Optimistische Komponisten

  • Seit spätestens der Romantik drücken die meisten Komponisten in ihrer Musik aus (um es mal überspitzt zu formulieren), wie schrecklich das Leben ist und was die Welt alles an Übel birgt. Ob Berlioz, der sein Leben durch eine verunglückte Liebe psychisch zugrunde richtet, oder Schumann, dessen tragisches Ende jedem bekannt sein wird. Ja klar, die Romantiker - aber auch im 20. Jahrhundert wird es nicht besser. Da gibt es den todernsten Arnold Schöberg, der sich nicht einmal mehr traut, eine Konsonanz zu benutzen. Oder Schostakowitsch, dessen Sinfonien nicht gerade auf eine Hochzeit passen. Klar, die Umstände, in denen sie lebten, waren nicht glücklich (milde ausgedrückt) - doch gibt es außer den Franzosen auch Komponisten, die einfach nur dankbar waren, überhaupt leben zu dürfen und die Natur bewundern zu dürfen? Komponisten mit einem etwas optimistischeren Weltbild? Oder waren/sind alle Komponisten depressive Esoteriker?
    Auch zeitgenössische Komponisten vermitteln häufig Negatives in ihrer Musik... dabei genießen sie doch heutzutage zumeist einen nie dagewesenen hohen Lebensstandard. Oder ist das nur oberflächliche Betrachtung und bei tieferer Einsicht ist alles Leben schlecht?


    Lange Rede, kurzer Sinn: gesucht sind Komponisten, die ein optimistisches Weltbild in ihrer Musik vermitteln. Soweit ich mich nicht täusche, darf man in der Romantik etwa Mendelssohn, vielleicht Dvorak (?) dazu zählen, später Debussy (?), Poulenc, vllt. Prokofjew (trotz einiger stark expressonistischer Werke)?


    Auffälligerweise sind es meistens keine Deutschen, sehe ich das richtig? (Wäre ja nicht verwunderlich)

    "Das Große an der Musik von Richard Strauss ist, daß sie ein Argument darstellt und untermauert, das über alle Dogmen der Kunst - alle Fragen von Stil und Geschmack und Idiom -, über alle nichtigen, unfruchtbaren Voreingenommenheiten des Chronisten hinausgeht.Sie bietet uns das Beispiel eines Menschen, der seine eigene Zeit bereichert, indem er keiner angehört." - Glenn Gould

  • Hallo rappy:
    m.e. gehört E.W. Korngold unbedingt in diese Liste.....


    DAS durchgehende Motiv vieler seiner Werke ist das sog. "Motiv des fröhlichen Herzens" , bestehend aus aufsteigenden Quarten: g-c-a-d-g- z.B. .


    Auch wenn Korngold am Ende seines Lebens sein fröhliches Herz spätestens bei seinem tödlichen Herzinfarkt aus Kummer gebrochen wurde, so war Korngold doch überwiegend ein überaus optimistischer Mensch und Komponist.


    Aber leider aus gutem Grund zum Schluß nicht mehr.
    Insofern ist Korngold dann doch leider eine wirklich tragische Gestalt der Komponisten des letzten Jahrhunderts.


    Trotzdem überwiegt in seinem Werk das absolut lebensbejahende und optimistische Weltbild.


    Selbst in der "toten Stadt" .


    LG,
    Michael

  • Mir fallen da gleich mal J. S. Bach, D. Scarlatti, J. Haydn, Beethoven und Rossini ein.

    Bitte bedenken Sie, dass lautes Husten - auch zwischen den Stücken - die Konzentration der Künstler wie auch den Genuss der Zuhörer beeinträchtigt und sich durch den Filter eines Taschentuchs o. ä. erheblich dämpfen lässt.

  • Ist ein Mensch immer optimistisch?


    Kann er optimistische (d. h. fröhliche, zukunftsfrohe?) Musik schreiben, obwohl er eher Skeptiker ist? Gefragt ist ja nicht nach fröhlicher Musik, sondern danach, ob die sich die zuversichtliche, d. h. grundlegend optimistische Lebenshaltung eines Komponisten in seinen Kompositionen ausdrückt. Das kann man sicher für Bach, Haydn und Mozart konstatieren.


