Digitaler Skandal: kopierte Wiederholungen

  • Liebe Musikfreunde,


    wie inzwischen bekannt, bestehe ich regelmäßig auf der Ausführung aller vorgeschriebenen Wiederholungen. Abstarkt betrachtet, findet im Verlauf der Aufführung eines Musikwerks - ob dem Musiker bewußt oder nicht - eine stetige Entwicklung einer (wie auch immer garteten) musikalischen Aussage statt, die auch vor einem Wiederholungszeichen nicht haltmacht.
    Ob in einer gut gehaltenen Rede ein Satz einmal oder zweimal gesprochen wird, macht einen recht deutlichen Unterschied. In der Musik halten erstaunliche viele (Hörer und Musiker) die Wiederholungen für ziemlich überflüssigen Ballast, und es sieht auf den ersten Blick tatsächlich so aus, als könne man sie rückstandslos aus dem Notentext streichen. Daß dem nicht so ist, daß z.B. eine im weiteren Verlauf variiert wiederaufgenommene Rückleitung zum Anfang eines Satzes dann unverständlich wird, wenn die Wiederholung nicht vorher erklungen ist, habe ich schon vereinzelt in verschiedenen Threads angemerkt, und dies wird auch noch Gegenstand einer eigenen Untersuchung werden.


    Obigen Gedanken aufgreifend, möchte ich überspitzt formulieren: wer es sich nicht zutraut, durch eine Wiederholung eine musikalisch interessante Aussage zu machen, der soll bitte schweigen, und zwar ganz. Niemand ist gezwungen, ein Stück zu spielen das er nicht versteht.


    Damit wären wir beim Hauptthema dieses Threads...


    Aus einem Anfangsverdacht, den ich beim Anhören der Beethoven-Streichquartette mit dem Takacs Quartet bekam, als mir merkwürdige Übereinstimmungen in einigen Wiederholungen auffielen (und zwar gerade deswegen auffielen, weil die Aufnahmen eigentlich technisch perfekt sind), wurde eine ziemlich ausufernde Untersuchung verschiedenster Aufnahmen, inwieweit sich die beteiligten Musiker und Produzenten die Mühe machen, bei Wiederholungen wirklich unterschiedliche Versionen zu spielen bzw. zu verwenden (dies nur als Minimalanforderung; ob sich die Take-Puzzles zu einer sinnvollen Aussage zusammenfügen, ist eine andere Frage) oder ob sie sich die Arbeit dadurch erleichtern, daß sie einzelne kürzere oder längere Passagen zweimal verwenden.


    Technisch gesehen, ist die Suche nach digital mehr oder weniger identischen Musikpassagen ein Kinderspiel (damit hat wohl niemand gerechnet):
    - Musikstück in einem geeigneten Soundprogramm öffnen (v.a. eine gute Wellenformdarstellung ist vorteilhaft)
    - Wiederholungen auf je zwei Spuren synchron übereinanderlegen, ein Stereopaar davon mit umgekehrter Phase, je einen Kanal ausblenden.
    - Wellenform auf verdächtige Symmetrien absuchen (das ist das zeitraubende daran)
    - sobald eine verdächtige Stelle gefunden ist, diese sample-genau synchronisieren, alle 4 Spuren gleichzeitig abspielen und anhören wieweit sie sich gegenseitig auslöschen.
    - Dauer der Auslöschung notieren, nächste Stelle suchen usw.



    Das Ergebnis:


    die positive Nachricht vorweg: Es wird überwiegend verantwortungsbewußt gearbeitet. Kopien beschränken sich in der Mehrheit auf wenige Sekunden. Wenn eine schwierige Stelle nur einmal besonders gut gelungen ist, ist nichts dagegen einzuwenden, sie zweimal zu verwenden, und in diesem Sinne scheint es wohl überwiegend gehandhabt zu werden.



    Damit diese positive Tendenz auch in Zukunft erhalten bleibt, gibt es ab sofort bei Tamino die


    schwarze Liste der Wiederholungstäter


    - Teil 1 Sinfonik -


    [Die Prozentzahlen im folgenden geben den Anteil der kopierten Passagen in Relation zur maximal kopierbaren Dauer an]


    An einsamer Spitze steht:


    Jos van Immerseel / Anima Eterna
    Schubert 9. Sinfonie C-Dur


    1. Satz
    Exposition: 85 % (u.a. das komplette 2. Thema)


    3. Satz
    a) 1. Teil des Scherzos: 72 %
    b) 2. Teil des Scherzos: 97 %
    Trio nicht untersucht
    c) da capo, ohne Whg: 100 % identisch mit jeweils 1. Mal von a) und b)


    4. Satz
    Exposition: 97 %



    Sonst habe ich bedenkliche Prozentsätze nur bei einigen altehrwürdigen Aufnahmen gefunden:


    Wand / SO des NDR
    Brahms 3. Sinfonie
    1. Satz 82 %


    Kubelik / SO des BR
    Schumann 2. Sinfonie
    1. Satz 69 %


    Karajan / Wiener Philharmoniker
    Bruckner 7. Sinfonie (Karajan Gold)
    3. Satz 54 %
    (schon schwer so einen Satz ohne Dirigenten zu spielen...)



    Ob man dem Herrn Kraus damit schon die gebührende Ehre erweist, würde ich mal bezweifeln:


    Sundkvist / Swedish Chamber Orchestra
    Kraus Sinfonie C-Dur
    2. Satz 84 % (je eine lange Passage in beiden Teilen)
    3. Satz 96 %


    Concerto Köln
    Kraus Sinfonie C-Dur
    2. Satz 30% (eine lange kopiete Passage im 2. Teil, incl. unsauberes Violinsolo und Flugzeuglärm)
    3. Satz 39 % (in der Whg. Tempoverlangsamung deutlich spürbar durch Kopie aus dem langsameren 1. Durchlauf)



    Das war's vorläufig.
    Daß hier nicht von einer Normalität gesprochen werden kann, beweist allein schon die Mehrheit von Aufnahmen, bei denen sich der Anteil kopierter Passagen zwischen 0 und 25 % bewegt.


    Bisher untersucht:
    11-25 % Kopien gefunden bei
    Norrington / LCP /Beethoven
    Gardiner / ORR / Beethoven
    Zinman / TOZ /Beethoven


    0-11 % Kopien gefunden bei
    Rattle / Wiener Ph / Beethoven 2.
    Kleiber / Wiener Ph / Beethoven 7. (nur im 1. Satz 15 %, sonst nichts)
    Harnoncourt / Berliner Ph / Brahms
    Wolff / SO des HR / Beethoven 4.
    Chailly / Concertgebouw / Bruckner 6.



    Zugegeben, die Liste ist noch nicht lang, mein Schwerpunkt lag auch zunächst bei der Kammermusik. Konkrete Anfragen könnt ihr gerne per PN an mich stellen.
    Natürlich wäre es super, wenn andere Taminoianer sich an den Untersuchungen beteiligen würden. Ich denke Paul probiert schon mal...


    Gruß,
    Khampan

  • Der kopierte Flugzeuglärm amüsiert mich


    :hahahaha:


    lg,


    :hello:

    leporellina


    Musik machen ist ein erotischer Akt, weil es mit Wollen, mit Leidenschaft zu tun hat. Daniel Barenboim

  • Hallo Khampan,


    Deine Untersuchungen und hier veröffentlichten Ergebnisse begrüße ich sehr.


    Wenngleich ich meist nicht in der Lage bin, die Kopiererei selber zu bemerken, mag ich dieses Geschnipsel prinzipiell nicht. Beim Wissen um solche Mittel vergeht mir ein großer Teil meiner Lust an der jeweiligen Aufnahme, und ein Aufkommen von Ablehnung kann ich in solchen Fällen nur schwer oder gar nicht verhindern.


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Hallo Khampan,


    nimm' es mir nicht übel, aber dieses strenge Einfordern der Wiederholungen kann ich nicht nachvollziehen.
    Darüber hinaus finde ich es abwegig, technisch verdoppelte Passagen im Rahmen einer schwarzen Liste zu verurteilen. Denn wie du ja selbst ausführlich darstellst, lässt sich diese Manipulation kaum oder zumindest nicht sicher durch bloßes Anhören, sondern nur mit für mich ästhetisch irrelevanten technischen Untersuchungen feststellen.
    Für entscheidend halte ich das klingende Ergebnis. Daher meine ich, das man eine nicht variierte Wiederholung nur aus ästhetischen Gründen ablehnen (oder begrüßen) kann.


    Zitat

    Original von Khampan
    Liebe Musikfreunde,


    wie inzwischen bekannt, bestehe ich regelmäßig auf der Ausführung aller vorgeschriebenen Wiederholungen. Abstarkt betrachtet, findet im Verlauf der Aufführung eines Musikwerks - ob dem Musiker bewußt oder nicht - eine stetige Entwicklung einer (wie auch immer garteten) musikalischen Aussage statt, die auch vor einem Wiederholungszeichen nicht haltmacht.


    Wenn dir grundsätzlich solche technischen Manipulationen wie Verdoppelungen ein Greuel sind, dürftest du konsequenterweise nur Live-Aufnahmen bzw. in einem Rutsch (ohne Schnitte und Abmischung) aufgenommene Interpretationen zulassen.
    Ich mag dagegen nicht ausschließen, dass Musiker erst mit den Möglichkeiten des modernen Tonstudios die von ihnen beabsichtigte Entwicklung einer musikalischen Aussage darstellen können.


    Zitat

    Ob in einer gut gehaltenen Rede ein Satz einmal oder zweimal gesprochen wird, macht einen recht deutlichen Unterschied.


    Eben. Man kann auch zu dem Schluss kommen, dass die Wiederholung etwa einer Durchführung oder des "zweiten Teils" einer Allemande falsch wäre. Mir scheint das jedenfalls insofern plausibel, als dass eine Wiederholung ja im Allgemeinen eher eine Abschwächung oder emotionale Distanzierung mit sich bringt. Ist die Exposition eines Sonatensatzes oder der "erste Teil" einer Allemende so etwas wie eine Frage, die man gerne auch nochmal wiederholen kann, so kommt mir eine Durchführung oder der "zweite Teil" einer Allemende wie eine prägnante Antwort vor, die das zuvor exponierte aufgreift, weiterführt oder in einem neuen Licht erscheinen lässt. Die Überraschung, die man dabei erlebt, verliert doch eher, wenn man das dann nochmal gesagt bekommt.


    Aus dieser Überlegung kann man allerdings keine allgemein verbindliche Regel machen. Man muss dann halt im Einzelfall diskutieren, ob und inwiefern der Unterschied zwischem Gesagtem und nochmals Gesagtem sinnvoll ist oder nicht. So kann man ja Minimal Music nicht für die vielen (vielleicht ein bisschen variierten) Wiederholungen kritisieren, auch wenn ich eher sich dramatisch fortentwickelnde Musik mag. Wenn ich mich auf Minimal Music einlasse, muss ich Wiederholungen, ein tendenzielles Stehenbleiben der Musik in Kauf nehmen. Denn gerade über diesen (für mich beschwerlichen) Weg will der Komponist ja ein Tor zu einem neuen Ausdruck aufstoßen. (Ich dachte hier an, wenn ich mich recht entsinne, an das Klavierquartett von Morton Feldmann, der vielleicht gar keine Minimal Music macht, aber auf jeden Fall Sitzfleisch verlangt.)


