Das Comeback "moderner" Orchester ?

  • Wie immer bei mir ist der Titel etwas reisserisch und nicht unbedingt ernstgemeint - Sie waren ja immer "da" die "modernen" Orchester.
    Allerdings wurde ihre Präsenz in Bezug auf die Werke der "Wiener Klassiker" vor etwa 20 Jahren radikal eingeschränkt.


    Langsam aber sich - so scheint es - gewinnen diese Orchester aber Terrain zurück - und ich bin nicht unglücklich darüber.


    Zumindest später Mozart und Haydn,vor allem aber Beethoven und Schubert (letztere in Summe) gewinnen durch die Wiedergabe durch ein modernes Orchester an Klangfülle - vor allem die "großen" Sinfonien und Klavierkonzerte.


    Man darf ja nicht auser acht lassen, daß sich das "romantische" Instrumentarium vor allem seines angenehmeren Klanges wegen durchsetzte - "heutige" Orchester sind ja keine Erfindung unserer Zeit - sondern ein allmählich gewachsenes Ganzes...


    Ein Mozart Klavierkonzert, wie beispielsweise das Krönungskonzert entfaltet seine volle Pracht erst auf modernen Instrumenten - wogegen Vivaldi modernes Orchester in der Regel nicht verträgt.


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo Alfred,


    ja, das ist eine Entwicklung, die ich in der letzten Zeit auch mit Erstaunen beobachtet habe - ein gutes Beispiel hierfür ist die brandaktuelle Einspielung von Haydns Symphonien Nr. 88-92 mit den Berliner Philharmonikern unter Simon Rattle:



    Ich habe mir die Aufnahme zugelegt (vorrangig, weil ich die Haydn-Symphonien 90 und 91 noch gar nicht kannte) und muss sagen, dass mir die Einspielung gut gefallen hat.
    In den (meist wohlwollenden) Kritiken zu dieser Aufnahme (unter anderem im Fono Forum) habe ich gelesen, dass man der Ansicht ist, dass die Berliner sich einiges von der historisch informierten Musizierpraxis der letzten Jahre abgeschaut haben und in dieser Einspielung eigentlich gar nicht mehr wie die typischen Berliner Philharmoniker klingen würden (was immer damit auch gemeint sein könnte...) - sondern richtig schlank und transparent - so, wie es sich für Haydn - der heutigen "Lehrmeinung" nach - auch geziemt...
    Es wird die Befürchtung geäußert, dass Sir Simon den charakteristischen Klang der Berliner durch seine Repertoireausweitung (sowohl rück- wie vorwärts) "opfern" würde, was ich ein bissel übertrieben finde.


    Jedenfalls ist es interessant, dass sich Sir Simon vehement für Haydn als einen der heute am meisten unterschätzten Klassiker ausspricht und dann konsequent auch "seine" Berliner (wieder) Haydn musizieren lässt - ich kann mich nicht erinnern, wann es zuletzt eine Haydn-Aufnahme der Berliner Philharmoniker gegeben hat??


    Ein Zeittrend? Vielleicht so etwas wie die "Rückeroberung" von Repertoire, das die "traditionellen" Orchester bereits an die "Alte-Musik-Bewegung" verloren glaubten?
    Wie weit wird sich dieses Rad wohl noch zurückdrehen (lassen)? Spielen die Berliner demnächst wieder Bachs Brandenburgische Konzerte wie weiland unter Karajan??


    Ich würde es so einschätzen:
    Die "Alte-Musik-Bewegung" hat im Laufe der Jahre vieles von ihrer Radikalität und ihrem alleinigen "Authentizitäts-Nimbus" verloren - viele Praktiken und Spielarten sind mittlerweile "Allgemeingut" geworden, wie selbstverständlich auch von "etablierten" Orchestern beim Spielen des entsprechenden Repertoires akzeptiert und übernommen.
    Man profitiert voneinander und steht sich nicht mehr so unversöhnlich gegenüber, wie es noch vor 15 Jahren oder so üblich war.
    Find ich gut - es geht schließlich im Endeffekt ums praktische Musizieren und nicht um Glaubenskriege. :yes:
    Im Gegenzug sind nun die "etablierten" Orchester wieder "mutiger" geworden und wagen sich auch wieder an Repertoire heran (z. B. Mozart und Haydn), dass sie sich vor einigen Jahren wohl nicht zu spielen getraut hätten, ohne befürchten zu müssen, von der Klassik-Szene und dem Feuilleton gleichermaßen in Grund und Boden verdammt zu werden....