    Offenbach gehört sicher ebenso dazu wie die meisten Operettenkomponsten bis hin zu Paul Abraham, dessen Werk prompt verfiel, als seine Lebensumstände keinen Optimismus mehr zuließen, höchstens Trotz.


    Dagegen behielt Emmanuel Chabrier seinen Optimismus, obwohl ihn sein fast durchgehender Misserfolg immer wieder in die Knie hätte zwingen müssen. Und doch wirkt er an keiner Stelle trotzig, geschweige denn resignativ. Neben Offenbach und Rossini ist er der Komponist, zu dem ich besonders gern greife, wenn ich einen Stimmungsheber brauche. Und Johann Strauß, Oscar Straus sowie Gershwin, natürlich.


    Dagegen war Leonard Bernstein fast lebenslang ein großer Skeptiker und oft auch Pessimist, ABER ein optimistischer Komponist. In allen seinen Werken, sogar der lange Zeit sehr (ver-)zweifelnden MASS und der Tragödie WEST SIDE STORY hat er stets Wert darauf gelegt, zu einem optimistischen Schluss zu kommen, und zwar aus dem Kern der Geschichte heraus, nicht etwa nur um kommerzieller zu sein.


    Im Grunde richtet sich die Frage aber an einen Pleonasmus. Kann ein Künstler nicht optimistisch sein? Warum schreibt jemand Musik und versucht sich ganz allgemein als Künstler? Doch nur, weil er glaubt, das daraus entstehende Werk würde etwas Besonderes. Wenn das nicht optimistisch ist.


    So gesehen, aber auch unter anderen Aspekten, ist Faures REQUIEM vielleicht das optimistischte Werk überhaupt, orientiert es sich doch auf ein gutes Leben im Jenseits - und vermag das sogar ergreifend mitzuteilen.


    :hello: Rideamus

  • Hallo,


    viele wahre Worte in deinem Beitrag, Rideamus.
    Grundsätzlich steckt man ja gerne die Komponisten auf der Schwelle zur Unterhaltungs-/Salonmusik in die "optimistische" Ecke.
    In der vorromantischen Phase lassen sich ja einige finden, wie schon erwähnt: Haydn, der sein Leben lang zufrieden war, Telemann, Rossini, Weber (wenn man seine Musik hört, muss man einfach davon ausgehen, auch wenn ich seine Biographie zu wenig kenne) etc. sicherlich. Doch seit dem wandelnden Weltbild des 19. Jhds. scheint es immer weniger zu geben.

    "Das Große an der Musik von Richard Strauss ist, daß sie ein Argument darstellt und untermauert, das über alle Dogmen der Kunst - alle Fragen von Stil und Geschmack und Idiom -, über alle nichtigen, unfruchtbaren Voreingenommenheiten des Chronisten hinausgeht.Sie bietet uns das Beispiel eines Menschen, der seine eigene Zeit bereichert, indem er keiner angehört." - Glenn Gould

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Hallo,


    wenn optimistisch nicht stets gleichbedeutend mit notorischer Heiterkeit ist [was ich aus Haydn, Rossini usw. herauslese], dann sind ganz bestimmt auch Mozart oder Kraus mit von der Partie: Optimismus spiegelt sich auch in deren "traurigeren" Werken wieder: Es gibt hier immer einen [musikalischen] Hoffnungsschimmer. Ein endgültiges Aufgeben [= Sterben] niemals, nicht einmal im Requiem Mozarts oder der tieftraurigen Begräbniskantate von Kraus.


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zitat

    Original von rappy
    Seit spätestens der Romantik drücken die meisten Komponisten in ihrer Musik aus (um es mal überspitzt zu formulieren), wie schrecklich das Leben ist und was die Welt alles an Übel birgt. Ob Berlioz, der sein Leben durch eine verunglückte Liebe psychisch zugrunde richtet, oder Schumann, dessen tragisches Ende jedem bekannt sein wird. Ja klar, die Romantiker - aber auch im 20. Jahrhundert wird es nicht besser. Da gibt es den todernsten Arnold Schöberg, der sich nicht einmal mehr traut, eine Konsonanz zu benutzen. Oder Schostakowitsch, dessen Sinfonien nicht gerade auf eine Hochzeit passen. Klar, die Umstände, in denen sie lebten, waren nicht glücklich (milde ausgedrückt) - doch gibt es außer den Franzosen auch Komponisten, die einfach nur dankbar waren, überhaupt leben zu dürfen und die Natur bewundern zu dürfen? Komponisten mit einem etwas optimistischeren Weltbild? Oder waren/sind alle Komponisten depressive Esoteriker?


    Bei wem hast Du denn konkret dieses Gefühl?


    Ich habe eigentlich bei keinem einzigen der genannten den Eindruck, dass sich die Musik hauptsächlich damit befaßt, geschweige denn darin erschöpft, zu beklagen, wie schlecht die Welt ist. Hat Berlioz wirklich sein Leben durch Liebeskummer zugrunde gerichtet?
    Klingen Schumanns Carnaval oder die C-Dur-Fantasie depressiv?
    Tschaikowsky war sicher ein großer Melancholiker, aber die Ballette klingen größtenteils nicht danach. Ebenso sein Antipode Brahms, aber hört man das in der 2. Sinfonie oder im Violinkonzert?
    Wie auch immer Musik mit persönlichen oder Zeitgeiststimmungen zusammenhängen mag, einen so simplen Zusammenhang, wie Du es andeutest, dürfte es nur sehr selten geben. Ein großer Teil der Musik strebt nach Kontrasten, auch emotionalen, kann daher nicht so einseitig "depressiv" sein.


    Gerade im 20. Jhd. distanzieren sich doch viele Komponisten von der emotionale Ausdrucksweise der (Spät)romantik. Ob das nun zu "optimistischer" Musik führt, weiß ich nicht. Aber als fatalistisch oder depressiv würde ich z.B. kein einziges der mir bekannten Werke Strawinskijs bezeichnen. Auch die Musik Bartoks nicht, obwohl es hier genügend Grund zur Depression gab. Noch weniger Hindemiths. Sind das deswegen optimistische Komponisten? Keine Ahnung. Aber nehmen wir den Schlußsatz von Bartoks Konzert für Orchester, durchaus lebensbejahend. Hindemiths Symphonische Metamorphosen sind humorvoll, Le Sacre du Printemps eine Feier archaischer Lebenskraft.
    Auch von Schostakowitsch gibt es viele "witzige" Werke, auch wenn es eher ein bitterer, skurriler Humor ist. Die "Jazz"suiten, das Klavierkonzert mit Trompete, die 9. Sinfonie. Das "Tea for two"-Arrangement ist ein regelrechter Gag.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Du hast ja vollkommen recht, kein Komponist schreibt durchgehend depressive Musik. Aber ich denke schon, dass Berlioz und Schumann unglückliche Menschen waren. Und wenn Schostakowitsch und Prokofjew die von dir genannten Gegenbeispiele schreiben, heißt es oft, sie wären nur unter dem Druck des Regimes entstanden.
    Depressiv oder lebensverneinend sind vielleicht auch nur die Extrembeispiele. Schönberg und Bartok waren meines Wissens nach sehr ernste Persönlichkeiten, mit denen nicht viel zu spaßen war.

    "Das Große an der Musik von Richard Strauss ist, daß sie ein Argument darstellt und untermauert, das über alle Dogmen der Kunst - alle Fragen von Stil und Geschmack und Idiom -, über alle nichtigen, unfruchtbaren Voreingenommenheiten des Chronisten hinausgeht.Sie bietet uns das Beispiel eines Menschen, der seine eigene Zeit bereichert, indem er keiner angehört." - Glenn Gould

  • Hallo


    Berlioz war sicher ein unglücklicher Mensch, aber hört man das in seiner Musik? Eher nicht. Lortzing hat sehr positive Musik geschrieben, obwohl er ein sehr hartes Leben hatte. Aber ein Name fehlt hier noch: sowohl als Mensch als auch als Musiker war Robert Stolz ein unglaublich positiver Mensch!

