improvisierender indischer Ragga-Sänger erzeugen ein großes Durcheinander. Aber man erlebt begeisterte (Laien)-Musiker bei einem persönlichen musikalischen Experiment. Es ist ziemlich spannend dabei zuzuhören
Bang on a Can
Recht ordentlich aufgenommen fällt diese Version leider etwas gegenüber anderen Einspielungen ab. Sie ist einfach etwas zu sehr "geradeaus" und wirkt so etwas langweilig. Dennoch mehr als empfehlenswert, um das Werk kennenzulernen.
Repetition Orchestra
Live in Moskau aufgenommen ist diese mit über 76 Minuten längste Enspielung sehr farbenfroh. Verschiedene Sänger improvisieren zudem mehr oder weniger frei über der Musik Rileys. Leider des öfteren etwas schief, was den gesamteindrück ziemlich trübt.
The Styrenes
Orchester, Chor, Bigband, Percussion-Ensemble..wieso also nicht mal In C mit Rockband? Genau das haben The Styrenes getan :D. Herausgekommen ist eine erstaunlich wenig popig klingende Version. Manche Instrumente wie das Marimba werden durch allzuvordergründige E-Gitarren etwas zugedeckt. Dennoch ist diese Einspielung eine der hypnotischsten und gefällt mir daher sehr gut.
Acid Mothers Temple & the Melting Paraiso U.F.O.
Der Name des "Ensembles" als auch das Cover lassen bereits eine sehr eigene Variante von In C vermuten. Tatsächlich ist diese Einspielung von Improvisationen im indischen Stil und dem Geist einer echten "Jam-Session" geprägt.
Re-Sound
Zu dieser Einspielung kann ich leider (noch) nichts sagen.
European Music Project, Zignorii++
Dies ist meine absolute Lieblingseinspielung. Die sehr exakte, dabei aber sehr fließende Einspielung durch das European Music Project wurde im Nachgang von dem DJ Zignorii++ elektronisch nachbearbeitet. Sehr dezent fügte er an einigen Stellen elektronische Stimmen (nach den Spielanweisungen Rileys) ein, verfemdete andere echte Instrumente leicht. Die Einspielung wirkt ein wenig wie ursprüngliche Trance-Musik und besticht durch ihren sehr hypnotischen Charakter. Eine ganz dicke Empfehlung
Ut Gret
Zu dieser Einspielung kann ich leider (noch) nichts sagen.
DesAccordes
Leider besitze ich diese CD noch nicht. Das recht lange Hörbeispiel von der Webseite des Ensembles macht jedoch Lust auf mehr. Die recht gitarrenlastige Einspielung wirkt frisch und motiviert.
Ars Nova Copenhagen, Percurama Percussion Ensemble, Paul Hillier
Der renomierte Chorleiter Paul Hillier hat mit dem ebenfalls sehr bekannten Vokalensemble Ars Nova Copenhagen die erste Version von In C für Chor eingesungen. Begleitet von einigen Pekussionsinstrumenten verleiht der Chor dem Stück eine ganz eigene Stimmung. Absolute Empfehlung!!
Jeroen van Veen
Auf der dieses Jahr erschienenen Minimal Piano Collection ist ebenfalls In C zu finden. Die Aufführung wirkt leider etwas trocken und technisiert, ist jedoch um ein vielfaches lebendiger als bspw. die Einspielung von piano circus.
Abschließende Bemerkungen
Hat man In C einmal erlebt, versteht man dessen großen Einfluss auf die nachfolgende Musik. Freunde der minimal music kommen in diesem Werk voll auf ihre Kosten. Aber auch Musikfreunde, die mit der Idee der Repetition als Hauptmerkmal von Musik bislang wenig anfangen können, empfehle ich eine Beschäftigung mit In C. In jedem Fall kann das Werk als einen wirklichen Meilenstein der Musikgeschichte bezeichnet werden.
Liebe Grüße, der Thomas.