    Denn mal ehrlich:
    Eine Aufnahme wie die oben vorgestellte mit Haydn und den Berliner Philharmonikern wäre in den 1990er Jahren mit Sicherheit von der Kritik mit Häme überschüttet worden: "Unzeitgemäße Interpretation", "zu großer Klangkörper", "rückwärtsgewandt", "kein Repertoire für ein solches Orchester", etc.
    Wie sich die Zeiten ändern ;) :]

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Zumindest später Mozart und Haydn,vor allem aber Beethoven und Schubert (letztere in Summe) gewinnen durch die Wiedergabe durch ein modernes Orchester an Klangfülle - vor allem die "großen" Sinfonien und Klavierkonzerte.


    Na so was. Händel gewinnt mit lauteren Instrumenten auch an Klangfülle. Die Frage ist, ob man das als positiv ansehen soll ...

    Zitat

    Man darf ja nicht auser acht lassen, daß sich das "romantische" Instrumentarium vor allem seines angenehmeren Klanges wegen durchsetzte - "heutige" Orchester sind ja keine Erfindung unserer Zeit - sondern ein allmählich gewachsenes Ganzes...


    Ein Mozart Klavierkonzert, wie beispielsweise das Krönungskonzert entfaltet seine volle Pracht erst auf modernen Instrumenten - wogegen Vivaldi modernes Orchester in der Regel nicht verträgt.


    Das ist eine völlig willkürliche Geschmacksentscheidung.


    Dass "Klangfülle" und "Pracht" eine Erfindung von Klassik und Romantik war, ist natürlich Unsinn. Allerdings wurde die Klangmasse des Einzelinstruments in jener Zeit fortwährend forciert. Deshalb zu glauben, dass das "moderne Instrumentarium" für Musik, die am Anfang dieser Lautstärkengewinnungsphase stand, besonders gut geeignet ist, halte ich für einen merkwürdigen Schluss.


    Ich warte sehnsüchtig auf HIP bis ins frühe 20. Jahrhundert. Ob viele konservative (pardon: moderne) Orchester weiterhin Händel bis Brahms spielen, interessiert mich wenig.
    :hello:

  • Zitat

    Original von MarcCologne
    Wie weit wird sich dieses Rad wohl noch zurückdrehen (lassen)? Spielen die Berliner demnächst wieder Bachs Brandenburgische Konzerte wie weiland unter Karajan??


    Nicht wie unter Karajan, sondern von den Barockorchestern beeinflusst. Die Generation Bach/Händel wird z.B. in Berlin ohnehin von Orchestern mit "normalem" Instrumentarium gepflegt, vorzugsweise unter HIP-Dirigenten. Für mich eine akzeptable "Ersatzlösung", die ich aber auf CD nicht brauche.
    :hello:

  • Zitat

    Original von MarcCologne
    Man profitiert voneinander und steht sich nicht mehr so unversöhnlich gegenüber, wie es noch vor 15 Jahren oder so üblich war.
    Find ich gut - es geht schließlich im Endeffekt ums praktische Musizieren und nicht um Glaubenskriege. :yes:


