Bernd Alois Zimmermann - ein Grenzgänger zwischen den Zeiten

  • In Anbetracht der inzwischen wieder einmal ausverkauften Aufführungsserie der Oper „Die Soldaten“ im Rahmen der Ruhrtriennale möchte ich einen der gleichzeitig bekanntesten und rätselhaftesten Komponisten des 20. Jahrhunderts ins Gespräch bringen: Den Kölner Bernd Alois Zimmermann (1918 – 1970).




    Zimmermann wuchs im ländlich-katholischen Milieu der Eifel auf. Sein Vater war Beamter bei der Reichsbahn und Nebenerwerbslandwirt. Zimmermann legte 1937 auf einem katholischen Gymnasium in Köln das Abitur ab. Er studierte ab 1938 Schulmusik, Musikwissenschaft und Komposition an der Hochschule für Musik Köln. 1940 bis 1942 war er bei der Wehrmacht. 1947 legte er seine Examina ab. Von 1948 bis 1950 nahm er an den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik teil, unter anderem bei René Leibowitz und Wolfgang Fortner, und arbeitete 1950-52 als Lektor für Musiktheorie am Musikwissenschaftlichen Institut der Kölner Universität.


    Schon ab 1946 war Zimmermann als Komponist tätig, insbesondere auch für den NWDR (dem späteren WDR), wo er auch Musik zu Hörspielen schrieb. 1950 bis 1952 war er Lektor für Musiktheorie an der Kölner Universität. 1958 wurde er als Nachfolger von Frank Martin Professor für Komposition an der Hochschule für Musik Köln.
    In den 1960er Jahren etablierte er sich als erfolgreicher Komponist: Er gewann mehrere Preise, so 1960 den Großen Kunstpreis von Nordrhein-Westfalen, 1966 den Kunstpreis der Stadt Köln, und 1957 und 1963 Stipendien für die Villa Massimo. 1965 wurde er Mitglied der Berliner Akademie der Künste. Einen Ruf als Kompositionsprofessor an die Berliner Hochschule der Künste lehnte er 1968 ab.
    Zum Ende des Jahrzehnts verstärkten sich bei Zimmermann depressive Tendenzen, die immer kritischer wurden. Außerdem litt er an einem inoperablen Augenleiden. Dies und die pessimistische Sicht der Dinge, die sich in seinen letzten Werken mitteilt, können als etwas gesehen werden, das seine Entscheidung zum Selbstmord im August 1970 mit beeinflußt hat.


    Die Sprache Bernd Alois Zimmermanns:


    Zimmermann begann mit Werken in der Tradition der 1920er Jahre, mit expressionisischer Färbung und den Ausdrucksmitteln der zweiten Wiener Schule. Ab dem Ende der 1950er Jahre fand er dann zu einer eigenen Sprache, die damals mit nichts vergleichbar war. In seinem letzten Werk, "Ich wandte mich und sah an alles Unrecht, das geschah unter der Sonne" (1970) Ekklesiastische Aktion für 2 Sprecher, Baß-Solo und Orchester verwendete er Texte aus dem Prediger Salomo (Kohelet) sowie aus dem Kapitel "Der Großinquisitor" aus "Die Gebrüder Karamasow" von Fjodor Dostojewskij. Aus dem Romankapitel über die Wiederkunft Christi im 16. Jahrhundert in "der südlichen Stadt, in der gerade erst am Tage vorher in "prunkvollem Autodafé" in Gegenwart des Königs, des Hofes, der Ritter, der Kardinäle und der schönsten Hofdamen der Kardinal-Großinquisitor vor der zahlreichen Einwohnerschaft ganz Sevillas fast ein ganzes Hundert Ketzer auf einmal hat ad majorem gloriam Dei verbrennen lassen" (DTV-Ausgabe 1995, S. 335), zitiert die Ekklesiastische Aktion gerade die entscheidenden, besonders schmerzhaften Passagen, so auch das "Wir sind nicht mit Dir, sondern mit ihm, das ist unser Geheimnis!" (DTV-Ausgabe, S. 347), das der Großinquisitor zu dem gefangen genommenen Jesus spricht. Bei Dostojewskij setzt sich die Passage so fort: Vor genau acht Jahrhunderten haben wir von ihm das angenommen, was du entrüstet zurückgewiesen hast, jene letzte Gabe, die er Dir anbot, als er Dir alle Reiche der Welt zeigte... (vgl. Matthäus 4)


    Zimmermanns letztes Werk vor seinem Selbstmord endet mit einem Zitat aus Johann Sebastian Bachs Kantate "O Ewigkeit, du Donnerwort" ("Es ist genug..." ) als dem letzten Kommentar. Fünf Tage nach Vollendung des Werkes - am 10. 8. 1970 - nahm sich Bernd Alois Zimmermann das Leben.


    In der musikalischen Grundidee ist das „Requiem für einen jungen Dichter“ Lingual für Sprecher, Sopran- und Baritonsolo, drei Chöre, elektronische Klänge, Orchester, Jazz-Combo und Orgel nach Texten verschiedener Dichter, Berichte und Reportagen mit „Ich wandte mich…“ zu vergleichen. An diesem Werk arbeitete Zimmermann zwischen 1967 und 1969. Erste Ideen hierzu gab schon 1956. In einem Brief an den NWDR vom 1. November 1956 schreibt Zimmermann von einem Oratorium über die letzten Dinge, mit Texten u.a. aus Psalm 139 und 148 und Textausschnitten der Bhagavadgita, Boethius, Novalis Hymnen an die Nacht, Dostojewskijs Großinquisitor, James Joyce Ulysses und anderem. 1963 sieht das Projekt so aus, dass es ein „Nachruf auf Sergej Jessenin“ von Wladimir Majakowskij werden sollte, einschließlich der Mitwirkung eines Arbeiterchores von 300 Sängern. In der endgültigen Fassung ist das Requiem eine Spiegelung der Geschichte des 20 Jahrhunderts von 1920 – 1970. Die Texte sind auf 3 Chöre, Sprecher und 4 Tonbänder verteilt und enthalten den lateinischen Requiem-Text ebenso wie Philosophische Untersuchungen von Ludwig Wittgenstein, Alexander Dubceks Rede vom 27.8.68 nach der Niederschlagung des Prager Frühlings, Papst Johannes des 23. Ansprache im 2. Vatikanischen Konzil, aus James Joyces Ulysses den Monolog der Molly Bloom, Teile des Grundgesetzes der Bundesrepublik, aus Aischylos Prometheus und aus einer Parlamentsrede Andreas Papandreous, von Wladimir Majakowskij den Nachruf auf Sergei Jessenin, einer Rede des ungarischen Ministerpräsidenten Imre Nagy vom 31.10.56 während des Ungarischen Volksaufstandes und Texte von Mao, Kurt Schwitters, aus Hitlers Rede anlässlich des Einmarsches in die Tschechoslowakei vom 16.3.1939 und von Neville Chamberlain 1938. Außerdem musikalische Zitate von Messiaens „L`Ascension“, Richard Wagners Liebestod und von Zimmermanns eigener Sinfonie in einem Satz. Dies alles nur in den ersten 25 Minuten des über eine Stunde langen Werkes.


    In der Mitte des Werkes steht ein „Ricercar“ über eine Passage aus Konrad Bayers „Der sechste Sinn“: „frage: worauf hoffen? Es gibt nichts was zu erreichen wäre außer dem Tod. Also, üblicherweise wird versucht ein ziel möglichst schnell zu erreichen, wenn es bekannt. Ich habe gegen meine natur versucht und gegen meinen instinkt (!) den optimistischen Standpunkt einzunehmen. Ich habe viel versucht. Ich habe gegen mein besseres wissen behauptet: das leben ist wert gelebt zu werden um seiner selbst willen. Wie dumm, ein vorwand diese unangenehme prozedur nicht vornehmen zu müssen…


    Das „dona nobis pacem“ am Schluss des Werkes wird kontrapunktiert mit einer Tonbandmontage von politischen Demonstrationen und dem Satzanfang des 4. Satzes aus Beethovens Neunter, dem „Hey Jude“ der Beatles und Reden von Stalin und von Roland Freisler.


    Zimmermanns Oper Die Soldaten nach dem Schauspiel von Jakob Michael Reinhold Lenz, an der er zwischen 1957 und 1965 arbeitete, ist in der Textstruktur einfacher, nicht aber in der musikalischen Komplexität. Das Sturm-und-Drang-Drama um die Kaufmannstochter Marie, deren Leben zerstört wird, als sie sich mit dem französischen Offizier Desportes einlässt, gestaltet Zimmermann zu einem Antikriegsstück, dass über den zeitlichen Rahmen hinaus die Gewalt zum Thema hat, die Menschen einander antun. Auch hier, wie auch im Requiem, setzt Zimmermann zeitliche Abläufe nicht nacheinander, sondern nach dem Prinzip der „Kugelgestalt der Zeit“ in Bezug zueinander: „Die Betrachtung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist eine Frage des Aspekts. Der Zuschauer sitzt im Zentrum einer Kugel, rund um ihn herum die Zeit, ein Kontinuum, was er gerade betrachtet, ist von seinem Blickwinkel abhängig. Denn: Was sich jetzt ereignet, ist bereits im Augenblick des Geschehens Vergangenheit, was immer wir tun – wir determinieren die Zukunft, und die Zukunft hat bereits die Vergangenheit bestimmt – die Tempora sind austauschbar.“ (Dieses Zitat und die Hinweise auf das Requiem für einen jungen Dichter stammen vorwiegend aus den beiden Texten des Booklets der CD des Requiems, die als Konzertmitschnitt vom 23. und 24. September 1986 zur Eröffnung der Kölner Philharmonie bei WERGO erschienen ist. Die Texte stammen von Wolfgang Becker-Carsten und Klaus Ebbeke, das Zitat steht bei Becker-Carsten: "Bernd Alois Zimmermann Requiem für einen jungen Dichter" auf Seite 2)

  • Und, liebe Taminesen und Taminesinnen: Wer hat den Mut, für ein Werk Bernd Alois Zimmermanns zu werben? Wer möchte etwas zu der Inszenierung der Soldaten in den Ruhrfestspielen sagen oder zu einer anderen Aufführung dieser Oper? Wer kann von Erfahrungen mit Werken Zimmermanns zwischen den zurückhaltenden und traditionell gefärbten Anfängen in den 1940er Jahren und den großen, endzeitlichen letzten Werken berichten? Die Diskussion ist eröffnet...

  • Schon lange habe ich vor, mich mit dem Werk von Bernd Alois Zimmermann näher zu beschäftigen.
    Für den Anfang ist erst einmal geplant, die von Dir eingangs erwähnte Aufführung der "Soldaten" eingehend zu betrachten (zumindest akustisch):


    Am kommenden Sonntag, 07. November 2007, 20:05 - 22:30

    WDR 3 Bühne: Radio


    Die Soldaten
    Oper in 4 Akten von Bernd Alois Zimmermann nach dem gleichnamigen
    Schauspiel von Jakob Michael Reinhold Lenz
    Wesener, ein Galanteriehändler in Lille: Frode Olsen
    Marie, seine Tochter: Claudia Barainsky
    Charlotte, seine Tochter: Katharina Peetz
    Weseners alte Mutter: Hanna Schwarz
    Stolzius: Claudio Otelli
    Stolzius´ Mutter: Kathryn Harries
    Obrist, Graf von Spannheim: Andreas Becker
    Desportes, ein Edelmann: Peter Hoare
    Pirzel, ein Hauptmann: Robert Wörle
    Eisenhardt, ein Feldprediger: Jochen Schmeckenbecher
    Haudy, ein Hauptmann: Adrian Clarke
    Mary, ein Hauptmann: Robert Bork
    1. junger Offizier: Michael Smallwood
    2. junger Offizier: Christopher Lemmings
    3. junger Offizier: Bernhard Berchtold
    Die Gräfin de la Roche: Helen Field
    Der junge Graf, ihr Sohn: Adrian Thompson
    Andalusierin, Bedienerin: Beate Vollack
    3 Fähnriche: Patrick Entat, Harald Wink und David Laera
    Der Bediente der Gräfin de la Roche: Ernst Dieter Suttheimer
    Der betrunkene Offizier: Pablo Bottinelli
    3 Hauptleute: Arno Bovensmann, Kersten Hanke und Thomas Stenzel
    Jazz-Combo; Bochumer Symphoniker, Leitung: Steven Sloane
    Aufnahme im Rahmen der Ruhr-Triennale 2006 aus der Jahrhunderthalle
    Bochum
    Parallele Ausstrahlung in Dolby Digital 5.1 Surround-Sound


    Anschließend hoffe ich, mir etwas mehr unter der Musik vorzellen zu können als bisher!

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Hallo, Du Kulturvermittler!


    Ich möchte zunächst für ein relativ einfach zu hörendes Werk von Bernd Alois Zimmermann werben.


    1966 entstand das "Ballet noir en sept parties et une entree" nach einer literarischen Vorlage von Alfred Jarry unter dem Titel "Musique pour les soupers du Roi Ubu". Mit der provokativ-surrealistischen Vorlage des "Spielkarten- und Spießerkönigs" (Beiheft), die ich einst in Erlangen bei einer Aufführung des Studententheaters erleben durfte, konnte ich mich nicht recht anfreunden, mit Zimmermanns Musik durchaus.


    Die reich instrumentierten und wirkungsvollen knappen Sätze finden zwar ein von düsterem Trommelwirbel begleitetes katastrophales Ende, erfreuen aber davor durch ein wirbelndes Panoptikum an historisierenden Phrasen und zahllosen Zitaten aus der Musikgeschichte von Bach über Wagner ins 20 Jahrhundert hinein. Sie alle wiederzufinden, wäre mal was. :beatnik: Dabei überwiegt ein pseudobarocker Suitenton, sozusagen die bösartige Variante des "Bürgers als Edelmann" von Richard Strauss.


    Ich besitze einen Rundfunkmitschnitt und mittlerweile die folgende sehr preisgünstige CD, auf der sich das Werk befindet:



    Besten Gruß, Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Lieber Ralf,
    erstmal vielen Dank für diesen grandiosen Thread und die ebenso grandiose Eröffnung. - Nun für das Werk B. A. Zimmermanns im allgemeinen hast Du ja nun schon Werbung gemacht und auch die wohl zentralen Werke schon vorgestellt.


    Deswegen erstmal nur kurz als Info für all' jene, die nicht die Möglichkeit hatten oder haben, während der Ruhr-Triennale die David Pountney Inszenierung zu sehen: Inzwischen ist ein Mitschnitt auf DVD erschienen und über die Homepage der ruhr-triennale zu beziehen. Absolut lohnenswert! :faint: Natürlich vermag die DVD die unglaubliche Raumatmosphäre der Jahrhunderthalle in Bochum nicht wirklich zu übermitteln. Aber dennoch: Pountneys geniale Inszenierung ist von den Kameras doch recht gut eingefangen worden. Die Leistungen der Gesangssolisten sind bei den mörderischen Rollen, die Zimmermann ihnen zugeschrieben hat (»sanglich« ist das ja erstmal wirklich nicht), sehr gut - ebenso die Bochumer Symphoniker unter der Leitung von Steven Sloane. Die DVD hat IMO zurecht den Preis der deutschen Schallplattenkritk erhalten.


    Ganz herzlich,
    Medard

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  • Lieber(s) Klawirr,


    danke für das Lob. =) Ich hatte gar nicht vor, die drei späten Hauptwerke hier schon vorzustellen. Höchstens ein wenig in Ansätzen. Hoffentlich schreiben noch einige Forianer gerade auch zu diesen drei Stücken.


    Danke für deine Hinweise auf die Bochumer Produktion der Soldaten. Vor einigen Wochen war die Aufführungsserie ausverkauft, dann gab es vor ein paar Tagen doch für einige Aufführungen ein paar Karten, und jetzt ist wieder alles weg. Same procedure as last year. Allerdings spielen die Bochumer das Stück im Sommer 2008 noch mal, allerdings ein bisschen weiter weg, in New York. Weitere Aufführungen des Komponisten stehen in der Datenbank von schott-musik.de


    Allerdings konnte ich mich in beiden Jahren nicht zu einem Besuch in Bochum entscheiden, obwohl die Aufführungen mir seit längerem bekannt waren. Ich habe die Oper aber in einer Aufführung in Hannover gesehen.
    In Sachen Triennale habe ich mich diesmal auf Frank Martins Zaubertrank beschränkt. Immerhin ist das auch ein großes Stück und Frank Martin war der Vorgänger Zimmermanns in Köln als Professor für Komposition.

  • Zitat

    Original von Kulturvermittler
    Hoffentlich schreiben noch einige Forianer gerade auch zu diesen drei Stücken.


    Bestimmt!! ;) Von mir z. B. kommt sicherlich noch etwas zu den »Soldaten« und zum Violinkonzert... Vielleicht auch zum »Requiem... «


    Ganz herzlich,
    Medard

  • Lieber Ralf,


    auch von mir ein dickes Danke für die schöne Vorlage in Sachen Bernd Alois Zimmermann.


    [amx=B000001WQU]300[/amx]


    Das Trompetenkonzert ist ein gut zugängliches Werk, das eine Verschmelzung von Jazz und Dodekaphonie wagt. Zugrunde liegt diesselbe Reihe wie im Oboenkonzert. Ineins bringt Zimmermann eine Form des Choralvorspiels mit dem pentatonischen Negrospiriual "Nobody knows the trouble I see" mit einer freien Variationsform und dem "in abgewandelten Sinne konzertierenden Jazz" verbindet. In der Entstehungszeit (1954) bedeutete das zudem ein deutliches Zeichen gegen den Rassismus. Das Notenbild hält auch die Improvisationstechnik des Jazz auskomponiert fest, dem Soloinstrument stehen symphonische Streicher und eine Big Band mit großem Schlagzeug gegenüber. Die Reihe ist so aufgebaut, dass sowohl ein c-moll im ersten Choralanklang wie die freien Dissonanzen des Jazz-Idioms möglich sind. Das Werk beginnt mit einer langsamen Einleitung, der mehrere Jazzepisoden folgen. Hier hört man unterschiedlichste Rhythmusgruppen und kadenzierende Einschübe. Es gibt ständige Umbetonungen, Akzent- und Rhythmusverschiebungen. Der Refrain des Spirituals erscheint nach einer ungeheuren Steigerung in der Trompete. Am Ende steht ein pp ein von der gestopften Trompete gespielte "Halleluja".


    Ich hatte das Glück, dieses Konzert in der Besetzung dieser CD in der Kölner Philharmonie zu erleben.


    LG Peter

  • Hallo, Peter und die anderen!


    Ich besitze mehrere Aufnahmen des Trompetenkonzerts, darunter auch die von Dir genannte mit Reinhold Friedrich.


    Am meisten imponiert mir jedoch Altmeister Adolf Scherbaum, von dem ich einen Rundfunkmitschnitt auf Kassette habe. Sein Trompetenton ist derart elementar, schmutzig, gleichermaßen von Aggressivität wie bisweilen Wehmut erfüllt, dass man gar nicht glaubt, von wem die Aufnahme stammt, nämlich einem frühen Barockspezialisten (vor André und lange vor Güttler), der das Piccolo hoffähig gemacht hat, dessen Einspielungen mit Werken aus dem 17. und 18. Jahrhundert aber sicher nicht mehr heutigen Standards genügen.


    Besten Gruß, Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • :hello:
    als rebellierender Teenager habe ich mit manchem Werk der damals (bin `61 geboren) jüngsten Avantgarde meine Eltern wohl ähnlich genervt wie Gleichaltrige die ihren mit Deep Purple oder Jimmy Hendrix :yes:


    So manches davon werde ich mir als CD nicht mehr neu beschaffen (Ligetis Cellokonzert z.B. überzeugt mich längst nicht mehr) - aber gerade Lutoslawskis "Streichquartett" u. eben "Photoptosis" (dt. etwa "Lichteinfall") empfinde ich als frisch wie am allerersten Tag: Hochspannende, lustvolle Zerstörungsmusik das Eine - pure, phantasievoll schillernde "akustische Energie" das Andere...
    Übrigens stell ich mir grade vor, dass Kubrick DIESES Stück als Begleitmusik für seinen "2001"-Film verwendet hätte (konnte er natürlich gar nicht ;), da der Film einige Monate älter ist) ... zusammen mit Zimmermanns Klängen dürfte die raffinierteste Computer-Animation einfach nur albern wirken...


    Was sicher erstmal recht beklemmend ist: Da schreibt jemand, der zu diesem Zeitpunkt längst wissen dürfte, dass er unheilbar augenkrank ist, ein Stück mit dem Titel "Lichteinfall"..................................
    Aber die Musik lässt es mich dann vergessen................


    Einen fast schon etwas "magischen" (?) Moment hatte ich vor einigen Jahren an der Strassenbahnhaltestelle am Gelsenkirchener Musiktheater: Yves Kleins Schwammreliefs im dortigen Foyer (die ja zu "Photoptosis" angeregt haben sollen) können durchaus auch von weiter draussen stark wirken - einen entsprechenden ...... (genau ;)) vorrausgesetzt.



    Da wollte ich mich ja eigentlich einige Tage von TAMINO zurückziehen , aber bei DIESEM Thema...


    :hello:
    piet


    PS
    Die "Soldaten" habe ich mir noch nie zugemutet - hochsympathisch ist mir aber natürlich (ich habe ja auch ein starkes faible für den 60er-Jahre-Jazz), dass BAZ hier auch dem damals aktuellsten Jazz seiner Heimatstadt Köln (nämlich dem Quintett um den Trompeter Manfred Schoof und den Pianisten Alex Schlippenbach) ein Forum gegeben hat !!

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  • Zitat

    Original von WolfgangZ
    Am meisten imponiert mir jedoch Altmeister Adolf Scherbaum, von dem ich einen Rundfunkmitschnitt auf Kassette habe. Sein Trompetenton ist derart elementar, schmutzig, gleichermaßen von Aggressivität wie bisweilen Wehmut erfüllt, dass man gar nicht glaubt, von wem die Aufnahme stammt, nämlich einem frühen Barockspezialisten (vor André und lange vor Güttler), der das Piccolo hoffähig gemacht hat, dessen Einspielungen mit Werken aus dem 17. und 18. Jahrhundert aber sicher nicht mehr heutigen Standards genügen.


    Lieber Wolfgang,


    Du machst mich sehr neugierig. Das kann ich mir gut vorstellen, dass ein wenig mehr "dirty" im Soloinstrument dem Werk entgegenkommt. Welchen Rundfunk muss man denn da nerven?


    LG Peter

  • Als Ergänzung zu Peters Vorstellung des Trompetenkonzerts möchte ich kurz auf Zimmermanns 1949/50 entstandenes Konzert für Violine und großes Orchester hinweisen. Es handelt sich hierbei um den ersten Beitrag Zimmermanns zur Gattung des Solokonzerts. In den wenigen Jahren zwischen der Entstehung des Violinkonzerts und dem Trompetenkonzert vollzieht Zimmermann den Schritt von einer freien Atonalität zu einer strengeren Reihentechnik.


    Das knappe Violinkonzert – es dauert nur wenig länger als eine Viertelstunde – folgt äußerlich der »klassischen« Anlage eines Solokonzerts: 3 Sätze, Satzfolge schnell-langsam-schnell, wobei in Zimmermann Konzert zwei kürzere schnelle Sätze (»Sonata« und »Rondo«), einen langsamen, gewichtigen Mittelsatz (»Fantasia«) umschließen. Der Mittelsatz dauert insgesamt ca. genauso lange wie die beiden schnellen Sätze zusammen. Aber die Rückbindung oder Anspielung auf die Form des klassische Solokonzerts geht noch deutlich über diese zunächst vordergründige Anlehnung hinaus: Der 1., mit »Sonata« überschriebene Satz schließt nicht nur dem Namen nach an die Sonatenhauptsatzform an, die Zimmermann dann frei umgestaltet, indem er auf eine Exposition nicht etwas eine reguläre Durchführung und klassische Reprise folgen läßt, sondern das thematische Material sukzessive in seine Bestandteile zerlegt, um diese immer wieder neu zu kombinieren. Erst kurz vor Ende des Satzes wird kurz auf die Einleitung zurückgegriffen und das »Thema« in Erinnerung gerufen. Das Schlußrondo kombiniert ein motorisch-bohrendes Sechzentelmotiv mit einer tänzerischen »Rumba«, die in den einzelnen Wiederholungen immer virtuoser ausgespielt werden (hier spielen ähnlich wie im Trompetenkonzert Jazzeinflüsse und auskomponierte Improvisationspassagen (eigentlich eine Contradictio in adjecto...) eine große Rolle), wobei die »Rumba« immer mehr an Dominanz gewinnt – allerdings auch mehr und mehr von ihrer anfänglichen Ausgelassenheit verliert und sich zu einem bedrohlichen Totentanz, einem Tanz über Gräbern steigert, um schließlich in einer heftigen Steigerung zu explodieren. Es folgt – wieder nach klassischem Muster – eine kurze Solokadenz und ein ebenso kurzer Schluß im Tutti. Vorbereitet wird diese finstere Wendung des »Rondos« aber bereits im gewichtigen Mittelsatz, der »Fantasia«, einem elegischen Satz voller Kontraste, in dem die apokalyptischen Ereignisse der 1930er und 1940er Jahre unmißverständlich nachhallen. Lyrische Intensität wir hier kombiniert mit Reminiszenzen an gregorianische Choräle, immer wieder durchschlagen von gewaltigen und gewaltsamen Ausbrüchen. Drei mal zitiert Zimmermann in diesem Satz das »Dies irae« – das er auch in vielen seiner späteren Werke (etwa den »Soldaten«) verwenden sollte –, als klangliches Symbol des jüngsten Gerichts, aber auch der Trauer.


    Insgesamt handelt es sich um ein leicht zugängliches, wenn auch nicht immer leicht verdauliches Werk – neben dem Trompetenkonzert vielleicht ein geeignetes Stück für den Einstieg in Bernd Alois Zimmermanns musikalischen Kosmos.


    Ganz herzlich,
    Medard


  • Hallo, Peter!


    Was ich oben zu erwähnen vergessen habe: Scherbaum war auch der Interpret der Uraufführung im Jahre 1955. Bei Amazon findet man bezüglich Scherbaum in Kombination mit Zimmermann leider nichts; anderweitig habe ich mich jetzt auf die Schnelle nicht orientiert.


    Mitgeschnitten habe ich das Werk vermutlich gar nicht von einem Konzert, das kann ich nur leider nicht mehr rekonstruieren. Das Werk wurde laut meiner Angaben auf der Kassette von mir am 14.8.1985 aufgenommen, vermutlich im ARD-Nachtkonzert. Die Interpreten sind nicht ohne :yes: : das Sinfonieorchester des Norddeutschen Rundfunks unter Leitung von Ernest Bour. Und die Aufnahme ist sicher schon deutlich älter als 1985, aber auch dazu weiß ich weiter nichts.


    Besten Gruß, Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Zitat

    Original von WolfgangZ
    Was ich oben zu erwähnen vergessen habe: Scherbaum war auch der Interpret der Uraufführung im Jahre 1955. Bei Amazon findet man bezüglich Scherbaum in Kombination mit Zimmermann leider nichts; anderweitig habe ich mich jetzt auf die Schnelle nicht orientiert.


    Mitgeschnitten habe ich das Werk vermutlich gar nicht von einem Konzert, das kann ich nur leider nicht mehr rekonstruieren. Das Werk wurde laut meiner Angaben auf der Kassette von mir am 14.8.1985 aufgenommen, vermutlich im ARD-Nachtkonzert. Die Interpreten sind nicht ohne :yes: : das Sinfonieorchester des Norddeutschen Rundfunks unter Leitung von Ernest Bour. Und die Aufnahme ist sicher schon deutlich älter als 1985, aber auch dazu weiß ich weiter nichts.


    dein mitschnitt wird die uraufführung vom 10.10.1955 sein: adolf scherbaum, orchester des nwdr, ernest bour.
    übrigens äußerte sich zimmermann kritisch über diese uraufführung, da sie "leider ohne jazzsolisten und jazzmusiker gemacht wurde" und "dementsprechend zickig" gewesen sei (laut beiheft zu meiner aufnahme).


    ich habe das stück als teil einer cd aus der reihe "musik in deutschland 1950-2000": gert fischer, trompete, rso leipzig, jörg peter weigle, 1987. ob diese aufnahme weniger zickig ist, vermag ich nicht zu sagen. jedoch finde ich das werk für zimmermann'sche verhältnisse eher mittelmäßig, der mann hat wesentlich besseres und v.a. anspruchsvolleres komponiert.


    grandios sind vor allem seine "großen" werke (requiem, soldaten, ekklesiastische aktion, etc.), die von zimmermanns musikalischer versiertheit und tiefer menschlichkeit zeugen. zurecht nannte man ihn "den letzten, der alles konnte".


    greetings, uhlmann

  • Hallo, Uhlmann, hallo, Peter (e.a.)!


    Danke für Eure Beiträge!


    Vorhin habe ich aus meiner alten Kassettensammlung die Aufnahme herausgesucht und nach langer Zeit wieder einmal gehört.


    In der Tat klingt die Aufnahme nach den Fünfzigern. Ein Konzertmitschnitt scheint es mir nicht zu sein, aber vielleicht eine Schallplatteneinspielung im Anschluss an die Uraufführung. Wenn Zimmermann die Aufnahme zickig fand, dann finde ich das schon grotesk, zumindest was den Solisten anbelangt. Er musiziert fast noch eigenwilliger, als ich das in Erinnerung hatte. Vielleicht werden die Jazz-Elemente der komplexen Orchesterpartitur in späteren Aufnahmen stärker betont, etwa was Gitarre und E-Orgel anbelangt. Mag sein.


    Wobei es noch nicht mal eine spezifische Nähe zum Jazz sein muss, die mich bei Scherbaum verblüfft. Ein Miles Davis spielt bei Weitem cooler (im mehrfachen Sinn des Wortes), andere auch. Scherbaums Ton ist einmalig in seinem nicht selten schreienden, kreischenden Duktus, wobei er auch gänzlich anders intonieren kann, wenn die Stimmung wechselt.


    Weiß jemand, wo der andere Beiname des Konzerts, nämlich "Darkey´s Darkness" herkommt?


    Schöne Grüße, Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

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  • Zitat

    Original von WolfgangZ
    Weiß jemand, wo der andere Beiname des Konzerts, nämlich "Darkey´s Darkness" herkommt?


    Lieber Wolfgang,


    ich finde leider nichts Spezifisches, ein Zitat ist es offensichtlich nicht, ich denke eine zeitgemäße Übersetzung (wobei "darkey" wohl der pc-Ausdruck der Zeit für Schwarzer war) von der Dunkelheit eines Schwarzen. Das Stück ist zeitkritisch gegen den Rassismus gedacht, dem Verlöschen am Ende entspricht die depressiv geschilderte Lage der Schwarzen, auch der Text des Spiritual ist gesellschaftskritisch gemeint.


    LG Peter

  • Ja, danke, Peter, im Zusammenhang mit der Rassismus-Thematik leuchtet mir der Begriff, über den ich eben auch nichts weiter finden kann, fürs Erste ein.


    Ich kann Dir nur empfehlen, an die Einspielung mit Scherbaum heranzukommen, einen Tipp hast Du ja weiter oben schon bekommen.


    Meine zusätzlich zur naturgemäß eingeschränkten Klangqualität auch aufgrund veralteter Empfangsbedingungen leicht rauschende Kassettenaufnahme wäre sicher nicht die ideale Basis für eine Kopie. Technisch beherrsche ich - mangels anderweitigen Bedarfs - ohnehin nur diejenige von Kassette auf Kassette. Da bin ich sicher nicht auf dem neuesten Stand. Ich kann nicht mit ipod, flac und dem ganzen Zeug umgehen und mein PC ist auch nicht an die Stereoanlage angeschlossen.


    Das mag sich noch ändern, aber im Moment fehlt mir die Zeit!


    Besten Gruß, Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Beim Lesen dieses Threads werden Erinnerungen wach: "Die Soldaten" habe ich in zwei sehr unterschiedlichen Inszenierungen gesehen, eine von Willy Decker in Amsterdam und nun die von David Pountney in Bochum (im letzten Jahr; ich wollte dieses Jahr nochmal hinfahren, so beeindruckt war ich, aber die Vorstellungen sind seit längerem ausverkauft).


    Die Soldaten: ein Werk, dass alle Maßstäbe sprengt. Schon die Uraufführung in Köln war ein Kraftakt, der die Mitwirkenden zu überfordern schien. Freundschaften zerbrachen, das Werk wurde als unaufführbar bezeichnet (lt. - ausgezeichnetem - Programmbuch von keinen Geringeren als Wolfgang Sawallisch und Günter Wand,) man sorgte sich um die Gesundheit der Musiker, vor allem der Sänger und Sängerinnen, der komplette Apparat schien schwerstens überfordert (Eine interessante Bilderserie zur Uraufführung in Köln gibt es in der dortigen Oper). Merkwürdigerweise werden die "Soldaten" immer wieder und zwar auch erfolgreich aufgeführt. Zu den Höhepunkten der Aufführungspraxis gehörte die Produktion der Stuttgarter Staatsoper 1989. Hiervon ist eine DVD erschienen, die als Referenz gelten kann, vor allem auch wegen der Umsetzung der Musik unter Bernhard Kontarsky. Das Team scheute sich nicht davor, die vielfältigen Anforderungen Zimmermanns, u.a. was die Video-Projektionen weitgehend zu erfüllen.


    Die Zeit ist aber nicht stehen geblieben; Willy Decker schuf eine vielgelobte Version für die Dresdener Oper im Jahr 1995. Die 20 Aufführungen waren z.T. ausverkauft, ein Zeichen dafür, dass das Werk "angekommen" ist. Ein mutiges Publikum weiss, was es erwartet und läßt sich darauf ein. Im Jahre 2003 habe ich die nur leicht veränderte Wiederinszenierung im Amsterdamer Musiktheater gesehen. Frode Olsen war als Wesener dabei, die Marie sang und spielte Claudia Barainsky, beide nun auch in Bochum in der Inszenierung von David Pountney.


    Meine Eindrücke nach gründlicher Vorbereitung, nach dem ersten Hören in Amsterdam und dem Wiederhören in Bochum voriges Jahr: die Geschichte ist leicht begreiflich, sie rührt ans Herz. Beide Umsetzungen treffen den Zuhörer unmittelbar. Vielleicht ein bedeutender Grund für den Erfolg der Oper. Decker hat mehr abstrakt inszeniert, die Figuren bewegen sich marionettengleich, so als werden sie ferngesteuert in in ihr Unglück hinein. Musikalisch hatte damals in Amsterdam Hartmut Haenchen alles im Griff. In meiner Erinnerung war seine Klangvorstellung rauh, ohne Hemmungen vor Klangexplosionen, vor Brutalitäten. Sein riesiges Orchester war in Logen und Eckplätzen verteilt, die Klangregie empfand ich als meisterhaft präzise, teils schockierend klar wie einen eisigen Kommentar auf das Bühnengeschehen. Videoprojektionen fehlten völlig, aber auch so war die tiefe Erschütterung über das Geschehen unübertrefflich.


    Auch in Bochum wird kein Video bemüht. Der Effekt ist ja auch dermassen abgedroschen, da er ja inzwischen bei jeder zweiten Operninszenierung herhalten muss. Bochum ist meiner Meinung nach eine kaum zu übertreffende Produktion. Hier braucht ja nicht wiederholt zu werden, was auf der Website der Ruhrtriennale und in x Rezensionen beschrieben wird; es ist eine DVD erschienen und jeder kann sich ein Bild von der Inszenierung machen.


    Zimmermann verwendet den Begriff "Kugelgestalt der Zeit"; könnte ein diffuses Schlagwort sein, aber er meint es ernst. Jakob Michael Reinhard Lenz (1751-1792), der Autor der "Soldaten" selbst meinte, nicht Aristoteles' Lehre der "drei Einheiten" (einheitliche Handlung, ein einziger Ort, eine überschaubare Zeitspanne) seien der Massstab eines klassischen, "richtigen" Dramas. Richtig sei die eine "Einheit, die wir bei allen Gegenständen der Erkenntnis suchen... Was heißen die drei Einheiten? Hundert Einheiten will ich euch angeben, die alle immer doch die eine bleiben" Zimmermann unterstützt dies: das eine Schicksal (Maries) steht für viele Schicksale. Zudem schreibt er in "Über den Raum" (1965, dem Jahr der Uraufführung): "... das neue Theater muss ein Großraumgefüge sein... eine Großformation, die einer ganzen Stadtlandschaft ihr Gepräge zu verleihen vermag ... [es] müssten ... vielfach gestaffelte, nötigenfalls das Publikum ring- oder kugelförmig umfassende Spielflächen zur Verfügung stehen, auf denen - je nach Bedarf - simultan oder sukzessiv zu agieren wäre; diese Spielflächen sollten ebenso wie das Publikum ... mobil gehalten sein."


    Genau dies ist Pountney gelungen: die Medien haben ja berichtet, dass eine 120 Meter lange Bühne geschaffen wurde und fahrbare Sitzreihen für das Publikum, das so - bei gefühlter aufgehobener Zeit - die unterschiedlichen Personen/Ebenen/Handlungen beinahe körperlich verspüren konnte. Dies wird wohl bei der DVD so deutlich nicht spürbar sein, aber live ist der Eindruck ungeheuer suggestiv. Voriges Jahr habe ich in der zweiten Reihe gesessen; der Eindruck war schwindelerregend: man wurde unmittelbar Zeuge der Handlungen.


    Musikalisch unterschied sich der Eindruck: Haenchen betonte in Amsterdam auch in der Musik das Rohe, Brutale der Vorgänge. Hingegen ist durch die ideale Verteilungsmöglichkeiten für die Musiker (Orchester rechts und links bzw. vorne und hinten, kleine Combo auf der Bühne) in Bochum eine weitgehende Räumlichkeit möglich. Die Bochumer Symphoniker unter Steven Sloane leisten Grossartiges. Sloanes Ansatz ist anders als der von Haenchen: die Musik klingt weicher, weniger brutal-schockierend. Das liegt vielleicht auch an dem riesigen Raum mit seinem Nachhall. Dafür sind die akustisch-raumtonalen Klangfarben brilliant.
    Die Protagonisten sind in Bochum unvergleichlich; nur Claudia Barainsky als Marie sei genannt (na gut: auch Katharina Peetz als ihre Schwester war grossartig, auch Vater Wesener, auch Peter Hoare als Desportes, auch Robert Bork als Mary, auch Claudio Otelli als Stolzius, ach was: einfach ALLE). Durch die Nähe zur Bühne gibt es für sie keine Rückzugsmöglichkeit und kein Mogeln, die Zuschauer sehen gnadenlos alles, was ihnen angetan wird - und was sie sich antun.


    Zimmermann verwendet übrigens althergebrachte Bezeichnungen für einzelne Abschnitte der Oper: der erste Akt ist überschrieben "Preludio / Introduzione". Es folgen "Ciacona I / Ricercari I / Toccata I / Nocturno I " , es folgen Nocturno II, Toccata II ... hin zu Nocturno III. Das ist für den ungeübten Hörer nicht unbedingt zu unterscheiden, verweist dennoch auf Trennungsmerkmale in der "Continuity" der Geschichte.


    Alle Aufführungen der 2007er Reihe sind seit langem ausverkauft - und das ist gut so, wenngleich es auch jammerschade ist, weil noch viele Menschen diese Aufführung sehen sollten und wollen.

    Beste Grüße!

  • Zitat

    Original von WolfgangZ
    Weiß jemand, wo der andere Beiname des Konzerts, nämlich "Darkey´s Darkness" herkommt?


    zimmermann nannte das konzert ursprünglich "darkey's darkness". das ist der titel des negro spirituals, aus dem die erste textzeile "nobody knows de trouble i see" stammt. nachdem er erfuhr, dass "darkey" eine abwertende bemerkung für schwarzer bedeutet, hat er den titel durch die textzeile erstetzt.


    greetings, uhlmann

  • Nachdem vor zwei Tagen die Soldaten in Bochum noch vollständig ausverkauft waren, scheint es jetzt laut Website der Ruhrtriennale für den
    7., 9. und 11. Oktober noch ein paar Karten zu geben, nicht aber für den 13. Oktober.

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  • Mit dem Schaffen Bernd Alois Zimmermanns habe ich erst einmal Bekanntschaft gemacht. Dies war vor mehr als 20 Jahren eine Aufführung der "Soldaten" in Frankfurt unter Michael Gielen. Ich kann nichts Informatives zu dem Werk hinzufügen, lediglich meine Eindrücke im Nachhinein:


    Emotional hat mich das Werk, besonders gegen Ende, ziemlich aufgewühlt, wie ich mich noch erinnere. Einige etwas ausgedehntere ergreifende Instrumentalpassagen habe ich ebenfalls noch in guter Erinnerung.


    Ich empfand die Aufführung bzw. die Oper als sehr intensiv und ernst (in überaus positivem Sinne); ich glaube, dass ich schon damals Gielens Dirigentenstil bewundert habe.


    Nicht so sehr gefielen mir die Sprechstellen (und, wenn ich mich recht erinnere, auch reine Sprechrollen); dies mag ich generell nicht so gerne, ebenso wie Schlagwerk mit unbestimmtem Ton; ist natürlich reine Geschmachssache und hat mit der Qualität nichts zu tun.


    Ich werde mir die Oper wohl noch einmal vornehmen, vielleicht gar in Bochum (ist ja bei mir nebenan)?


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Berliner Philharmoniker, 23., 24. und 25. April.

    Der Vorverkauf läuft!

    Johann Sebastian Bach
    Choralvorspiel »Komm, Gott, Schöpfer, Heiliger Geist« BWV 667 (Orchestrierung von Arnold Schönberg)
    Choralvorspiel »Schmücke Dich, o liebe Seele« BWV 654 (Orchestrierung von Arnold Schönberg)
    Richard Wagner
    Siegfried-Idyll
    Bernd Alois Zimmermann
    Requiem für einen jungen Dichter




    Berliner Philharmoniker
    Peter Eötvös Dirigent
    Caroline Stein Sopran
    Claudio Otelli Bariton
    Michael Rotschopf Sprecher
    Thomas Wittmann Sprecher
    Rundfunkchor Berlin
    James Wood Einstudierung
    MDR Rundfunkchor Leipzig
    Howard Arman Einstudierung
    Herren des WDR Rundfunkchors Köln
    Philipp Ahmann Einstudierung
    Herren des SWR Vokalensembles Stuttgart
    Celso Antunes Einstudierung
    João Rafael Klangregie

  • wird das wenigstens mal später im Radio (RBB Kultur oder DR Kultur ?)gesendet ? Die letzte Radio-Live-Übertragung vom Bazi-Requiem ist fast 10 Jahre :boese2: her . In Hamburg unter Metzmacher. Ich habe mir gestern - was für ein Zufall - gerade nochmal den Mitschnitt reingezogen und der bewegende Eindruck hat sich nicht verflüchtigt.
    Nebenbei: die Ekklesiastische Aktion ist auch nicht ganz ohne. Hengelbrocks Wiedergabe finde ich bisher am besten. Rein musikalisch- was z.B. das Orchester betrifft - sind mir die Soldaten noch näher.
    Die ENO hat diese in englischer Übersetzung vorj Jahren aufgeführt.
    Zimmermann :jubel: :stumm: war einer der ganz großen Komponisten nach der NWS.


    :hello:

  • Zufälligerweise habe ich heute das erste Mal Erfahrungen mit dem Werk Zimmermanns sammeln können und dann wird dieser Thread hier wieder hochgeholt. Wenn das mal kein Zeichen ist... :pfeif:


    Ich habe mir das Requiem in der relativ neuen Kontarsky-Einspielung ausgeliehen:



    Und das, was ich da gehört habe, war relativ neu für mich. Da wird erstmal eine ganze Zeit lang eine Collage von Sprechstimmen - mit elektronischen und instrumentalen Klängen untersetzt - gespielt. Und das hat einen ganz seltsamen Eindruck bei mir hinterlassen. Es war ein bisschen wie in einem Traum, wenn die Gedanken so durcheinanderfliegen und keinen wirklichen Sinn ergeben. Ich empfand es als irreal und schwer fassbar, aber angenehm zu hören.
    Ab und zu erkannte man dann Fetzen von bekannten Sachen, wie ein Ausschnitt aus einem Beatles-Song oder der Neunten von Beethoven.


    Das waren meine Gedanken nach dem ersten Hören. Es hat auf jeden Fall Lust gemacht, mich weiter damit zu beschäftigen.



    LG, Peter.

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  • Das „Requiem für einen jungen Dichter“ Lingual für Sprecher, Sopran- und Baritonsolo, drei Chöre, elektronische Klänge, Orchester, Jazz-Combo und Orgel nach Texten verschiedener Dichter, Berichte und Reportagen war vor allem zum Zeitpunkt seiner Erstaufführung im Dezember 1969 in Düsseldorf mit nichts zu vergleichen. Am 23, 24. und 25. April wagten sich die Berliner Philharmoniker zusammen mit mehreren ARD-Rundfunkchören und dem Dirigenten Peter Eötvös, der in den 1960er Jahren noch bei Zimmermann studierte, an das Werk.



    Die Entstehungsgeschichte des Requiems für einen jungen Dichter ist langwierig und nicht ohne Umwege. In einem Brief an den NWDR vom 1. November 1956 schreibt Zimmermann von einem Oratorium über die letzten Dinge, mit Texten u.a. aus Psalm 139 und 148 und Textausschnitten der Bhagavadgita, Boethius, Novalis Hymnen an die Nacht, Dostojewskijs Großinquisitor, James Joyce Ulysses und anderem. 1963, als sich Zimmermanns musikalische Sprache grundlegend gewandelt hatte, sieht das Projekt so aus, dass es eine Vertonung des Nachruf auf Sergej Jessenin von Wladimir Majakowskij werden sollte, einschließlich der Mitwirkung eines Arbeiterchores von 300 Sängern. In der endgültigen Fassung ist das Requiem eine Spiegelung der Geschichte des 20 Jahrhunderts von 1920 – 1970. Die Texte sind auf 3 Chöre, Solisten, Sprecher und zwei vierkanalige Tonbänder verteilt und enthalten den lateinischen Requiem-Text ebenso wie Philosophische Untersuchungen von Ludwig Wittgenstein, Alexander Dubceks Rede vom 27.8.68 nach der Niederschlagung des Prager Frühlings, Papst Johannes des 23. Ansprache im 2. Vatikanischen Konzil, aus James Joyces Ulysses den Monolog der Molly Bloom, Teile des Grundgesetzes der Bundesrepublik, aus Aischylos Prometheus und aus einer Parlamentsrede Andreas Papandreous, einer Rede des ungarischen Ministerpräsidenten Imre Nagy vom 31.10.56 während des Ungarischen Volksaufstandes und Texte von Mao, Kurt Schwitters, aus Hitlers Rede anlässlich des Einmarsches in die Tschechoslowakei vom 16.3.1939 und von Neville Chamberlain 1938 und dann auch von Wladimir Majakowskij den Nachruf auf Sergei Jessenin.



    Außerdem musikalische Zitate von Messiaens „L`Ascension“, Richard Wagners Liebestod und von Zimmermanns eigener Sinfonie in einem Satz. Dies alles nur in den ersten 25 Minuten des über eine Stunde langen Werkes. Es ist fraglich, ob solch eine Komposition die Kategorien einer Kantate oder eines Oratoriums vielleicht sprengt. Zimmermann selbst bezeichnete das Werk als Lingual, ein Ritual mit der Sprache also. Die Texte bieten eine geschichtliche Dokumentation des zwanzigsten Jahrhunderts vor allem mit den Schattenseiten, sie sind nicht miteinander vereinbar, unpassend, stellen sich gegenseitig in Frage. In ihrer Zusammenstellung bieten sie auch keine Lösung der gestellten Fragen. Sie erscheinen im ersten Teil des Requiems fast immer von den im Raum verteilten Lautsprechern wiedergegeben, umgeben den Hörer von allen Seiten, führen ihn in die Landschaft eines räumlich verteilten Radiohörspiels, bei dem vor allem der Raum die musikalische Komponente darstellt.



    In der Mitte des Werkes steht ein „Ricercar“ zu vier Stimmen, auch hier von Lautsprechern wiedergegeben, eine Sprechfuge fast, über eine Passage aus Konrad Bayers „Der sechste Sinn“: „frage: worauf hoffen? Es gibt nichts was zu erreichen wäre außer dem Tod. Also, üblicherweise wird versucht ein ziel möglichst schnell zu erreichen, wenn es bekannt. Ich habe gegen meine natur versucht und gegen meinen instinkt (!) den optimistischen Standpunkt einzunehmen. Ich habe viel versucht. Ich habe gegen mein besseres wissen behauptet: das leben ist wert gelebt zu werden um seiner selbst willen. Wie dumm, ein vorwand diese unangenehme prozedur nicht vornehmen zu müssen…
    Die musikalische Form einer gesprochenen Fuge wird zu einem Symbol, als Fuge zum Ablauf eines Gesetzes, auch als Orientierungs- und Anhaltspunkt in der musikalischen Tradition. Andererseits prägt der Inhalt dieses Textes im Mittelpunkt des Werkes die vorangegangenen und die folgenden Passagen und bietet Einblicke auf den Standpunkt, in dem Zimmermann sein Werk möglicherweise gesehen hat. In dem jungen Dichter, dessen Ableben in unterschiedlichen Texten zitiert wird, sah Zimmermann auch sich selber und seine Situation.



    Als das Werk aufgeführt wurde, war er nicht dabei, sondern befand sich in einer psychiatrischen Klinik. Seit Mitte der 1960er Jahre hatten bei ihm depressive Tendenzen zugenommen, die dann zu einer massiven Krise Ende der 60er Jahre führten. Nach seinem Klinikaufenthalt verwendete er seine Zeit darauf, die noch ausstehenden Auftragswerke zu Ende zu schreiben, das Orchesterstück Photoptosis für die Eröffnung des Musiktheater im Revier Gelsenkirchen und die im Gesamtcharakter mit dem Requiem verwandte „Ekklesiatische Aktion“ "Ich wandte mich und sah an alles Unrecht, das geschah unter der Sonne" für das Kulturprogramm der olympischen Segelwettbewerbe in Kiel. Fünf Tage nach Fertigstellung dieses Werkes, nachdem seine Frau mit den Kindern in die Ferien gefahren war, nahm sich Zimmermann am 10. August 1970 in seinem Haus in Frechen-Königsdorf bei Köln das Leben.



    Vor diesem Hintergrund erscheinen die Texte des Requiems nicht nur als politische Aussagen, als Anklagen und Utopien, sondern auch als Ausdruck der Verfassung, in der sich der Komponist befand. Unter diesen Texten ist dann die Passage aus Hans Henny Jahnns Roman „Die Niederschrift des Gustav Anias Horn 1“ ein noch vergleichsweise optimistisches Selbstportrait des Komponisten: „Die Frage, wer ich wirklich bin, ist auch heute noch nicht stumm in mir. Ich schaue zurück, und es ist leicht, die Tatsachen aufzuzählen. Es sind fünfzig Kompositionen von mir gedruckt worden. Viele Kammer- und Symphonieorchester haben sich der Noten bedient. Hin und wieder ist es zur Aufführung größerer Werke gekommen. Ein paar Orgelspieler plagen sich mit meinen Präludien und Fugen. Zeitungsschreiber haben mich gelobt und getadelt. In den neueren Handbüchern des Wissens steht mein Name als der eines bedeutenden und eigenwilligen Komponisten aufgeführt… Seit manchen Jahren bin ich fast stumm; ich weiß nicht, ob ich mit einer Art Müdigkeit kämpfe, mit einem Überhandnehmen eines unbegreiflichen Todes.“



    Zimmermann als Komponist im üblichen Sinne des Wortes zeigt sich neben den finsteren Texten eher in den musikalischen Zitaten des Werkes, die trotz der riesigen Besetzung oft nur über Lautsprecher laufen, die Inseln der Schönheit und des paradiesischen Friedens der Musik darstellen: Zitiert werden nicht etwa Stockhausen oder Mahlers Sechste oder Schönbergs „Überlebender aus Warschau“, sondern Messiaens früh komponierte und fast bedingungslos positive L`Ascension für Orgel oder Milhauds La creation du monde. Sandor Weöres Gedicht „Dob es tanc“ erscheint als Bild inneren Friedens. Dies ist der lyrische Abschnitt des Requiems, und Zimmermann komponiert hier, gemäßigt modern, traditionell, lyrisch, mit einfachen Melodielinien, die von einer Jazzcombo bluesartig begleitet werden. Caroline Stein sang das wunderschön. Auch so etwas konnte Zimmermann komponieren, und irgendwann einmal war das ja auch seine musikalische Sprache. Diese Insel der Lyrik, nach zwei Minuten bereits vorbei, ist einer der wenigen optimistischen Momente des Requiems. Ein anderer sind die Zitate des „Hey Jude“ der Beatles. Aber selbst hier erscheint das Motiv der Trennung und des Abschieds. Paul McCartney schrieb das Lied ursprünglich für John Lennons fünfjährigen Sohn Julian, der sehr unter der Trennung seiner Eltern litt. John Lennon hatte sich kurz zuvor von seiner ersten Frau Cynthia scheiden lassen. Immerhin ist hier noch Zuversicht erkennbar: Take a sad song and make it better.. Diese kurzen Augenblicke stehen in Zusammenhang und im Gegensatz mit dem Schrei nach Frieden, mit dem Zimmermanns Requiem endet.



    Im letzten Teil wird das „dona nobis pacem“ in vielstimmigen Clustern eingefordert. Dem Friedensaufruf gehen Tonbandmontagen aus politischen Demonstrationen und Reden von Stalin und von Roland Freisler und, wie gesagt, dem „Hey Jude“ der Beatles voraus. In diese Szenerie sind auch musikalische Zitate mit Symbolwert eingearbeitet: Der Satzanfang aus Beethovens Ode an die Freude, also der orchestrale Tumult vor dem „Oh Freunde, nicht diese Töne“, die sozialistische Hymne „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“, dann ein krachender Schlag auf den Amboss am Ende der zweiten Melodiezeile dieses Liedes, wie in Mahlers sechster Symphonie, virtuose Carillon-Glockenspiele in halsbrecherischem Tempo und durch die Klangmassen kaum hörbar - sie alle bieten Kontrapunkte inhaltlicher und musikgeschichtlicher Gegensätze. Der Hörer befindet sich in der Mitte der von Zimmermann beschworenen „Kugelgestalt der Zeit“, von der er aus die gegensätzlichen Zitate und musikalischen Sprachen in gleicher Entfernung, aber in unterschiedlichen Richtungen erkennen kann. Vor dem letzten „dona nobis pacem“, schreiend „con tutta la forza“ eingefordert, erscheint ein rätselhaft mahnendes Zitat, noch einmal aus Konrad Beyers „Der sechste Sinn“: wie jeder weiß. wie jeder wusste. wie alle wussten. wie alle wissen. wissen das alle? das können unmöglich alle wissen. wie manche wissen. was manche arbeiter bauern generale staatsmänner wissen. wie viele menschen wissen. was fast alle menschen wissen. fast alle menschen wissen das. alle menschen sollten das wissen. was jeder menschen wissen sollte. mancher mensch weiß das. was ich wusste. wie ich wusste. wie ich, marcel oppenheimer und die damen wussten. wie ich und melitta mendel wissen. wie nina und ich wußten. Wie jeder sehen konnte. Wie fast jeder sehen konnte. wie jeder aus einiger entfernung sehen konnte. wie jeder sehen kann. Wie jeder mensch sehen kann. Solche Augenblicke setzen das Werk in das Licht eines politischen Rituals. Auch dies gehört dazu. Aber anders als das ein Jahr vorher aufgeführte „Das Floß der Medusa“ von Hans Werner Henze entzieht sich das Requiem für einen jungen Dichter dem unmittelbaren Verständnis. Der Bezug zu den Dingen, die in Vietnam geschehen sind, die Fragen eines gesellschaftlichen Neuanfangs in den späten 1960er Jahren (der außerhalb von Europa dann zunächst in die entgegen gesetzte Richtung führte), die politische Aussage stellen einen wesentlichen Teil dieses Werkes dar, aber noch nicht das Ganze.



    Ein Werk wie dieses entzieht sich dem, was in einem Konzertsaal möglich ist. Jede Aufführung stellt eine Herausforderung dar. Die Rundfunkchöre aus Berlin, Leipzig, Köln und Stuttgart und die Berliner Philharmoniker unter Leitung von Peter Eötvös nutzten jede Chance, das komplizierte Gebilde auch musikalisch lebendig werden zu lassen. Sie sangen den gebotenen Notentext mit den sperrigen Akkordfolgen absolut kultiviert und bei aller massiven Kraft durchsichtig, die Massen der Blechbläser und des Schlagzeugs boten ihre apokalyptischen Signale mit unanfechtbarer Überzeugungskraft und absoluter Souveränität der Ausführung, die lauten Akkorde waren durchhörbar gestaltet, und dann erst die Klangregie der Lautsprecher – ein Gedicht. Gerade diese ist bei dieser Raumkomposition von entscheidender Bedeutung. Bei dieser denkwürdigen Aufführung in der Berliner Philharmonie also fügten sich Lautsprecherstimmen, Solosänger, Chöre und Orchester in polyphoner Kunst zusammen. Vielleicht hätten sogar Bach und Monteverdi dieses Werk nach einigen Eingewöhnungsschwierigkeiten akzeptiert.



    Zimmermanns Requiem dauert etwa 65 Minuten. Es ist aufgrund seiner Dichte abendfüllend. Peter Eötvös entschied sich aber, das große Werk auch etwas anderes auszubalancieren. Vor der Pause setze er dem Requiem zwei Bachsche Choralvorspiele im prächtigen orchestralen Gewand Arnold Schönbergs sowie Richard Wagners Siegfried-Idyll entgegen. Dieses ist ja eine der leisesten, kammermusikalischen Partituren Wagners. Wie nun genau der inhaltliche Zusammenhang zu Zimmermann herzustellen wäre, ist schwierig zu sagen. Immerhin gibt es in der Zitaten des Requiems auch Isoldes Schlussgesang. Bachs Choralvorspiele „Komm Gott, Schöpfer, heiliger Geist“ und „Schmücke dich, o liebe Seele“ sind als Kommentare leichter einzuordnen. Zum einen wirken sie wie Eröffnungen eines Gedenkgottesdienstes für Bernd Alois Zimmermann, Wladimir Majakowski, Sergei Jessenin und Konrad Beyer, wie die Verwandlung dieses Konzertes in ein religiöses Ritual: Außerdem zitiert Zimmermann regelmäßig Bach, in der Oper „Die Soldaten“, in den Monologen für zwei Klaviere und dann das „Es ist genug“, das schon Alban Berg im Violinkonzert zitiert hatte, am Ende seines letzten Werkes "Ich wandte mich und sah an alles Unrecht, das geschah unter der Sonne" (1970) Ekklesiastische Aktion für 2 Sprecher, Baß-Solo und Orchester“ mit Texten aus dem Prediger Salomo (Kohelet) sowie aus dem Kapitel "Der Großinquisitor" aus "Die Gebrüder Karamasow" von Fjodor Dostojewskij.



    Das Requiem wurde 1973 zuletzt in Berlin gespielt. Auch sonst sind Aufführungen sehr selten. 2005 gab es eine im niederländischen Haarlem, 2000 eine in Hamburg. In Berlin erklang das Werk jetzt an drei Abenden hintereinander. Bei der letzten Aufführung waren von den über 2000 Plätzen der Philharmonie etwa 1500 besetzt. 30 oder 40 Leute gingen, höflicherweise ziemlich leise. Gehustet hat keiner. Eigentlich ein ziemlich gutes, kultiviertes, respektvolles Publikum. Die Beifallskundgebungen am Schluss fielen sehr entschieden aus, auch mit Standing Ovations.

  • Die Soldaten,
    Oper in 4 Akten von Bernd Alois Zimmermann.
    Text vom Komponisten nach dem gleichnamigen Schauspiel von Jakob Michael Reinhold Lenz (1776).
    Uraufführung: 15.2.1965 Köln, Städtische Bühnen,
    mit Edith Gabry • Anton de Ridder • Willi Brokmeier • Claudio Nicolai • Liane Synek • Helga Jenckel • Zoltan Kelemen • Maura Moreira,
    Dirig. Michael Gielen.



    siehe auch im Tamino-Opernführer: ZIMMERMANN, Bernd Alois: DIE SOLDATEN


    LG


    :hello:

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Fast fünf Jahre ist es her, dass der letzte inhaltliche Beitrag hier zu diesem wichtigen deutschen Nachkriegskomponisten verfasst wurde, also Zeit ihn mal wieder etwas ins Bewusstsein zu rücken. Ich muss zugeben, dass ich mich mit diesem Komponisten noch nicht sehr intensiv beschäftigt habe, aber letzte Woche kam mir diese hervorragende neuere CD gebraucht unter die suchenden Finger und auf die möchte ich hinweisen. Sie enthält das Violinkonzert, die Kantate für Cello und Orchester Canto di speranza und die Ekklesiastische Aktion "Ich wandte mich um...".
    Bisher habe ich nur das VC gehört, ein knapp 19-minütiges Werk, das m.E. zu den großen Konzerten des 20. Jahrhunderts gehört. Beitrag 12 in diesem Thread liefert eine umfangreiche Beschreibung. Stilistisch irgendwo zwischen Stravinsky und Berg einzuordnen, ist es m.E. "leichter" zu hören als das von Alban Berg. Speziell der lange mittlere Satz Fantasia ist sehr eindrucksvoll. Dass das Stück bei Thomas Zehetmaier und dem WDR SO unter Heinz Holliger in überaus kompetenten Händen ist, braucht genauso wenig hervorgehoben werden wie die exzellente klangliche, redaktorische und ästethische Ausstatung der ECM CD.



  • Bernd Alois Zimmermann wurde am 20. März 1918 geboren. Zu diesem Anlass habe ich diese Aufnahme:


    mitgebracht. Ich weiß nicht, ob sie von der Uraufführung stammt, ist aber auf jeden Fall aus dem Jahr.


    Heute ist die 97. Wiederkehr von Zimmermanns Geburtstag.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Meine erste Begegnung mit Bernd Alois Zimmermanns Musik war 1981 ebenfalls die Ekklesiastische Aktion. Ich war beeindruckt von der Kraft der Musik und der Gewalt der Textzitate! Das Zerreißen eines großen Bogens Papier erheiterte mich damals, hat aber im Zusammenhang der Texte durchaus Sinn!
    Wenig später hörte ich die Soldaten an der Deutschen Oper Berlin und spürte auch hier den Ausdruck von Gewalt. Die Simultanszene ist nach wie vor eine der eindrucksvollsten Opernszenen, die ich je erlebt habe.

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