Schostakowitsch (Shostakovich): Klaviermusik

  • Hallo zusammen,


    einen entsprechenden Thread habe ich hier noch nicht gefunden und da Schostakowitsch nicht sonderlich viel für Klavier solo geschrieben hat (Preludes Op.34, Präludien und Fugen op. 87, 2 Klaviersonaten), eröffen ich diesen Thread in dem über sein gesamtes Klavierschaffen diskutiert werden kann. Konkreter Auslöser für mich waren folgende Beiträge aus dem Thread Was hört Ihr gerade jetzt? (Klassik 2007):





    Selbst kenne auch ich nur die Jarrett-Aufnahme des op. 87 und kann damit ebenfalls nicht warm werden. Es fällt mir sogar schwer, genau zu sagen weshalb. Der Klang ist es bei mir vermutlich weniger - vielleicht spielt er aber auch eine Rolle.


    Eigentlich sollten alle Voraussetzungen dafür gegeben sein, dass mir das Werk gefällt:
    - Ich liebe Klaviermusik
    - Ich liebe Bachs Musik (insbesondere die beiden WTK)
    - Ich liebe es, wenn es in Moderner Musik Bezüge zu Bach gibt (z.B. bei Reger oder bei Villa-Lobos)
    - Ich liebe die Kammermusik Schostakowitschs
    - Ich liebe so manches Stück Klaviermusik des 20. Jahrhunderts


    Aber diese Aufnahme lässt mich kalt. Liegt es am Werk oder liegt es an der Interpretation? Ich bin mir nicht ganz sicher...
    Auch das Werk erscheint mir recht "spröde". Meistens wird es mir nach einer halben Stunde zu langweilig und ich höre nicht weiter.


    Denkt ihr Scherbakov spielt es so anders, dass sich mir das Werk bei ihm eher erschließen würde? Oder denkt ihr, dass es am Werk liegt? Mag von euch vielleicht sogar jemand gerade die oben genannte Jarrett-Aufnahme (seinerzeit bekam er recht gute Kritiken dafür)?


    Viele Grüße
    Frank

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  • Ich kenne Jarretts Aufnahme nicht. Ich kenne keine Jazz-Aufnahmen von ihm, aber was ich an klassischen oder barocken Werken gehört habe, ist immer eher "brav". Es könnte also durchaus an der Interpretation liegen.


    Scherbakov ist gewiß einen Versuch wert (es gibt eine weitere Naxos-CD mit anderen Klavierwerken von DSch, op.34 etc.), noch preiswerter ist Rubackyte auf Brilliant. (ich habe beide, kann aber ohne die nochmal ausführlich zu hören, kein Urteil abgeben, und noch weniger, welche Stücke ich besonders beeindruckend finde)


    Ein interessantes Projekt hat Mustonen vorgenommen; er kombinierte nämlich Schostakowitschs Präludien und Fugen mit Bachs WTK I. Hiervon habe ich allerdings nur die erste Folge. Man muß freilich seine Eigenwilligkeiten akzeptieren.



    Die Stücke selbst finde ich durchaus faszinierend, sie sind aber, verglichen mit anderen Werken Schostakowitschs sehr "konservativ". Die Bach-Hommage ist allenthalben deutlich, auch wenn der skurril-groteske Schostakowitsch-Tonfall nicht fehlt, so scheint er mir doch viel seltener zu sein als in anderen Stücken.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hallo,


    mir geht es wohl ähnlich wie Frank und Kontrapunkt. Da ich keine alternative Einspielung kenne, ist ein Vergleich nicht möglich.


    So sehr ich Keith Jarrett als Jazzmusiker auch schätze - diese Aufnahme finde ich nicht sehr lebendig. Die Musik plätschert ziemlich vor sich hin; ich empfinde kaum Spannungsbögen und Kontraste. Ich kann mir vorstellen, dass es weit lebendigere und wachere Interpretationen gibt, die den Stücken etwas mehr Puls zugestehen, was sie bestimmt besser zur Geltung bringen würde.


    Vielleicht hat ja hier jemand diese Erfahrung gemacht.


    Aber ich denke, dass die Präludien und Fugen nicht gerade zu meinen persönlichen Schostakowitsch-Höhepunkten gehören.


    Gruß,


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Ich habe diese Werke mit der Scherbakow-Aufnahme kennengelernt...



    ...und war vom ersten Moment an begeistert. Irgendwie mag ich diese Werke. Schostakowitsch hat sicher gewichtigere Stücke geschaffen, dennoch hat der Zyklus einen ganz eigenen Charme, mit der Rückgriffen auf alte Formen in der Verbindung mit den modernen Klängen des Komponisten.
    Ich empfinde Scherbakow als sehr klangschön und nuanciert, vor allem aber auch rhythmisch sehr gut.


    Vergleiche fehlen mir allerdings weitestgehend. Ich habe im Laden (wo leider die Zeit fehlt, sich auf neue Interpretationen einzulassen) in die Aufnahme von Ashkenazy reingehört, war damals ganz angetan, fand aber Scherbakwo im direkten Vergleich immer noch hervorragend.


    Für den Preis wie gesagt durchaus kennenlernenswert betreffs Werk und Interpret.


    Gruß
    Sascha

  • Vielen Dank für eure Antworten!


    Dass Jarrett zu "brav" spielt, trifft es wahrscheinlich. Inwieweit Scherbakov da besser ist, oder dieser brave Eindruck einfach zum Werk gehört, werde ich bei Gelegenheit selbst testen. Sprich: Die Scherbakov-Aufnahme landet auf meinem Einkaufszettel.
    Vielversprechend ist auf jeden Fall, dass Sascha davon spricht, dass die Aufnahme "rhythmisch sehr gut" ist.


    Mustonen schätze ich bisher nicht so sehr. Kenne ihn aber nur aus mehreren Konzerten. Vielleicht geht es eher von CD, wenn man nicht seiner ausladenden Gestik beim Klavier Spielen zusehen muss! :stumm:


    Bernd Glemser erzählte mir übrigens mal nach einem Konzert er würde auch gerne eine CD raus bringen kombiniert mit Schostakowitschs und Bachs Präludien und Fugen. Leider fände sich dafür kein Produzent. Schade!


    Viele Grüße
    Frank

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  • Dann und wann höre ich die Präludien und Fugen ganz gern. Allerdings höre ich sie nur selten hintereinander weg. Sie sind mir dafür zu wenig zusammengehörig. Das Wohltemperierte Klavier Bachs ist deutlich einheitlicher.


    Die oben abgebildete Aufnahme von Schwerbakow besitze ich ebenfalls. Auch ich halte sie für gut und empfehle sie gern.


    Allerdings ist das Bessere des Guten Feind. Und das Bessere ist eindeutig Richter in dieser Aufnahme:


    41GD7MHQADL.jpg


    Es handelt sich um keine Gesamtaufnahme. S. Richter hat keine gemacht. Er hat jedoch diverse Stücke aus op. 87 eingespielt. Immerhin befinden sich von ihnen rund 40 Minuten auf dieser Doppel-CD (die leider nur noch für viel Geld gebraucht erhältlich ist).


    Wie unterscheiden sich nun Scherbakow und Richter?


    Der größte Unterschied dürfte in dem Ausmaß der Gestaltung liegen. Scherbakow, so ist mein Eindruck, ohne im Besitz der Noten zu sein, gestaltet so gut wie nicht. Er spielt die Noten - welche er vollkommen beherrscht -, aber nicht mehr. Scherbakow ist stärker an der Motorik als an den Klangfarben interessiert. Rhythmisch, das Urteil erlaube ich mir, halte ich ihn sogar für stärker als Richter.


    Bei Richter tritt die Motorik in den Hintergrund, teils wirkt besonders das grundierende Spiel der linken Hand im Vergleich zu Scherbakow etwas unstet. Nur geht es Richter offenbar gar nicht um einen möglichst exakten Vortrag der Noten, also z.B. um ein über längere Zeit möglichst gleichförmiges Spiel der linken Hand. Ganz im Gegenteil ist Richter daran interessiert, nicht nur die Noten zu spielen, sondern diese, teils unter Verwendung großer Eigenmächtigkeiten, möglichst interessant zu gestalten. Er holt aus den Noten ein Mehr hinaus, das Scherbakow herauszuholen nicht gegeben ist. Ein Crescendo ist bei Scherbakow ein bloßes Ansteigen der Lautstärke, bei Richter hingegen ein fast schon magisches machtvolles Anschwellen. Der Klangkosmos, in dem Richter sich bewegt, ist ungeheuer. Einzelne hohe Töne der rechten Hand, die bei Scherbakow keine besondere Beachtung finden, versteht Richter derart in den Mittelpunkt zu rücken, dass sie auf eine Weise funkelnd leuchten, die ich nur mit beseelt zu beschreiben weiß. Richter ist im Vergleich zu Scherbakow, insbesondere aufgrund der Anschlagsvielfalt der rechten Hand, ein Zauberer, ein Magier der Klänge.


    Würde ein Komponist sein Werk von Scherbakow und Richter gespielt hören, würde er bei Scherbakow zufrieden äußern: "Ja, das ist wirklich gut gespielt." Bei Richter hingegen würde er staunen, weil er nicht geahnt hat, was alles in seiner Komposition steckt, und er würde sich ungläubig - und insgeheim bewundernd - selbst fragen: "Das habe ich komponiert?"


    Der Klang der Richter-Aufnahme ist übrigens trotz ständigen Hintergrund-Rauschens befriedigend bis gut.


    Gelesen habe ich schon oft, dass bei op. 87 die Aufnahme von Tatiana Nikolaeva die Referenz sei (sie hat das Werk zwei Mal eingespielt). Gehört habe ich Nikolaeva aber noch nie. Auch ihre Aufnahmen sind nur schwer erhältlich.


    Viele Grüße
    Thomas

  • Hallo,


    ich besitze die Scherbakov-Aufnahme und finde sie pianistisch überragend. Vielleicht könnte man stellenweise emotionaler an die Sache rangehen, aber an Transparenz und Klarheit finde ich Scherbakov hervorragend.


    Besondere Tipps:


    die Doppel - bzw. Tripelfugen in e-moll und d-moll, Schostakowitsch wie man ihn sich vorstellt..


    Gruß, Flo

    "Das Leben ist zu kurz für schlechte Musik"


    Wise Guys 2000

  • Hallo zusammen,


    habe nun endlich die Scherbakov-Aufnahme der Präludien und Fugen op. 87 erworben und auch direkt in drei Hörsitzungen angehört. Ohne äußere Zwänge, hätte ich sie womöglich sogar in einem Rutsch durchgehört! Was für ein spannendes Werk! Dies auch mit einer erstaunlichen Stimmungsvielfalt!
    Versuche mal aus dem Kopf (und mit Hilfe von freedb.org) ein paar Eindrücke zu schildern:
    "Track 14. Fugue no 19 in E flat major" welch ein ruhiges, wunderschönes Stück - nie hätte ich es blind gehört mit Schostakowitsch in Verbindung gebracht. Dann direkt darauf "15. Prelude no 20 in c minor" wieder Schostakowitsch in Reinform, wie ich ihn auch blind direkt zugeordnet hätte.
    Auch pianistisch und klangtechnisch finde ich die Aufnahme genial. Beeindruckend z.B. "8. Fugue no 16 in b flat minor" oder "10. Fugue no 17 in A flat major".


    Bei Gelegenheit werde ich mit Keith Jarrett vergleich hören und dann erneut berichten.


