Wurde Robert Schumann zum Tode verurteilt?

  • Salut,


    Frage an alle, die sich mit dem Leben Robert Schumann's auskennen (tue ich nicht, obwohl ich in unmittelbarer Nähe seines Sterbehauses gelebt habe):


    Ich habe dort (im Schumannhaus in Bonn-Endenich) kürzlich einen Brief entdeckt, den Schumann kurz vor seinem Tode an seine Frau Clara geschrieben hat. Ich konnte aus diesem Brief weder eine "kranke Stimmung" Schumann's noch eine "krankhafte Schrift" erkennen. Wie kann das sein?


    ?(


    Danke für allerlei Erklärungen...


    Ulli



    [Anmerkung: Siehe auch folgenden thread mit ähnlicher Thematik:
    Musik, Krankheit und Politik – Schumann und die Grenzlinie von 1850 TB]

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Hallo Ulli,


    Schumann litt wohl an einer Art Melancholie und zeitweise an Depressionen. Früher wurde dies alles unter den Begriff "Gemütskrankheit" geführt und getreu dem Wort "mens sana ..." wurde diese Krankheit mit aushungern behandelt, damit der Körper die Gifte ausspülte, die das Gemüt verdüstern. Schumann ist also erfolgreich zu Tode gehungert worden. Aber das nur nebenbei.


    Schau Dir heutige Menschen mit derartigen Symptomen an. Die sind auch nicht die ganze Zeit benebelt sondern erleiden schubweise derartige Anfälle. Im Zuge eines solchen Schubs ist dann Schumann wohl auch in den Rhein gesprungen.


    Von dieser Warte ausgesehen ist es nicht verwunderlich, dass der hochintelligente aber zu Melancholie neigende Schumann durchaus solche Briefe schreiben konnte.

    Beste Grüße aus Bonn
    Matthias


    Ich tu', was meine Pflicht gebeut, doch hass' ich alle Grausamkeit (ROCCO)

  • Gegen alle Legenden dieser Art empfehle ich das Buch von Peter Härtling "Schumanns Schatten". Der Komponist litt unter schwerer manisch-depressiven Krankheit, vgl Van Gogh.

  • Zitat

    Schau Dir heutige Menschen mit derartigen Symptomen an. Die sind auch nicht die ganze Zeit benebelt sondern erleiden schubweise derartige Anfälle.


    hallo Rocco,


    diese Aussage von dir läßt nicht gerade darauf schließen, dass du ein besonderer Experte für psychiatrische Erkrankungen wärst.


    Zur Klarstellung: Depressive sind überhaupt nicht "benebelt"; ihr Fähigkeit zu Denken ist in keiner Weise eingeschränkt; Depressionen verlaufen auch nicht typischerweise in Schüben (das ist vielmehr bei Erkrankungen der Gattung Schizophrenie typisch).


    Ich bin zwar nicht im Detail über Schumanns Leiden informiert, aber meines Wissens litt er an einer sog. Paralyse, die durch eine luetische Infektion Jahre davor ausgelöst wurde. Dass er ausgesprochen introvertiert war, hat damit nichts zu tun und ist auch keine Erkrankung im eigentlich Sinn sondern eine spezielle Ausprägung seiner Persönlichkeit.


    lg
    Hyperion

  • Zitat

    Gegen alle Legenden dieser Art empfehle ich das Buch von Peter Härtling "Schumanns Schatten".


    hallo peet,


    da sollte man aber schon dazusagen, dass dies ein Roman und keine wissenschaftliche Biografie ist!
    In diesem Sinne ist auch dieses Buch natürlich legendenstiftend.


    lg
    Hyperion

  • Hallo,


    Ganz richtig wurde hier bemerkt, daß es sich bei den sogenannten Psychosen, Heute oft "Geisteskrankheiten" genannt zumeist um gemütsverändernde Krankheiten handelt, nicht um solche, die den intellektuellen Bezug zur Realität kappen, zumindest nicht signifikant.


    Robert Schumann hat, soweit mir bekannt, nach seinem Selbstmordversuch selbst um die Einweisung in die Klinik gebeten.


    Wenn man das Internet durchforstet, dann findet man immer wieder die Begriffe"Geisteskrankeit", "Schreckliche Geisteskrankheit" (gibt es eine die nicht schrecklich ist ?) und dergleichen mehr....


    Die Internetsite Wissenschaft und Dokumentation sei hier kurz zitiert.
    Sie veröffentlicht alle posthumen Diagnosen Schumanns, erstellt von führenden Psychiatern, bzw Neurologen ihrer Zeit.


    Zitat

    Schumann. Gestorben: Paralyse (Richarz 1873). Keine Paralyse, sondern Dementia praecox (Möbius 1906). Keine Dementia praecox, sondern Zyklothymie (leicht man.-depr.) bis 1850; dann wahrscheinlich Paralyse oder schwere organische (vielleicht luetische) Hirnerkrankung (Gruhle 1906). Endogen krank (Möbius 1907). Man.depr. (Nathan, Dupre). "Psychasthenie constitutionelle"; Angstneurose. Paralyse (Pascal 1908). Sohn psychotisch (Blaschke 1909). Psychopathie mit Depressionen. Ab 1850 Paralyse oder ähnliche exogene Hirnerkrankung (Lues cerebri usw.).


    Eigentlich wurde nichts ausgelassen.


    Aber egal welche Krankheit es war, heilbar war sie damals nicht.
    Heute übrigens auch nicht, allerdings ermöglichen die modernen
    Neuroleptika in vielen Fällen einen symptomärmeren Verlauf und ein für den Patienten erträgliches Leben.Es gibt (umstrittene ) Studien, die belegen, daß Patienten mit Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis, (katatonisch-kataleptisch oder paranoid) durch Hospitalisierung zusätzlichenen Schaden erleiden. Das Problem ist, daß diese aber oft unumgänglich ist.
    Schumann hatte eigentlich überhaupt keine Chance, keine Behandlung, die heute als lindernd gilt war damals bekannt.
    Man beschränkte sich auf die Verwahrung des Patienten und wartete auf Selbstheilung, etwas das tatsächlich öfter auftritt, jedoch waren die Ärzte sich damals ziemlich sicher daß für Schumann keine Hoffnung bestand, er hatte einen schleichenden Verlauf, der angeblich irreversiebel ist, im Gegensetz zu jenen Krankheitsbildern, die wie aus "heiterem Himmel" kommen....


    Freundliche Grüße aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Robert Schumann hat, soweit mir bekannt, nach seinem Selbstmordversuch selbst um die Einweisung in die Klinik gebeten.



    Hallo Alfred,


    da muß ich aber heftigst protestieren! Naja, über diese Klapseneinweisung Schumanns sind viele Gerüchte in Umlauf. Konkrete Infos diese Sache betreffend sind rar.


    Sehr informativ finde ich, was Eva Weisweiler (das ist die Frau, die den Briefwechsel zwischen Robert und Clara neu herausgebracht hat) in ihrer Clara Schumann-Biographie schreibt.


    Zitat

    Robert, [...] klagte wieder darüber, immerfort A und verschiedene Intervalle zu hören. Er müsse sich schonen, einen anderen Arzt nehmen, sagte sie [Clara], nötigte ihn, früh zu Bett zu gehen, und blieb die ganze Nacht aufrecht neben ihm sitzen. "Wunderbare Leiden" schrieb er in sein Haushaltsbuch, als sich die Intervalle zu ganzen Kompositionen verdichteten und die Musik, die seit ihrer Rückkehr "äußerlich" geschwiegen hatte, wenigstens "innerlich" zu ihm zurückkam.
    Da Doktor Hasenclever zu sehr Musikfreund war, um zu bestätigen, daß dies bereits Wahnvorstellungen waren, zog Clara einen Militärarzt, Doktor Böger, hinzu, der Robert in gewünschter Weise für verrückt erklärte, obwohl er Noten korrigierte und Briefe schrieb wie seit Jahr und Tag und auch seinem Freund Becker, der ihn, von Clara zu Hilfe gerufen, besuchte, ganz wie immer erschien.


    Das war gut zwei Wochen vor jenem Rosenmontag, an dem Schumann "mit Ruhe und Entschlossenheit" von einer Brücke aus in den Rhein sprang. Danach ging es ganz schnell mit der psychiatrischen Unterbringung:


    Zitat

    Man engagierte zwei kräftige Wärter und beschloß, ihn in eine Irrenanstalt zu bringen. Zu diesem Zweck setzten Hasenclever und Böger ein Attest auf, vermerkten darin "des Kranken Vor- und Zunamen, Geburts- und Wohnort, in welchem Kreis und unter welcher Gerichtsbehörde er seinen Wohnsitz hatte. [...] Am 4. März kam eine Droschke, um ihn abzuholen. Seinen sechs Kindern, die hinter der Gardine standen, hatte man gesagt, er käme bald genesen zurück.


    Daß Clara Robert in der Irrenanstalt nie besuchte, und ihm den ersten Brief erst auf Bitten von Doktor Richarz am 12. September (!!) schrieb, kratzt das Bild von der treusorgenden Ehefrau doch sehr an.


    Eine sehr ernste und sehr traurige Geschichte...


    Gruß
    Heinz

  • hallo Rocco,


    Hallo Hyperion


    diese Aussage von dir läßt nicht gerade darauf schließen, dass du ein besonderer Experte für psychiatrische Erkrankungen wärst.


    <<Das habe ich auch nie behauptet


    Zur Klarstellung: Depressive sind überhaupt nicht "benebelt"; ihr Fähigkeit zu Denken ist in keiner Weise eingeschränkt; Depressionen verlaufen auch nicht typischerweise in Schüben (das ist vielmehr bei Erkrankungen der Gattung Schizophrenie typisch).


    <<Gut, „benebelt“ ist vielleicht der falsche Ausdruck. Jedoch würde ich schon von einer eingeschränkten Fähigkeit zu denken sprechen, wenn man, wie es bei Schumann offensichtlich der Fall war, von den typischen Symptomen einer depressiven Phase heimgesucht wird. Hierzu kann ich nur diese Seite empfehlen, die auch bei manisch-depressiven Phasen von „Schüben“ spricht.


    Ich bin zwar nicht im Detail über Schumanns Leiden informiert, aber meines Wissens litt er an einer sog. Paralyse, die durch eine luetische Infektion Jahre davor ausgelöst wurde. Dass er ausgesprochen introvertiert war, hat damit nichts zu tun und ist auch keine Erkrankung im eigentlich Sinn sondern eine spezielle Ausprägung seiner Persönlichkeit.


    <<Es wird teilweise auch behauptet, dass Schumann an Syphilis litt, die zu einer Gehirnerweichung geführt und auch seine von Zeit zu Zeit auftretenden Wahnvorstellungen und Ohrengeräusche verursacht hätte. Interessant sind einige Fakten aus der Frühzeit:
    Er legte sich zwei Pseudonyme zu: "Florestan" ( leidenschaftlicher Held ) und "Eusebius" ( empfindsame Introvertierter). Diese beiden begannen sich 1831 in seinen Tagebücher miteinander zu unterhalten – ein Hinweis auf Schizophrenie? Aus seiner Familie erbte er die Veranlagungen zu periodischen Depressionen, Suizid und Schwermut. Er wurde deswegen von seiner Mutter getrennt, was ihn zu dem Lied „Ich hab' im Traum geweint“ inspirierte.
    Viele Fragen, keine Antworten? Mal schauen, was noch so an Kommentaren kommt.

    Beste Grüße aus Bonn
    Matthias


    Ich tu', was meine Pflicht gebeut, doch hass' ich alle Grausamkeit (ROCCO)

  • Ich habe hier auf zwei im Schumann-Jahr 2006 erschienene Bücher hingewiesen, die zur Diskussion dieser Fragen wesentliches beitragen - die Lektüre kann ich niemandem ersparen.


    Härtlings Roman sollte als solcher gesehen werden und nicht als verlässliche fundierte Analyse!


    Frau Weissweiler hat leider m.E. eine Übertragungskiste mit Clara Schumann (im psychoanalytischen Sinne) - so sehr ich ihre Arbeit als Herausgeberin der Schumann-Briefe und Forscherin über Komponistinnen schätze, ist sie in Sachen Ehepaar Schumann tendenziös - das Fehlen des wissenschaftlichen Apparats in ihrer Biografie macht es leider auch schwer, ihr zu folgen.


    Dieter Kühn dagegen sagt es dazu, wenn er spekuliert, und nimmt einen auf dem gedanklichen Weg an die Hand, man kann ihn nachvollziehen und ihm zustimmen oder nicht - aber seine Deutungen der Ereignisse um die Einweisung Schumanns sind verblüffend plausibel!


  • Zitat

    Original von Rocco
    Interessant sind einige Fakten aus der Frühzeit:
    Er legte sich zwei Pseudonyme zu: "Florestan" ( leidenschaftlicher Held ) und "Eusebius" ( empfindsame Introvertierter). Diese beiden begannen sich 1831 in seinen Tagebücher miteinander zu unterhalten – ein Hinweis auf Schizophrenie?


    Das Doppelgängermotiv spielt z.B. im Werk von Schumanns Lieblingsschriftsteller Jean Paul und auch sonst in der Literatur des 19. jahrhunderts eine große Rolle, ohne daß Jean Paul gleich ähnliches unterstellt wird - wenn er auch kein auch nur annähernd so gravierend Krankheitsbild zeigte. Diese Bilderwelt war völlig anders als unsere heute, und ein Psychoanalytiker hat da leichtes Spiel, lebt aber in völlig anderen Gedankenwelten. Dabei haben Autoren wie Edgar Poe und Jean Paul (der mal vom Unterbewußten - lange bevor Freud diesen Ausdruck prägte - als "jenem inneren Afrika" sprach) viel von der geistigen Grundlage geschaffen, auf der Psychologie und Psychoanalyse erst entstehen konnten. Aber in gängige Ideenwelten früherer Zeiten gleich psychotische Ansätze zu sehen, das geht mir zu weit. In den letzten zehn bis zwanzig Jahren grassieren die Bücher von Schriftstellern und Psychoanalytikern über Künstler - das hat ebenso viel mit denen zu tun wie mit den Persönlichkeiten der behandelten Künstler.

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • An die Moderatoren:
    Dieser Thread und der andere über Schumanns Krankheit - "Musik, Krankheit und Politik" könnten doch eigentlich zusammengelegt werden?

  • Zitat

    Original von miguel54
    An die Moderatoren:
    Dieser Thread und der andere über Schumanns Krankheit - "Musik, Krankheit und Politik" könnten doch eigentlich zusammengelegt werden?


    Das Inneinanderschieben dieser threads, die schon 2005 parallell liefen, verursacht leider ein ziemliches Chaos in der Chronologie. Da ist es besser, dem Ordnungswillen nicht nachzugehen, als dann soetwas zusammengewürfeltes zu bekommen. Aber ich werde die beiden threads gegenseitig im jeweiligen Eröffnungsbeitrag verlinken


    p.s.: Korrektur: sie würden doch kein chronolöogishes Chaos auslösen, aber wenn wir die threads vereinen würden, würde Walters Thread in Ullis thread einverleibt werden und ich denke, dass Walters Eröffnungsbeitrag ein Threaderöffnungsbeitrag bleiben sollte. Ein organisatorisches und verlinkungstechnisches Chaos würde aber u.U. doch entstehen. Lieber unpraktischerweise zwei Parallelthreads statt Chaos mit Zusammenlegungen anrichten.

  • Ich weiss nur, dass es Peter Härtling gelang, Einsicht in die bis dato streng unter Verschluss gehaltenen Krankenakten Robert Schumanns zu bekommen.


    Natürlich ist das Buch - Schumanns Schatten - "nur" eine Romanabhandlung. Doch wer seinen Hölderlin etc gelesen hat, weiss, wie genau Peter Härtling sich an die chronologischen Vorgaben gehalten hat.
    Sowohl sein "Hölderlin - ein Roman" wie auch "Schumanns Schatten" habe ich mit großem Interesse gelesen. Wenngleich der Wortlaut Peter Härtlings nicht unbedingt der des Robert Schumanns gewesen sein muss, aber sinngemäß glaube ich schon an eine Übereinstimmung.
    Mich hat das Buch sehr aufgewühlt, denn die damaligen therapeutischen Massnahmen der Psychiatrie erinnern irgendwie an Folter. Kaum vorstellbar, dass solch drastische Kuren dem Betroffenen Besserung, geschweige dann Heilung bringen konnten.


    Mit lieben Grüßen,
    diotima.

  • Liebe Diotima, was die "Foltermethoden" der Psychiatrie angeht, muss man gar nicht bis zu Schumann zurückgehen.
    Wenn man sich mal ein bisschen in die Geschichte der Medizin einliest, glaubt man seinen Augen nicht.
    Ich habe mich mal mit der Pariser "Salpetrière"(eine sehr berühmte psychiatrische Anstalt, in der der Lehrer Freuds, Charcot nebst Schüler, seine umwälzenden Hysterie-Fallstudien machte) zu Freuds Studienzeiten befasst und dort wurden die "gestörten" Frauen teilweise wie wilde Tiere behandelt, mussten eiskalte Bäder über sich ergehen lassen, wurden gefesselt etc-von sexuellen Übergriffen will ich erst gar nciht anfangen.
    Und das war schon deutlich nach Schumann.
    Da ich selbst einige Monate auf einer geschlossenen psychiatrischen Station gearbeitet habe, weiss ich , wie schwierig das auch heute noch ist, in Extremsituationen Menschenwürde zu bewahren.



    Von Härtlings Schubert und Hölderlin-Romanbiographien war ich auch sehr angetan!


    Fairy Queen

  • Ich stelle Härtlings Einfühlungsvermögen nicht in Frage, finde das Buch auch fesselnd, seinen Hölderlin famos, nur sollte man eben einen Roman nicht zur Grundlage von Beurteilungen nehmen, weil man zwangsläufig zu weit weg vom Boden der Tatsachen kommt. Als Einfühlungshilfe, gern, aber inzwischen kann jeder in dem Buch über Schumann in Endenich die Krankenakte einsehen und lesen - bzw. das was davon übrig ist. Die nicht unbedenkliche Fragmentierung der Krankenakte erwähnt Härtling nicht, auch nicht Dagmar Hoffmann-Axthelm, die sie als erste in einem Buch über Schumann verarbeitet hat (Robert Schumann: "Glücklichsein und tiefe Einsamkeit". Ein Essay. Stuttgart: Reclam 1994). Die Interpretationen dieser Akte im Buch über Schumann in Endenich sind tiefschürfend und von verschiedenen Aspekten geprägt und lassen dennoch keine eindeutige Interpetation zu: da spielt meiner Ansicht nach die Individualität jeden Leidens und eine komplexe Interaktion verschiedener psychischer und physischer Prozesse eine große Rolle. Mir bedeutet Schumann als Mensch und Musiker so viel, daß ich ihn nicht gern in eine eindeutige und ihm mit Sicherheit nicht passende Kiste gezwängt sehen möchte - genau das ist ihm ja schon damals angetan worden, und wir heute sollten das deshalb unbedingt vermeiden.
    Die Geschichte des Verschwindens und Wiederauffindens der Akte, und wie und warum sie unter Verschluß war, ist auch alles beschrieben. Ich kann die Lektüre nur empfehlen.

  • "Daß Clara Robert in der Irrenanstalt nie besuchte, und ihm den ersten Brief erst auf Bitten von Doktor Richarz am 12. September (!!) schrieb, kratzt das Bild von der treusorgenden Ehefrau doch sehr an."


    Lieber Heinz


    um für Claras Verhalten eine Erklärung zu bekommen, muss man vielleicht wissen, daß in der modernen Anstalt Dr. Richarz´ seine Patienten nach der aus England stammenden Methode "no restraint" behandelt worden sind. Eine der vielen Neuerungen war demnach die völlige Trennung der Geisteskranken von ihren nächsten Angehörigen, da die meisten Patienten nach Familienbesuchen oft unruhig und aggressiv wurden.


    Die Klinik in Endenich wurde von Dr. Richarz nach seiner Assistentenzeit errichtet. Er war zweifellos einer der hervorragendsten Psychiater, der die Entwicklung der modernen Psychiatrie vorantrieb.


    Das Gebäude hatte nur für 14 psychiatrische Patienten eingerichtete Räume nach dem Vorbild einer in England befindlichen Irrenanstalt - geleitet von John Conolly (1794-1866) - in der niemandem mehr Gewalt angetan werden durfte und etwas Bewegungsfreiheit zugestanden wurde.


    Jedoch bereits 10 Jahre später wurde die Anstalt wegen des großen Zulaufs vergrößert. Zum Zeitpunkt der Einlieferung Robert Schumanns wurden dort bereits 60 Patienten betreut.


    Die Anstalt wurde 1925 geschlossen.


    Am 23. Juli 1856 dem 3. Jahr seines Anstaltsaufenthaltes traf Clara in Brahms` Begleitung in Endenich ein. Schumann hatte soeben einen "Zungenkrampf" erlitten und man liess Clara nicht zu ihm. Erst am Sonntag, den 27. Juli durfte Clara ihn sehen. Brahms berichtete: "Ich erlebe wohl nie wieder so Ergreifendes wie das Wiedersehen Roberts und Claras. Er lag erst länger mit geschlossenen Augen und sie kniete vor ihm. Er erkannte sie aber hernach und begehrte deutlich sie zu umarmen und schlug einen Arm weit um sie. Sprechen freilich konnte er schon länger nicht mehr."


    2 Tage später starb Schumann.

    WHEN MUSIC FAILS TO AGREE TO THE EAR;
    TO SOOTHE THE EAR AND THE HEART AND SENSES;
    THEN IT HAS MISSED ITS POINT
    (Maria Callas)

  • Liebe nala ,
    liebe Forianer !


    Nala Du hast mit wenigen Sätzen sehr Zutreffendes über die damls sehr fortschrittlichen Behandlungsmethoden durch Dr. Richarz und seinen Assistenten Dr. Peters geschrieben .


    Ganz überwiegend wird seit H W Gruhle bei Robert Schumann die Diagnose gestellt :


    1. Manisch - depressive endogen Psychose u n d


    2. Progressive Paralyse als Spätfolge der in Heidelberg erlittenen Syphilis-Erkrankung , die damals nicht behandelbar gewesen ist .


    Grüsse .


    Frank


    Literatur :


    Möller , H J et al. ( Hrsg.) Psychiatrei und Psychotherpie ; 3.A., 2005 , Thieme ( Duale Reihe )


    Bechyna F G : Deutsches Ärzteblatt , 2008

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin