Lyrische Tenöre- eine blaue Mauritius ?

  • Sagitt meint.


    Sie sind selten, die wirklich lyrischen Tenöre. Welche sind solche ? Die mit großer Zartheit, mit voix mixte vollendetes Legata,perfektes Pianissimo singen können, diesen Farbe geben und nicht nur fahler Abklatsch eines üblichen mf oder ff singen.
    Gefordert in der Musik des Barock, bei Mozart, bei den Italienern von Rossini bis hin zu Verdi ( Alfredo in der Traviata).
    Die wenigen, die es gibt, haben teilweise erstaunlich kurze Karrieren. Wer hört heute noch von Werner Hollweg, von Josef Protschka oder Hans Peter Blochwitz. Andererseits zeigte letztere, wie kometenhaft man Karriere machen kann, als lyrische Tenor. Ein paar wenige Jahre von jeder " Größe" gebucht,ob es Solti, Abbado .Levine oder Harnoncourt war, aber dann auch schnell wieder von der medialen Bildfläche verschwunden.
    Gegenspiele sind Haefliger und Schreier und, in gewissem Umfang auch Gedda. Alle haben über Jahrzehnte als Tenor auf internationaler Bühne gewirkt.
    Erstaunlicherweise stehen diese völlig im Schatten heldischer Stimmen. Ob es dem Menschen gefällt, angebrüllt zu werden ? Verirrt sich eine solche Stimme einmal in lyrische Gefilde, ist es eher peinlich. Pavarotti als Mozartsänger ebenso wie Domingo, der beim Idomeneo auch noch die erleichterte Fassung Mozarts für den alternden Raff singt.
    Mir gefallen die lyrischen Stimmen besonders gut, ich halte sie auch für die kunstvolleren, weil diese variantenreicher singen,obwohl ich einräume, dass diesen Stimmen natürlich die Grenzen im Bereich des forte haben,zB Schreier als Max im Freischütz.


    Auf eine Diskussion bin ich gespannt....

  • Zu den lyrischen Tenören fallen mir noch Peter Lippert ein,und die allerbesten waren wohl Fritz Wunderlich und Richard Tauber!!
    Den Schreier würde ich nicht gerade unter "lyrisch" verbuchen,der ist irgendwie gar nix.(Max zum Glück nur auf Platte).

  • Sagitt meint:


    Für Peter Schreier muss ich eine Lanze brechen,obwohl mich die Stimme nicht besonders anspricht. Ich will gar nicht von der musikalischen Intellegenz schreiben, die nicht selbstverständlich ist. Schreier hat mindestens als Bach-Sänger Bleibendes geleistet. Wie er etwa bei Richter ( 1979) den Evangelisten gestaltet, dies ist schon Referenz-verdächtig. Wenn man seine schöne Müllerin mit Konrad Ragossnig hört, ist auch dies eine Aufnahme, die in die erste Reihe gehört.


    Noch ein Wort dazu,warum ich Wunderlich nicht erwähne. Wunderlich hat schon frühzeitig ein Repertoire gesungen, das Metall in seiner Stimme zu zeigen. Natürlich gehört der Rodolgo in der Bohème oder der Alfredo in der Traviata noch zum Bereich der lyrischen Tenöre. Richtig ist auch, dass der frühe Wunderlich weniger Metall in der Stimme hatte ( Zauberflöte um 1960 herum, Hirte im Orfeo 1955). Aber eigentlich war diese Stimme prädestiniert, mehr ins schwere Fach zu kommen, was wäre das für ein Florestan geworden ? Andererseits höre ich bei seinen Liedinterpretationen immer wieder, dass sein Piano eher fahl ist, eben ein abgeschwächtes Forte, aber nicht farbig, gemischt mit Oberstimme.
    Überdies- Wunderlich geniesst ja, nicht nur in diesem Forum,ohnehin Kultstatus....

  • Sagitt meint:


    heute ist Karfreitag, genug Anlass,nochmals ein ausdrückliches Loblied auf Schreier anzustimmen. Habe diese Woche mal wieder seine überragende Leistung als Evangelist in der Matthäus-Passion genossen. Schreier gestaltet diese Rolle ( ich beziehe mich auf die Richter-Aufnahme 1979) mit einer solchen Intensität, mit soviel Emotion,Ausdifferenzierung der Erzählung, das man nur seinen Hut ziehen kann vor soviel Können.
    Wenn ich als Vergleich Karl Erb heranziehe, von dessen Evangelistenleistung Rilke in Basel begeistert war, ist Schreier der eindeutig bedeutendere Künstler.
    Als Bachsänger, nicht so sehr als Dirigent,ist er eine Ausnahmeerscheinung.