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat

    Original von rappy
    Du hast ja vollkommen recht, kein Komponist schreibt durchgehend depressive Musik. Aber ich denke schon, dass Berlioz und Schumann unglückliche Menschen waren.


    Es ist völlig zweitrangig, wie sie sich fühlten. Wer will das so genau wissen oder beurteilen? Wenn ich Dich oben recht verstanden habe, geht es um ihre Musik. Die ist m.E. eher selten übermäßig depressiv oder drückt aus, "wie schrecklich das Leben und die Welt ist". Wenn Du anderer Ansicht bist, Butter bei die Fische: Welche Werke von Schumann und Berlioz machen auf Dich diesen Eindruck


    Zitat


    Und wenn Schostakowitsch und Prokofjew die von dir genannten Gegenbeispiele schreiben, heißt es oft, sie wären nur unter dem Druck des Regimes entstanden.


    Das ist im Falle von Schostakowitschs 9. ganz klar falsch, die ist nämlich eine Provokation für das Regime, weil sie den Gestus der triumphalen "Neunten" verweigert.


    Zitat


    Depressiv oder lebensverneinend sind vielleicht auch nur die Extrembeispiele. Schönberg und Bartok waren meines Wissens nach sehr ernste Persönlichkeiten, mit denen nicht viel zu spaßen war.


    Nach allem, was ich weiß, war mit Bach, Händel und Beethoven noch weniger zu spaßen... Und ganz sicher hat das überlieferte und durch "Amadeus" zugespitzte Bild Mozart eher geschadet.


    Ich habe, wie angedeutet, bei sehr viel Musik große Schwierigkeiten sie in Kategorien wie "optimistisch" oder "depressiv" zu hören. Klar geht das manchmal. Aber um bei der angeblich so düsteren Musik des 20. Jhds. zu bleiben: Inwiefern sind zB Petruschka, Die Geschichte vom Soldaten, Ravels Klavierkonzert, Bartoks 2. Klavierkonzert, Hindemiths Sinfonie in Es hier einzuordnen? Paßt einfach nicht Der Strawinsky ist skurril, witzig, Ravel brillant, Bartok und Hindemith kraftvoll. Gewiß gibt es im 19. u. 20. Jhd. eher wenig Musik, die auf mehr oder minder naive Art heiter erscheint wie Telemann oder Haydn (wobei das oft eine oberflächliche Wahrnehmungsweise ist) es ist schließlich *E-Musik* :D
    Aber gerade im Neoklassizismus der 20er/30er Jahre findet sich doch mehr, was in diese Richtung geht als in der Spätromantik: Prokofieffs Classique oder 3. Klav.Konzert, Ravels Tombaeu de Couperin, Strawinskys Pulcinella.
    Oder Coplands Pseudo-Volksmusik: Klarinettenkonzert, Appalachian Spring, Rodeo (ist mir alles eigentlich eher zu naiv-munter).


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Banner Interviebanner 1 Gelbe Rose
  • Bei allen erwähnten Komponisten handelt es sich ja um vorwiegend verstorbene und sonst auch nur um die "klassische Moderne". Wäre spannend, diese Frage auch auf wirklich zeitgenössische auszuweiten...

  • So gut wie alle sinfonischen Final-Sätze der Wiener Klassik sind ausgesprochen optimistisch komponiert. Aber natürlich konnten große Geister wie Mozart oder Beethoven nicht einseitig optimistisch sein. Beide lassen uns immer wieder auch das Dunkle, das Tragische, das Ambivalente spüren.


    Wer von Dunkelheit, Schmerz und Leid konsequent verschont sein, also in reinstem, ungetrübtem Optimismus schwelgen, aber trotzdem klassische Musik hören möchte, der versuche es mit dem katholischen Mystiker Olivier Messiaen. Hier ist alles wie Hosianna und Vogelgezwitscher.


