Liebe Freunde des Musiktheaters!
Angeregt durch Fairys Thread zu Fragen des »historisch korrekten« Dekors und Rideamus‘ Hinweis, daß man dies am besten an einem konkreten Beispiel diskutieren könne, eröffne ich mal diesen Thread.
Ziel ist es, konkret an einem Beispiel Inszenierungskonzepte, Regievorschläge und Fragen der Ausstattung bzw. des Dekors zu diskutieren – und zwar nicht anhand einer ganzen Oper sondern anhand einer einzelnen Szene einer Oper (dabei kann man naklar auch den einen oder anderen Satz zu einem möglichen Gesamtkonzept loswerden). Wichtig wäre mir, daß nicht einfach die Phantasie vor sich hinsprudelt und wir einen genial-originellen Vorschlag an den nächsten reihen, sondern daß die einzelnen Vorschläge begründet und dann auch diskutiert werden. Besonders interessant wäre dabei, die Frage, WARUM man etwa gerade bei diesem Werk und dieser Szene das vorgeschlagene Konzept für tragfähig und das geforderte Dekor für mehr oder weniger notwendig oder passend hält.
Ich werde mir mal die Freiheit nehmen und eine erste Szene vorschlagen - ach so: bei Szenenvorschlägen ist naklar Nennung von Komponist, Werk, Entstehungsdatum (soweit bekannt) und eine kurze, nicht unbedingt allzu ausführliche Inhaltsangabe erwünscht.
Damit's nicht gleich langweilig wird, etwas eher nicht ganz so regiemäßig Rundgelutschtes:
Reinhard Keiser: Der geliebte Adonis. Singspiel in drei Akten (1697)
Libretto: Christian Heinrich Postel.
Die Story:
Das Singspiel erzählt die landläufig bekannte Geschichte von Venus und Adonis, also die komplizierte und unglückliche Liebesbeziehung zwischen der griechischen Göttin der Liebe und einem einfachen, menschlichen Schäfersburschen.
Zu Beginn des Stücks holt sich die verliebte Venus eine Zukunftsprognose vom Seegott Proteus, der sich aber zunächst als ein wenig widerspenstig erweist. Naja, schließlich ist er auskunftsbereit und erklärt Venus, daß Adonis in Folge der Verbindung mit Venus Unsterblichkeit erlangen wird, Venus aber sich den Tod wünschen werde. Außerdem rät Proteus, daß Adonis sich stets vor der Jagd hüten solle.
Und so kommt, was kommen muß: die Göttin und der Schäfer werden ein Paar, eifersüchtig beäugt von den verschiedensten göttlichen und nichtgöttlichen Figuren. Mars ist eifersüchtig auf Adonis, und die hübschen Schäferinnen Eumene und Dryante sind scharf auf Adonis. Eumene hat dabei aber auch noch ganz andere Probleme: sie muß sich Philistus, einen anderen recht netten Schäfer, der zudem auch noch mit Adonis befreundet ist, vom Leibe halten. Dryantes Eifersucht aber steigert sich zu Haß auf den sie verschmähenden Adonis und sie schließt ein Mordkomplott mit dem ebenfalls ziemlich mies gestimmten Mars.
Ja und dann ist da noch die komische Figur Gelon – ebenfalls, na was wohl?, ein Schäfer, der ziemlich einfach strukturiert ist und das ganze Trara um Liebe und Eifersucht so gar nicht versteht und seine Umwelt ungefragt mit Binsenweisheiten nervt.
Philistus lädt den Adonis zu einer Jagd ein – naklar hat Venus was dagegen, weil sie ja noch des Proteus‘ Warnung im Ohr hat. Aber die Männer hören nicht auf sie und ziehen los. Die Szene wechselt und die drei Damen Venus, Eumene und Dryante plaudern über die Liebe und ihre Unbill - als justament die Nachricht vom Tod des Adonis dieses gepflegte Gespräch empfindlich stört: ein von Mars geimpfter Eber hat den schönen Leib des Adonis in Stücke gerissen – Tiefe Trauer! Venus klagt, daß sie nun auch nicht länger leben wolle – doch sie muß erkennen, daß für sie als unsterbliche Göttin der Tod keine wirkliche praktikable Lösung ist. Dryante gesteht Venus, mit Mars verbündet gewesen zu sein und wird von ihr zur Strafe in eine Eiche verwandelt. Anschließend rät Venus dann noch der Eumene, sich nicht länger zu zieren, sondern den ebefalls traurigen Philistus endlich zu erhören, was diese auch tut
Und dann geschieht das Unfaßbare: Der Venus Tränen verwandeln sich in einen Anemonenbusch und der Leichnam des Adonis wird zu einem Rosenstrauch. Venus erklärt die Rose »zur Königin der Blumen« und zack: Adonis hat die prognostizierte Unsterblichkeit erlangt.
End of the Story
Als Szene für die ersten Regie- und Ausstattungsvorschläge (und Begründungen) habe ich die Anfangsszene ausgewählt, den (zugegeben: kurzen) Dialog zwischen Venus und Proteus´. Hier ist sie:
ZitatAlles anzeigenAkt I, 1. Szene.
Overtüre
Erster Auftritt:
Der Schauplatz stellet vor eine natürliche Grotte, durch deren Öffnung man das Meer siehet, nachdem der Fels sich oben öffnet, siehet man Venus auf einer schönen Wolken in Gestalt einer Schäferin herniederfahren, wie sie ausgetreten, hebet sich die Wolke in die Höhe und der Fels schließet sich wieder.
Venus allein.
Aria (Venus)
Angenehmste Westwinde
Bringet meine Seufzer hin.
Tragt, ach traget sie geschwinde,
doch gelinde,
wo ich in Gedanken bin.
Angenehmste Westwinde
Bringet meine Seufzer hin.
Recitativo (Venus)
Huldreiche Glut, holdselge Flammen! Ihr seid mir mehr als Nektarsaft, es kann allein aus euren Quellen stammen, was mir mehr als der Sternen Auen Vergnügen schafft. Komm, komm mein Trost, Adonis laß dich schauen! Wo bist du dann, daß ich dich noch nicht finde? Verzögre nicht der Liebe Lustgewinn.
Angenehmste Westwinde
Bringet meine Seufzer hin.
Recitativo (Venus)
Verhängnis auf, du mußt mir itzt erklären, was meiner Lieb‘ ist ausersehn. Komm Proteus, komm zeig an ohn‘ vieles Währen, wie es doch mit Adonis mir wird gehen. Ihr Wellen treibt den Greisen an den Strand, daß er mir mache mein Geschick bekannt.
Anderer Auftritt
Venus, Proteus
Recitativo (Venus)
Es rührt sich schon der Wellen blauer Rücken.
Er kommt, doch muß er mich nicht gleich erblicken.
(Venus gehet auf die Seite und Proteus kommt in Gestalt eines alten Mannes mit etlichen Tritonen ans Land)
Aria (Proteus)
Wie glücklich ist, der nie geliebt
Und nie das Meer gekennet.
Weil eines Furcht des Todes gibt,
der andre höllisch brennet.
Wie glücklich ist, der nie geliebt
Und nie das Meer gekennet.
(Die Tritonen wiederholen die beiden letzten Verse der Aria und tanzen)
Recitativo (Proteus, Venus)
Proteus:
Wer rief mich hie,
ich kann ja niemand schauen.
(Venus tritt hervor)
Venus:
Ich, Proteus, war’s,
zu Dir ist mein Vertrauen.
(Wie der Proteus die venus siehet, verändert er sich augenblicklich in einen Delphin.)
Venus:
Umsonst denkst du mich zu verbannen, laß nur das viele Wegern sein, sonst werd' ich dich vor meine Muschel spannen.
(Hierauf verschwindet der Delphin und Proteus kommt am einem anderen Ort wie eine Feuerflamme hervor.)
Venus:
Mich schrecket nicht des Feuers Schein, da ich mehr Feuer als Pluto kann entzünden.
(Proteus verändert sich in einen springenden Brunnen.)
Venus:
Mein Feuer löscht keiner Quellen Flut, drum laß dieselbe nur verschwinden.
(Proteus verändert sich in einen Löwen.)
Venus:
Der Löwen und der Tiger Wut kann meine Hand wie zarte Lämmer binden.
(Er verändert sich in einen Blumentopf.)
Venus:
Die Liebe kann aus Blumentöpfen der Hoffnung süße Nahrung schöpfen.
(Er gehet wie ein Schatten übers Theatrum.)
Venus:
Mit Schatten weiß ich umzugehen, weil Lieb‘ oft nur ein Schatten ist.
Proteus:
Was nützet endlich alle List, des Himmels Schluß muß doch geschehen.
Venus:
Ach lehre mich doch des Verhängnis‘ Schluß, weil du desselben kundig bist und Jupiter derselben mir verborgen, entdecke, was mir widerfahren muß, ob auch vielleicht ein Unglück zu besorgen? Und was der Schickung weiser Rat von mir und von Adon beschlossen hat.
Proteus:
Ich zittere und könnt‘ ich weiter fliehen, vermied ich dein Gesicht.
Accompagnato (Proteus)
Der Liebe Lust wird nach sich ziehen, was dir vor Angst das Herze bricht. Adon erlangt Unsterblichkeit und du verlangst, zu sterben können, jedoch laß ihn zu jeder Zeit vermeiden, auf die Jagd zu rennen.
Recitativo (Venus)
Es soll mich nie der Schickung Schluß betrüben, vergnügt nur endlich der Genuß das Hoffen und das Lieben.
Aria à 2 (Venus, Proteus)
Was das Verhängnis ausersehn,
kann nie geändert werden
im Himmel und auf Erden
Es muß geschehn,
was das Verhängnis ausersehn.
(Proteus und sein Gefolg begeben sich wieder in die See.)
Recitativo (Venus)
Wohl dann ihr Felsen gebet nach und ändert euch in Cypris‘ Schlafgemach.
Ritornello
(Das Theatrum verändert sich in ein schönes Schlafgemach.)
etc. etc. etc...
Viel Spaß beim Inszenieren!!
Herzlichst,
Medard