Ich freue mich, heute den Gewinner der Auslosung aus dem Thread Alle sprechen über das selbe Musikwerk II präsentieren zu können: Leos Janacek - Sinfonietta
Einleitend einige Anmerkungen zu
Leben und Werk von Leos Janacek
1854 in Hukvaldy (Hochwald) in Mähren als Sohn eines Oberlehrers und Organisten geboren.
ab 1865 Stiftszögling im Augustinerkloster Brünn mit musikalischer Ausbildung, dort auch erste Erfahrungen als Chorleiter. Bis zu seinem Tod bleibt Brünn seine Heimatstadt. Er wird Chormeister, gründet eine Musikzeitung, wird 1882 zum Direktor der Brünner Orgelschule ernannt (dieser Stellung bleibt er bis 1919 treu), organisiert und dirigiert Konzerte, wird zu einer wichtigen Größe im kulturellen Leben der Stadt. Das kompositorische Schaffen, überwiegend Chormusik, bleibt im Hintergrund, trotz jeweils etwa einjährigem Studium an den Konservatorien in Leipzig und Wien.
1882 beginnt Janacek, Volkslieder aus seiner mährischen Heimat zu sammeln, in Bearbeitungen herauszugeben und theoretische Schriften darüber zu verfassen. Spätestens ab 1891 geht er einen entscheidenden Schritt weiter. Er sammelt Sprechmelodien, kurze Floskeln aus der Umgangssprache, die er in nicht endender Fülle bis zu seinem Tod als musikalische Motive notiert und auf unzähligen Notizzetteln aufbewahrt. In der älteren Litaratur wird dieser von Janacek geprägte Terminus auch als Sprachmelodie übersetzt, was mißverständlich ist. Es geht um real gesprochene, situations- und personenbezogene Umgangssprache. Die sangliche Eigenart und rhythmische Prägnanz der tschechischen Sprache dürfte ein wesentlicher Anreiz für Janaceks Studien gewesen sein (meine persönliche Vermutung ist, daß auch Janaceks untypische Sprechweise eine gewisse Rolle spielte: er soll ziemlich unmelodiös, ja abgehackt gesprochen haben, wodurch sich sogar sein eigener Name (korrekt Janaatschek ausgesprochen) für seine Landsleute ungewohnt angehört haben muß. Um Mißverständnisse zu vermeiden, meldete er sich in späteren Jahren am Telefon mit „Mein Name ist Janatschek mit langem a“).
Die Integration von folkloristischen Elementen und der Sprechmelodien in Janaceks Kompositionsstil findet während seiner Arbeit an der Oper Jenufa statt. Noch aus einem anderen Grund markiert diese Zeit eine Wende: die geliebte Tochter Olga stirbt, in der Folge Janaceks Ehe einer unaufhaltsamen Zerrüttung entgegen. Die Oper ist dem Gedenken an Olga gewidmet, und um der persönlichen Krise zu begegnen, wandelt sich Janacek zum berufenen Komponisten, der nun endlich die Mittel zu einem persönlichen und reifen Kompositionsstil gefunden hat.
Jenufa wird ab 1904 in Brünn mehrfach aufgeführt, aber noch bleibt der Erfolg regional.
Das ändert sich erst, als in Prag Max Brod auf den mährischen Außenseiter aufmerksam wird und begeistert für ihn Partei ergreift. Er überträgt die Operntexte zu „Jenufa“ und „Die Ausflüge des Herrn Broucek“ (in zwei Teilen 1908 und 1917 entstanden) ins Deutsche - keine leichte Aufgabe und logischerweise nur ein Notbehelf -, wodurch schließlich 1918 die Aufführung von Jenufa an der Wiener Hofoper ermöglicht wird. Quasi über Nacht wird Janacek als Vertreter der musikalischen Avantgarde erkannt und anerkannt. Gleichzeitig erlebt Janacek mit dem Ende des Krieges die ersehnte Entstehung des tschechischen Staates und die aufstrebende Entwicklung Brünns zur kulturell eigenständigen Metropole. Zu allem Überfluß verliebt er sich in die junge, wenn auch verheiratete Kamilla Stösslova, die bis zu seinem Lebensende seine Muse bleibt.
Es bleibt ihm ein Jahrzehnt, um in schöpferischer Höchstform und international geschätzt ein Meisterwerk nach dem anderen zu schreiben: die Opern Katja Kabanowa (1921), Das schlaue Füchslein (1923), Die Sache Makropulos (1925), Aus einem Totenhaus (1928 ), die beiden Streichquartette (1923, 1928 ), das fröhlich-ausgelassene Bläsersextett Mladi (1924 anläßlich seines 70. Geburtstages komponiert und augenzwinkernd mit dem Titel „Jugend“ bedacht) u.a.
1926 wird ein besonderes Jahr, denn hier entstehen die beiden außerhalb des Opernschaffens bedeutendsten Werke: Sinfonietta und die Glagolitische Messe.
Ein paar Gedanken zum Kompositionsstil
Harmonie und Klanglichkeit
harmonisch geht Janacek nicht wesentlich über eine erweiterte Tonalität hinaus, wie sie viele nicht-atonal komponierende Zeitgenossen verwenden (Bartok, Debussy u.a.). In seiner Harmonielehre fordert Janacek, daß jeder Akkord mit jedem verbunden werden kann. Von Debussy übernimmt er die Ganztonleiter und die Pentatonik, die als Ergänzung zur Dur-Moll-Tonalität eingesetzt werden. Eine besondere Klanglichkeit erreicht Janacek durch eine Vorliebe für Tonarten mit vielen b's, häufig Des-Dur und besonders seine Lieblingstonart as-Moll. Letztere hat 7 b's, in manchen Partituren steht seitenweise vor jeder Note ein b, was das Spiel im Orchester nicht gerade erleichtert.
Ein weiteres unverwechselbares Charakteristikum ist der „Spreizklang“ oder die „ausgesparte Mitte“: ein massives Baßfundament beispielsweise mit Akkorden in den Posaunen, darüber unter weitgehender Aussparung der Mittelstimmen sehr hohe Streicher oder Holzbläser, die oft sogar in schrille Regionen geführt werden. Dazwischen ist Platz für einsame Melodielinien und – in den Opern – für die Singstimmen, die auf diese Weise kaum Gefahr laufen, vom Orchester überdeckt zu werden (gleichwohl haben es schon immer wohlmeinende Dirigenten für nötig befunden, die vermeintlich fehlende Mitte zu ergänzen. Erst Mackerras hat sich für die Wiederinkraftsetzung der autographen Orchestrierungen stark gemacht).
Rhythmus
In der tschechischen Sprache wird jedes Wort auf der ersten Silbe betont, unabhängig von der Wortlänge und ob danach lange oder kurze Silben folgen (eine Eigenart, die in den anderen slawischen Sprachen nicht wiederzufinden ist, jedoch auch im Ungarischen). Bei Präpositionen geht sogar die Betonung des nachfolgenden Adjektivs bzw. Substantivs auf die Präposition über - diese Eigenart wurde von mir andernorts einmal bezeichnet als Strategie zur Vermeidung von Auftakten, was man in tschechischer Musik durchaus wiederfinden kann. Zusammen mit den häufig langen Endsilben und vielen langen vorletzten Silben ergibt sich aus der Betonungsregel eine ganz natürliche Synkopisierung der Sprache, die sich ganz besonders in Janaceks musikalischer Sprache wiederfindet.
Rhythmische Spannungen entstehen zudem durch häufige Taktwechsel und fast ausschließlich unregelmäßige Periodenbildungen.
Im Gegensatz dazu werden oft längere Spannungsbögen gebildet durch ostinatohaft wiederholte rhythmische und motivische Keimzellen oder Begleitfloskeln.
Weitere besondere Kennzeichen
höchste Verdichtung des musikalischen Ausdrucks, die Musik ist quasi immer auf 180, Ruhepausen und überhaupt ein richtig langsames Tempo gibt es kaum. Eine Satzdauer über 5 Minuten ist schon ausgesprochen lang, ein Opernakt ist nach durchschnittlich 30 Minuten zu Ende (und die Mitwirkenden haben sich wahrlich eine Pause verdient).
Immer geht es unmittelbar zur Sache, und wer von Janaceks Musik in den Bann gezogen wird, der spürt das in der Regel ebenso unmittelbar.
Sinfonietta
1. Allegretto (2:25)
2. Andante (6:10)
3. Moderato (5:23)
4. Allegretto (3:02)
5. Andante con moto (7:14)
(Dauern nach Mackerras / Wiener Philharmoniker)
Der erste Satz enstand als Auftragskomposition für einen Turnverein, dessen Mitglied Janacek war. Er komponierte eine Fanfare für Militärkapelle, bestehend aus 9 Trompeten, 2 Tenortuben, 2 Baßtrompeten und Pauken.
Kurze Zeit später hat Janacek die anderen Sätze hinzukomponiert und wollte das ganze Werk als Huldigung an seine Stadt Brünn verstanden wissen:
Der Strahl der Freiheit wurde über die Stadt gezaubert, der Strahl der Wiedergeburt, am 28. Oktober 1918! Ich sah mich in ihr, ich gehörte ihr. Und das Geschmetter der siegreichen Trompeten, die heilige Ruhe des entlegenen Königinklosters, die nächtlichen Schatten und der Atem der grünen Berge, die Vision eines sicheren Aufschwungs und der Grösse der Stadt erwuchs aus dieser Erkenntnis in meiner Sinfonietta, aus meiner Stadt - Brünn!
1. Satz
Es spielt nur die oben erwähnte Militärkapelle (heutzutage aus zusätzlichen Orchestermusikern rekrutiert), das „normale“ Orchester schweigt. Aus einfachen rhythmischen und motivischen Keimzellen, die satztechnisch genial verwoben werden, entwickelt sich in zwei Steigerungswellen eine prächtige Blechbläser-Klangfläche, die am Ende eine Weile in Des-Dur badet, um relativ abrupt abzubrechen. Der allgegenwärtige Rhythmus tatataa taatata taucht mehr oder weniger deutlich erkennbar in den nachfolgenden Sätzen wieder auf.
2. Satz
Der zweite Satz ist zwar „Andante“ überschrieben, der Hauptteil steht aber ebenfalls im Allegretto, er bringt eine leichtfüßige Melodie in Achtelbewegung und, etwas langsamer, eine kantilenenartige Melodie in (überwiegend) Vierteln, beide abwechselnd von Holzbläsern und Streichern vorgetragen.
Auf dem Höhepunkt (Maestoso) erscheinen erstmals die Trompeten (des „normalen“ Orchesters) mit einer angedeuteten Fanfare, die aus Keimzellen des 1. Satzes gebildet ist.
3. Satz
Der dritte Satz bringt wieder eine andere Besetzung ins Spiel: die arpeggierte Begleitfigur der Harfe und das später hinzutretende Englischhorn verleihen dem leicht melancholischen Hauptthema eine besondere Klangfarbe. Achtung, dieses Thema klingt für uns zwar auftaktig, ist es aber nicht: es beginnt mitten im Takt, der Schwerpunkt ist erst auf dem vierten Ton, nicht dem zweiten, also: ---tataaata taaa...
Ein weiteres Verständnisproblem besteht für das kurze Zwischenspiel, in dem die Posaunen den synkopischen Rhythmus tataa tataa tataa einführen, der später noch eine prominente Rolle spielen soll (er ist übrigens schon aus der Einleitung des zweiten Satzes bekannt, und wir werden ihm auch im Kehraus-Schluß des vierten Satzes begegnen).
Allerdings taucht im mittleren Abschnitt tatsächlich eine der seltenen auftaktigen Themen auf, ein bäuerisch klingender Walzer, der zunächst von der Posaune intoniert und von tiefen Streichern plump begleitet wird. Dieser Abschnitt führt nach einer massiven Steigerung zu einem aberwitzigen Prestissimo-Höhepunkt, in dem die Trompeten fanfarenartig den besagten synkopischen Rhythmus schmettern, und sich Flöte und Pikkoloflöte in dem Versuch, ihr Zwischenspiel in der vorgegebenen Zeit hinzubekommen, schier überschlagen (sie haben 32stel zu spielen, und das in der nicht gerade alltäglichen Tonart des-Moll). Ebenso schwer scheint es zu sein, dafür zu sorgen daß der Fanfarenrhythmus tataa tataa tataa tataa tataa nicht zum auftaktigen tataa tataa... umkippt, eine Kunst, die merkwürdigerweise tschechischen Orchestern im allgemeinen besser gelingt. Nichtsdestrotrotz verfehlt diese mitreißende Stelle ihre Wirkung eher selten.
4. Satz
Im vierten Satz haben die drei Trompeten des Orchesters von vorneherein das Hauptthema, das beinahe durchgehend ostinatohaft wiederholt wird (zum rhythmischen Verständnis: tatatata tatataa taatata - der zweite bis dritte Takt zitiert den bekannten Rhythmus aus dem ersten Satz).
5. Satz
Im Finale wartet Janacek mit einem besonderen Clou auf. Nach einem zunächst lyrischen Anfang mit Flöten- und anderen Holzbläserklängen tritt eine allmähliche dramatische Steigerung ein, während der der Orchesterklang quasi aufgespreizt wird. Die Holzbläser werden in teils schrille Regionen geführt, unten massieren sich die Posaunen. Es ist als würde ein Vorhang aufgehen für das was nun kommt: die Militärkapelle tritt, nachdem sie dreieinhalb Sätze lang pausiert hat, wieder in Erscheinung und wiederholt wörtlich den ganzen ersten Satz. Das Orchester begleitet zunächst in Trillerketten, die sich allmählich zu einem neuen strahlenden Motiv verdichten. Dem Ende des zitierten ersten Satzes wird noch eine kurze typisch Janaceksche Akkordfolge angehängt (die stark dem Schluß von „Taras Bulba“ ähnelt) und damit dem Feuerwerk mit 12 Trompeten ein atemberaubender Schlußpunkt gesetzt.
Khampan
weiterführende Links:
wewewe.leos-janacek.org/lex/1s2.htm
ein Lexikon in progress zu allen möglichen Stichwörtern rund um Janacek, bringt zur Sinfonietta interessante Details, u.a. Notenbeispiele zum 1. Satz und eine komplette Diskographie.
erste Partiturseite:
wewewe.universaledition.com/truman/en_templates/view.php3?f_id=279
aktuelle Aufführungen aller bei Universal Edition verlegten Werke Janaceks:
wewewe.universaledition.com/truman/en_templates/konz_akt.php3?komp_uid=2012
sowie bisheriges, beileibe nicht unwesentliches aus dem Taminoforum:
Janacek - Versuch eines Zugangs (seit Jan 06 verwaist, enthält auch einige wichtige Anmerkungen zur Sinfonietta. Ich war ergriffen zu sehen, wie viele Janacek-Süchtige dieses Forum vor mir bereits beherbergt hat)