  • sagitt


    Erstaunlicherweise stehen diese völlig im Schatten heldischer Stimmen



    können wir uns mal über die Facheinteilung bei Tenören unterhalten?


    Ich kenne Buffo Tenöre - dann lyrische, dann Spinto Tenöre - was immer das genau ist und die ganz schweren Kaliber zählen erst zum Heldenfach


    lyrische Tenöre sind für mich die ersten Mozartrollen, wobei Tamino schon eine Ausnahme darstellt (schwerer..) dann Belcanto und franz. Romantik.


    Ich höre umgekehrt immer, daß es keine heldischen Stimmen mehr gibt - lediglich Leute, die halt versuchen, mit viel Volumen zu singen


    Wunderlich - heldisch? Hab von Gesangslehrern gehört, daß er vorhatte, ins Wagnerfach zu wechseln - wäre ihm IMO nicht gelungen...

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

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  • Der Ausdruck "Lyrischer Tenor" umfasst eigentlich mehrere Stimmfächer.
    Im deutschen Fach : in erster Linie Mozart
    Italien: Rossini( sehr lyrisch) , Rudolfo,Alfredo usw.
    Frankreich: Faust,Romeo,Werther ...
    Alles sehr unterschiedliche Partien . Ebenso die grossen Sänger dieser Partien. Schreier,Wunderlich,Dermota,..Alfredo Krauss bis hin zu Pavarotti.
    Meiner Meinung gibt es einen Sänger der das alles in sich vereint.
    Nicolai Gedda!! Daher ist er für mich der lyrische Tenor.

  • in diesen Bereichen gibt es doch genügend Leute, oder?
    gut, die Frage nach dem "Rossini Tenor" wird mmer gestellt...


    die wenigen kaum besetzbaren Partien sind doch nach wie vor Siegfried, Lohengrin...


    kann es sein, daß wir bei der Suche nach dem "idealen Sänger" (dem Gral) ein bißchen die Realität verlassen...


    Schließlich urteilt jeder so, wie er etwas gerne hören würde...


    ich hab mich in meinem Bereich darauf beschränkt, mit den Sängern zu arbeiten, die gerade da sind, und aus ihnen das beste herauszuholen


    aber ich weiß, daß ich von niemandem unmögliches erwarten kann!


    und ich weiß, daß es tödlich für Sänger ist, "so zu singen wie..."


    komischerweise fallen mir immer wieder junge Sängerinnen auf, die mit 20 klingen (nicht aussehen :D ) als wären sie 40.


    auch das sollte man immer berücksichtigen - ein Stimmideal kann nicht allgemeingültig gemacht werden.


    sonst müßten z.B: Frauen oder bestimmte Tenöre Mitte 40 aufhören zu singen.. ;)

    Im übrigen bin ich der Ansicht, dass gepostete Bilder Namen des Fotografen, der dargestellten Personen sowie eine genaue Angabe des Orts enthalten sollten.
    (frei nach Marcus Porcius Cato Censorius)

  • Hallo Sagitt,


    über die Evangelistenrolle in J.S. Bachs Matthäus-Passion durch Peter Schreier gehört er zur allerersten
    Garde, was unbestritten ist.


    Als sein würdiger Nachfolger kann derzeit der englische Tenor Mark Padmore angesehen werden. In der Aufführung der Matthäus-Passion in Königslutter unter J.E. Gardiner, hörte ich ihn zum ersten Mal Live in der Evangelistenrolle. Was für ein "Timbre" in seiner Stimme, ein Genuss, wie er dem Evangelistenpart gerecht wurde, trotz der problematischen Akustik im Kaiserdom. Ausdrucksstark in Wort und Gesang....
    ihm prophezeie ich eine grosse Zukunft, da er heute schon als grossartiger Oratoriensänger Bachscher
    Werke international mit den größten Dirigenten und Orchestern zusammenarbeitet.




    Aus seiner persönichen Biographie zu entnehmen:
    Meine Verehrung von Bach kommt direkt von meiner Arbeit mit Herreweghe und Collegium Vocale.


    siehe auch hier


    Grüsse
    reklov29

    Bach ist so vielfältig, sein Schatten ist ziemlich lang. Er inspirierte Musiker von Mozart bis Strawinsky. Er ist universal ,ich glaube Bach ist der Komponist der Zukunft.
    Zitat: J.E.G.

  • Hallo Reklov,


    da kann ich voll zustimmen. Ich hörte am Freitag die wunderbare Johannes-Passion mit Gardiner, ebenfalls aus Königslutter, hatte ein wenig später eingeschaltet und dachte, Donnerwetter, was für ein Tenor. Es war Padmore.
    Er hat eine leichte, helle Stimme und kann, was ich so schätze, die Register vorzüglich mischen und gibt damit der Stimme eine weichen Klang.


    Ganzr hervorragend.


    Schöne Ostern wünscht


    Sagitt

  • Liebe Leute,


    ich habe auch ein faible für lyrische Tenöre, und hier insbesondere für diejenigen, die man als tenori di grazia bezeichnen kann.


    Also aus früheren Zeiten:


    Fernando de Lucia
    Tito Schipa
    Cesare Valletti
    Alfredo Kraus


    Und als Sänger von heute Juan Diego Florez.


    Schwierigkeiten habe ich mit der Einordnung von John Mc Cormack und Joseph Calleja, die ich eigentlich auch dazuzählen würde (und auch gern höre).


    Wird eigentlich bei der Definition des tenore di grazia eher auf das Repertoire oder auf die Gesangstechnik abgestellt? Ich habe schon beide Ansätze gelesen.


    Zitat

    Original von sagitt: Erstaunlicherweise stehen diese völlig im Schatten heldischer Stimmen. Ob es dem Menschen gefällt, angebrüllt zu werden ? Verirrt sich eine solche Stimme einmal in lyrische Gefilde, ist es eher peinlich. Pavarotti als Mozartsänger ebenso wie Domingo, der beim Idomeneo auch noch die erleichterte Fassung Mozarts für den alternden Raff singt.


    Für den späteren Pavarotti gilt das sicherlich - leider. Wie gut er anfangs als Mozartsänger war, zeigt er in den frühen 60ern als Idamante, in einer Aufnahme aus Glyndebourne mit Gundula Janowitz.
    Da klingt er wirklich wie ein tenore di grazia.


    Eine ähnliche Entwicklung befürchte ich für Joseph Calleja, der ja wohl auch schon recht früh in die schwereren lyrischen Partien strebt.


    :hello: Petra

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  • Liebe Taminos,


    so selten sind sie also gar nicht gewesen, vielleicht gar häufiger als große Heldentenöre. Tito Schipa, Alessandro Bonci, Miguel Fleta, Edmond Clément, Leopold Simoneau - das waren schon großartige ausgesprochen lyrische Tenöre, ganz zu schweigen vom das Fach überschreitenden McCormack. Aber auch Spintos haben große lyrische Qualitäten: Caruso, Björling, Shicoff oder der junge Carreras konnten lyrischer sein als die meisten spezifischen lyrischen Tenöre.


    Den jungen Lawrence Brownlee sollte man auch im Auge behalten.


    LG,


    Christian

  • Es gibt vor allen Dingen keine deutschen lyrischen Tenöre mehr.
    Zuerst gab es keine Heldentenöre mehr. Jetzt werden in Ermangelung
    der Heldentenöre, die lyrischen Tenöre dazu ernannt. Das kommt
    vielleicht auch daher, weil die meisten Rollen für lyrische Tenöre in
    der Oper nicht deutschsprachig sind. Im iitalienischen und
    französischen Fach, gibt es natürlich eine übermächtige Konkurrenz.
    Also stürzen sich viele deutsche lyrische Tenöre auf's Wagnerfach.
    Hier einige Beispiele: Seiffert, Jerusalem, Hofmann, Kollo, Vogt,
    Kaufmann und sicher noch viele andere. Dazu muß man sagen:
    Heldentenor ist nicht nur eine Rollenbezeichnung, sondern auch
    ein Stimmfach !!


    Jeder möchte gern ein Held sein, ich auch. :D


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

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