    Gegen die letzten zwei Absätze kann man leicht einwenden, ich würde Mehreres durcheinanderwürfeln. Denn zum Einen rede ich von der Wirkung einer Wiederholung auf mich, zum andern von Wiederholungen wie man sie auf ganz verschiedene Art in verschiedenen Stilen vorfindet, deren zwangsläufige Ausführung gar nicht zur Disposition steht - von mir subjektiv bewertet.
    Aber wie hat denn ein Komponist den Doppelpunkt zur Wiederholung eigentlich genau gemeint? Ist sie zwingend oder eine Möglichkeit? Die Partitur reicht für eine Beantwortung dieser Frage jedenfalls nicht aus. Vielmehr muss man sich zu den Gepflogenheiten der jeweiligen Epoche und Aussagen des Komponisten kundig machen. Z. B. hieß es ja in einem anderen Thread mal, Brahms hätte die Wiederholung der Exposition einer Sinfonie freigestellt, sobald sie bekannter geworden wäre.
    Dann kann man noch obendrein mit Grund meinen, der Komponist oder die Epoche sei eben halt im Unrecht.


    Viele Grüße


    :hello:

  • Zitat

    Original von Uwe Schoof
    Wenngleich ich meist nicht in der Lage bin, die Kopiererei selber zu bemerken,


    damit sprichst du einen sehr wichtigen Aspekt an. Die Gehirnforschung weiß längst: wir registrieren sehr viel mehr als wir bemerken.


    Mit dem Takacs Quartet ging es mir so: es ließ mich merkwürdig kalt, obwohl alles so perfekt gespielt war wie ich es mir nur wünschen konnte, die sauberste Intonation die ich je von einem Streichquartett gehört habe (zu meinem Leidwesen bin ich in der Beziehung sehr empfindlich), absolut überzeugende Tempi, Superklang. Daß auf so einer CD 500-1000 Schnitte sind weiß ich, damit muß ich leben können wenn ich diese Perfektion will.
    Aber daß ein derartiger musikalischer Stillstand herrscht, daß mich nicht einmal mehr technische Perfektion begeistern kann, das war schon eine harte Nuß für mich. Ich denke da hatten meine Neuronen längst Alarmsignale ausgegeben: hier ist was faul - bevor mir irgend etwas bewußt geworden ist.


    Khampan

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Salü,


    Danke für den Thread, Khampan.


    Ich denke schon, dass es - je nach Werk - durchaus etwas ausmacht, ob eine Wiederholung tatsächlich gespielt oder schlicht kopiert wird. Gerade bei Schuberts "Großer" ist doch ein sehr langer Atem notwendig und enormes Steigerungspotential beim realen Ausspielen vorhanden. Kein Wunder also, wenn Wiederholungen für die meisten eher langweilig klingen. Das liegt entweder daran, dass die Interpreten tatsächlich nicht in der Lage sind, aus einer Wiederholung etwas herauszuholen oder eben daran, dass etwas kopiert wurde. Ob aus Letzterem den Interpreten ein Vorwurf zu machen ist, kann ich nicht beurteilen - sicherlich spielen da auch die Finanzen eine nicht unbedeutende Rolle...


    Allerdings könnte man dann durchaus auch eine solche Einspielung prozentual in Relation zum Kopierten günstiger anbieten. :evil: :D


    Die "große" Immerseel ist dennoch unverzichtbar, da sie m. W. die einzige ist, welche die beiden im Scherzo [von wem?] gestrichenen Takte präsentiert, was für mich ein mehr als faszinierendes Hörerlebnis ist, da das Scherzo nun viel sinnvoller klingt [näheres muß noch untersucht werden, soweit waren wir ja einig]. Ich habe jedenfalls seit dem heutigen Tage die Komplettedition der Schubertsinfonien mit Immerseel in meinem Besitz.


    Viele Grüße
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zitat

    Original von Kontrapunkt
    Darüber hinaus finde ich es abwegig, technisch verdoppelte Passagen im Rahmen einer schwarzen Liste zu verurteilen.


    im Klartext: wer sich die doppelte Arbeit macht ist einfach nur bescheuert?
    Ich weiß ja wir haben alle einen an der Meise, und das ist gut so.


    Zitat

    Z. B. hieß es ja in einem anderen Thread mal, Brahms hätte die Wiederholung der Exposition einer Sinfonie freigestellt, sobald sie bekannter geworden wäre.


    das ist ein Gerücht, das ich (so ungefähr) selbst zitiert habe. Und weil nur ein Gerücht, völlig irrelevant.
    Wie schon öfter gesagt, es ist ein völliges Unding, wenn die einzige Wiederholung die man in seinen Sinfonien zu hören bekommt, die 8taktige Scheinwiederholung in der 4. ist, ausgerechnet der ersten in der er auf eine Wiederholung verzichtet. Wie soll man denn so seine Musik richtig kennenlernen :no:


    Khampan

  • Zitat

    Original von Ulli
    Ob aus Letzterem den Interpreten ein Vorwurf zu machen ist, kann ich nicht beurteilen - sicherlich spielen da auch die Finanzen eine nicht unbedeutende Rolle...


    das fürchte ich auch. Es tat mir auch sehr weh, daß ausgerechnet diese - ansonsten grandiose - Aufnahme den schwarzen Peter bekommen mußte. Die originalen Takes existieren bei dieser frischen Aufnahme wahrscheinlich noch, vielleiht fühlen sich die betroffenen ja so wachgerüttelt daß sie klammheimlich eine neue Fassung extra für uns herstellen.


    Jedenfalls ist es mein erklärtes Ziel dafür zu sorgen, daß sich in Zukunft kein Aufnahmeteam mehr leisten kann derart verschwenderisch mit der copy-and-paste Funktion umzugehen, weil es damit rechnen muß, bei Tamino auf der schwarzen Liste zu landen.


    Ich hoffe dein Hörgenuß ist nicht allzu sehr getrübt, vielleicht gibt es bei den anderen Sinfonien ja auch Entwarnung, schaun wir bei Gelegenheit mal.


    :hello: Khampan

  • Salü,


    ich fürchte, dass gerade die Wiederholungen [wenn überhaupt gespielt] bei Günstiglabels wie z.B. NAXOS enormes Einsparungspotential bilden - Zeit ist Geld.