    Hier stimme ich zu: die "normalen" Symphonieorchester (und ihre Dirigenten) profitieren bereits seit Jahrzehnten von HIP-Erkenntnissen und -Aufführungen - was ja auch allerorten zugegeben wird. Die Unterschiede werden geringer, sie beschränken sich oft nur noch auf das "Material" (sprich: die verwendeten Instrumente), und nicht mehr auf Tempi, Phrasierungen, Besetzungsstärke etc. Außerdem gibt es inzwischen eine ausgeprägte Mischzone zwischen HIP-Ensembles und "modernen" Orchestern, z.B. in Form der stark grassierenden Kammerorchester (z.B. Kammerphilharmonie Bremen, Mahler Chamber Orchestra etc.), die manchmal schon in verblüffender Weise nach HIP-Ensembles klingen. Zudem sei auf HIP-Dirigenten wie Norrington verwiesen, die ein "modernes" Orchester vom Klang her stark in Richtung HIP verändern. Dazu kommen Mischbesetzungen, z.B. Streicher mit Metallsaiten, aber historische Blas- oder zumindest Blechblasinstrumente (Harnoncourt mit dem Chamber Orchestra of Europe, letztlich aber schon in den frühen 80ern mit dem Concertgebouw). Gerade ein Dirigent wie Rattle hat ja auch HIP-Orchester dirigiert (Age of Enlightenment, entsprechende Mozart-Aufnahmen müssten noch erhältlich sein). Selbst Abbado dirigiert jetzt u.a. eine neue seiner vielen Orchestergründungen, das Orchestra Mozart, in dem historische Blasinstrumente verwandt werden.


    Es gibt aber nach wie vor auch die Gegenbewegung - HIP-Orchester sind bis zu Brahms, Bruckner und Verdi vorgedrungen und erarbeiten sich inzwischen ja auch Mahler-Symphonien.



    Zitat

    Im Gegenzug sind nun die "etablierten" Orchester wieder "mutiger" geworden und wagen sich auch wieder an Repertoire heran (z. B. Mozart und Haydn), dass sie sich vor einigen Jahren wohl nicht zu spielen getraut hätten, ohne befürchten zu müssen, von der Klassik-Szene und dem Feuilleton gleichermaßen in Grund und Boden verdammt zu werden....


    Denn mal ehrlich:
    Eine Aufnahme wie die oben vorgestellte mit Haydn und den Berliner Philharmonikern wäre in den 1990er Jahren mit Sicherheit von der Kritik mit Häme überschüttet worden: "Unzeitgemäße Interpretation", "zu großer Klangkörper", "rückwärtsgewandt", "kein Repertoire für ein solches Orchester", etc.
    Wie sich die Zeiten ändern ;) :]


    Das sehe ich anders. Es hat immer Haydn- und Mozartaufnahmen mit "modernen" Orchestern gegeben und sie wurden nicht verrissen. Ich kann auch in der Haydn-Aufnahme Rattles in Berlin keinen neuen Trend erkennen, der nicht schon vorher dagewesen wäre. Rattle hat bereits in den 80ern und 90ern mit seinem Orchester aus Birmingham vorzügliche Haydn-Aufnahmen vorgelegt, die sehr stark auf HIP-Erkenntnisse Bezug nehmen. Desgleichen auch viele andere Dirigenten, z.B. Hugh Wolff mit dem HR-Orchester (fast nur gute bis enthusiastische Kritiken). Die Koexistenz "moderner" und "historischer" Orchester auf dem Gebiet der Wiener Klassik ist doch außer von radikalen Exponenten der HIP-Bewegung selten angezweifelt worden. Mehr und mehr fragwürdig wirken allenfalls die Aufführungen dieser Werke mit "modernen" Orchestern, bei denen gar keine Rücksicht auf die neueren Erkenntnisse zur Spielweise genommen wird. Aber auch die haben natürlich ihre Anhänger. Warum auch nicht?


    Selbst Versuche mit Barockmusik gibt es immer wieder, vorzugsweise Bach. Eine kürzlich gehörte Aufführung der Matthäuspassion mit dem DSO Berlin unter Nagano unterschied sich gar nicht mehr sehr z.B. von der Herreweghe-Variante und war Lichtjahre von der alten Musizierweise à la Klemperer, Karajan & Co entfernt. Trotzdem ist die barocke Musik den "modernen" Orchestern weitgehend entglitten, schon weil diese sie nie wirklich gepflegt haben. Dem ist ja auch schon durch das Instrumentarium eine "natürliche" Grenze gesetzt.


