Die Inspiration zu diesem Thread stammt aus der Süddeutschen Zeitung vom 3./4. November 2007, wo Jens Malte Fischer in einem "Die ethische Luft und der faustische Duft" betitlten, fünfspaltig-ganzseitigen Beitrag Thomas Manns Roman "Doktor Faustus" anlässlich einer kommentierten Neuausgabe einer Würdigung unterzieht.
In der einleitenden Spalte geht er auch auf die Rezeptionsgeschichte ein, die, wie könnt' es anders sein in einer Welt so schlecht wie diese, ein Trauerspiel sei.
"Dieser Roman ist ein Stachel im Fleisch der deutschen Leser", so geht es los. Denn Thomas Mann habe mit diesem Roman eine "spezifisch deutsche Atmosphäre kritisch evozieren" wollen, die sich mit Nietzsche als die "ethische Luft, der faustische Duft, Kreuz, Tod und Gruft" umschreiben lasse.
Sodann stellt Herr Fischer fest, dass das wegen dieser kritischen Botschaft (gegen die "unerlaubte Verwechslung von Kultur mit Politik") in Deutschland bis heute eine schwierige Rezeptionsgeschichte erfahren habe, die in der Gegenwart - Überraschung! - noch problematischer geworden sei, denn während es für Musikliebhaber "einst selbstverständlich" gewesen sei, dieses Werk zu lesen (und zu lieben), so brächte heute schon "kaum ein Student des [germanistischen] Faches die durchaus hilfreichen Musikkenntnisse mit - und auf(...)".
Der Kritik am Werk, an der "unvital bleibenden" Figur des Serenus Zeitblom und an der doppelt problematischen Wahl der Musik als "zentrales Paradigma" räumt Jens Malte Fischer zwar auch gewissen Raum (und ein gewisses Recht) ein, die Tendenz ist aber ein großes kulturpessimistisches Wehklagen darüber, dass dieser Roman immer mehr ins Abseits gerate.
Mir wurde davon spontan die Milch im Frühstückskaffee sauer, denn ich als der Musik- und Literaturliebhaber der ich bin habe meinen Faustus gelesen, nicht nur einmal. Mit dem Resultat, dass ich höchstens dem Gruft-Prädikat zustimmen kann. Kein faustischer Duft, eher ein moralinsaueres Mottenkugelaroma entsteigt für mich diesem Buch. Mit der Folge, dass eine etwaige kritische Evokation welcher Verwechslung oder Atmosphäre auch immer in meinem nach Sauerstoff lechzendem Hirn nicht mehr ankommen will, von Lesefreude ganz zu schweigen.
Sprich: ich eigne mich als Lehrbuchfall für den von Herrn Fischer beklagten Kulturverfall.
Was mich jetzt als solcher in meiner kulturhedonistischen Fankurve interessiert: wie geht es anderen Taminos mit diesem Roman? Lest ihr ihn? Mögt ihr ihn? Graust es euch vor ihm? Lässt er euch kalt?
Immerhin merkt Herr Fischer an, es ruhe im Verborgenen, wie viele Musikliebhaber ihren Faustus noch auf dem Nachtkästlein hätten - ich bin also nicht der Einzige, den es interessiert.
Einen schönen Sonntag wünscht
Flo