    Mein Hörgenuß ist durchaus nicht getrübt, da mir z. Zt. ein Durchlauf eh nicht reicht... :D [das müssen die Hersteller jetzt natürlich überlesen].


    Viele Grüße
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Zitat

    Original von Khampan


    Jedenfalls ist es mein erklärtes Ziel dafür zu sorgen, daß sich in Zukunft kein Aufnahmeteam mehr leisten kann derart verschwenderisch mit der copy-and-paste Funktion umzugehen, weil es damit rechnen muß, bei Tamino auf der schwarzen Liste zu landen.


    Dieses Ziel finde ich auch sehr löblich und ich möchte mich für Deine Mühe und Aufklärungsarbeit bedanken!


    Gewiss würde ich mich auch verarscht fühlen, wenn ich zwei mal die gleiche Exposition hintereinandergeschniten bekomme! Andererseits ist uns ja bekannt, dass es in manchen Studioaufnahmen so unheimlich synthetisch zugeht, dass man über einen homogenen Gesamteindruck nur staunen kann...

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Banner Interviebanner 1 Gelbe Rose
  • Zitat

    Original von Kontrapunkt
    Aber wie hat denn ein Komponist den Doppelpunkt zur Wiederholung eigentlich genau gemeint? Ist sie zwingend oder eine Möglichkeit? Die Partitur reicht für eine Beantwortung dieser Frage jedenfalls nicht aus.


    das gehört eigentlich nicht in diesen Thread, nur für dich zum Nachdenken:
    die meisten Partituren von Beethoven sagen aus, daß die Wiederholung zwingend ist, weil der Doppelpunkt und die daran anschließende Wiederholung später variierend aufgegriffen wird, nämlich im Übergang von der Reprise zur Coda (seltener im Übergang Exposition-Durchführung, nie im Übergang Durchführung-Reprise; die Überleitung Exposition-Wiederholung läßt sich meistens als Grundform erkennen, ohne die die folgenden Varianten sinnlos wären).


    Brahms hat das nicht immer so eindeutig in die Partituren geschrieben, aber z.B. in der 3. Sinfonie folgt er ganz klar dem selben Modell. Prima volta a-c - diese beiden Töne gibt es nur hier, nicht in der seconda volta. Dagegen wieder in der Coda, hier d-f, verbunden mit dem Einleitungsmotiv f-as. Welche Nachweise braucht es eigentlich noch?


    Gruß, Khampan

  • Da wir -was die Schallaufzeichnungen betrifft- ohnehin in einer ausgesprochen virtuellen Welt leben, hat die Fragestellung für mich keinen besonderen Erregungsfaktor. Die Zeiten, wo Musikaufnahmen weitestgehend "in einem durch" aufgezeichnet wurden, sind ja wohl schon längst vorbei. Man lasse sich vielleicht mal Schnittlisten der verschiedenen Aufnahmen von Betthovens 9. zukommen. Ich meine bei der Barenboim-Einspielung eine Schnittzahl von etwa 200 gelesen zu haben.


    Und da sprechen wir von Kunst aus der Konserve? Sehr witzig! Die Apologeten moderner Einspielungen berauschen sich an der Perfektheit des Klanges heutiger Orchester und heutiger Ensembles. Fein, wenn das denn live überprüfbar sein sollte (das ist jetzt der rheinische Konjunktiv: sollte=was nie sein wird). Wer sich ein Bild von der technischen Veränderbarkeit von Klang während der Aufzeichnung -von postproduction rede ich hier nicht- machen möchte, besuche bitte eine Konzert des Kölner Gürzenich-Orchesters und kaufe sich den Mitschnitt noch während des Schlussapplauses an der Go-Live-Kasse. Chapeau den Tontechnikern.


    Und bei all dieser Perfektheit fällt nun das allzu perfekte, wiewohl naheliegende auf: Wiederholungen als copy/paste. Mein Gott: gerade bei Tamino gibt es doch den Tanz um die umfänglichste, gleichwohl billigste Tonträgersammlung. Da wird dann schon einmal gemauschelt. Und die Leute, die den besonderen Wuppdich im Klang einer CD brauchen, volià, unser Technik macht's möglich.


    Ich weiß nicht, ob mir diese kopierten Wierdeholungen nun aufgefallen wären, da ich mich mit neuesten Einspielungen nur selten auseinandersetze (die hätten sich zudem gegen meinen Bestand zu behaupten und mit dem bin ich sehr zufrieden), kann mir dieses Phänomen allerdings auch noch nicht aufgefallen sein. Und meine Musik-Penaten habe ich in der "schwarzen Liste" nicht erspäht. Doch bitte, zurück ins Gemerk, vielleicht fallen dann auch noch Klemperer, Ansermet, Horenstein, Backhaus, Francois, Ciccolini, Furtwängler, Schuricht, Knappertsbusch (jau, gerade der....) in Ungnade. Falls nicht: Verachtet mir die alten Meister nicht!


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Zitat

    Original von Santoliquido
    vielleicht fallen dann auch noch Klemperer, Ansermet, Horenstein, Backhaus, Francois, Ciccolini, Furtwängler, Schuricht in Ungnade.


    die haben sich ja geschickt aus der Affäre gezogen.
    Oder kannst du mir irgend eine Expositionswiederholung von Klemperer oder Furtwängler nennen?


    Also Entwarnung. Und mit deinen Einwänden hast du sicherlich nicht ganz unrecht.
    I have a dream... musikalische Aussagekraft der alten Meister gepaart mit Texttreue und moderner technischer Perfektion.