    Loge


    Die Messiaen-Diskussion zu diesem Beitrag wurde ausgelagert. MOD 007

  • Die Sichtweise der nur noch in Depressionen und Leid bekundenden Musik der letzten beiden Jahrhunderte, insbeosndere des letzten (20.) Jhd, ist sicher zu einseitig.
    Gegenbeispiele wurden bereits zu Genüge aufgeführt.


    Allerdings darf man nicht vergessen, daß gerade das 20. Jhd. das vielleicht grausamste und blutigste Jahrhundert der Geschichte war. Die Perversion von Rassenwahn, die industrialisierte Entwürdigung des Menschen, Millionen von Toten, verbrannte Erde - zwei verheerende Weltkriege - mal im Ernst: we vermag es als halbwegs sensibler Mensch Enttäuschung, Wut und Leid zu vermeiden? Was hätte denn Herr Schostakowistch in Musik ausdrücken sollen?
    Es sollte doch eigentlich nicht verwundern, daß Menschen, die Musik schaffen oder aufführen - solche sind, denen ein gewisses Maß an Sensibilität nicht abgeht.
    Daß ein Copland ein hauptsächlich heiter-naives, national-orientiertes Ouevre verwundert auch nicht: denn das Leben der amerikanischen Zivielbevölkerung ist mit Sicherheit nicht vergleichbar mit dem der russischen im 2.Wk.


    In England komponiert Vaughan Williams seine 5. Symphonie ein, zwei Jahre vor Kriegsende (1943/44) - ein durchweg optimistisch, wenn auch mit leisen Tönen gezeichnetes Werk der Hoffnung - das bei der UA ein Riesenerfolg war. Doch war die Situation hier nicht auch noch ganz anders als in Russland?


    :hello:
    Wulf

  • Hallo Wulf, nicht jeder Komponist gibt mit seinem Werk ein Spiegelbild der sozialen und gesellschaftlichen Stimmungen wider, in denen es entstand.
    Ich meine, daß daß 17. Jahrhundert an Schrecknissen dem 20. um nichts nachsteht, doch ausser in den Werken von Schütz und bei dem (materiell gut abgesicherten) Gesualdo verspürt man davon nur wenig. Monteverdi gar hielt die Arbeitsbedingungen an sogen. "despotischen" Fürstenhöfen für sich persönlich nutzbringender als jene in der "Republik Venedig".


    VOR den gesellschaftlichen Aspekten sehe ich hier doch noch die individuelle Grundausrichtung des Komponisten, die dafür verantwortlich zeichnet, ob nun mehr seine "Licht" oder mehr seine "Schattenseite" zum tragen kommt.


    PS:


    Sibelius, der hier bei mir "um die Ecke" seinen Kehlkopfkrebs bestrahlen und behandeln liess, schrieb seine sinistre 4. nicht VOR sondern nach erfolgreicher Therapie. Das bitte lasse man sich auf der Zunge zergehn!


    LG :hello:

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Hallo zusammen,


    Debussy wurde als möglicher optimistischer Komponist genannt. Immerhin hat er zu seiner Violinsonate bemerkt:


    "Trauen Sie keinem Stück, das in freiem Himmelsflug zu schweben scheint. Es könnte in den dunklen Tiefen eines kranken Hirns ausgebrütet worden sein! Zum Beispiel das Finale meiner Sonate, das die absonderlichsten Verrenkungen durchläuft, um in das schlichte Spiel eines Gedankens einzumünden, der sich um sich selbst dreht wie eine Schlange, die sich in den Schwanz beißt." (Quelle: Koch / Schwann-Booklet)


    Bloß heitere und lustige Musik mag ich nicht unbedingt. Sie kommt mir nicht ehrlich vor. Allerdings kann es ja druchaus eine doppelbödige Heiterkeit sein. Deshalb möchte ich mich da nicht pauschal festlegen.


    Schönberg dagegen muss als miesepetriger Pessimist herhalten, "der sich nicht einmal mehr traut, eine Konsonanz zu benutzen" (tolle polemische Formulierung, rappy!). Dem muss ich entschieden widersprechen.
    Zwar habe ich bei ihm meist schon den Eindruck, dass seine Musik sehr ernst gemeint ist (wobei der Humor bei Beethoven ja mitunter auch mal ein Ausdruck von zynischem Pessimismus sein kann). Der Pierrot lunaire scheint mir da aber ein klares Gegenbeispiel zu sein: gehen da nicht Pathos, Düsterkeit, Satire, Spott und Grobianismus eine unauseinanderklamüserbare Einheit ein?
    Und das zweite Streichquartett widmet sich wohl der Darstellung einer metaphysischen Sehnsucht und ihrer Erfüllung in einer mystischen Erfahrung. Der Humor fehlt aber auch bei dieser ernsten Angelegenheit nicht ganz (vernehmliches Zitat von "O du lieber Augustin"). Und pessimistisch geht es nun auch keineswegs aus (z. B. "ich fühle luft von anderem planeten" bzw. dann die beeindruckende instrumentale Koda des letzten Satzes, die in einem Fis-Dur-Akkord endet).
    Sein Streichtrio (immerhin auch aus Hollywood!) wartet zwar mitunter mit vielleicht der aggressivsten Musik auf, die ich kenne, dazwischen jedoch auch mit überaus zarten Passagen. Und einen solchen tröstlichen, zärtlichen Schluss wie dort hört man auch nicht alle Tage, wenn er sich auch nicht in die Rubrik happy end einfügen mag.


    Viele Grüße


    :hello:

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Und um noch weiter zurueckzuschwenken:


    Sehr optimistisch empfinde ich z.B. den groessten Teil der Musik von Ralph Vaughan Williams - insbesondere den Liederzyklus "House of Life", obwohl die Texte Rossettis nun teilweise alles andere als optimistisch anmuten moegen.


    Gleiches gilt fuer die "Sea Symphony", wie ueberhaupt auch seine symphonischen Werke - bemerkenswert insbesondere vor dem Hintergrund, dass er selbst im ersten Weltkrieg als Soldat diente und da ganz sicher nicht nur Schoenes erlebt hat.


    Die Musik hat jedoch immer einen Funken Hoffnung in sich, so empfinde ich das zumindest ...

  • Zitat

    Original von Kontrapunkt
    Bloß heitere und lustige Musik mag ich nicht unbedingt. Sie kommt mir nicht ehrlich vor. Allerdings kann es ja druchaus eine doppelbödige Heiterkeit sein. Deshalb möchte ich mich da nicht pauschal festlegen.


    Ich kann da nur auf mein Motto verweisen. Warum wird Heiterkeit von den "seriös" Gepolten nur immer wieder so gering geschätzt? Wie jeder Theaterfachmann weiß, ist sie viel schwieriger auf hohem Niveau zu realisieren als das Ernste. Ich meine jetzt natürlich nicht das musikalische Pendant unserer sogenannten Comedians ( also Bohlen & Co.) und andere Kreationen, die jeden Samstag Abend im Fernsehen vor dem Volk tümeln, sondern Werke von echtem Humor.


    Wer sich dafür interessiert, höre sich mal durch Offenbach durch oder beachte den parallelen Thread über Chabrier (Ein impressionistischer Komet - Emanuel Chabrier 1841 - 1894), den ich hier bereits als Musterbeispiel eines "optimistischen" Komponisten, den ein denkbar schwerstes Schicksal ereilte, angeführt habe.


    :hello: Rideamus

  • So, ich schiebe in das Gezwitscher-Gewitter, ob es nun hier oder woanders weitertobt, ganz zaghaft mal den Namen Richard Strauss ein.


    Noch bevor ich rappys einleitende Worte zuende gelesen hatte, war dieser meine erste Assoziation. Rappys letzter Satz erregte dann auch sofort Widerspruch in mir.


    Trivial zu erwähnen, dass auch Strauss düstere Musik geschrieben hat. Doch so, wie ich ihn sehe, tat er's nicht, weil ihn seine Dämonen dazu trieben, sondern schlichtweg, weil er's konnte.
    Und, vielleicht abgesehen von den Metamorphosen, selbst in seinen dunkelsten Werken blitzt und strahlt immer wieder das Positive durch.


    Obwohl man - beispielsweise - zu den Auswirkungen der Wahl der Gattin geteilter Meinung sein kann, das Arrangement mit dem Naziregime als mehr als bedenklich eingestuft werden muss (bitte jetzt hierzu keine Diskussionen...) und das Wort "Optimismus" nicht mit dem Begriff "Opportunismus" gleichzusetzen ist, drängt sich mir bei Strauss, den ich sehr verehre, unwillkürlich und stetig das Bild eines Menschen auf, dem die Sonne dort heraus scheint, wo's bei anderen zappenduster ist.


    Und das meine ich an allen Ecken, Rundungen, Enden und Anfängen sowie immer wieder zwischendrin Straussens Musik abzuhören.



    Gruß,



    audiamus



    .

  • Zitat

    Original von audiamus
    So, ich schiebe in das Gezwitscher-Gewitter, ob es nun hier oder woanders weitertobt, ganz zaghaft mal den Namen Richard Strauss ein.


    Noch bevor ich rappys einleitende Worte zuende gelesen hatte, war dieser meine erste Assoziation.



    Stimmt, an den hatte ich in Bezug auf das 20. Jahrhundert auch sofort gedacht. Wobei man den "Optimismus" bei Strauss auch wieder zu dessen Ungunsten auslegen kann. Was ICH nicht tue. Aber es findet sich bestimmt jemand... :D



    Viele Grüße


    Bernd

  • Ich sei, gewährt mir die Bitte, im Straussschen Bunde der Dritte.


    Ich kann jetzt gar nicht mehr verstehen, dass ich den über den beiden anderen Sträus/ßen in meinem ersten Beitrag übergangen habe. Allerdings würde ich die Bonhommie seiner "griechischen" Werke davon ausnehmen - und natürlich die Altersmelancholie und Trauer der "Vier Letzten Lieder" und der "Metamorphosen".


    Das ist ja das Problem mit dem Begriff "Optimistische Komponisten" statt "Werke". Wer "nur" "optimistische" Werke schreibt... Genau genommen, fällt mir da eigentlich gar keiner ein. Nicht mal Chabrier oder Offenbach.


    :hello: Rideamus

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Banner Interviebanner 1 Gelbe Rose
  • Zitat

    Original von Rideamus
    Ich sei, gewährt mir die Bitte, im Straussschen Bunde der Dritte.



    ... dann darf ich mich als vierte melden?! - Spontan fällt mir die wunderbare Walzerfolge aus dem ROSENKAVALIER ein.


    LG. Elisabeth

  • Ei der Daus, da wird ein ganzes Strauss-Haus draus...


    Lieber Rideamus, die Metamorphosen würde ich eher der Kriegsresignation denn der Altersmelancholie zuschreiben.


    LG,



    audiamus

  • "Nur" optimistisch ist natürlich das Werk keines Komponisten - ich verstehe die Frage also dahingehend, welche Namen mir bei der Frage nach optimistischer Musik zuerst einfallen. Und da kommt zuallererst:


    Frank Zappa!
    Da finden sich Themen von einem strotzenden positiven Lebensgefühl, wie sonst kaum, auch und gerade in orchestralen Versionen.


    Darius Milhaud
    Obwohl es da auch Momente von berückender melancholischer Schönheit gibt, aber eine lebensbejahende Haltung dominiert bei ihm.


    Johann Chistian Bach

  • Zitat

    Original von audiamus
    Ei der Daus, da wird ein ganzes Strauss-Haus draus...


    Lieber Rideamus, die Metamorphosen würde ich eher der Kriegsresignation denn der Altersmelancholie zuschreiben.


    Einverstanden, aber nach dem Ersten Weltkrieg hatte er die nicht. Vielleicht war's doch eine Kombination?


    Ist aber hier egal, denn es geht ja um Optimisten.


    :hello: Rideamus



  • Es gibt doch (sinngemäß) die Aussage von Strauss, die Metamorphosen seien als Klage über seine zerstörte Heimatstadt München zu verstehen. Wobei Strauss seinerzeit auch andere Dinge hätte betrauern können, aber damit wären wir mitten in der Diskussion, die Audiamus nicht haben wollte (und die auch schon an anderer Stelle geführt worden ist).


    Ich stehe Strauss durchaus mit gemischten Gefühlen gegenüber und empfinde seine Person und sein Werk sehr zwiespältig - aber gerade deshalb auch sehr interessant. Mir scheint es bei Strauss mindestens drei Formen von musikalischem Optimismus zu geben: einmal eine gewisse wilhelminische Bräsigkeit, wie sie sich z.B. in der Sinfonia domestica austobt. Dann der mitreißende Überschwang, wie etwa in Don Juan oder im Till. Und schließlich, gerade in den späteren Jahrzehnten, manchmal etwas sehr "künstlich" Optimistisches, eben doch auch Doppelbödiges: Adorno hat mal zu Recht in seinem sehr kritischen, aber unpolemischen Aufsatz über Strauss von der Scheu des Komponisten in seinen späteren Werken gesprochen, sich überhaupt noch in Moll-Regionen zu begeben - ein wirklich erstaunliches Phänomen.



    Viele Grüße


    Bernd

  • Banner Trailer Gelbe Rose

  • Hallo BBB,


    natürlich. Habe ja auch nicht behauptet, daß jeder Komponist in seinem Werk ein solches Spiegelbild widergibt. Nun bist Du ja viel mehr als ich in den musikalischen Gefilden vor Bach bewandert - aber verbietet sich eine Analogie zwischen 17. und 20 Jhd. nicht schon deswegen, weil vor Beethoven das Selbstverständnis der Musikschaffenden ein ganz anderes war?


    :hello:
    Wulf

  • Hallo Wulf, nein so verschieden waren die Bedingungen damals nicht, wenn man an die vor Selbstebewusstsein geradezu "strotzenden" Persönlichkeiten eines Purcell oder Lully denkt. Auch Heinrich Schütz, der immer als ein zentraler
    Komponist jener Epoche apostrophiert wird, kann mit diesem "modernen Maßstab" gemessen werden. Beethoven war damit keinesfalls der erste Komponist, der es sich leisten konnte, Gräfinnen und dgl. vor sich auf den Knien rutschen zu lassen oder mit verschränkten Armen und ohne zu grüssen sich in eine Gruppe von in Karlsbad kurenden Majestäten ungestraft mischen durfte ! :D


    Daß Beethoven damit der erste war,ist eine Legende aus dem 19. Jahrhundert die bis heute kolportiert wird.


    Päpste, Kaiser und Könige buhlten um die Gunst eines Josquin, der für ein Werk aus seiner Feder fanatstische Preise (sehr gerne Grundbesitz) nahm.


    Zur Uraufführung seiner Krönungsoper "Costaza e Fortezza" wurde der gichtbrüchige Johann Joseph Fux in einer Sänfte von Wien nach Prag getragen und alle Stunde erkundigte sich SM. Kaiser Karl VI persönlich nach dem Wohlbefinden des Meisters.

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Solche Zuständ' mög' der Himmel wieder für die zeitgenössischen Komponisten einführen. Also, nicht die Sänfte meine ich, da wird man seekrank, aber die Ländereien etc.... Feine Sache... :yes:
    :hello:

    ...

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Solche Zuständ' mög' der Himmel wieder für die zeitgenössischen Komponisten einführen. Also, nicht die Sänfte meine ich, da wird man seekrank, aber die Ländereien etc.... Feine Sache... :yes:
    :hello:


    Edwin, lass' alle Hoffnung fahren, denn heute würden alles die Anwälte bekommen.... 8)

  • Zitat

    Original von BigBerlinBear
    Päpste, Kaiser und Könige buhlten um die Gunst eines Josquin...


    Und analog quasi zeitgleich um die eines Michelangelo, im Parallelthread.


    audiamus

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Tamino Beethoven_Moedling Banner