    Viele Grüße


    Bernd

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Hallo!


    Eine große Annäherung an die HIP-Praxis hat Hugh Wolff mit dem RSO Frankfurt für seine Haydn-Aufnahmen vollzogen. Da wurde auch mal das Cembalo auf die Bühne gekarrt und der Klang angenehm verschlankt.
    Das Ergebnis ist absolut überzeugend (was ich auch mal live genießen konnte) und empfehlenswert:



    Wolff hatte auch schon beim St. Paul Chamber Orchestra unter Beweis gestellt, daß er ein sehr guter Haydn-Dirigent ist. Schade, daß er aus Frankfurt weg ist.


    Viele Grüße,
    Pius.

  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Zumindest später Mozart und Haydn,vor allem aber Beethoven und Schubert (letztere in Summe) gewinnen durch die Wiedergabe durch ein modernes Orchester an Klangfülle - vor allem die "großen" Sinfonien und Klavierkonzerte.


    Salü,


    gerade Mozart und Haydn, besonders aber Schubert und Beethoven verlieren m. E. deutlich durch den glattgerührten "Einheitsklangbrei". Ob da nun Flöte oder Violine spielt lässt sich nur noch anhand der Partitur ermitteln. O.K. - leicht übertrieben. Bei Schumann bin ich mir auch fast sicher, dass ich hier so antworten würde - ich hatte aber noch keine Gelegenheit, dies zu testen.


    Ich persönlich brauche von "modernen" Orchestern eigentlich nur noch dann etwas, wenn es wirklich in absehbarer Zeit keine Alternative geben sollte. Wagner und alles was folgt, ist für mich bis auf Weiteres absolut uninteressant - sollen sie sich doch damit zufrieden geben. Dann begegnen wir uns auch nicht so oft. Jedem Instrument seine Zeit.


    Meine Holde meinte neulich zu mir, die HIP-Bewegung [sie wußte nicht mal, was HIP ist] sei krank. Ich würde ja auch keinen Trabbi fahren... Bei Letzterem hat sie sicher Recht [von einem Ausflug spaßeshalber mal abgesehen]. Aber Kutsche tät ich schon fahren. :yes:


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • "HIP" ist siche nicht "krank" - indes gibt es Werke, die auf modernen Instrumenten eindeutig gewinnen. Die späten Haydn- und Mozart Sinfonien zähle ich dazu - Beethoven und Schubert selbstverständlich auch.
    Es ist manchmal fast peinlich, wie ein "historisches" Orchester versucht das Fortissimo zu erziwngen, das es niemals zu spielen imstande ist......


    Es ist ja nicht so (obwohl das des öfteren behauptet wird) daß man in den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts nicht wusst wie die alten Instrumente geklungen haben - aber man wollte dieses Klangbild überwinden weil man alles andere für überholt hielt, man suchte nach "zeitgemässem" Orchesterklang - ähnlich wie man heute "modern" inszeniert.


    in beiden Fällen wurde versucht , zu "entstauben"
    in beiden Fällen gab es Widerstand


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Es ist manchmal fast peinlich, wie ein "historisches" Orchester versucht das Fortissimo zu erziwngen, das es niemals zu spielen imstande ist......


    Du darfst natürlich nicht an einem Orchester mit je 40 ersten und zweiten Geigen, doppelter Bläserbesetzung usw. messen. Auf die Relation kommt es an. Fortissimo bedeutet nichts weiter als "sehr laut" - vielleicht im Zweifelsfalle auch "so laut als möglich" - dafür schreibt man dann [bevorzugt in der Romantik, aber wohl auch schon Beethoven?] fff. Kraus beispielsweise hat eine sehr diffizile Dynamik in seinen Werken: ppp - pp - p - mf - f - ff [frei übersetzt: nur unter großer Anstrengung hörbar - arg leise - leise - gedämpfte Phonstärke - deutlich laut - sehr laut]. Das lässt sich alles sehr schön darstellen. Wenn ein Komponist - rein hypothetisch - ein fortissimo für ein Reiseclavichord vorschreibt, dann klingt das im direkten Vergleich natürlich erheblich leiser, als würde es auf einem Steinway longversion mit geöffnetem Deckel gespielt.


    Und wir bewegen uns immer im Bereich der Möglichkeiten, zu denen auch noch der Drehknopf an der Anlage gehört.


    By the way: Anima Eterna/Immerseel kann Dir bei den Schubert-Sinfonien eine ganz schöne Dröhnung verabreichen! :D Wenn Dir das nicht laut genug ist, solltest Du einen Ohrologen aufsuchen... der hat dann für Dich eine gute und eine schlechte Nachricht. Die gute zuerst: "Sie brauchen kein Hörgerät..."


    Zitat

    indes gibt es Werke, die auf modernen Instrumenten eindeutig gewinnen. Die späten Haydn- und Mozart Sinfonien zähle ich dazu - Beethoven und Schubert selbstverständlich auch.


    Dann wirst Du entweder den Kauf der Schoonderwoerd-Platte oder diese Aussage bereuen.


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Zitat

    Dann wirst Du entweder den Kauf der Schoonderwoerd-Platte oder diese Aussage bereuen.


    Ich habe schon hineingehört - und weiß in etwa was mich erwartet.


    Zum einen halte ich diese Aufnahme für eine Ausnahmeerscheinung - zum anderen bin ich (in diesem Bezig) keine "Entweder-Oder" Typ


    Ich genieße die Möglichkeiten von Orioginalinstrumenten (weniger jedoch die angeblich historisch korrekte Spielweise auf modernen Instrumenten - hier hanben die Musikwissenschafter die Regeln binnen 20 Jahre zumindesz dreimal umgeworfen) - freue mich aber auch über wuchtig romantische Interpretationen.


    Kraus - ich halte ihn - im Gegensatz zu Vranicky etwa- für einen Komponisten der zweiten Garnitur. Keines seiner Werke hat mich je wirklich beeindruckt - das mag aber auch an den vorhandenen Einspieluingen lieben. Rosetti wurde mir anfangs durch das Concerto Köln auch verleidet - bis ich andere Aufnahmen kennenlernen durfte...


    mfg
    aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Kraus - ich halte ihn - im Gegensatz zu Vranicky etwa- für einen Komponisten der zweiten Garnitur.


    Um weiter vom Thema abzudriften: Kraus und Vranický halten keinem Vergleich stand - das sind zwei völlig unterschiedliche Welten. Kraus gehört mittlerweile - fast einstimmig, da bin ich sicher - fest in die Riege Mozart-Haydn-Gluck hinein. Er war das [lange gesuchte?] und Gott sei Dank gefundene fehlende vierte Rad am Wagen.


    Ich empfehle Dir, in die Produktionen der Musica Sveciae reinzuhören. Leider sind einige Ausgaben oftmals etwas schwierig zu bekommen [im Swedish Music Shop aber wird man fündig]. Hier wird HIP und "normal" interpretiert. Das sind alles durchweg hervorragende Interpretationen.


    Kommen wir zum Thema zurück, bevor es Schläge gibt:


    Zitat

    Zum einen halte ich diese Aufnahme für eine Ausnahmeerscheinung


    Und genau davon brauchen wir noch jede Menge. :jubel: :jubel: :jubel:


    Und, davon abgesehen, ist diese Aussage von Dir ein gemeiner Schachzug im Hinblick auf die bald folgende Bewertung der Schoonderwoerdschen Beethovenkonzerte. Ich erinnere Dich nur ungern daran, wie grässlich Du Concerto Köln findest, aber die Klavierkonzertedition Salieri/Steffan mit CK goutierst.


    Wenn Du den Schoonderwoerd/Beethoven nicht noch grässlicher empfindest, als ConcertoKöln/Rosetti, müßte ich Dich der Notlüge bezichtigen. :D


    Die "angeblich historisch korrekte Spielweise auf modernen Instrumenten" ist ohnehin zum Totlachen. Das wäre wie eine Kutsche mit Hilfsmotor oder ein motorloser Ferrari, der von einem 16er-Gespann gezogen würde. Soetwas kann ich nur lächerlich finden.


    Moderne Instrumente haben auch ihre Werke, für die sie unabdingbar [also komponiert worden] sind. Aber das ist nicht mein Gebiet.


    Ich bin jedenfalls überglücklich, "meine" Musik endlich so hören zu können, wie ich sie mir lange vorgestellt habe, dass sie klingen müßte.


    Viele Grüße von der HIP-Front


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Ich sehe das ähnlich wie Bernd und habe die Entwicklung in den 80ern und 90ern auch anders wahrgenommen als Alfred es darstellt. Als ich um 1986 begann, Klassische Musik zu hören, gab es die historische Aufführungspraxis natürlich seit geraumer Zeit, aber sie wurde, so scheint es mir, in weiten Kreisen noch eher als exotisches Randphänomen wahrgenommen, insbesondere, wenn es um Musik ab Mozart und Haydn ging. Zwar gab es Ende der 80er bereits drei Beethovenzyklen dieser Provenienz (Hanover Band, Hogwood, Norrington) und von Goodman und Norrington auch schon "Ausflüge" zu Schubert und gar Wagner. Einzelne Mozart- und Haydn-Einspielungen mit dem Collegium Aureum gehen ja weit in die 70er zurück
    Aber im Mozart-Jahr '91 war dieser Komponist weitestgehend in traditioneller Hand, auch wenn es vermutlich schon Hogwoods und Pinnocks Einspielungen der Sinfonien gab. Zu eben diesem Jubliäum wurde aber andererseits auch eine GA mit Levine/Wiener PO herausgebracht.
    Wenig später erschien Harnoncourts Beethovenzyklus, vielleicht das erste "Hybrid", mit Naturtrompeten bei sonst modernem Orchester. Aber Harnoncourt hatte schon 10 Jahre vorher begonnen, Mozart-Sinfonien u.a. mit dem Concertgebouw-Orchester aufzunehmen. Die Praxis des "HIP" mit modernen Instrumenten ist also schon über 20 Jahre alt.
    Ich hatte in den 90ern (deren erste Hälfte das letzte goldene Zeitalter der Plattenlabels gewesen sind), obwohl natürlich mehr und mehr HIP-Aufnahmen erschienen, niemals den Eindruck, dass für Musik ab der Wiener Klassik traditionelle Orchester verpönt seien. Im Barock mag das anders aussehen, aber selbst hier produzierte die DG um 1991 noch Brandenburgische Konzerte mit dem Chamber Orchestra of Europe und Händel mit dem Orpheus Chamber Orchestra und die ungezählten Leipziger und Dresdner Bach-Aufnahmen für das Jubiläum 1985 wurden im Westen keineswegs verschmäht.


    In den 15 Jahren seit Harnoncourts Beethovenzyklus sind soweit ich sehe, zwei weitere "HIP" erschienen, Gardiners und Brüggens. Dagegen Zinman, Abbado/Berlin, Barenboim, Rattle und vermutlich noch ein paar mehr (von wann stammt Mackerras/Liverpool?) mit traditionellen Orchestern, wenn auch teils HIP-beeinflußt. Norrington/Stuttgart und die beiden CDs mit Th. Fey mag man als Hybride einordnen, aber auch sie verwenden moderne Instrumente.
    (In der CD-Boomzeit der 80er hatte ja fast jeder berühmte Dirigent einen digitalen Zyklus eingespielt, Karajans letzter, Abbado/Wien, Muti, Maazel(?), Solti, Wand und sicher noch ein paar mehr)


    Bei Schubert ist erstmal erstaunlich, dass es überhaupt so viele neue Zyklen gibt (nachdem die Welt 30 Jahre mit Sawallisch und Böhm zufrieden zu sein hatte). Die Statistik liefert der osservatore viennese in einem anderen thread. Die bekanntesten neueren sind wohl Abbado, Davis, Harnoncourt, Brüggen, Immerseel. Also etwa ausgeglichen modern/historisierend.


    Bei Mozart und Haydn ist es schwieriger, einen Überblick zu gewinnen. Ich weiß schlicht nicht mehr, was da im Laufe der 90er alles erschienen ist. Vielleicht gibt es eine gewisse "HIP-Dominanz" in den letzten 10-15 Jahren. Aber wiederum sind Harnoncourts "Londoner" mit dem Concertgebouw, die Naxos- und die später auf Brilliant veröffentlichten Fischer-Aufnahmen mit modernen Instrumenten. Ähnlich wie Hugh Wolffs verwenden auch Th. Feys Einspielungen modernen Instrumente, aber mit ungewöhnlicher Spielweise, bzw. teils Naturhörnern usw.


    Es kommt m.E. letztlich viel mehr auf ganz andere Dinge an als die Instrumente (was nicht heißt, dass diese egal wären). Dass die oft streicherlastige Balance keine notwendige Folge moderner Instrumente ist, belegen unzählige Aufnahmen, auch schon älterer Zeit (z.B. Klemperer). Gleiches gilt für Tempo, Phrasierung usw. Wie laut ein fortissimo ist läßt sich auf Aufnahmen eh gar nicht sagen. Natürlich ist ein HIP-Ensemble evtl. nicht laut genug, wenn es in einem Saal spielt, dessen Größe auf ein dreimal so stark besetztes Orchester mit modernen Instrumenten zugeschnitten ist.
    Es gibt sowohl traditionelle als auch historisierende Aufnahmen, die die Kontraste hervorheben oder eher überspielen usw.


    (Zu den relativen Meriten diverser Kleinmeister enthalte ich mich der Meinung; ich bin allerdings fast sicher, dass sie ohne HIP-Bewegung noch länger und tiefer in der Versenkung verblieben wären, auch wenn inzwischen verdienstvolle Aufnahmen bei Naxos oder Chandos auf modernen Instrumenten gemacht wurden)


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Die "" habe ich bewußt anders gesetzt.
    Wieso waren die modernen Orchester aus dem Blick geraten?


    Als Konzertgänger mit Abo wie ich beim Beethovenorchester Bonn gabs sowieso nur modernes Orchester. Und das wird in der Praxis in allen Städten so sein.


    Die historische Aufführungspraxis hat große Verdienste, die wir auf den CD anhören können. Sicher haben nicht nur die Spitzenorchester, sondern auch die guten "normalen" davon profitiert und erzeugen nicht mehr einen so schlimmen wabernden, vollbusigen Ton wie früher.


    Schön sind die Abo-Konzerte mit dem Miniorchester und den jungen Musikern, die Heribert Beissel um sich schart. Da kann man tolle Aufführungen der Wiener Klassik erleben.
    Nicht ohne gewisse Genugtuung hat dieser so wenig beachtete Maestro in der Presse verlauten lassen, daß das geplante neue Beethoven-Festspielhaus mit 1700 Plätzen zu klein sein wird, da er allein 1800 Abonnenten für seine Reihe "Wiener Klassik" habe..........


    Gruß aus Bonn, was solche Orchester hat :hello:

    Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem andern zu

  • Die Bonner Situation bot aber auch anderes.
    Immerhin war das Landesmuseum einst eine ständige Spielstätte nicht nur der Goebelschen Truppe.
    Dass jetzt dergleichen nur noch selten zu hören ist, kann man getrost dem geschrumpften Kulturhaushalt der Stadt zuschreiben.


    Und über das ehemalige "Chur Cölnische Orchester, ehemaliges "Telekom-Orchester", jetzt "Klassische Philharmonie Bonn" unter Beissel kann man sicherlich geteilter Meinung sein.