    Träumen darf man doch :angel:
    Khampan

  • Schon recht, nur wenn ich sehe, was beispielsweise aus Traditionskonzernen wie der EMI geworden ist -mittlerweile hat Terra Ferma (ein Investment-Fonds, zu deutsch "Heuschrecke") dort das Sagen, man spekuliert, ob das defizitäre CD-Geschäft nicht vielleicht an Warner verkauft werden soll, was allerdiungs schon vor Jahren aus kartellrechtlichen Erwägungen gescheitert ist- dann habe ich so meine argen Bedenken, ob die Majors das anbeiten werden, was Du Dir so vorstellst.


    Expositionswiederholungen und Reprisen sind zu LP-Zeiten ganz gerne dann gestrichen worden, wenn ein Werk auf einen 25-cm LP passen musste. Mozarts kleine g-moll Sinfonie unter Solti ist so ein Fall. Musiklisch ist die Platte alledings hinreissend (und ich bin kein Solti-Fan). Ein paar Kröten wird man wohl immer zu schlucken haben.


    Ganz ehrlich, die verpatzen Hörner, flasch angeschlagenen Tasten o.ä. meiner älteren, nur wenig geschnittenen Platten sind da für mich erträglicher als eine Musikwiedergabe, die in eine akademisches Stützkorsett gezwängt und dann noch technisch aufgemotzt wird. Tut mir leid, da muss ich passen.


    Doch ich gebe Dir unumwunden recht: träumen darf man ja noch. Sehr zuversichtlich bin ich allerdings nicht.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Zitat

    die haben sich ja geschickt aus der Affäre gezogen.


    , was auf anderes Problem hinweist:


    ...fehlende Wiederholungen.


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Zitat

    Original von Khampan
    Oder kannst du mir irgend eine Expositionswiederholung von Klemperer oder Furtwängler nennen?


    Nur so als ad hoc Beispiel: Wiederholung der Exposition des 1. Satzes aus Beethovens 5. Sinfonie durch Wilhelm Furtwängler, Berliner Philharmoniker, 1937 (History).


    Loge

  • dacht' ich mir, daß in der Fünften eine aufzutreiben sein mußte. Also etwas über 1 Minute wird akzeptiert, seeehr großzügig!


    Karajan hat ja sogar in der 8. mal eine spendiert. Wahnsinn!


    Gehört zwar alles nicht in diesen Thread, aber ich laß mich gern provozieren.


    Khampan

  • Na wenn Du auch Karajan meinst, der hat des öfteren Wiederholungen gespielt. Nicht nur in der 8. Beethovens. Z. B. lässt er auch die Quasi-Exposition des 1. Satzes aus Schumanns 4. Sinfonie wiederholen. Weitere Beispiele ließen sich nennen. Eben immer dann, wenn es im muskalischen oder dramaturgischen Aufbau sinnvoll ist ;). Nicht selten stören die Wiederholungen ja. Und gerade die oft vorgeschriebene Wiederholung der Expositionen aus Kopfsätzen hat ihren Hauptgrund ja darin, dass die Komponisten sich seinerzeit noch keine Vorstellung von der technischen Reproduzierbarkeit ihrer Werke machen konnten und sie davon ausgehen mussten, dass das Publikum beim nur einmaligen Hören nicht in der Lage sein würde, sich die vorgestellten Themen einzuprägen.


    Loge

  • Zitat

    Und gerade die oft vorgeschriebene Wiederholung der Expositionen aus Kopfsätzen hat ihren Hauptgrund ja darin, dass die Komponisten sich seinerzeit noch keine Vorstellung von der technischen Reproduzierbarkeit ihrer Werke machen konnten und sie davon ausgehen mussten, dass das Publikum beim nur einmaligen Hören nicht in der Lage sein würde, sich die vorgestellten Themen einzuprägen.


    So habe ich mir das auch erklärt. Gerade deshalb ist es mir auch nicht ganz einleuchtend, warum du, lieber Khamphan, so sehr auf der Durchführung jeglicher vorgeschriebener Wiederholung insistierst.
    Ansonsten aber meine Hochachtung vor deiner, sicher recht aufwendigen Detektivarbeit :yes:. Ich mag Illusionismus (siehe meinen Avatar), also auch dein Traum ist mir sympathisch :yes:.
    :hello:

    Viele Gruesse.
    Holger.

  • Zitat

    Original von Holger


    So habe ich mir das auch erklärt. Gerade deshalb ist es mir auch nicht ganz einleuchtend, warum du, lieber Khamphan, so sehr auf der Durchführung jeglicher vorgeschriebener Wiederholung insistierst.


    Diese Idee halte ich allerdings für sehr viel fragwürdiger als Khampans Insistieren!
    Der einzige Grund, warum in Beethovens 1., 5. und 8. in der Vergangenheit die Wdh. viele häufiger gespielt wurden als in den anderen Sinfonien dürfte die relative Kürze der Sätze sein. Es gibt keinerlei Unterschiede in der "dramatischen Funktion" der Wdh. verglichen mit den anderen Sinfonien.
    (Es gibt außerdem eine ganz Reihe Dirigenten, die wesentlich weniger nonchalant mit Wdh. umgingen, z.B. Bernstein schon in den frühen 60ern bei Beethoven-Sinfonien)
    Es gibt darüberhinaus meines Wissens keinerlei Belege aus der Zeit der Wiener Klassik, dass die Wdh. als optional oder als Hilfe zum Einprägen der Themen gedacht gewesen sei. Es gibt nur wesentlich später die (wohl auch nicht eindeutig zu belegende) Aussage von Brahms. Daher ist es eine unbegründete Vermutung, darin habe der "Hauptgrund" bestanden. Im Gegenteil sprechen, wie Khampan an vielen Einzelfällen demonstriert hat (ähnliche, aber spezifisch unterschiedl. Überleitungen zur Wdh,. Durchführung, Coda), in sehr vielen Fällen gewichtige musikalische Gründe für das Beachten der Wdh-Zeichen.
    Das ist aber ein anderes Thema.