    Viele Grüße
    Frank

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  • Oh je, sehe gerade, dass die oben von mir genannten Preludes und Fugen zwar die richtigen Track-Nummern haben, aber von CD 2, statt von CD 1 sind. Die Bezeichnungen stimmen also alle nicht!


    Ansonsten habe ich nun Teile der Scherbakov-Aufnahme von op. 87 mit der Jarrett-Aufnahme verglichen. Jarrett klingt für mich einfach weicher, schwammiger, braver, langweiliger, unverbindlicher, usw...
    Teilweise mag dies durch die Klangtechnik gefördert werden, in der Hauptsache ist es aber seine Interpretation. Manches einzelne Stück für sich genommen klingt bei Jarrett gar nicht so übel. Aber wenn ich mehrere Stücke der Jarrett-Aufnahme hintereinander höre, dann wird es einfach fade. Bei den Stücken, wo dies nötig ist, finde ich auch den nötigen Schostakowitsch-Tonfall überhaupt nicht richtig getroffen.


    Im Booklet steht, dass Jarrett bei seinem Bach-Spiel bewusst wenig interpretiert und die Musik für sich sprechen lassen will. Scheinbar versucht er dies auch bei Schostakowitsch, was nach meinem Empfinden schief geht. Dies soll jetzt nicht im Umkehrschluss heißen, dass Schostakowitschs Musik so schwach wäre, dass der Interpret es richten muss. Nein, die Musik finde ich großartig! Sie muss nur auch ansprechen rübergebracht werden! Scherbakov schafft dies!


    Viele Grüße
    Frank

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  • ich habe die Interpretationen sowohl von Jarrett als auch von Ashkenazy - leider nicht von Richter!! Ashkenazy ist schon deutlich besser als der (in der Klassik doch überbewertete) Jarrett; Richter wird wahrscheinlich noch mehr den Nerv treffen.
    Scherbakow kenne ich gar nicht, leider.


    Ciao,
    tuonela

  • Ach, fast sieben Jahre lang ist hier nichts mehr geschrieben worden.


    Ich lerne Schostakowitschs Präludien und Fugen op. 87 erst jetzt kennen. Vor längerer Zeit wurde ich durch lobende Rezensionen auf diese relativ neue (kurz nach dem letzten Eintrag in diesem Thread erschienene) Einspielung von Jenny Lin aufmerksam:


    Dimitri Schostakowitsch:
    Präludien & Fugen op.87 Nr.1-24

    Jenny Lin
    Hänssler, DDD, 2008


    Eine transparente und feine Einspielung, die unaufdringlich berührt. Das gefällt mir sehr gut.


    In einer Besprechung der CD wird es so formuliert:

    Zitat

    "Gewissermaßen unter der imaginären Schirmherrschaft Johann Sebastian Bachs erklingen zärtliche, bis an die Grenze der Wahrnehmung verhaltene Klänge, amüsieren im nächsten Moment clowneske, übermütige Tanzsalven, frappieren verrückt beschleunigte Fugen-Strudel – kurzum: die Interpretin ist gefordert, sich den meditativen Passagen hinzugeben, sie dem Schlaginstrument Klavier unter Vermeidung jeglicher Grobheit zu entwinden. Flugs darauf jedoch muss sie rüpelhaft zupacken können, muss sie krasse Hörbilder vor dem inneren Auge ihres Publikums ausgestalten. "


    Ich kann nicht vergleichen, da dies meine erste Begegnung mit op. 87 ist und ich keine weitere Aufnahme besitze. Mich würden in Zukunft die hier erwähnten Aufnahmen von Tatjana Nikolajewa und von Konstantin Scherbakov. Ich glaube, Keith Jarrett interessiert mich nicht so. Tatjana Nikolajewa ist ja mit der Entstehung von op. 87 eng verbunden. Sie hat drei Einspielungen vorgelegt. Ich muss da mal schauen, wie es weitergeht.


    Ich freue mich, ein sehr berührendes Werk des von mir so verehrten Schostakowitsch kennen zu lernen.


    Mit freundlichen Grüßen von der Nordseeküste, Andrew

    „Nichts auf Erden ist kräftiger, die Traurigen fröhlich, die Ausgelassenen nachdenklich, die Verzagten herzhaft, die Verwegenen bedachtsam zu machen, die Hochmütigen zur Demut zu reizen, und Neid und Hass zu mindern, als die Musik.“

  • Nachdem ich genau die beiden Einspielungen von Jenny Lin und Konstantin Scherbakov besitze, habe ich jetzt mal kurz in Präludium und Fuge Nummer 1 reingehört. Die Lin-Aufnahme erscheint mir klanglich deutlich überlegen. Sie ist lauter aufgenommen, sodass man sich das sehr leicht täuschen kann, aber auch wenn man bei Scherbakov die Lautstärke anhebt, wirkt alles etwas weniger klar, das Klavier eine Spur weniger natürlich.

    Wo Lin die erste Fuge in 2:51 spielt, benötigt Scherbakov dafür 4:01, bei Fuge Nummer 8 steht es 5:32 gegen 7:10, auch bei Fuge Nummer 13 ist Scherbakov eine Minute langsamer. Das ist aber nicht immer so, es gibt auch Stücke, bei denen Lin etwas langsamer ist, aber da sind die Unterschiede nicht so groß.

    Zur Interpretation kann ich mich nicht qualifiziert äußern, und nur mal ein Präludium und eine Fuge von jeweils 24 anzuhören berechtigt allenfalls zur Schilderung eines ersten Höreindrucks. Beim Präludium fand ich Lin gleichzeitig klarer, deutlicher und gleichzeitig nicht weniger lyrisch oder verträumt als Scherbakov. Die Fuge erschien mir zunächst bei Scherbakov fast ansprechender, aber beim nochmaligen Hören fand ich es dann doch etwas langsam, während Lin dabei gewann. Die Struktur kommt klarer heraus, das Stück wirkt für mich schlüssiger und trotz des schnelleren Tempos habe ich immer das Gefühl, sie lässt sich Zeit genug und spielt alles aus.

  • Hallo zusammen,
    als DSCH-Freund und LP-Sammler lernte ich op.87 mit ihm selbst am Klavier kennen.
    Leider hat er nur eine Auswahl aufgenommen!
    Die Musik zog mich sofort in ihren Bann und ich begann, alternative Gesamtaufnahmen zu suchen.
    Habe sie alle angehört, von Jarrett über die Nikolajewa, Richter und Scherbakow...keine sagte mir recht zu.


    Erstaunlicherweise fehlte ihnen allen nichts, sie hatten etwas "zuviel", nämlich eine gewisse Verliebtheit in den Klavierklang, der dem Spiel Schostakowitschs
    so völlig abgeht. Bei allen bekam die Musik eine Art Sinnlichkeit, vor der er selbst sich geradezu zu scheuen scheint.
    Über manch "Gefühliges" huscht er geradezu hinweg, Skurriles klingt gebrochen, nicht in den Vordergrund gehoben.
    Dafür ergreift mich die Musik bei seinem Spiel tiefer emotional als so "klangverliebt".
    Selbt Witz ist bei ihm ja nicht ohne doppelten Boden, die als sonst "zu lang" empfundenen Stücke haben Innenspannung.
    Und ich gab beinahe auf, eine Alternative zu finden.


    Bis ich ihre Aufnahme hörte:
    https://www.jpc.de/jpcng/class…euvre-Pour-P/hnum/5304696



    Rein pianistisch ist sie über jeden Zweifel erhaben, aufnahmetechnisch die Aufnahmen denen DSCHs natürlich überlegen.
    Was ihr Spiel dann aber so zwingend macht, ist ihre Herangehensweise, den Klavierklang eben nicht um seiner selbst "blühen" zu lassen.
    Da war dann alles, was ich suchte: der etwas verhaltene Sarkasmus statt des platten Witzes. Die tiefe Emotion statt des schönklingenden Gefühls.


    Irgendwie sind für mich alle anderen Aufnahmen "Missverständnisse" auf mehr oder weniger hohem Niveau.
    Man verzeihe mir die verabsolutierende Aussage.


    Herzliche Grüße,
    Mike

  • erstaunlicherweise fehlte ihnen allen nichts, sie hatten etwas "zuviel", nämlich eine gewisse Verliebtheit in den Klavierklang, der dem Spiel Schostakowitschs
    so völlig abgeht. Bei allen bekam die Musik eine Art Sinnlichkeit, vor der er selbst sich geradezu zu scheuen scheint.
    ...
    Was ihr Spiel dann aber so zwingend macht, ist ihre Herangehensweise, den Klavierklang eben nicht um seiner selbst "blühen" zu lassen.
    Da war dann alles, was ich suchte: der etwas verhaltene Sarkasmus statt des platten Witzes. Die tiefe Emotion statt des schönklingenden Gefühls.



    Hallo Melante,


    ich glaube, das ist die Richtung, die ich suche. Du hast das treffend in Worte gefasst.
    In der Nüchternheit und in der Distanz liegen - so paradox das auch klingen mag, es ist paradox - für mich mehr Gefühl und Nähe als in allem Anderen.


    Für den Anfang reich mir meine vorliegende Aufnahme, aber dann möchte ich gern eine andere Interpretation kennen lernen. Danke für den Hinweis auf die Einspielung von Caroline Weichert (in dieser Box sind ja wohl alle Solo-Klavieraufnahmen enthalten ...) , ich habe mir deine Empfehlung notiert.


    Freundliche Grüße von der Nordseeküste, Andrew

    „Nichts auf Erden ist kräftiger, die Traurigen fröhlich, die Ausgelassenen nachdenklich, die Verzagten herzhaft, die Verwegenen bedachtsam zu machen, die Hochmütigen zur Demut zu reizen, und Neid und Hass zu mindern, als die Musik.“

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  • Hallo Andrew,
    lässt Du uns und mich Deinen Eindruck lesen, solltest Du die CDs mit Caroline Weichert kaufen?
    Zumal Du Dich mit dem Paradoxon beschäftigst, das nun wiederum Du so trefflich in Worte fasst.
    Ich wäre Dir für die Schilderung Deiner Hörerfahrung sehr dankbar.


    Herzliche Grüße vom Rhein,
    Mike

  • Rein pianistisch ist sie über jeden Zweifel erhaben, aufnahmetechnisch die Aufnahmen denen DSCHs natürlich überlegen.

    Na, dann muß ich mir die Aufnahme mal vornehmen, die steht seit mindestens zwei Jahren im Regal, ich befürchte ungehört. :no:

  • Nachdem ich vorigen Donnerstag im Wiener Konzerthaus dieses Werk mit Igor Levit erlebt hatte - Besprechung in der Tageszeitung "Der Standard" siehe unten -, habe ich mir wieder die Scherbakov-Aufnahme hervorgeholt und genieße die Präzision des Spiels und die aufnahmetechnische Meisterleistung. Ich verstehe ja die Kommentare, die sowohl bei Levit als auch bei Scherbakov den Ton als warm und weich bezeichnen, gar nicht negativ; nur verstehe ich nicht, was die Alternative wäre. Bzw. ist der "weiche Ton" bei manchen Präludien und Fugen einfach vonnöten und bei anderen die harte Pranke. Kann jemand dazu was sagen?


    https://goo.gl/HXN8Tb

    Bitte bedenken Sie, dass lautes Husten - auch zwischen den Stücken - die Konzentration der Künstler wie auch den Genuss der Zuhörer beeinträchtigt und sich durch den Filter eines Taschentuchs o. ä. erheblich dämpfen lässt.

  • Gestern ist die neue Aufnahme von Levit erschienen: Schostakowitschs 24 Präludien und Fugen und die fabelhafte Passacaglia on DSCH von Ronald Stevenson. Meine Vorfreude war groß, als ich sie vor Monaten bestellte. Ich wurde nicht enttäuscht. Die Aufnahmen haben meine Erwartungen und Hoffnungen übertroffen.


    Hier eine Sony-Promotion mit dem sympathischen Igor Levit. Interviews und - ab Minute 36 - einige Lieblingsstücke aus den Präludien und Fugen.


    Bitte bedenken Sie, dass lautes Husten - auch zwischen den Stücken - die Konzentration der Künstler wie auch den Genuss der Zuhörer beeinträchtigt und sich durch den Filter eines Taschentuchs o. ä. erheblich dämpfen lässt.

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  • Es scheint ja ein paar Freunde dieser Musik zu geben. Ich finde diese Musik für Schostakowitsch ungewöhnlich. Natürlich erkennt man den Komponisten an vielen Stellen, aber die Musik wirkt im Gegensatz zu vielem andern , was ich von ihm kenne irgendwie entspannt. Das liegt natürlich an den Umständen ihres Entsehens (jaja, der Kontext ist nicht immer unwichtig :)). Dieses Verinnerlichen der Musik geht Hand in Hand mit einer starken Strukturierung durch die von Bach vorgegebene Form.


    Ich empfinde, anders im Thread gesagt, das Werk als eine Einheit. Allerdings spielt das nicht jeder Interpret heraus.


    Ich möchte hier auf eine in meinen Augen ausgezeichnete Einspielung aufmerksam machen. Melnikov gelingt es, die gefühlsbeladenen Stellen (das Werk ist voll davon) immer im strukturellen Kontext zu sehen und nicht ins Sentimentale abzugleiten. Die barocke rhythmische Kraft ist immer durchzuhören, es gibt kaum melodische Verleitungen in empfindsame Überbetonungen.


  • Bei Melnikov würde mich interessieren, welchen Flügel er verwendet. Er spielt ja gerne auf historischen Instrumenten!


    Die eigentlich klassische Aufnahme der Schostakowitsch-Präludien und Fugen ist die von Tatjana Nikolajewa. Sie spielt nach meinem kurzen Hörvergleich die Fuge Nr. 1 auch glasklar. Wahrscheinlich ist dies die Aufnahme des monumentalen Schostakowitsch-Werks, die dem Geist von Johann Sebastian Bach am nächsten kommt. Das werde ich noch studieren, wenn ich dazu komme....



    Wirklich auch auf referenzwürdigem, höchstem Niveau ist die Gesamtaufnahme von Vladimir Ashkenazy. Bei ihm merkt man die Erfahrung des Dirigenten von Schostakowitschs Symphonien sowie seine Beschäftigung mit J.S. Bach. Ashkenazy betont durchaus auch die russisch-empfindsamen Seiten bei Schostakowitsch wie nach ihm Scherbakow und Igor Levit etwa, spielt aber die Stimmenpolyphonie in Richtung auf die klassische Aufnahme von T. Nikolajewa klar heraus. Zu bewundern bei Ashkenazy - der von Schostakowitschs Klaviermusik auch nicht nur die Präludien und Fugen eingespielt hat und darüber hinaus noch viel Kammermusik, also über umfassende musikalische Kenntnisse in Sachen Schostakowitsch verfügt - ist die immer perfekte Klangbalance und ein quasi symphonischer Stimmen-Aufbau. Der einzige kleine Kritikpunkt betrifft die Aufnahmetechnik: Decca hat den Flügel leider etwas in den Hintergrund gerückt - für mich wäre da ein etwas präsenteres Klangbild durchaus vorteilhaft gewesen. Ansonsten ist die (digitale) Aufnahmetechnik von Decca aber sehr gut.


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    Erschienen ist inzwischen auch in dieser Box - zusammen mit gesammelten Einzelaufnahmen von Emil Gilels, Svjatoslav Richter und Tatjana Nikolajeva - Schostakowitsches eigene Einspielung Anfang der 50iger Jahre. Damit lohnt es sich zu beschäftigen - was bestimmte Rückschlüsse auf die Authentizität der verschiedenen Interpretationsansätze von heute zulässt:



    Schöne Grüße

    Holger

  • In meinem Schostakowitsch Regal sind drei Aufnahmen der Präludien und Fugen Op. 87. Keine Erwähnung fand, dass der russische Komponist sie zum 200. Todestag Johann Sebastian Bachs von Oktober 1950 bis März 1951 komponiert hatte.


    die drei Einzel-CDs des Labels Melodia mt Tatiana Nikolaeva (AJ 1987), (die es beim Label Alto gibt)



    die Doppel-CD des Labels ECM mit Keith Jarrett (1991),



    und die in der Schostakowitsch-Box (49 CDs) des Labels Brilliant Classics enthaltenen Scheiben Nr. 26 & 27 mit Muza Rubackytè (AJ 2006).


    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Es ist sehr schwierig etwas Defintives zu den Interpretationen zu sagen. Ich finde gerade 11 Aufnahmen davon und liebe wirklich drei dieser Einspielungen. Das ist aber sehr subjektiv. Ich höre dieses Werk gerne vollständig. Das bringt Einspielungen, die das eine oder andere Präludium oder die Fuge sehr interessant spielen, aber keinen internen Zusammenhang zwischen den Stücken erkennen lassen, von der Bewertung je nach Perspektive ungerechterweise nach hinten.


    Tatjana Nikolajeva hat dieses Werk meines Wissens dreimal eingespielt. Ich kenne die Einspielung aus den 60-ger Jahren, die ich noch sehr gut finde. Die von Hyperion stammt aus dem Jahr 1990 und hat mich meistens etwas gelangweilt. (Ich habe mir gerade noch einmal die D-Dur Fuge (nr. 5) angehört, die ich wirklich nicht gelungen finde). Die Alto Aufzeichnung von moderato kenne ich nur vom Hörensagen ...


    Um die gefundenen Einspielungen mal zu nennen:


    Caroline Weichert (harmonia mundi France) (Aufzeichnung 1990-91) (Die Aufnahme höre ich nicht wirklich gerne. Ich finde den Klang nicht schön...)

    Igor Levit (gerade herausgekommen) finde ich ausgezeichnet! (2020)

    Alexander Melnikov (harmonia mundi) (2008-2009) (ebenfalls ausgezeichnet)

    Keith Jarrett (ECM) (1991) (nicht so schlecht, wie häufig geschrieben. Die Musik steht hier deutlich im Vordergrund)

    Tatajana Nikolajewa (hyperion) 1990 (für meinen Geschmack mittelmäßig)

    Vladimir Ashkenazy (Decca) (1996-98) (nicht schlecht, aber für mich auch nicht herausragend)

    Tatjana Nikolajewa (doremi ?) (1962) sehr gut

    Mûza Rubackyté, (Brilliant) (2006) durchschnittlich für meinen Geschmack

    Peter Donohoe, (Signum) (2014) sehr gut

    Konstantin Scherbakov, (Naxos) (1999) in einzelnen Stücken sehr gut, sonst für mich eher mittelmäßig

    Jenny Lin, (hänssler) (2008) ausgezeichnet


    Ich habe leider nicht die Einspielungen von Schostakowitsch selbst, was natürlich eine Sünde ist :(. Richter hat nicht alles eingespielt, deswegen höre ich seine Aufnahme nicht so häufig. Mustonen wäre noch ein Fall, den ich mir anschauen sollte. Der Mann hat Ideen, das finde ich immer gut :) Oxana Shevschenko hat das zwölfte Präludium mit Fuge schön eingespielt und es finden sich sogar Einspielungen von Trifonov im Internet, die nicht schlecht sind, aber hier fehlt natürlich die Gesamtsicht.


    Alles ein bisschen auch eine Frage des Geschmacks! Nehmen wir das Beispiel Präludium und Fuge Nr. 7 in A-Dur. Scherbakov spielt die geheimnisvoll und die Fuge bleibt irgendwo in der klanglichen Verzauberung. Das kann natürlich gefallen. Jenny Lin spielt das rhythmisch alles wesentlich präziser. Der Zauber ist nicht mehr offensichtlich. Bei der Fuge laufen mir bei Lin Schauer über den Rücken. Es kommt alles zusammen, barocker Rhythmus, unglaubliche Schönheit der Stimmen und polyphone Verflechtungen. Dagegen kommt mir die Vorstellung Scherbakovs nicht komplex genug vor, also eher platt ....


    Man sieht, man könnte stundenlang darüber schwatzen ...8-). Eigentlich führt hier kein Weg am Selberhören vorbei. Ich würde mir nie von jemand anderem sagen lassen, was mir zu gefallen hat :D

  • Bei Melnikov würde mich interessieren, welchen Flügel er verwendet. Er spielt ja gerne auf historischen Instrumenten!

    Da habe ich jetzt doch länger gesucht und die CDs nicht mehr gefunden. Auch bei kleineren Sammlungen gibt es da Durcheinander. Beim Digitalisieren habe ich vergessen, das Booklet mitzunehmen. Klanglich würde ich einen historischen Flügel gerade ausschließen, aber sicher ? Ich schaue einfach weiter und kommt die CD wieder an die Oberfläche scanne ich mir endlich das Booklet und gebe Bescheid :)


    Vielleicht hilft der kurze Film. Dummerweise habe ich die DVD einfach ignoriert ;(


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  • Tatajana Nikolajewa (hyperion) 1990 (für meinen Geschmack mittelmäßig)

    Dass Tatjana Nikolajeva weiß, was sie macht, darf man glaube ich voraussetzen. Sie hat im Auftrag von Schostakowitsch ja die Uraufführung gemacht. ;) 1987 hat sie - von Moderato abgebildet - beim sowjetischen Label Melodya 1987 eine viel gelobte Gesamtaufnahme eingespielt (das ist wohl ihre zweite) und dann drei Jahre später in London noch einmal diese für Hyperion. Beide sind sehr (!) unterschiedlich. Die Londoner Aufnahme ist viel ausgeglichener und ausgewogener, auch bedächtiger - und unglaublich schön und hyper genau gespielt. Den Unterschied merkt man bereits beim 1. Präludium. In London spielt sie das "russische Expressivo" nicht mehr wie drei Jahre zuvor - die dynamischen "Drücker" sind alle weg zugunsten einen natürlich-entspannteren, flüssig-schönen Spiels.


    Woher das kommt, kann man nun auch erklären, wenn man etwas mit den Besonderheiten der russischen Pianistenschule vertraut ist. Tatjana Nikolajewa ist neben Lazar Berman wohl die berühmteste Schüler(in) von Alexander Goldenweiser. Goldenweiser war der Antipode von Heinrich Neuhaus, dem Lehrer von Emil Gilels und Svjatoslav Richter. Er pflegte einen "minimalistischen" Stil (ich habe auch eine Aufnahme von Goldenweiser, da kann man das gut hören). Er verabscheute jede Art von Übertreibung und Subjektivismus, mochte also das typisch russische "Expressivo" nicht. Lazar Berman zitiert Goldenweisers Maxime, die er an seine Schüler weitergab: "Man muss jede Note, die man spielt, begründen können!" Tatjana Nikolajewa spielt in den russischen Aufnahmen, so wie ich es gehört habe, die Präludien und Fugen auch sehr expressiv. Das liegt ganz sicher an ihrem persönlichen Kontakt mit Schostakowitsch, mit dem sie die Stücke besprochen und sicher auch Schostakowitschs Aufführungen im Konzert besucht hat. Schostakowitsch (den Hörschnipseln nach zu urteilen, ich muss mir die Aufnahme auch noch besorgen! ;) ) hat einen sehr expressiven Vortragsstil. In ihrer letzten Gesamtaufnahme bei Hyperion kehrt Tatjana Nikolajewa dann hörbar zu dem Goldenweiser-Stil zurück - nimmt Distanz zur "russischen" Aufführungspraxis und also auch zu ihren eigenen früheren Aufnahmen. Bei Lazar Berman (der Goldenweisers Lieblingsschüler war) gibt es Parallelen. Seine Konzertaufnahmen aus Russland sind oft viel extrovertierter und expressiver als die unglaublich ausgefeilten späteren Studio-Aufnahmen bei der DGG, wo er dann nach dem Motto - das ist ja für die Ewigkeit! - die Goldenweiser-Lehranweisungen besonders strikt zu befolgen scheint. Manchmal geht es mir auch so, dass mir dann die extrovertierten Mitschnitte aus Russland lieber sind. Aber: Dieser Goldenweiser-Purismus hat gerade bei Liszt z.B. sein Gutes - wo dann jeglicher Virtuosen-Bombast und Schwulst verschwindet und nur noch die musikalische Substanz spricht! Und ich finde das gilt auch für Nikolajewas letzte Aufnahme aus London. Nicht nur, dass das unglaublich schön gespielt ist. Da wird z.B. das 2. Präludium nicht einfach nur wie eine Fingergeläufigkeits-Etüde virtuos runtergespielt, sondern es hat Struktur. Bei keiner anderen Aufnahme spüre ich bei den Fugen den "neobarocken" Geist bei Schostakowitsch so wie bei dieser. Man hat das Gefühl, man ist in einer Kathedrale und kann sich in Ruhe jedes Kirchenfenster anschauen - musikalisch: Jeder Stimmeneinsatz wird zum Ereignis, so als dirigiere die Pianisten einen Chor, der vor ihr steht.


    Mein Lehrer, Franz-Josef, hat an der Musikhochschule bei Ludwig und Kontarsky studiert und Tatjana Nikolajewa ist ihm da auch regelmäßig über den Weg gelaufen, wie er mir erzählte - ihre Konzerte haben sie als Studenten gehört. Wenn ich ihm die 1. Fuge mit Levit oder Scherbakow vorspiele, kann ich sein Urteil vorhersagen. In solchen Fällen pflegt er ironisch zu sagen: "Da geht einer mit der Wünschelrute durch die Partitur!" ^^ Was Levit oder Scherbakow da machen, ist sehr expressiv, es klingt empfindsam und russisch-getragen, aber es ist nicht wirklich eine Fuge, die da erklingt, die eine gewisse architektonische Strenge haben muss. Das Problem ist natürlich, dass dies ein Mammutwerk ist. Wenn man die 48 Stücke tatsächlich durchhören will, wie Du es machst, sind Interpreten im Vorteil, die in ihrem Vortrag die Musik "aufpeppen". Dann entsteht keine "Langeweile", sondern der Vortrag wird kurzweilig, so dass man mehr von dieser Musik verträgt. Ich selbst kann das nicht - genauso wenig wie ich Bachs komplette Präludien und Fugen am Stück hören kann, gelingt mir das bei Schostakowitsch. Selbst die Ashkenazy-Aufnahme, die bei mir schon lange im regal steht, habe ich bis heute nicht komplett durchgehört! ^^ Für mich ist die Musik zu gehaltvoll - da höre ich dann lieber an einem Tag eine Auswahl und lasse mir das Folgende für später. Bei Nikolajewa finde ich sollte man beide Aufnahmen haben - die russisch-expressive und die "schöne" im Goldenweiser Stil aus London. "Mittelmäßig" jedenfalls ist finde ich ein krasses Fehlurteil für meinen Geschmack!

    Da habe ich jetzt doch länger gesucht und die CDs nicht mehr gefunden. Auch bei kleineren Sammlungen gibt es da Durcheinander. Beim Digitalisieren habe ich vergessen, das Booklet mitzunehmen. Klanglich würde ich einen historischen Flügel gerade ausschließen, aber sicher ? Ich schaue einfach weiter und kommt die CD wieder an die Oberfläche scanne ich mir endlich das Booklet und gebe Bescheid

    Ich würde auch mal vermuten, dass er einen "normalen" Steinway spielt. Mich hat nur der Hinweis, dass es ein Gespräch mit Andreas Staier gibt, dem Spezialisten für alte Instrumente, zu meiner Frage veranlasst. Mit Isabel Faust zusammen spielt Melnikow ja auch gerne auf dem historischen Hammerflügel. Ich habe auch noch eine Aufnahme mit Scriabin von ihm, die ist aber auch auf dem modernen Konzertflügel gespielt. Man kann natürlich so eine Aufnahme auch auf einem historischen Steinway einspielen...


    Schöne Grüße

    Holger

  • Dass Tatjana Nikolajeva weiß, was sie macht, darf man glaube ich voraussetzen. Sie hat im Auftrag von Schostakowitsch ja die Uraufführung gemacht. ;)

    Das bezweifele ich nicht im mindesten. Sie war sicher zu Ihrer Zeit die autoritative Kraft der Interpretation. Ich hatte mir tatsächlich so um 1990 die Aufnahme geholt und war eigentlich etwas enttäuscht. Dieser Eindruck ist über die dreißig Jahre Hörens geblieben. Das ist zugegebenermaßen subjektiv. Aber es scheint kein Gesetz zu geben, dass eine historische Referenzaufnahme grundsätzlich gefallen muss, oder :)?


    Ich höre in den Stücken weit mehr, als sie in dieser Aufnahme herausspielt. Mein persönlicher Eindruck ist, dass dieses Werk von Schostakowitsch erst in den letzten Jahren in den Fokus der Pianisten geraten ist, völlig zu Recht!


    Ich habe mal von einem Musiker gehört, dass Kompositionen so etwas wie Kinder sind. Man bringt sie zur Welt und hat Pläne und Ideen und nachher gehen sie dann doch andere Wege. So sehe ich das hier auch ein wenig....


    Ich würde auch mal vermuten, dass er einen "normalen" Steinway spielt.


    Das war auch meine Vermutung, ein bisschen durch den Film auch unterstützt. Ich habe lange Zeit den Fehler gemacht, meine digitalisierten CDs nicht mehr weiter zu ordnen, sondern sie einfach auf Haufen abzulegen. Das schien mir nicht nötig. Mittlerweile versuche ich diesen Fehler zu korrigieren.

  • Das bezweifele ich nicht im mindesten. Sie war sicher zu Ihrer Zeit die autoritative Kraft der Interpretation. Ich hatte mir tatsächlich so um 1990 die Aufnahme geholt und war eigentlich etwas enttäuscht. Dieser Eindruck ist über die dreißig Jahre Hörens geblieben. Das ist zugegebenermaßen subjektiv. Aber es scheint kein Gesetz zu geben, dass eine historische Referenzaufnahme grundsätzlich gefallen muss, oder :) ?

    Natürlich. ;) Dann hast Du leider die für Dich "falsche" Aufnahme von ihr zuerst kennengelernt. Da wird Dir die Melodya-Aufnahme bestimmt besser gefallen! ^^

    Ich höre in den Stücken weit mehr, als sie in dieser Aufnahme herausspielt. Mein persönlicher Eindruck ist, dass dieses Werk von Schostakowitsch erst in den letzten Jahren in den Fokus der Pianisten geraten ist, völlig zu Recht!


    Ich habe mal von einem Musiker gehört, dass Kompositionen so etwas wie Kinder sind. Man bringt sie zur Welt und hat Pläne und Ideen und nachher gehen sie dann doch andere Wege. So sehe ich das hier auch ein wenig....

    Das ist ja auch gut so und spricht für das Werk! Dazu kommt noch, dass sich die Interpretationsstile verändern. Zu Gulda-Zeiten, also als die "Neue Sachlichkeit" en vogue war, hat man sich solche Freiheiten wie die Interpretengeneration heute, im Zeitalter der Postmoderne, nicht erlaubt. Das tut den Werken in vielen Fällen sicher gut, nur manchmal droht auch ein Verlust. Da behalte ich deshalb die alten "puristischen" Aufnahmen gerne als Messlatte. Dann weiß man dann auch, wo die verschiedenen Wege hinführen und was die grundsätzlichen Alternativen sind. :hello:


    Schöne Grüße

    Holger


  • Gestern nach Feierabend habe ich es doch tatsächlich geschafft, die ersten zwölf der Präludien und Fugen zu hören. Die Aufnahme von Igor Levit (Kuriosität: die Werbung bei jpc (Verlinkung s.o.!) zeigt nicht ihn, sondern Vinkigur Olafssons Mozart! ^^ - wieso merken die das nicht?) gefällt mir sehr gut. Mein einziger Einwand - mein erster Eindruck hat sich hier bestätigt - sind die Fugen. Bei einer dreistimmigen Fuge sollte man doch hören können: jetzt setzt die erste, die zweite, die dritte Stimme ein! Levit spielt die Fugen aber nicht polyphon, sondern hält sich an die Bewegung der Musik, die irgendwie vorwärtstreibt in einem großen Strom. Statt einem Fugen-Aufbau gibt es dann so ein Gewusel von Fäden, wo man Anfang und Ende nicht mehr wahrnimmt. Mir ging da immer wieder die Frage durch den Kopf: Wie würde das wohl Glenn Gould machen? "How to play a Fuge!" - wäre hier die Frage! ^^ In Ausschnitten gegengehört habe ich dann Vladimir Ashkenazy. Bei ihm fand ich manches auch sehr herb, was in mir im Moment dann auch nicht Begeisterungsstürme hervorrief (ich muss auch seine Aufnahme noch eingehender studieren!) - aber die Fugen sind stets hervorragend gespielt. Selbst wenn Ashkenazy deutlich flotter im Tempo unterwegs ist als Levit, hört man die Fugern-Polyphonie, die bei Levit im Klangstrom nahezu untergeht. :)


    Schöne Grüße

    Holger

  • Levit spielt die Fugen aber nicht polyphon, sondern hält sich an die Bewegung der Musik, die irgendwie vorwärtstreibt in einem großen Strom. Statt einem Fugen-Aufbau gibt es dann so ein Gewusel von Fäden, wo man Anfang und Ende nicht mehr wahrnimmt. Mir ging da immer wieder die Frage durch den Kopf: Wie würde das wohl Glenn Gould machen? "How to play a Fuge!" - wäre hier die Frage! ^^

    Dass bei Levit der Musikstrom im Vordergrund steht, würde ich sofort unterschreiben. Für mich war das aber auch eine Entdeckung. Er gibt so den 24 (48) Stücken einen unglaublichen Zusammenhalt. Dass die Fugen nicht mehr heraushörbar sind, habe ich so jetzt nicht wahrgenommen. Da müsste ich noch einmal detailliert hineinhören.


    Tatsächlich spielt bei Levit der Klang eine wichtige Rolle, die er bei den Einspielungen Lins und Melnikovs in dieser Gewichtung nicht hat.


    Gould würde das nie und nimmer so spielen ^^. Eine sehr polyphone und trotzdem sehr sensible Einspielung kommt von der amerikanischen Pianistin Jennifer Lin, die ich oben schon erwähnt hatte und die auch im Thread insgesamt schon erwähnt wird.

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