Der Dialog mit der Vergangenheit als modernes Ausdrucksmittel....

  • ....oder eine gelungene Geisterbeschwörung. So könnte man wohl Beethovens Auseinandersetzung mit den alten Meistern des Barock Bach und Händel in seinen Diabelli-Variartionen beschreiben. Beethoven betritt hier wohl musikalisches Neuland, wenn er als einer der ersten Komponisten in einen kosntruktiven Dialog mit den Meistern vergangener Zeiten tritt und dies explizit als modernes Ausdrucksmittel nutzt. Keineswegs äfft er nur nach oder plappert nostalgisierend vor sich hin.
    Er setzt sich intensiv mit dem Stil, dem Ausdruck Bachs und Händels auseinander und findet seine eigene Lösung, die dennoch im Geiste Bachs und Händels steht.


    Wenn Dukas mit seinen Rameau-Variationen den späten Beethoven als Gesprächspartner wählt, in gleicher Weise konstruktiv, lässt er sich bereits auf ein Dialog "zweiter Potenz" ein, wie Goldbeck sagt.


    Wie epmfindet ihr diese Dialoge mit der Vergangenheit?
    Was für Werke kennt ihr, von denen ihr sagen würdet, der Komponist nimmt Bezug auf vergangene Zeiten und findet dennoch zu ganz eigenen Lösungen?


    Für mich schließe ich die genz nette, aber eher belanglose 1. Symphonie von Prokofieff mal aus: das ist IMO kein sonderbar konstruktiver Dialog.


    :hello:
    Wulf

  • Ein wunderschönes Thema, aber warum schließt Du Prokofieff aus? Er mag, und das sehr absichtlich, restaurativ sein, aber ich finde das einen durchaus konstruktiven, allerdings keineswegs "sonderbaren" Beitrag zur Auseinandersetzung mit älterer Musik, selbst wenn er nicht explizit zitiert. Fällt Bizets "Symphonie in C", die mir immer wieder wie ein Schwesterwerk zu Prokofieff Symphonie Classique vorkommt, dann auch darunter?


    Gelten die sogenannten Neoklassiker wie Strawinsky und sein THE RAKE'S PROGRESS oder Respighi und die herrlichen GLI UCELLI auch nicht? Was ist mit Richard Strauss' BÜRGER ALS EDELMANN?


    Ich finde die alle "konstruktiver" und auch gelungener als die einen oder anderen "Variationen über ein Thema von Paganini", obwohl die interessante Vergleiche zulassen, weil jeder bis hin zu Walter/Wendy Carlos' banalen Synthesizervariationen immer dasselbe Thema wählt.


    Apropos Carlos: wie steht es mit seiner Bearbeitung von Rossinis WILHELM TELL-Ouvertüre?


    Und mit Wagners DIE MEISTERSINGER?


    Fragen über Fragen, die hiffentlich auch schon ein Stück Antwort sind. Oder habe ich da etwas völlig falsch verstanden?


    :hello: Rideamus

  • Ganz und gar nichts falsch verstanden.


    Die Grenze ist sicher nicht leicht zu ziehen.
    Ich möchte kurz am Beispiel der Diabelli-Variationen klar machen, worum es mir geht und was ich weniger meine:


    Beethovens variiert ein Thema von Diabelli. Insofern nimmt er auch Bezug auf bereits geschriebenes. Diabellis Walzer ist jedoch nur Beethovens harmonsiches Gerüst, anhand dessen er sich in die entferntesten Bereiche bewegt und sich vielleicht wie selten zuvor vom eigtl. Ausgangsmaterial entfernt.
    Kurz vor Ende der Variationen gibt es die drei in c-moll stehenden, in denen Beethoven mit Bach und Händel kommuniziert. Diabelli "verkommt" selbst zu einem Materialieferanten,mit dem sich Beethoven im ganzen Werk kaum auseinandersetzt: stattdessen: Mozart, Bach, Händel.


    Die Paganini-Rhapsodie von Rachmaninov - ich mag sie sehr - ist IMO auch kein Dialog, wie ich ihn mir vorstelle. Rachmaninov variiert das Thema, geschickt, effektiv und unglaublich unmittelbar in der Wirkung. Aber, soweit ich das Stück im Ohr habe, gibt es im Werk keinen Dialog in dem Sinne mit Paganini oder einem anderen Komponisten. Kurz: Es gibt keine Stellen, wo man aufhorcht und sagt: Mensch, das ist doch xy, der mit den Augen von Rachmaninov blickt.


    Und um solche Stellen bze. Werke geht es mir.
    Strukturell und vom Duktus ist ja Brahms Pastorale (die 2.) nicht umsonst zu ihrem Namen gekommen. Außer den heiteren, friedfertigen Klängen merkt man die Auseinandersetzung mit dem großen Vorbild Beethoven und den Weg zu einer eigenen Lösung.


    Also, weniger "Postkarten-Imitate" alter Musik, sondern um das Extrahieren des "Geistes" aus ihr und Einbeziehen in die eigene Tonsprache.


    Auf anderer Ebene gelang dies ja Bartok. Er zitiert keine (kaum) Volkslieder, seine Werke atmen aber deren Geist.


    :hello:

  • Dann müsstest Du aber Max Regers "Variationen und Fuge über ein Thema von Mozart" gelten lassen, denn der setzt sich m. E., auch wenn ich das nicht in Tonarten und spezifischen Textstellen belegen kann, sehr intensiv mit Mozart und im gleichen Zusammenhang auch Bach auseinander.


    Die Charakterisierung von Respighi, Strauss, Strwainsky, Prokofieff & Co. als Postkarten-Imitatoren der Klassiker überlese ich jetzt mal lieber. :rolleyes:


    :hello: Rideamus

  • Lieber Wulf,


    Eigentlich nur eine kleine Nebensache, aber doch irgendwie typisch ist in Rossinis "Barbiere" Bartolos "Quando mi sei vicina / amabile Rosina...". Bartolo lobt den Stil von früher und singt diese Ariette so, daß einerseits das Veraltete daran klar wird, es andererseits aber auch wieder nicht so übel klingt, und die Zuhörer im Auditorium (nicht die auf der Bühne) ihr Wohlgefallen daran haben können. Das ist, wenn man es recht überlegt, eine ziemlich schwere Aufgabe, zu etwas Distanz signalisieren, ohne daß es unerträglich wird. Rossini hat das genial vereint.


    Zum Thema paßt wohl auch Musik "alla turca", oder?


    LG


    Waldi

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