    Speziell in diesem thread frage ich mich eher, was an dem kritisierten Verfahren so viel verwerflicher sein soll als am Zusammenschneiden generell? Wir wissen ja vorher, dass es sich bei dem, was wir schließlich hören, um ein Kunstprodukt aus vielen Takes handelt..
    Was genau macht das fast vollständige Kopieren für eine Wdh. so viel verwerflicher als die ohnehin übliche Vorgehensweise?
    Warum ist das eine o.k., das andere empörender Betrug?
    Oder sollte eine wörtl. Wdh. wirklich unterschiedlich *gespielt* werden als das erste Mal? Unterschiede bei ausgespielten Wdh. scheinen sich doch eher auf unbeabsichtigte Schwankungen zu beschränkten, die von den meisten hörend kaum wahrgenommen werden, oder sehe ich das falsch?


    Khampan weist ja darauf hin, dass er schon vor seinem Test ein Gefühl der "Sterilität" hatte, das den sonst positiven Eindruck des Takacs-Q. schmälerte. Ich bin mir allerdings keineswegs sicher, dass dessen Ursache in den Schnitten und Kopien liegt. Wie sollte man das auch konkret nachweisen...?


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Banner Interviebanner 1 Gelbe Rose
  • Hallo Johannes.


    Ist es denn dann einzig die formale Sterilität der Sonaten(haupt)satzform, die die uniforme Wiederholung Exposition der Themata erfordert in der Exposition - wie in Stücken der (nach/spät)barocken Zeit üblich? Das ist mir nicht einsichtig.
    Ich bin kein Experte und lasse mich hier gerne eines besseren belehren - aber einsichtig machen muss man mir seine Position schon. So, wie ich das sehe - bei zugegebenermaßen bescheidenen Kenntnissen - sieht es doch kompositionstechnisch so aus, dass die in der Exposition vorgestellten Themata dann kunstvoll variiert werden. So ein "Spiel" macht doch eigentlich nur dann richtig Spaß, wenn man die Themata auch mitbekommen hat. Insofern scheint mir die Wiederholung in der Exposition durch die musikalische Struktur determiniert. So habe ich das übrigens auch bei Bach-Kantaten empfunden. Wenn man dann auch bedenkt, dass die Komponisten i.d.R. für ganz konkrete Anlässe geschrieben haben, es also für sie nicht nahelag, davon auszugehen, das Stück würde ein zweites Mal zu Gehör gebracht, wird die von Loge eingebrachte These in meinen Augen noch stärker plausibilisiert.
    Also bitte korrigiert Loge und mich - aber dann bitte auch mit einer besseren Erklärung.

    Viele Gruesse.
    Holger.

  • danke, Johannes, für deine Schützenhilfe!


    Den Kritikern möchte ich noch zweierlei zu bedenken geben:
    1. Die klassischen Komponisten haben aus der "Vorstellung der Themen" (was meiner Meinung nach nicht die Hauptsache einer Exposition ist, sondern ein Nebeneffekt) mit Wiederholung ein System gemacht, das so (als System) zu verstehen man sich als Interpret und Hörer schon die Mühe machen sollte. Meiner Meinung nach steckt in diesem System bereits eine spannende Dramaturgie. Daneben gibt es auch das System der Exposition ohne Wiederholung (z.B. in den Ouvertüren die Regel). Warum soll ich akzeptieren, wenn nachträglich alles in einen Topf geschmissen wird?


    2. Jeder hört irgendwann ein Musikstück (bzw. eine Interpretation) zum ersten Mal. Für mich ist dieses erste Hören der absolute Maßstab, nicht die unendliche Reproduzierbarkeit (aus diesem Grund bin ich auch weit weniger als viele von euch ein CD-Sammler. Das meiste will ich tatsächlich nur einmal Hören. Und, ja, Konzerte und Liveübertragungen schätze ich weit mehr als CD-Aufnahmen. Leider werden bei Konzerten Wiederholungen eher gestrichen als das inzwischen - zum Glück - bei CDs der Fall ist. Die dahintersteckende Logik muß mir mal jemand erklären).



    Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Khampan weist ja darauf hin, dass er schon vor seinem Test ein Gefühl der "Sterilität" hatte, das den sonst positiven Eindruck des Takacs-Q. schmälerte. Ich bin mir allerdings keineswegs sicher, dass dessen Ursache in den Schnitten und Kopien liegt. Wie sollte man das auch konkret nachweisen...?


    soweit bin ich in der Wahrnehmungspsychologie auch nicht bewandert. Wäre ein interessantes Thema für die Gehirnforschung. Ich bin überzeugt, daß das Gehirn schon bekannte (vor 1-5 Minuten gehörte) Wahrnehmungsmuster sehr viel sicherer erkennt und irgendwo ein Signal "nix neues" ausgibt, als ihr das wahrhaben wollt. Den Beweis kann ich nicht erbringen, bis zur Erbringung eines Gegenbeweises bitte ich aber doch die Herren Interpreten und Produzenten, sich auf die sichere Seite zu begeben.


    Wie unterschielich zweimal hintereinander gespielte gleiche Passagen sein können, erkennt man sofort, wenn man sich wie ich öfters mit Wellenformen herumschlägt. Häufig ist z.B. die Wiederholung schneller (1-4 sek kürzer habe ich oft angetroffen). Oder auch langsamer wie gerne im Fall von Norrington, der ein anfangs angeschlagenes Tempo vielleicht nicht gegenüber dem Orchester durchsetzen konnte (diesen Eindruck gewinne ich beim Hören). Aber wenigstens tut sich was. Akzente sitzen an etwas anderen Stellen oder sind unterschiedlich deutlich, Pausen können sehr unterschiedlich lang sein, Fermaten erst recht. Niemand behaupte bitte, von alldem würde man nichts merken, oder es würde keine Rolle spielen.
    Gruß,
    Khampan

  • Zitat

    z.B. in den Ouvertüren die Regel


    in welchen Ouvertüren? Wovon sprichst du hier?


    Nur dass ich nicht falsch verstanden werde: Wenn man wiederholt - ob das dann immer geboten ist oder nicht mal beiseite - dann auch richtig, da kann ich dir, Khamphan, voll und ganz zustimmen. Natürlich ist eine copy-paste-Wiederholung, gerade wenn sich ein Musikstück auch einmal öfter anhören möchte, nicht wünschenswert. Es doch ganz klar, dass es immer - auch hörbare - Differenzen gibt zwischen zwei Einspielungen gibt. Ich finde auch, dass das dazu gehört(-en sollte).

    Viele Gruesse.
    Holger.

  • Zitat

    Zitat Loge
    Nicht selten stören die Wiederholungen ja.


    Das heißt, daß (die betreffenden) Wiederholungen Irrtümer des Komponisten sind, die ein besserwissender Interpret ausbügelt. Damit bügelt er zwar auch ein paar Proportionen weg, aber wenn es dem eiligen Zuhörer hilft...


    :hello:

    ...

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Zitat

    Original von Holger
    Hallo Johannes.


    Ist es denn dann einzig die formale Sterilität der Sonaten(haupt)satzform, die die uniforme Wiederholung Exposition der Themata erfordert in der Exposition - wie in Stücken der (nach/spät)barocken Zeit üblich? Das ist mir nicht einsichtig.


    Den Satz verstehe ich nicht...


    Zitat


    So ein "Spiel" macht doch eigentlich nur dann richtig Spaß, wenn man die Themata auch mitbekommen hat. Insofern scheint mir die Wiederholung in der Exposition durch die musikalische Struktur determiniert.


    Wenn die Wdh. zur musikalischen Struktur gehören, dann sollte man sie doch auf jeden Fall machen und nicht ad libitum weglassen, oder?
    Vielleicht kann Khampan seine zahlreichen Bsp. verlinken, es gibt gewiß auch schon einen thread hierzu, ich bin nur zu faul den zu suchen.


    Zitat


    So habe ich das übrigens auch bei Bach-Kantaten empfunden. Wenn man dann auch bedenkt, dass die Komponisten i.d.R. für ganz konkrete Anlässe geschrieben haben, es also für sie nicht nahelag, davon auszugehen, das Stück würde ein zweites Mal zu Gehör gebracht, wird die von Loge eingebrachte These in meinen Augen noch stärker plausibilisiert.
    Also bitte korrigiert Loge und mich - aber dann bitte auch mit einer besseren Erklärung.


    Es ist ein Unterschied, ob etwas als Gedächtnisstütze dienen kann, oder ob es so gedacht ist. Ein Lied mit Refrain ist leichter zu merken, aber der Refrain dient nicht notwendig als Gedächtnisstütze. Er ist hauptsächlich ein Gliederungsmittel. Vgl. auch Toveys Polemik, dass man ja auch nicht den linken Flügel eines Gebäudes einreißt, weil er eine symmetrisch exakte Kopie des rechten ist. ;)


    Historisch ist es ziemlich eindeutig: Die Wiederholungen (und zwar von Expo und Durchf. & Reprise) waren von Anfang an drin, weil die Vorläufer u.a. Tanzformen wie die oben genannte Allemande waren, bei der beide Teile wiederholt werden (vgl. auch Scarlatti-Sonaten). Damals wurden vermutlich die Wdh. ausgeziert gespielt.
    Man könnte jetzt meinen, die Wdh. seien aus Tradition "durchgeschleppt" worden und wurden dann irgendwann obsolet. Das stimmt auch teilweise, obsolet wurden sie aber erst irgendwann Mitte/Ende des 19. Jhds. als die Komponisten meistens auch keine Wdh. mehr verlangten.
    (Auch die Kadenzen in Klavierkonzerten sind ein traditionell durchgeschlepptes Element; dennoch argumentiert niemand dafür, die bei Mozart einfach wegzulassen oder so kurz wie möglich zu gestalten.)
    Das wurde dann retrospektiv auf die Wiener Klassik übertragen, weil man alles aus einer romantischen Perspektive betrachtete, in der Wiederholungen poetisch fragwürdig sein sollten.
    (Man sollte jedoch sagen, dass die wenigsten Interpreten auf Schallplatten konsequent alle Wdh. weglassen, was sie tun müßten, wenn diese Argumentation mit der "dramatischen Funktion" stichhaltig wäre. Bei kurzen Sätzen werden sie häufig beachtet, vermutlich aus dem einzigen Grund, dass der Satz sonst an Gewicht verliert (z.B. relativ zu einem langsamen Satz.)
    Wenn sich bei einem Komponisten wie Beethoven, der keineswegs zu einem leichtfertigem Umgang mit seinem Text einlud, fast alle denkbaren Kombinationen finden (keine Wdh. Wdh. nur der Expo (am häufigsten), Wdh. von Expo & Durchf./Reprise), muß man davon ausgehen, dass es hier kein automatisches Setzen von Doppelstrichen gibt, sondern dass er sich überlegt, was er macht. Das ist, wie gesagt, anhand von Überleitungen (in die Wdh., in die Durchführung und ggf. von der Reprise in die Coda) und auch oft durch den Beginn der Durchführung selbst zu belegen, der damit spielt, dass die Expo wiederholt wurde und sonst nur halb so viel Sinn ergibt. Dazu kommen noch großformatige Symmetrie- und Balance-Erwägungen. Im Kopfsatz der Eroica stimmt die Balance ohne Wdh. einfach schlecht, weil die Durchführung überdurchschnittlich lang ist (bei Mozart fast immer deutlich kürzer als die Expo, bei Beethoven meistens etwa gleichlang, hier deutlich länger (155 vs. ca. 240 T) und nach der Reprise noch eine sehr lange Coda (fast so lang wie die Expo) folgt.
    Selbst wenn ich das mnemonische Element für fragwürdig halte, behaupte ich mal, dass die meisten Hörer das auch heute noch angesichts dieses sehr langen Satzes schätzen dürften.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Ulli



    Die "große" Immerseel ist dennoch unverzichtbar, da sie m. W. die einzige ist, welche die beiden im Scherzo [von wem?] gestrichenen Takte präsentiert, was für mich ein mehr als faszinierendes Hörerlebnis ist, da das Scherzo nun viel sinnvoller klingt [näheres muß noch untersucht werden, soweit waren wir ja einig]. Ich habe jedenfalls seit dem heutigen Tage die Komplettedition der Schubertsinfonien mit Immerseel in meinem Besitz.


    cher sir,
    darf ich d. w. erweitern um:
    abbado, chamber orch of europe, 1987
    und
    viotti, rso saarbrücken, 1992


    :hello:

  • Zitat

    Original von Holger


    So habe ich mir das auch erklärt. Gerade deshalb ist es mir auch nicht ganz einleuchtend, warum du, lieber Khamphan, so sehr auf der Durchführung jeglicher vorgeschriebener Wiederholung insistierst.


    Man gerät als Befürworter solcher Forderungen leicht in das Bild, pingelig zu sein. Dazu folgendes:


    Es gibt ja häufig in der Tat belegbare und nachvollziehbare musikalische Gründe, die das Einhalten von Wiederholungen „zwingend“ vorschreiben. Aus dem Gedächtnis heraus fällt mir Khampans Begründung hinsichtlich Beethovens Streichquartett op. 130 dazu ein (s. dort). Der Hauptgrund ist jedoch, dass es der Komponist eben so wollte und das Musikstück eben so ist wie es ist.


    Es geht aber auch noch darüber hinaus. Ich habe eine Freude daran, Musikwerke genau so zu hören, wie die Komponisten sie gewollt geschrieben haben, und ich meine, ich sollte beim Erwerb von Aufnahmen davon ausgehen können, die Musik auch so vorzufinden. Am zitierten Argument für das Weglassen von Wiederholungen ist natürlich etwas dran; aber wenn aus diesem Grund „eigenmächtiges“ Weglassen von Wiederholungen entgegen der Partitur des Komponisten und somit entgegen seiner Konzeption „legitim“ wäre, so wäre es ebenso legitim, z.B. Änderungen in Melodieführungen hinsichtlich der Tonhöhe oder Dynamik vorzunehmen, da die technischen Fertigkeiten einiger Blasinstrumente während der letzten Jahrzehnte oder Jahrhunderte derart gestiegen sind, „dass der Komponist es auf Grund dieser Grundlage bestimmt so oder so gemacht hätte“. Die Musikproduzenten müssten also stets damit beschäftigt sein, sich in den verstorbenen Komponisten hineinzuversetzen und zu entscheiden, wie dieser unter heutigen Verhältnissen komponiert hätte, um die Partitur zu korrigieren.


    Nungut, der eine mag es so und der andere anders; da die Vertreiber von Musikaufnahmen uns aber z.B. auf CD-Covern nicht darauf hinweisen, dass die eingespielten Werke wegen zwischenzeitlicher moderner Errungenschaften leicht verändert sind, um so den Konsumenten entscheiden zu lassen, ob sie eine solche Aufnahme kaufen wollen oder lieber eine andere nach der Originalpartitur, bin ich Khampan für seine diesbezüglichen Mitteilungen dankbar.


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

  • Zitat

    Original von Uwe Schoof
    Ich habe eine Freude daran, Musikwerke genau so zu hören, wie die Komponisten sie gewollt geschrieben haben, und ich meine, ich sollte beim Erwerb von Aufnahmen davon ausgehen können, die Musik auch so vorzufinden.


    Ich will Dir Deine Freude ja nicht verderben, aber das ist ohnehin eine Illusion. Trotz der vielen Vortragszeichen, die eine Partitur enthält, bleiben riesige Beurteilungsspielräume und Rätsel. Wie beginnt z. B. ein crescendo und wie muss es sich entwickeln? Wie lange ist ein Vortragszeichen (z. B. "pp") durchzuhalten? Welches ist das richtige Tempo (ganz entscheidend)? Muss die Melodie, wie Wagner es forderte, quasi gesungen werden können, um zum richtigen Tempo zu gelangen? Fragen über Fragen. Erfahrene Dirigenten haben das vielfach beschrieben. Zuletzt z. B. Levine am vergangenen Samstag (FAZ), der viel darum geben würde, von Mozart zu erfahren, wie er etwa dessen Vortragszeichen zur Cosi zu Interpretieren habe. Mahler und Strauss etwa haben versucht, diese Beurteilungsspielräume durch exzessiven Gebrauch von Vortragszeichen (und sogar ergänzende Beschreibungen) zu beseitigen. Dass das auch nicht wesentlich weiterführt, kann man an vielen ganz unterschiedlichen Aufnahmen hören, die alle meinen, den "richtigen" Mahler zu spielen.


    Loge

  • Zitat

    Original von Loge


    Ich will Dir Deine Freude ja nicht verderben, aber das ist ohnehin eine Illusion. Trotz der vielen Vortragszeichen, die eine Partitur enthält, bleiben riesige Beurteilungsspielräume und Rätsel.


    Was aber an Uwes Wunsch wenig ändern wird (ich halte seine Formulierung für ein wenig verunglückt, aber ich wünsch mir natürlich dasselbe, wohl wissend, dass ...)


    Übrigens sehe ich nicht ganz ein, wieso die Wiederholungen von Teilen 1 und 2 nicht (zumindest AUCH) die Funktion hatten, dass der Hörer sich was merkt von dem Dargebotenen? (Das gilt jetzt auch für die barocken Vorgänger.) (Es soll auch vorkommen, dass man nicht immer ganz bei der Sache ist, das kann man dann bei der Wiederholung nachholen.) Das sollte aber nicht als Argument dienen, bei der Aufnahme die Wiederholung wegzulassen, schließlich merkt man sich das klingende Zeugs auch besser, wenn mans nach 5 Mal hören noch ein sechstes Mal serviert bekommt.
    :hello:

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose