O Mensch gib acht! Gustav Mahler: Symphonie Nr. 3 d-moll

  • Bei Durchsicht des Forums mochte ich garnicht glauben, daß Mahlers 3. Sinfonie noch keinen eigenen Thread hat, was ich hiermit ändere.


    Lange wurde dieses Werk in einschlägigen Musiklexika guinnesrekordverdächtig als "längste Sinfonie" gehandelt, die (bis zum Uraufgführungzeitpunkt!) je komponiert wurde, was jedoch nicht nicht stimmte, denn Mahlers Kapellmeisterkollege Nicodé aus Dresden schrieb um 1890 ein Werk, daß mit reilich 100 Min. Aufführungsdauer die Mahlerschen Dimensionen von der Länge her deutlich überschreitet...


    Die zwischen 1893 und 1896 entstandene Sinfonie wurde am 9. Juni 1902 auf dem 38. Tonkünstlerfest in Krefeld uraufgeführt. Mahler dirigierte die Städtische Kapelle Krefeld und das Gürzenich-Orchester Köln.
    Die Resonanz des Publikums soll eher verhalten ausgefallen sein und ich erinnere mich daran, dass beim
    Ranking der Mahler-Sinfonien bei Tamino das Werk auf den unattraktiven „hinteren Plätzen“ landete, was ich bedauerlich fand, könnte doch eben die 3. einen sehr schönen „Einstieg“ in den mahlerschen Klangkosmos bieten, weil in ihr zumindest vom Ansatz her alles enthalten ist, was auch die späteren Werke
    kennzeichnet.


    Diese Sinfonie in der Interpretation kirill Kondrashins (auf russisch !) war zusammen
    Mit Vaclavs Neumanns legendärer cismoll-Sinfonie (Gewandhaus-Leipzig) meine „Einstiegsdroge“ zum
    Gesamtwerk des Komponisten Mahler. Beide Aufnahmen lernte ich VOR dem allgemeinen „Mahler-Hype“, der mit Bernsteins Aufnahmen von Amerika nach Europa überschwappte, kennen (und lieben !) und BEIDE Aufnahmen halte ich auch heute noch für maßstabsetzend !


    Nachdem Mahler für das Werk erst ein "Programm" entworfen hatte, von dem er sich jedoch noch vor der vollständigen Aufführung wieder verabschiedete lauten die einzelnen Sätze jetzt so:


    1. Kräftig. Entschieden.


    2. Tempo di Menuetto. Sehr mäßig. Ja nicht eilen!


    3. Comodo. Scherzando. Ohne Hast.


    4. Sehr langsam. Misterioso. Durchaus ppp. (Alt-Solo) „O Mensch gib Acht“ (Friedrich Nietzsche)


    5. Lustig im Tempo und keck im Ausdruck. (Alt-Solo, Damen- und Knabenchor) „Es sungen drei Engel“ (Des Knaben Wunderhorn)


    6. Langsam. Ruhevoll. Empfunden


    Der Voillständigkeit halber seien hier auch die Programm-Sätze dem Namen nach erwähnt:


    1. „Pan erwacht. Der Sommer marschiert ein“


    2. „Was mir die Blumen auf der Wiese erzählen“


    3. „Was mir die Tiere im Walde erzählen“


    4. „Was mir der Mensch erzählt“


    5. „Was mir die Engel erzählen“


    6. „Was mir die Liebe erzählt“


    Für den vierten Satz verwendet Mahler einen wundervollen Text Friedrich Nietzsches aus dem „Zaratusthra“:


    Zitat

    O Mensch! Gib acht! Was spricht die tiefe Mitternacht? Ich schlief! Aus tiefem Traum bin ich erwacht! Die Welt ist tief, und tiefer als der Tag gedacht! O Mensch! Tief! Tief ist ihr Weh! Lust tiefer noch als Herzeleid! Weh spricht – Vergeh! Doch alle Lust will Ewigkeit, will tiefe, tiefe Ewigkeit!


    Dem 5. Satz wurden Verse aus „Des Knaben Wunderhorn“ unterlegt und der Refrain „Bimm-Bamm“ veranlasste einige Spötter, von dem Werk als der „Bimm-Bamm-Sinfonie“ zu sprechen !


    Auf Tonträger ist die Sinfonie ausgezeichnet dokumentiert; von den „alten“ Eispielungen ist Horensteins offenbar zur Zeit nicht am Markt befindliche Aufnahme hoch zu preisen. Die an anderer Stelle erwähnte Einspielung Scherchens konnte mich dagegen nicht überzeugen.


    Ich beschränke mich deshalb auf 3 Einspielungen, die ich für besonders gelungen halte und andere taminesen werden diese Auswahl sicher ergänzen.


    Claudio Abbados Darstellung des Werkes mit den Wiener Philharmonikern
    besticht vor allem Dank Jessye Normans unvergleichlichem "O Mensch", aber auch Abbados sensible Zeichnung der Werkstrukturen ist das Resultat eines Mahler-Interpreten von hohen Graden !



    Einen völlig anderen Ansatz findet Kent Nagano, der das Werk mit dem DSO
    bis an den Rand des Verstummens auslotet und dem mit Dagmar Peckova nach Norman die beste Solistin zur Verfügung steht:



    Pierre Boulez verfährt in gewohnter Weise seiner bisherigen Mahler-Einspielungen: er leuchtet sozusagen mit der Taschenlampe in die unzugänglichsten und entlegensten Ecken der Komposition und hebt dabei wahre Schätze ans Licht !



    Fülle des Wohlauts


    Die wohl derzeit beeindruckendste Darstellung des Werkes bietet Riccardo Chailly mit dem Concertgebouw. Ich kann damit leben, daß seine Solistin Petra Lang etwas blaßstimmig ist, allein der Finalsatz, dieses "flüssige Gold" um eine
    Formulierung Thomas Manns zu gebrauchen, ist die Anschaffung allemal wert !


    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Zitat

    denn Mahlers Kapellmeisterkollege Nicodé aus Dresden schrieb um 1890 ein Werk, daß mit reilich 100 Min. Aufführungsdauer die Mahlerschen Dimensionen von der Länge her deutlich überschreitet...


    Jean Louis Nicodé (1853 - 1919)


    Gloria! - Ein Sturm- und Sonnenlied op. 34


    Symphonie in einem Satz für großes Orchester, Orgel, eine Alt- (Knaben-) Stimme und Chor


    Das Werk erlebte seine erste Wiener Aufführung am 10.12.1910 im großen Musikvereinssaal in Wien. Vor dem Gloria wurde der 23. Psalm von Alexander Zemlinksy aus der Taufe gehoben.


    Es spielte das Wiener Tonkünstler-Orchester unter der Leitung von Franz Schreker.


    Davidoff

    Verachtet mir die Meister nicht

  • Merci an BBB für die Eröffnung dieses Threads. Die hier kürzlich von Walter.T veröffentlichte Annäherung an das Werk über den rezeptionsgeschichtlichen Umweg Ingeborg Bachmann ist zwar interessant, letztlich aber auch in vielen Punkten problematisch.


    Zunächst nur ganz wenige Stichworte von meiner Seite: Mahlers Dritte ist sicher die bedeutendste seiner frühen Symphonien, viel kühner und experimenteller als die Zweite. Insbesondere der erste Satz wagt sich in Regionen vor, die auch Mahler später kaum mehr betreten hat: das betrifft die thematische Collagetechnik einschließlich der Ives-Effekte avant la lettre, die Einbeziehung trivialer und vulgärer Momente, die Instrumentation über weite Strecken, bei der sonst eher peripher behandelte Instrumente (Kontrabässe, Posaunen) dominieren - und natürlich die überaus originelle Formgebung, die merkwürdigerweise in den üblichen Tafeln und Übersichten immer zu einem verstümmelten Sonatensatz mit extrem langer Einleitung degradiert wird. Zu lang ist mir dieser Satz wie die ganze Symphonie übrigens nie gewesen.


    Die "Konfrontationstechnik" des ersten Satzes setzt sich dann später beim Neben- und Gegeneinander von Nietzsche-Tiefsinn und Wunderhorn-Pseudo-Naivität fort (NB: Bevor hier wieder behauptet wird, Mahlers Musik sei ganz UNabsichtlich trivial und somit auch nicht ironisch - gerade für die Dritte gibt es Quellenbelege, die Mahlers hohen Reflektionsgrad beim Komponieren belegen).


    Die Posthorn-Episode des Scherzos hat die Musikgeschichtsschreibung ausführlich beschäftigt - die gegensätzlichen Positionen von Adorno und Eggebrecht zeigen beispielhaft, auf welchem Niveau man sich Mahlers Musik nähern kann und sollte. Abgesehen davon begeistert mich dieser Satz, seitdem ich ihn kenne, immer wieder - der plötzliche pathetische "Durchbruch" gegen Ende, der den vierten Satz vorbereitet, ist wahrhaft eine "Gänsehautstelle".


    Der langsame Satz als Finale taucht hier zum erstenmal bei Mahler (und zusammen mit Tschaikowskys Pathétique wohl auch in der Gattungsgeschichte) auf. Das verweist bereits auf das Mahler'sche Spätwerk (Lied von der Erde und Neunte), hat hier aber eher verklärenden als zerfallenden Charakter. Trotzdem habe ich (im Gegensatz zur Adorno-Tradition, die auch noch bei J.M. Fischer nachwirkt) nicht die geringsten Schwierigkeiten mit der "affirmativen" Seite dieses Satzes.


    Die programmusikalische Dimension des Werkes ist außerordentlich wichtig, man kommt ohne sie nicht aus. Sie muss aber m.E. in ihrer Vieldeutigkeit berücksichtigt und auch im zeitgenössischen evolutionstheoretischen Denken verortet werden. Trotzdem kann es sinnvoll sein, sich vor allem dem ersten Satz zunächst einmal ganz "formalistisch" zu nähern.



    Zitat

    Original von BigBerlinBear
    Auf Tonträger ist die Sinfonie ausgezeichnet dokumentiert; von den „alten“ Eispielungen ist Horensteins offenbar zur Zeit nicht am Markt befindliche Aufnahme hoch zu preisen. Die an anderer Stelle erwähnte Einspielung Scherchens konnte mich dagegen nicht überzeugen.


    Bezüglich Scherchen stimme ich zu. Die Horenstein-Aufnahme von 1970 halte ich in der Tat für grandios, besonders im ersten Satz sogar für fast konkurrenzlos. Das aus verschiedenen Themenbestandteilen zusammengemischte Klangchaos am Ende der Coda ist nie wieder so durchhörbar gemacht worden wie hier. Die Aufnahme ist versteckt in einer Box mit allen Mahler-Symphonien mit den verschiedensten Dirigenten und Orchestern enthalten, darunter manch weniger gelungene Aufnahme, aber auch die sehr empfehlenswerte Fünfte mit Vaclav Neumann. Der geforderte Preis entspricht einer Hochpreis-CD:





    Zitat

    Claudio Abbados Darstellung des Werkes mit den Wiener Philharmonikern
    besticht vor allem Dank Jessye Normans unvergleichlichem "O Mensch", aber auch Abbados sensible Zeichnung der Werkstrukturen ist das Resultat eines Mahler-Interpreten von hohen Graden !



    Die Wiener Aufnahme Abbados liebe ich immer noch, ziehe aber trotzdem die (in London aufgenommene) mit den Berliner Philharmonikern vor. Im ersten bis dritten Satz halte ich die Aufnahmen für gleichwertig, aber gerade im Nietszche-Satz und im Finale zeigt sich, wie sich Abbados Mahler-Interpretation weiterentwickelt hat: Der vierte Satz wird wirklich durchweg ppp gespielt, die Rufe der Oboe ungeschminkt hochgezogen (diese naturhaften, ungeschliffenen Elemente - auch die Posaunenglissandi im ersten Satz - betont kaum jemand so wie Abbado). Hier wie auch im Finale entwickelt Abbado auch eine Spielkultur bei den Streichern, die mit viel weniger Vibrato als in der Wiener Aufnahme auskommt (wo es gelegentlich doch arg wabert). Die vor zwei Monaten in Luzern gehörte Aufführung mit dem Lucerne Festival Orchestra hat dagegen alles überboten, was ich bisher in puncto Mahlers Dritte gehört habe. Ich hoffe zuversichtlich auf eine entsprechende CD oder DVD.






    Zitat

    Einen völlig anderen Ansatz findet Kent Nagano, der das Werk mit dem DSO
    bis an den Rand des Verstummens auslotet und dem mit Dagmar Peckova nach Norman die beste Solistin zur Verfügung steht:



    Nagano finde ich vor allem im ersten Satz großartig, hier erreicht er fast Horenstein und betont tatsächlich wie kein anderer - wie schon BBB sagt - die leisen, verstummenden Seiten des Satzes. Die restlichen Sätze gelingen ihm m.E. nicht ganz so gut, das Finale halte ich für unterspielt.




    Zitat

    Pierre Boulez verfährt in gewohnter Weise seiner bisherigen Mahler-Einspielungen: er leuchtet sozusagen mit der Taschenlampe in die unzugänglichsten und entlegensten Ecken der Komposition und hebt dabei wahre Schätze ans Licht !


    Dem kann ich voll und ganz beipflichten. Höhepunkt auch hier wiederum der erste Satz.



    Zitat

    Die wohl derzeit beeindruckendste Darstellung des Werkes bietet Riccardo Chailly mit dem Concertgebouw. Ich kann damit leben, daß seine Solistin Petra Lang etwas blaßstimmig ist, allein der Finalsatz, dieses "flüssige Gold" um eine
    Formulierung Thomas Manns zu gebrauchen, ist die Anschaffung allemal wert !


    Mit Chaillys volltönendem, selbstgewissem, vibratoseligem, weichzeichnerischem, gerne verschlepptem Mahler kann ich leider wenig anfangen. :untertauch: Die Dritte gehört aber bestimmt zu den besten Aufnahmen seiner Gesamteinspielung (grässlich finde ich z.B. seine Neunte).



    Ansonsten seien noch kurz die hervorragenden Einspielungen mit Barbirolli und Gielen erwähnt. An die letzte Aufnahme von Mitropoulos mit dem WDR-Orchester (er verstarb wenige Tage später bei den Proben zur selben Symphonie in Mailand) bin ich immer noch nicht rangekommen. Vor einem früheren Mitschnitt mit Mitropoulos aus New York sei gewarnt - passt zwar auf eine CD, aber nur wegen eines barbarischen Strichs im ersten Satz. Ansonsten ist diese Aufnahme durchaus interessant, betont Mitropoulos doch wie kein anderer die hysterischen Seiten dieser Symphonie.



    Viele Grüße


    Bernd

  • Zu Chailly:


    Zitat

    Die Dritte gehört aber bestimmt zu den besten Aufnahmen seiner Gesamteinspielung


    Mir ist natürlich bewusst, daß Chailly die Gebrochenheit des Mahlerschen
    KlangKosmos nur ungenügend wiedergibt, trotzdem sehe ich, zumindest was den Finalsatz des Werks angeht, dazu zur Zeit KEINE Alternative !


    Übrigens ist Dir anstelle der 3. unter Abbado in Berlin wohl aus Versehen die 9. ins Bild gerutscht ! :D

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • Zitat

    Original von BigBerlinBear
    Zu Chailly:



    Mir ist natürlich bewusst, daß Chailly die Gebrochenheit des Mahlerschen
    KlangKosmos nur ungenügend wiedergibt, trotzdem sehe ich, zumindest was den Finalsatz des Werks angeht, dazu zur Zeit KEINE Alternative !



    Gerade bei diesem Satz plädiere ich für Abbado/Berlin. Ohne Pause "organisch" an den Wunderhorn-Satz anschließend, zunächst ganz leise und verinnerlicht, traumhaft sicher bei den Tempi, nie pathetisch-dröhnend, sondern immer differenziert, selbst bei den dynamischen Höhepunkten. In Luzern hat Abbado das noch "verinnerlichter" dirigiert. Für diesen Satz ist übrigens auch Barbirolli sehr zu empfehlen (kürzlich schrieb Ben Cohrs hier irgendwo etwas über Barbirollis großartige Behandlung von Streicherpassagen - das kann man hier gut nachvollziehen).



    Zitat

    Übrigens ist Dir anstelle der 3. unter Abbado in Berlin wohl aus Versehen die 9. ins Bild gerutscht ! :D



    Peinlich, peinlich :O - ist schon korrigiert. Danke für den Hinweis! Abbados Neunte finde ich übrigens nicht übermäßig empfehlenswert - weiß also gar nicht, warum mir der Lapsus unterlaufen ist. :D



    Viele Grüße


    Bernd

  • Tach,


    Mahlers Dritte mag ich schon sehr gerne - besonders in dieser Einspielung
    ich hab nur die ( :D )



    Gustav Mahler [1860-1911]
    Sinfonie Nr. 3 d-moll


    Marjorie Thomas, Tölzer Knabenchor
    Sinfonieorchester des Bayer. Rundfunks
    Raphael Kubelik


    Ich habe noch die alte DG-Kubelik-Gesamtbox der Mahlerschen Sinfonien. Seit Anfang 2007 scheint es die Sinfonien als Einzelausgaben zu geben, was sehr rühmlich ist.


    Mein Highlight ist wohl der fünfte Satz dieser Sinfonie. :yes:


    Viele Grüße
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zitat

    Original von Ulli
    Ich habe noch die alte DG-Kubelik-Gesamtbox der Mahlerschen Sinfonien. Seit Anfang 2007 scheint es die Sinfonien als Einzelausgaben zu geben, was sehr rühmlich ist.



    Vorsicht, Ulli, das sind zwei verschiedene Aufnahmen. Du besitzt offenbar die bei der DGG herausgekommenen Studioeinspielungen, während es sich bei der von Dir gezeigten CD um einen Live-Mitschnitt von 1967 handelt. Grundsätzlich sind die beim Label Audite erscheinenden Mahler-Aufnahmen Kubeliks immer Konzertmitschnitte. Über das Label hat Norbert hier einen Thread eröffnet, in dem er bezüglich Kubelik/Mahler den Mitschnitten gegenüber den Studioaufnahmen den Vorzug gibt.


    Ich kenne im Fall der Dritten Mahlers weder die Studio- noch die Live-Aufnahme Kubeliks und halte mich da raus. :D



    Viele Grüße


    Bernd

  • Hallo Ulli, hallo Bernd,


    korrekt, die Audite-Mitschnitte und die Aufnahmen der DGG sind verschiedene.


    Die Aufnahmen, die bei Audite erschienen, wurden alle später aufgenommen als die Studioproduktionen der DGG. Audite entschied sich, die spätest mögliche Aufnahme zu veröffentlichen.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Zitat

    Original von Zwielicht
    Vorsicht, Ulli, das sind zwei verschiedene Aufnahmen. Du besitzt offenbar die bei der DGG herausgekommenen Studioeinspielungen, während es sich bei der von Dir gezeigten CD um einen Live-Mitschnitt von 1967 handelt.


    War mir leider nicht bekannt, sorry! An der Solistin aber hätte ich es bemerken sollen, dass es sich um eine andere Einspielung handelt. :O


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Ich erlaube mir mal, eine Nachfrage von Gurnemanz und Mathias Oberg in diesen Thread zu kopieren und hier darauf zu antworten:



    Zitat

    Original von Matthias Oberg


    Lieber Klawirr,


    Da schließe ich mich Gurnemanz an.


    Lieber Gurnemanz, lieber Matthias,


    ich habe die Aufnahme gestern Abend einmal durchgehört und dies auch nicht bei gleichbleibender Konzentration – was nicht der Interpretation geschuldet ist, sondern anderweitigen Störgrößen. Somit hat das folgende allein die Qualität der Schilderung oberflächlicher Eindrücke beim Erstkontakt.


    Es handelt sich bei dieser Aufnahme von Mahlers 3. Symphonie um den analogen Mitschnitt eines Konzerts vom 35. März 1984 im Festsaal des Kulturpalasts Dresden. Die Aufnahme ist für die CD digital bearbeitet worden, wobei das Mastering und folglich die Tonqualität - bis auf ein Grundrauschen, das mich aber nicht weiter stört - insgesamt sehr gut ist. Allerdings sind die Huster und das bisweilen unruhige Fußgescharre des Publikums ebenfalls sehr gut gemastert worden. Dabei scheint ein Herr im Publikum gewesen zu sein, der stets einsatzgenau in Pausen oder in Pianopassagen hineinhustet. Der Kerl nervt bisweilen schon gewaltig...


    Kegels Dirigat ist, wie eigentlich nicht anders zu erwarten, sehr analytisch, differenziert und auf Durchhörbarkeit angelegt, was ihm überaus eindrücklich und überzeugend gelingt. Er bietet eine weniger romantisch-wuchernde als vielmehr reflektiert-nüchterne, dabei aber stets spannende Lesart der Dritten. Die Tempi sind vergleichsweise langsam gewählt, was unter Kegels Hand aber nicht zu einem gesteigerten Pathos führt, sondern insgesamt eher einer differenzierten Darstellung des musikalischen Geschehens zuträglich ist. Dies gilt insbesondere im Kopfsatz (33:59) und im Finalsatz, der – was die Dauer anbetrifft – mit 27:24 beinahe Bernsteinsche Dimensionen erreicht (der braucht in seiner Einspielung für die DGG noch gut eine halbe Minute mehr). Aber anders als bei Bernstein bietet Kegel auch hier keine übersteigerte Emotionalität, sondern eine wirklich ruhevoll empfundene, beinahe entspannte Lesart. Gefällt mir!

    Sehr schön gestaltet sind auch die Posthornpassagen im dritten Satz (der mit 19:26 auch eher langsam genommen wird): hier tönt das Posthorn wie aus großer Ferne durch Zeit und Raum zum Hörer herüber und vermittelt so - bei allem vordergründigen Frohsinn - eine tiefe Melancholie.


    Das Misterioso leidet dann tatsächlich ein wenig unter der Geräuschkulisse des Publikums, denn Kegel nimmt die Vortragsbezeichnung »Durchaus ppp« sehr erst, wie er ohnehin die Vortragsbezeichnung recht genau zu befolgen scheint (ich habe das gestern allerdings nicht anhand der Partitur verfolgt). So läßt er etwa (wie bspw. auch Rögner, Neuhold und wohl auch - wie Bernd weiter oben schreibt - Abbado in seiner [mir bisher leider unbekannten] Aufnahme mit den Berlinern) die »Naturtöne« der Oboe und des Englischhorns in diesem Satz »hinaufziehen«, was mir aufgrund der wundervoll misteriös anmutenden Wirkung sehr zusagt. Nicht so gut gefällt mit die Stimme der Altistin Violetta Madjarowa, deren etwas arg flattrig-schnelles Vibrato der Atmosphäre des Satzes für meinen Geschmack eher abträglich ist.

    Ja, und der 4. Satz ist dann der einzige, in dem mir Kegels Zugriff beim ersten Hören gar nicht recht gefallen wollte. Das wirkt alles zu langsam (obwohl 4:25 als reine Stopuhrzeit im Vergleich gar nicht besonders langsam ist), das Gefühl von »Keckheit im Ausdruck« will sich nicht recht einstellen. Außerdem klingen die Chöre inhomogen und auch nicht immer einsatzgenau. Das will ich aber nochmals konzentrierter nachhören.


    Zur Ausstattung der CD ist zu sagen: spärlich! Ein Doppeleinlegeblatt mit einem kurzen englischsprachigen Text, in dem zuvorderst Kegels Interpretation gelobt wird. Hm...


    Um genaueres zu sagen muß ich die Aufnahme noch ein paar mal hören – wozu der Erstkontakt mit dieser interessanten Interpretation auch unbedingt einlädt.


    Ich hoffe ein wenig geholfen zu haben.


    Viele Grüße,
    Medard

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Lieber Medard,


    vielen Dank für diese differenzierte und informative Darstellung: Wenn Dir das bei eingeschränkter Konzentration und nach einmaligem Anhören so möglich ist, frage ich mich, was Du schaffst, wenn Du Dich ausgiebig und mit voller Kraft auslassen kannst... Ehrliche Hochachtung!


    Herbert Kegel scheint, geschuldet wohl auch den Rahmenbedingungen, mit Mahlers Dritter nicht das ganz so glückliche Händchen gehabt zu haben wie mit der Ersten und der Vierten - beides für mich absolute Sternstunden der Interpretation!


    Daß es diesen Thread überhaupt gibt, habe ich erst heute bemerkt, dank Deiner Antwort auf Matthias' und meine Frage - und bin ganz überrascht, daß so wenig erst zu diesem grandiosen Werk hier geäußert wurde.


    Sobald ich Zeit und Gelegenheit finde, werde ich meinen Mahler-Fundus sichten (im Moment allerdings schwer zugänglich, wegen Umzug); die Symphonie war seinerzeit (über 30 Jahre her) neben der Fünften mein Einfallstor (mit Solti) in die reiche und zerklüftete Mahlersche Bergwelt.


    Vor Jahren hat mich übrigens eine Einspielung mit Hartmut Haenchen schwer beeindruckt, müßte es mal wieder überprüfen.


    Gelegentlich gern mehr.

  • Zumindest Medard und meine Wenigkeit hören derzeit sehr viel Mahlers 3. Ich denke, es ist an der Zeit, daß sich das ein oder andere Ergebnis hier wiederfinden sollte...


    Ich beginne einmal mit



    Bernard Haitink war einer der "Mahler-Pioniere", einer der vier Dirigenten (neben Georg Solti, Leonard Bernstein und Rafael Kubelik), der alle Sinfonien Gustav Mahlers für die Schallplatte aufnahm.


    Trotzdem wird Haitinks Name selten genannt, wenn es darum geht, gute Mahler-Interpretationen zu benennen. Zu "unspektakulär" erscheint Haitinks Leseart im Vergleich zu Bernsteins "Glaubensbekenntnissen" oder Soltis Betonung der rhythmischen Strukturen.


    Damit tut man Haitink imo Unrecht, wie u.a. seine Aufnahme der 3. beweist.


    Sie wurde im Mai 1966 aufgenommen und klingt dafür erstaunlich gut (ich besitze allerdings die Gesamtaufnahme der Mahler-Sinfonien und weiß nicht, ob obige Aufnahme neu abgemischt wurde). Sie ist räumlich gut gestaffelt, das Orchester ist transparent abgebildet. Daß man einen etwas "dünnen Klang" und kein "durchschlagendes Tutti" hört, dürfte auf der Hand liegen.


    Haitink geht die Sinfonie recht zügig an: 32'09'', 10'19'', 16'50'', 8'45'', 4'05'' und 22'05''. Der erste Satz könnte etwas "kräftiger" und "entschiedener" sein, aber ein so schönes Posthornsolo wie bei Haitink habe ich noch nirgendwo vernehmen können.


    Im dritten Satz gelingt ein Wechselspiel zwischen Entrücktheit und Keckheit, das seinesgleichen sucht und den Satz zum Höhepunkt der Sinfonie gedeihen läßt.


    Maureen Forrester trifft den Tonfall des "O Mensch! Gib acht!" sehr gut, wenngleich sie ihren Part mit einigem Vibrato und nicht immer vollkommen textverständlich singt.


    Zweiter "Höhepunkt" ist das Finale, das einerseits wahrhaft "ruhevoll" und "empfunden" interpretiert wird, aber andererseits nicht ins Stocken gerät. Haitink vermeidet jegliches Lärmen, sondern erfreut durch wunderbare Übergänge zu den leiseren Passagen und durch eine feine dynamische Abstufung.


    Das Concertgebouw Orchester Amsterdam zählte schon 1966 zu den Spitzen-Orchestern Europas, wenngleich anzumerken ist, daß die Blechbläser im Finale bis an die Grenze gefordert wurden und ein-, zweimal in der Intonation überfordert waren (Trompeten ab ca. 17'00'', Hörner bei ca. 20'50'').
    Etwas ähnliches fiel mir übrigens auch bei der Audite-Liveaufnahme mit Rafael Kubelik auf, die fast zeitgleich (ein Jahr später) entstand. Ich vermute dabei eher keinen Zufall, sondern denke, daß Ende der 60iger Mahlers anspruchsvolle Instrumentierung für den ein oder anderen Orchestermusiker noch zu "neu" war...

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Lieber Norbert,


    ich nehme mal dankbar Deine Vorlage auf. ;)


    Deiner Einschätzung der Haitink-Einspielung kann ich, nachdem ich sie gestern Abend nochmals gehört habe, weitgehend zustimmen. Allerdings hat sich der Eindruck, den ich gestern im »Was höre ich...« so etwas aus der Hüfte geschossen zum besten gegeben habe, durchaus bestätigt: Haitink gibt eine weitgehend neutrale Dritte – was ich erstmal gar nicht wertend meine: Keine Mätzchen, keine interpretatorischen Extravaganzen. Weder auf der Makroebene (etwa hinsichtlich der Wahl der Tempi), noch im Detail (etwa im Ausspielen der vorgeschriebenen Posaunenglissadi im Kopfsatz oder der gezogenen Oboentöne im 5. Satz) gibt sich Haitink exaltiert. Eigentlich, so will es mir scheinen, eine sehr an einem Ideal von Ausgewogenheit orientierte Mahlerinterpretation. Nicht schlecht, sondern – im besten Sinne – unaufdringlich. Sicherlich eine Einspielung die geeignet ist für den Erstkontakt mit der Symphonie, weil sich der Dirigent, wie mir scheint, mit bemerkenswerter Konsequenz gegenüber dem musikalischen Material zurücknimmt.


    Ganz anders ist das in dieser Einspielung:




    Christa Ludwig (Mezzo), Philharmonischer Chor Prag, Kuhn Kinderchor, Tschechische Philharmonie, Leitung: Vaclav Neumann


    Ein paar Bemerkungen zu dieser Scheibe hatte ich ja schon vor ein paar Tagen in »Was höre ich...« gemacht. Das will ich hier kurz aufnhemen und ein wenig ausführen.


    Die Aufnahme stammt vom Dezember 1981; sie ist klanglich überaus ausgewogen und zeichnet sich durch gute Durchhörbarkeit und Räumlichkeit aus.


    Zunächst fällt an Neumanns Interpretation sofort auf, daß er – im Gegensatz zu Haitink – ziemlich extreme Tempi wählt. Er bietet insgesamt die schnellste Dritte, die ich kenne: 31:01 / 8:42 / 16:27 / 9:50 / 4:36 / 19:58.
    Wenn man sich die Zeiten mal genauer anschaut, fällt eine ziemliche Inkonsistenz in der Tempodramaturgie auf: Während die vier Instrumentalsätze (I-III; VI) recht zügig, in Kopfsatz und Finale sogar ungeheuer schnell genommen werden – es ist die einzige der mir bekannten Einspielungen, in der im Finale die 20-Minuten-Marke unterschritten wird –, ist das Tempo in den beiden Vokalsätzen sehr gemäßigt gewählt, insbesondere der Misterioso-Satz gehört mit 9:50 zu den eher langsamen. Diese Temporelationen wirken – wenn man die Symphonie einigermaßen kennt – beim Hören schon recht befremdlich, die Vokalsätze werden so zudem mit einem seltsam äußerlichen Pathos aufgeladen.


    In den Instrumentalsätzen nimmt die Musik durch die schnellen Tempi dabei gar keinen Schaden. Im Kopfsatz gewinnt die Musik durch Neumanns zügige und durchgängig »entschiedene« Gangart sogar eine sehr eigenartige Dramatik. Während das schnelle Tempo in Kopfsatz mitzureißen weiß und in den Sätzen zwei und drei der Musik eine große, mitunter auch ein wenig ironisch wirkende Keckheit verleiht, wirkt das Finale ziemlich getrieben, so, als würde über den Gehalt einfach hinweg gespielt. Eine ruhevolle Stimmung will sich nicht einstellen – da geht es schon ziemlich gehetzt zu; »empfunden« wirkt das auch nicht, eher unterkühlt oder gleichgültig.


    Dieser Eindruck wird vielleicht noch dadurch verstärkt, daß die beiden Vokalsätze eben tendenziell sehr langsam und sehr pathetisch genommen werden. Im Misterioso gelingt es Neumann überzeugend, dieses Pathos subtil und ohne ins Plakative abzugleiten zu vermitteln – nicht zu überzeugen vermag mich allerdings Christa Ludwig in diesem Satz: Ihre Stimme klingt streckenweise seltsam schrill und sie hat ein fürchterlich flatterndes Vibrato. Zwischenzeitlich wollte ich fast nicht glauben, daß es Frau Ludwig ist, die da singt.


    Im Chorsatz ist das Pathos, das Neumann in die Musik zu legen versucht, eher kontraproduktiv. »Keck im Ausdruck« ist das, was da zu hören ist, jedenfalls nicht. Im Gegenteil: Es dominiert vordergründige Bedeutungsschwere, die Neumann mit zum Teil aberwitzigen agogischen Schrullen zu erzeugen sucht. So legt er beispw. auf »Ich hab‘ übertreten die zehn Gebote« und »Ach komm und erbarme dich über mich« heftige Ritardandi.


    Insgesamt ist dies eine mindestens interessante Einspielung, die in den ersten drei Sätzen durchaus ihre Meriten hat, in den Sätzen 4 bis 6 IMO aber ziemlich problematisch ist.


    Viele Grüße,
    Medard

  • Die Aufnahme mit Bernard Haitink mag man -zurecht- als "neutral" bezeichnen.


    Alles andere als "neutral" ist die im November 1987 live aufgenommene Aufnahme mit Leonard Bernstein



    Kaum ein anderer Dirigent lebte so sehr die "mahlersche Gefühlswelt" aus wie Bernstein. Kaum ein anderer Komponist eignete sich so sehr für Bernsteins "Glaubensbekenntnisse" wie Gustav Mahler, und kaum ein anderer Dirigent sorgte für so viel Zustimmung oder Ablehnung bei Mahler wie "Lenny".


    Ich persönlich kann mich mit wahrlich nicht jeder Mahler-Aufnahme Bernsteins anfreunden. Die 9. z.B., aufgenommen mit dem Concertgebouw Orchester, ist im Schluß-Adagio für mich "weinerlich" anstatt "sehr langsam und noch zurückhaltend".


    Mit der 2. und 4. kann ich ebenfalls recht wenig anfangen, aber die Interpretation der 3. zählt für mich zu einer Sternstunde, sowohl was Bernstein-Aufnahmen als auch Mahler-Interpretationen angeht.


    Wunderbar herausgearbeitet ist der Marschrhythmus im 1. Satz; der Satzcharakter "kräftig, entschieden" ist für mich gut getroffen.


    Langsame Sätze pflegte Bernstein in "späten Jahren" sehr langsam und gefühlsbetont (man kann auch "sentimental" sagen) zu spielen. Auch der 2. Satz von Mahlers 3. ist nicht frei von diesen Tendenzen, hinzu kommen noch stellenweise recht ausgeprägte Rubati. Zu Gute zu halten ist dem Dirigenten allerdings, daß er den musikalischen Fluß stets beibehält.


    Mit Christa Ludwig fand Bernstein eine kongeniale Partnerin, die ihren Gesangspart klug und wortdeutlich vortrug (abgesehen vom Beginn, der bei ihr nicht "O Mensch! Gib acht!", sondern "O Menh! Gib acht!" heißt).


    Der Brooklyn Boys Chorus nimmt die Vortragsbezeichnung "keck im Ausdruck" nach meinem Empfinden ein-, zweimal zu genau, singt aber mit spürbarem Engagement.


    Überraschendes fördert für mich der letzte Satz "Langsam, ruhevoll, empfunden" zu Tage, denn vor dem ersten Hören befürchtete ich oben beschriebene "Sentimentalität", aber ich wurde eines besseren belehrt. Bernstein favorisiert zwar ein recht breites Tempo (25'01''), aber "was mir die Liebe erzählt" ist keine "kitschige Liebe", sondern eine "wunderschön-zärtliche Liebe".


    Für mich hatte Bernstein Gustavs Mahlers Schreiben an Anna von Mildenburg in seinen Gedanken: "Meine Symphonie wird etwas sein, was die Welt noch nicht gehört hat! Die ganze Natur bekommt darin eine Stimme und erzählt so tief Geheimes, das man vielleicht im Traume ahnt!...Nun aber denke Dir ein so grosses Werk, in welchem sich in der Tat die ganze Welt spiegelt..."


    Unter dieser Prämisse ist Bernstein eine sehr beeindruckende Interpretation von Mahlers 3. Sinfonie gelungen.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Ich mag die Sinfonie Nr. 3. Bei dieser Lenny-Wiedergabe finde ich vor allem den 3. Satz beeindruckend wiedergegeben (für mich Lennys bester 3. Satz von M3). Sehr gut ist auch die DVD mit Lenny und Mahler 3. Bei der frühen M3-Lenny-Wiedergaben (mir den NY-kern) gefallen mir besonders die Ecksätze.
    Ich habe am Wochende einen M3-LiveMitschnit mit Harding ( 12.09.08 ) bekommen, den ich sehr beeindruckend fand mit Swedish RSO & Karnéus als Alt. Überhaupt Hardings Live-Radio-Mahlerwiedergaben finde ich gar nicht schlecht: M7, LVE, M9 + M10.
    Die Einwände gegen Lennys letzter M9--Satz4-Wiedergabe teile ich zwar auch, aber die ersten 3 Sätze von M9 habe ich bisher noch nicht besser gehört, als mit Lenny & dem Concertgebouworchest. Insofern ist für mich das eine der besten M9-Wiedergaben.Trotz Berlin 1979.

    :hello:

  • Eine beeindruckende Live-Aufnahme ist mit Michael Gielen und dem SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg erhältlich



    Gielen ist ein Dirigent, der polarisiert. Die einen sehen in ihn einen "nüchternen Sachverwalter", andere schätzen seine Fähigkeit des transparenten Offenlegens einer Partitur und freuen sich darüber, des öfteren Details zu hören, die bei weniger akribischen Dirigenten verloren gehen.


    Liest man eine Rezension über diese Aufnahme, dann heißt es : "Dies ist Mahler-Interpretation nach dem Motto: "Ich werd' euch den Mahler schon noch austreiben". Michael Gielen verzichtet auf alles Anekdotische und hat damit eigentlich den Komponisten auf seiner Seite, der seine Werke als absolute Musik verstanden wissen wollte. Und auf der strukturell-analytischen Ebene lässt Gielens Dirigat auch wenig Wünsche offen. Die Temporelationen sind stimmig, alles erklingt in beeindruckender Präzision. Darüber hinaus jedoch ist wenig vom Geist der Partitur realisiert..." ("http://www.rondomagazin.de/kritiken.php?kritiken_id=1291")


    Ich habe nicht vor, den Kritiker zu kritisieren (obwohl das sicherlich reizvoll wäre ;) ), ich erlaube mir lediglich, Gielens Einspielung anders zu bewerten.


    Michael Gielen bevorzugt idR zügige Tempi. Bei Mahler (und nicht nur bei der 3.) ist es anders. Mit einer Spielzeit von ca. 101 Minuten ist er ca. sieben Minuten langsamer als Kubelik (audite) und Boulez.


    Alleine für den Kopfsatz benötigt er 35'26'', was man dem Satz allerdings nicht "anmerkt". Gielen nimmt sich die Zeit, die Details der Partitur auszuleuchten, hätte aber für meinen Geschmack die rhythmischen Strukturen etwas mehr betonen können.


    Fast immer teilt der Dirigent seine Sichtweise zur aufgenommenen Musik im Beiheft mit, so auch hier. Den zweiten Satz nennt er "diesem auf einen etwas trügerischen Glücksmeer dahingleitenden Ländler", weiterhin heißt es "Die Seele fühlt sich vom Glück über die Herrlichkeit der Schöpfung - doch die Augen fühlen sich ob ihrer Vergänglichkeit mit Tränen. Das sagte der zweite und dritte Satz - und dagegen stellt sich das Finale".


    Das "trügerische Glücksmeer" des zweiten Satz verdeutlicht Gielen durch große Temmpokontraste; die Ambivalenz zwischen Glückseligkeit und Vergänglichkeit betont er, indem er das Posthorn weniger schwelgen und es recht nah am Orchester klingen läßt.


    Cornelia Kallisch als Solisten braucht ein paar Takte, um sich in ihre Partie "einzusingen", dann aber beeindruckt sie mit einem schönen Timbre; die Chöre klingen leider zu entfernt und damit ein bißchen zu wenig transparent.


    Und dann folgt das schon erwähnte Finale. Darüber sagt Gielen: "Mahler stellt dem Finale die Worte voran:
    >>O Vater sieh an die Wunden mein
    Kein Wesen lass verloren sein.<<
    Und wahrlich, mit der vom ersten Satz zerstampften Kreatur erbarmt sich die Musik in umfassender Liebe."


    Im Finale ist diese Liebe für Gielen uneingeschränkt, und das läßt er ausmusizieren, ähnlich wie Bernstein, aber mit anderen Ausdrucksmitteln.
    Auch Gielen favorisiert ein gemessenes Zeitmaß (24'27''). Damit trifft er den Satzcharakter "Langsam. Ruhevoll." sehr genau. Aber auch das "Empfunden. Sehr bewegt." kommt bei ihm nicht zu kurz, im Gegenteil.


    Das Finale profitiert am stärksten von Gielens üblicher deutschen Orchesteraufstellung. Dadurch wird eine Transparenz und Durchsichtigkeit erzielt, die es ermöglicht, die Melodien der einzelnen Streichergruppen zart voneinander abzugrenzen und einen Spannungsbogen aufzubauen, der im großartigen Schlußklimax gipfelt. Dieser Klimax gerät in dieser Einspielung um so großartiger, weil vorher genau auf die Dynamik geachtet wurde. Gielen wird nicht "zu schnell zu laut" und hat durch die Differenzierung die Kraft, den Schluß besonders erstrahlen zu lassen.


    Das alles ist sehr schwer zu beschreiben, das muß man gehört haben! Es ist ab und an vorgekommen, daß mir fast Tränen in den Augen standen beim Hören des Finales - und das bei einer Aufnahme, die einem angeblich Mahler "austreiben" soll...


    Und sei es nur wegen des Finales: Diese Aufnahme gehört für mich in das CD-Regal eines Liebhabers von Mahlers 3. Sinfonie... :jubel:

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • womit endlich das Klischee des angeblich so nüchternden Sachwalters Gielen ausgeräumt wird:
    Gielens Wiedergabe von Mahlers Sinfonie Nr. 10 (Cook-Fassung) vom 06.12.04 und Sinf. Nr. 4 vom 23.02.07 sind eine hochemotionale Lesart und gehören - neben einigen anderen Wiedergaben - mit zu den Besten dieser Sinfonien


    :hello:

  • Ich konnte mit dem Klischee ohnehin nie etwas anfangen.


    Natürlich gibt es bei Gielen auch "negative Ausreißer" (Bruckners 3.), aber mich beeindruckt immer wieder die Akribie und Transparenz, mit der er musizieren läßt.


    Von den noch lebenden Dirigenten ist er mein eindeutiger Favorit.


    Kurzer Nachtrag zu meinem vorigen Beitrag: Daß es sich hierbei um eine Live-Aufnahme handelt, hört man an zwei, drei leisen Hustern im Publikum und an einem kleinen Verspieler im Finale bei den Trompeten. Ansonsten ist die Klangqualität ohne Fehl und Tadel.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler



  • Da kann ich nur zustimmen. Gielens Lesart ist überaus eindrücklich und - bei aller Detailfreude und Akribie - auch suggestiv und emotional mitreißend. Das wird schon im Kopfsatz sehr deutlich, der den Hörer - jedenfalls mich - vom ersten Ton an fesseld und gefangen hält. Gielen zeigt ganz klar, daß ein analytischer Blick und ein Dirigat, das auf eine Durchhörbarkeit der Strukturen setzt, nicht auf Kosten des Ausdrucks gehen muß.


    Die Live-Situation wird - neben den vereinzelten Hustern - IMO besonders im Chorsatz deutlich, in dem mir beim gestrigen Hören einige Einsätze ungenau und die Chöre auch nicht immer so recht synchron zu sein schienen.


    Insgesamt ist das eine absolut empfehlenswerte Einspielung die unbedingt in die Spitzengruppe der (mir bekannten) Interpretationen zu rechnen ist.


    Viele Grüße,
    Medard

  • Hallo Freunde.
    ich habe zwei Aufnahmen der "Dritten":


    Eugen Szenkár/Diana Eustrati/RSO Köln+Chöre (1951)
    Dimitri Mitropoulos/Lucretia West/RSO Köln+Chöre (1960).
    Nicht nur die Namen der Dirigenten, sondern auch die der Altistinnen halten, was sie versprechen :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel:
    Die Aufnahme mit dem zu Unrecht vergessenen Eugen Szenkár ist durch seine Bekanntschaft mit Mahler, dem er vorspielte, sehr interessant.
    Auch technisch sind die Aufnahmen hervorragend.
    :hello: Heldenbariton

    Wie aus der Ferne längst vergang´ner Zeiten
    GB

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Liebe Forianer,


    als den Sinfonien Gustav Mahlers derzeit verfallener Neuling freut man sich natürlich über die große Anzahl an Threads über diese Sinfonien und das daraus zu lernende.


    Für mich ist die 3. heute (fast) meine Lieblingssinfonie von GM geworden (wenn man mal den BimmBamm-Satz ein bischen ausblended)). Ich konnte in der jüngeren Vergangenheit folgende Aufnahmen hören bzw nenne sie mein Eigen:


    Zinman, Tonhalle-Orchester
    m. E. gar nicht mal sooo schlecht, wie sie gern gemacht wird


    Bernstein, NYPO 1989
    "eigentlich" meisterhaft interpretiert, aber aufgrund der extremen Tempi für mich nicht wirklich hörbar; beim Finale krieg ich die Krise ;-)


    Gergiev, LPO
    für mich absolutes No-Go, das hat ja mit Mahler m.E. überhaupt nichts zu tun. So unsensibel kenn ich Gergiev gar nicht.


    Boulez, WP
    Hochinteressanter, trockener Ansatz, aber im von mir sehr geschätzten Finalsatz m.E. viel zu unsensibel und nüchtern. Ist aber, wie vieles im Leben allgemein und in der Musik speziell, Geschmackssache.


    Zander, Philharmonia Orchestra
    Für mich die mit Abstand "stimmigste" und homogenste Aufnahme. Dies zeigt sich gerade im Finalsatz, wo die Melodielinien wunderbar ineinander verschlungen sind (bei Boulez stehen sie irgendwie spröde nebeneinander). Außerdem hat Zander m.E. die ergreifendste Lösung, das idealsteTempo, für das Paukenfinale. Hinreisend :jubel:


    Infrage kommt für mich noch Macal, Czech PO. Kann jemand was dazu sagen? Und :untertauch: ich freu mich auf eine Einspielung von Norrington, RSS; dessen Ansatz zu Mahler gefällt mir ausnehmend gut (wobei seine 4. und 5. sicher einiges über der 1. und 2. stehen - aber das ist ein anderes Thema).


    Grüße aus München
    Thomas

  • Bernstein, NYPO 1989
    "eigentlich" meisterhaft interpretiert, aber aufgrund der extremen Tempi für mich nicht wirklich hörbar; beim Finale krieg ich die Krise ;-)

    Die Mittelsätze sind hier besonders gelungen, bei den Ecksätzen ziehe ich Lennys frühere Wiedergaben vor


    Boulez, WP
    Hochinteressanter, trockener Ansatz, aber im von mir sehr geschätzten Finalsatz m.E. viel zu unsensibel und nüchtern. Ist aber, wie vieles im Leben allgemein und in der Musik speziell, Geschmackssache.

    Ich habe einen Boulez-Radiomitschnitt vom 04.04.07 mit der Staatskapelle Berlin und fand diese Wiedergabe nicht besonders interessant bzw. spannend. Sehr gut finde ich Boulez Wiedergabe der M2 31.05.05 (einer meiner M2 Favoriten) und das M10 Adagio in verschiedenen Radiomitschnitten.


    Von Norrington hat mir bisher keine Mahlerwiedergabe gefallen (vielleicht kommt noch die große Erleuchtung da bei mir) : M9 vom 05.09.08, M1 2001 Bremen, M2 20.01.06 -> war mir alles gleich-langweilig und gleichförmig musiziert, ohne Ecken + Kanten. Es fetzte überhaupt nicht. Gleiches gilt auch für Gergiev, aber er gefällt mir etwas besser als Norrington...


    Meine M3-Favoriten sind momentan (kann sich durchaus noch ändern): Bernstein die frühe mit NYP + seine DVD (70igern), Delfs (Milwaukee 2004 radio broadcast stereo), Dudamel 06.11.06 (tv-mono broadcast aus Mailand)


    Und nicht vergessen mal im Radiothread reinzuschauen, es gibt dort auch Infos über die neuesten Radio-Mahlereien:


    z.B. am Samstag (gleichzeitig mit einem Kegel-Boris => Twinreceiver mit Festplatte + mind. 2-fach-LMB )


    Kulturradio RBB 10.01.09
    20:04 BERLINER PHILHARMONIKER
    Die Berliner Philharmoniker spielen unter der Leitung von Zubin Mehta


    Gustav Mahler: Sinfonie Nr. 3 d-Moll
    Lioba Braun, Mezzosopran
    Damen des Rundfunkchors Berln
    Einstudierung: Robin Gritton
    Tölzer Knabenchor
    Einstudierung: Gerhard Schmidt-Gaden
    Leitung: Zubin Mehta
    Aufnahme vom 19.12.2008 in der Berliner Philharmonie


    Die M3-Mehta-Wiedergabe mit den Berlinern bekam vom Tagesspiegel ein gutes Feedback.


    :hello:


  • Bernstein (DGG, 1987)


    Meine einzige Aufnahme der Dritten, aber ich glaube, ich werde auch keine zweite brauchen: Die ist einfach perfekt.


    Zitat

    "eigentlich" meisterhaft interpretiert, aber aufgrund der extremen Tempi für mich nicht wirklich hörbar; beim Finale krieg ich die Krise ;-)


    Das kann ich nicht nachvollziehen. Gerade das Finale gelingt Bernstein m. E. überirdisch schön. Habe mal vergleichend Gergiev mit dem LSO angehört – furchtbar verhetzt am Ende.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Hallo Joseph,


    uneingeschränkte Zustimmung zu Mahlers 3. mit Leonard Bernstein, Christa Ludwig (!!!) und dem New York Philharmonic. Trotz der viel genannten Referenzen Horenstein und Barbirolli. (Kubelik auf audite soll auch sehr gut sein, kenne ich aber nicht. Seine DG-Studio-Version reicht m. E. nicht an Horenstein und Barbirolli heran.)


    Der erste und der letzte Satz sind doch Wahnsinn, nicht wahr? "Was mir das Felsgebirge erzählt" - wer hätte das so radikal archaisch gespielt wie Bernstein? Und der letzte Satz - wer außer Lenny hätte sich getraut, sich dafür 28 Minuten zu genehmigen? Normalfall sind um die 22 Minuten (Barbirolli/Hallé Orchestra 3. Mai 1969 sogar nur 20:25).


    Empfehlenswerte Aufnahmen haben noch Gielen (SWR SO) und Bychov (WDR SO) gemacht. (Die brauchen auch 24:30 bzw. 25:30 für den letzten Satz ... :) )


  • Ich habe diese CD noch als Doppel-LP und der letzte Satz dauert 28 Minuten.


    Zusammen mit Gielen, Abbado, Bertini, Nagano und Chailly bildet sie meinen Vorrat an Mahler 3, gehört habe ich zumindest noch Bernstein DGG und Tennstedt.
    Und ich finde diese Aufnahme mit dem kitschigen Covers hervorragend, auch wenn ich selbst den letzten Satz schneller hätte.
    Aber beim frühen Levine (1976) gab es noch sehr gute Binnenspannnung. Der 1. Satz ist der absolute Hit, so etwas habe ich nie wieder gehört.


    Das Cover habe ich bei Amazon USA kopiert, dort befinden sich auch recht hymnische Besprechungen.
    Allerdings wie so oft, ist die CD nicht so leicht zu kriegen.
    Und um mal Classics Today zu zitieren. (Besprechnung der Abbado Aufnahme)
    "Reference Recording - Bernstein (DG; Sony); Gielen (Hänssler); Salonen (Sony); Levine (RCA) "


    Gruß S.


  • Hallo Joseph,


    also wenn ich Dich richtig verstanden hab, dann kennst Du lediglich Bernstein-DG und Gergiev? Nun, für meinen Geschmack sind das mit die extremsten Aufnahmen; sowohl in die eine als auch in die andere Richtung. Gergiev geht für mich (bei Mahler) auch überhaupt nicht, aber dann Lenny als ideales Gegenstück zu sehen, wird der Sache m. E. auch nicht gerecht (ist aber Geschmacksache). Wo der eine zu unsensibel und unmahlerisch durch die Partitur knüppelt, übersteigert der andere m. E. die Tempi nahe an der Grenze der Enstellung (gerade im letzten Satz).


    Dicke Empfehlung als "Goldene Mitte": Nagano, Horenstein (ja!) und auch Zander. Und, wenn Du mal andere Extreme (hier im positiven Sinne!) hören möchtest: Schuricht und Mitropoulos. Zum Niederknien, trotz unzulänglichem Klang.



    @ alle Münchner: die von s.bummer hochgelobte Levine-Einspielung ist bei der Münchner Stadtbibliothek (Gasteig) verfügbar.


    Grüße aus dem endlich mal wieder sonnigen München
    Thomas


  • Hallo Medard,


    erst einmal vielen Dank für die ausführliche Besprechung der Neumann-Aufnahme!


    Was die Unterschreitung der 20-Minuten-Marke beim Finale angeht, kenne ich in der Tat noch eine andere Aufnahme: Soltis Einspielung mit dem London Symphony Orchestra von 1968. Die Zeitangaben: I 32.52, II 10.15 III 17.21 IV 9.37 V 4.12 VI 19.13. - Solti ist also noch eine dreiviertel Minute schneller als Neumann!


    Inkonsistent empfinde ich diese Tempodramaturgie nun durchaus nicht! Mahler sagte zum Sinn diesem letzten Satzes. "Das Ixionsrad der Erscheinung stillstellen". Das bezieht sich auf Schopenhauer - das Aushängen des ruhelosen Willens durch die ästhetische Erfahrung. Der Satz enthält jedoch keineswegs nur "ruhige" Momente, sondern auch sehr bewegte, in der die Erlösungssehnsucht zum Ausdruck kommt. Da gibt es Parallelen zum langsamen Satz der 4., wo sich die Ruhe auch zur leidenschaftlichen Bewegtheit steigert. Beide Symphonien hängen entstehungsgeschichtlich und konzeptionell zusammen. Man kann sich fragen, ob der Ausdruckssinn hier nicht weniger Ruhe ist, als in der nicht undramatischen Beruhigung eines unruhigen Gemüts besteht. Wie man das gewichtet, ist finde ich eine durchaus legitime Interprationsfrage, die Spielräume eröffnet. Bei Abbado, er braucht fast 27 Minuten, überwiegt die Ruhe. Auch das ist für mich absolut schlüssig, programmatisch richtig im Geiste Mahlers und zweifellos sehr beglückend schön. Es gibt freilich Interpreten, die um jeden Preis eine Sentimentalisierung von Mahlers Musik vermeiden wollen. Zu dieser Gruppe gehören offenbar Solti, Fritz Reiner und auch Vaclav Neumann.


    Zitat

    Original von Klawirr
    die Vokalsätze werden so zudem mit einem seltsam äußerlichen Pathos aufgeladen.


    Zitat

    Original von Klawirr Es dominiert vordergründige Bedeutungsschwere, die Neumann mit zum Teil aberwitzigen agogischen Schrullen zu erzeugen sucht.


    Zitat

    Original von Klawirr
    Zwischenzeitlich wollte ich fast nicht glauben, daß es Frau Ludwig ist, die da singt.



    "Pathetisch" ist mir Neumann noch nie vorgekommen! Ich besitze ja eine stattliche Sammlung seiner Aufnahmen und muß bezogen auf diesen Fundus sagen, daß ihm so etwas wie ein "pathetischer" Dirigierstil absolut fremd ist. Zudem weiß er, wie man mit Streichern umgeht - war als Bratschist Mitbegründer des Smetana-Quartetts. "Agogische Schrullen" habe ich in keiner einzigen Aufnahme von ihm festgestellt! Wer unter den großen tschechischen Dirigenten am ehesten noch so etwas wie Pathos vermittelt, ist Vaclav Talich, bei dem noch die Wagner-Tradition lebendig ist - er war Konzertmeister der Berliner Philharmoniker unter Artur Nikisch. Auch für mich erstaunlich, wie schwach Christa Ludwig ist. Da ist Jessye Norman bei Abbado um Klassen besser - auch für mich ideal! Ich finde Neumanns Aufnahme insgesamt ganz großartig. Abbados alte Aufnahme mit den Wienern ist wunderbar ausgefeilt, unglaublich schön. Ich schätze und mag sie nach wie vor auch wirklich sehr. Doch das ist fast schon "zu" schön - sehr "ästhetisierend". Das "Rohe" der unbelebten Natur geht bei Abbado im etwas zu kultivierten Spiel dann doch nahezu unter. Mahler selbst weist auf die Unbehaustheit des Gottes Pan hin - zur Erhabenheit der Natur gehören Angst und Schrecken. Das spürt man bei Neumann im ersten Satz. Zudem ist das Orchester - die Tschechische Philharmonie - fabelhaft. Das Posthornsolo (Miroslav Kejmar) jagt mir immer wieder einen Schauer über den Rücken. Das ist wunderbar gespielt!


    Beste Grüße
    Holger

  • Hallo zusammen,


    am vergangenen Samstag gab es in BR-Klassik einen Hörvergleich von Mahlers 3.


    Ich habe nur mit halbem Ohr gelauscht. "Sieger" des Vergleichs (wobei der Moderator einräumte, dass es bei so einem komplexen Werk keinen Sieger geben könne, sondern bei sehr vielen Einspielungen verschiedene Details mit unterschiedlichem Erfolg dargestellt werden) war die Aufnahme unter Bernard Haitink und dem CGO aus dem Jahre 1966. Sehr gelobt wurden auch ein Russe (Kondrashin?), Schuricht und Leonard Bernstein (die erste Einspielung).


    Bei Chailly wurde der letzte Satz bemängelt, dito Gergiev ("brutal" - im Gegensatz zur Partiturvorschrift "Nicht mit roher Kraft"). Boulez wurde verworfen, weil er zu sachlich bleibt. Die Darstellung von Gielen wurde gelobt ausgenommen die humoristischen Stellen der Partitur, wofür er kein Händchen habe.

  • Hallo, Wolfram, hallo, miteinander!


    Die Sendung hat Thomas Schulz geschrieben und moderiert. Interessanterweise kann man zwei oder drei seiner Besprechungen der 3. Sinfonie von Mahler auch bei "rondo" im Internet nachlesen.


    Selber besitze ich die Aufnahmen mit Horenstein und mit Solti (Chicago) jeweils im Rahmen der einschlägigen Gesamteinspielungen, die auch in diesem Forum bzw. Thread schon genannt wurden.


    Schulz hat - schon rein zeitbedingt - das Werk exemplarisch beleuchtet und eher selten mehrere Einspielungen (anhand einer kurzen Passage) extensiv diskutiert. Augenscheinlich stand für ihn das bildkräftige Element stärker im Vordergrund als nüchterne Transparenz - obwohl meines Erachtens seine Sicht der Dinge insgesamt schon als ausgewogen, differenziert und wirklich sachkompetent bezeichnet werden darf.


    Aufgrund seines spezifischen Wertungsschwerpunktes hatten es die Aufnahmen von Gielen oder Zinman, stärker noch Boulez eindeutig schwerer als etwa Bernstein oder Zander. Persönlich kam mir Horenstein etwas zu kurz. Andererseits hätte man sicher auch noch Inbal, Neumann, Abravanel, Salonen und andere diskutieren können - wie gesagt, ein Zeitproblem.


    Ich glaube fast, Wolfram, dass der "Russe" Mitropoulos war (wäre dann ein Grieche ;)). Ob Kondrashin auch genannt wurde und Mitropoulos wirklich so positiv wegkam ?? - Gut, ich weiß es auch nicht mehr genau.


    Für mich, der die Dritte viel zu wenig kennt, viel zu selten bisher am Stück gehört hat, war die Sendung vor allem eine Anregung zur Horizonterweiterung. Zwei wirklich gute (und anno dunnemals in der Anschaffung sehr preisgünstige) Einspielungen scheine ich ja zu besitzen. :]


    :hello: Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Hallo zusammen,


    bei dem Preis konnte ich nicht widerstehen und habe mir die o. g. empfohlene Mahler 3. mit Haitink besorgt (es ist auch das "klagende Lied" dabei, welches ich noch nicht hatte"):



    Eine tolle, sehr natürlich wirkende Einspielung. Nichts wirkt "gemacht". Rund von Anfang bis Ende. Leider ist die Solistin nicht allererste Liga (wie gut war doch Christa Ludwig ...).


    Zusammen mit den beiden Bernstein-Aufnahmen auf CD mein Favorit, wobei mir die frühere noch etwas besser gefällt. Die spätere ist mit ihren breiten Tempi was für seltene Anlässe, dann aber ... und natürlich ist John Alessi an der ersten Posaune im Kopfsatz ein Erlebnis, ein Ereignis ... :jubel: :jubel: :jubel: :jubel: :jubel:

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose