"Ist ein Traum, kann nicht wirklich sein..." - Homoerotik in der Oper

  • Auf den ersten Blick mag das Rosenkavalier-Zitat im Titel zu diesem Thema vielleicht etwas weit hergeholt erscheinen, aber es geht mir mehr um die Frage der Homoerotik im geistig-sinnlichen Sinne, als um tatsächliche, körperliche Homosexualität.
    Als ich eben auf den neuen Thread Lakmé und die Blüten eine Antwort gab, viel mir selber auf, das ich oft die Vereinigung von Frauenstimmen in der Oper als homoerotisch empfinde, etwas Vergleichbares finde ich zwischen den Herren kaum. Könnte es also sein, daß (evtl. bis heute) eine erotische (stimmliche) Vereinigung zwischen Männern in der Oper, vielleicht beruhend auf der häufigen Gleichsetzung von Erotik und Sexualität, immer ein Tabu gewesen ist? Wird die sinnliche Vereinigung von Frauen (-stimmen) vielleicht weniger bedrohlich empfunden, was z. B. das Verständnis der sexuellen und geschlechtlichen Identität und des Rollenverständnis betrifft? Oder ist die sinnliche (nicht zwangsweise auch körperliche) Liebe zum eigenen Geschlecht in der Oper etwas, was nur in einem "Traum" (also entschärft, da nicht Realität) dargestellt und nicht "wirklich" sein darf...?



    "Der Rosenkavalier" (Gottfried Helnwein)

  • Interessantes Thema.


    Gibt es überhaupt Opern, die eine homoerotische Thematik explizit behandeln?


    Mozarts "Apollo et Hyacinthus" spielt doch auch nicht wirklich drauf an, oder? (Kenne die Oper nur vom Namen.)

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Nicht so explizit wie bei den genannten Werken Brittens, aber vielleicht implizit durch die Vereinigung der Männerstimmen, die ich auch durch die musikalische Linienführung immer als geistig-seelische Vereinigung empfinde:
    das Schwurduett aus Verdis "La Forza del Destino"?

    Einmal editiert, zuletzt von petra ()

  • In der Barockoper ist soetwas auch zu finden, aber eben nur hintergründig.
    Und wieder greife ich auf "La Calisto" von Cavalli zurück, dort umgarnt ein lüsterner Satyr eine Nymphe, die aber recht hässlich ist, das wird noch unterstützt da diese Rolle von einem Mann gesungen wird.


    In der Opera Seria gibt es das auch häufig, bzw. dass man die Geschlechter ganz aufhebt, so werden die Frauen von Kastraten gesungen, die männlichen Rollen von Frauen.


    Oder aber in römischen Oratorien und Opern, da war es generell verboten, dass Frauen auftraten - und so wurden alle Rollen von Männern gesungen.
    Man bedenke auch dass es generell unüblich war das vor 1660 überhaupt Frauen auf Theaterbühnen standen, deshalb schwingt so ein leichter Hauch von Homo-Erotik immer mit, auch wenn es nie direkt angesprochen wird.


    :hello:

  • Sesto spricht in seinem an Tito gerichteten Rondo folgende Worte:
    "Deh, per questo istante solo, ti ricorda il primo amor"


    In der Inzenierung aus Zürich, die ich gestern auf DVD gesehen habe, schwang szenisch durchaus eine homoerotische Atmosphäre mit.
    Allerdings handelt es sich hier um eine stimmliche Vereinigung von Mann und Frau.
    Bedingt durch gleich zwei Hosenrollen in der Oper gibt es aber auch reichlich Gelegenheit zur "Vereinigung" von Frauenstimmen (Duette Vitellia/Sesto, Sesto/Annio, Annio/Servilia), außer bei Sesto/Annio dann ja im "richtigen" Rollenbild.
    Warum gibt es überhaupt noch so viele Hosenrollen in Opern, die nach der Zeit der Kastraten entstanden sind?


    Zitat

    Wird die sinnliche Vereinigung von Frauen (-stimmen) vielleicht weniger bedrohlich empfunden, was z. B. das Verständnis der sexuellen und geschlechtlichen Identität und des Rollenverständnis betrifft?


    Da dürfte was dran sein - Körperlichkeit zwischen Frauen wird nicht automatisch als sexuell motiviert angesehen, Körperlichkeit zwischen Männer schon eher.


    Gruß
    Rosenkavalier

  • Auch auf die Gefahr hin, dass sich in meiner Erinnerung die Lebensumstände des Komponisten mit dem Werk vermischen:


    bei Britten sollte dann noch "Turn of the screw" und "Peter Grimes" Erwähnung finden.


    Henzes "Bassariden" oder Szymanowskis "Krol Roger" fallen mir noch ein (auf die beiden bezieht sich der Eingangssatz).


    "Forza" würde ich nicht assoziieren, aber sehr wohl "Don Carlo" - und wie an anderer Stelle schon angedeutet, Lenski und Onegin.


    Die Frage der Hosenrolle, z. B. bei Richard Strauss im "Rosenkavalier", ist durchaus interessant - es gibt da, glaube ich, auch Literatur drüber - die Konfusion des Ochs, der eine Frau knuffig findet, die eigentlich ein Mann ist, der wiederum von einer Frau gespielt wird - das hat ein ganz eigenes Spannungspotential.

  • Eines der klassischen Freundespaare ist Orest und Pylades. In der Koskyj-Inszenierung von


    Gluck: Iphigenie in Tauris


    der KOB wird die homoerotische Komponente nicht überbetont, aber auch nicht aus dem Auge gelassen


    LG Peter

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  • Zitat

    Zitat Rosenkavalier: Warum gibt es überhaupt noch so viele Hosenrollen in Opern, die nach der Zeit der Kastraten entstanden sind?


    Das habe ich mich auch schon gefragt. Selbst wenn man die Romantik betrachtet, die ja eigentlich sehr stark auf die Polarität der Geschlechter setzte: Auch da gibt es den Oscar im Maskenball oder den Stéfano in Gounods "Romeo et Juliette".
    Mit dem Oscar assoziiere ich auch immer eine homoerotische Komponente, aber das kommt vielleicht daher, dass ich, was den Riccardo betrifft, immer den Schwedenkönig Gustav III als historische Person vor Augen habe ...


    @ Alviano
    Was Text und Handlung angeht, würde ich die "Forza" auch nicht unbedingt dazurechnen; es ist bei mir auch mehr ein Eindruck aus der Stimmführung im Schwurduett, die ich eher als "vereinigend" empfinde als im Duett aus dem "Don Carlo".


    :hello: Petra

  • Zitat

    Original von petra
    es ist bei mir auch mehr ein Eindruck aus der Stimmführung im Schwurduett, die ich eher als "vereinigend" empfinde


    Genau darum ging es mir u. a. auch bei diesem Thread: um die subjektive Empfindung von Homoerotik beim hören, nicht unbedingt nur um Werke, in denen dies thematisiert wird.

  • Zitat

    Original von Der-wonnige-Laller
    Als ich eben auf den neuen Thread Lakmé und die Blüten eine Antwort gab, viel mir selber auf, das ich oft die Vereinigung von Frauenstimmen in der Oper als homoerotisch empfinde, etwas Vergleichbares finde ich zwischen den Herren kaum.


    Für Dich als Humperdinck-Fan vielleicht interessant: In Paris gab es mal die Königskinder mit einer Mezzosopranistin als Königssohn.

  • Hallo Knuspi,


    das ist interessant - hilf mir mal gerade auf die Sprünge:
    Musste die Partie des Königssohns für die Mezzosopranistin "höher gelegt" werden oder ist es eh schon eine Mezzo-Partie?



    Zitat

    Frage von Rosenkavalier:
    Warum gibt es überhaupt noch so viele Hosenrollen in Opern, die nach der Zeit der Kastraten entstanden sind?


    Komisch - die Frage habe ich mir noch nie gestellt. Die Partien wie Octavian, Oscar, Tebaldo (in Verdis Don Carlo), der Komponist in Strauss' Ariadne auf Naxos, usw. sollen doch alles blutjunge Jünglinge verkörpern - gerade noch im Stimmbruch, bzw. eine gewisse Unschuld und Naivität verkörpernd, die durch die hohen, "reinen" Frauenstimmen wohl besser rüberzukommen schien...
    Das war also alles andere als eine "Notlösung" (weil es keine Kastraten für diese Partien gab), sondern eine bewusste Entscheidung der Komponisten.

    "Es ist mit dem Witz wie mit der Musick, je mehr man hört, desto feinere Verhältnisse verlangt man."
    (Georg Christoph Lichtenberg, 1773)

  • Zitat

    Original von Knusperhexe


    Für Dich als Humperdinck-Fan vielleicht interessant: In Paris gab es mal die Königskinder mit einer Mezzosopranistin als Königssohn.


    Und im Benediktinerkloster Engelbert in der Schweiz gab es 1896 tatsächlich mal eine Aufführung von "Hänsel und Gretel" durch Knaben des dortigen Gymnasiums unter dem Titel "Hänsel und Fränzel"... :hahahaha: :hahahaha: :hahahaha: :hahahaha: :hahahaha: :hahahaha: :hahahaha: :hahahaha:


    Du siehst, schwerwiegende Eingriffe durch die Regie gab es damals schon. :baeh01:

  • Hallo Marc,


    ich habe es leider nicht gesehen, war vor dem 2. Weltkrieg. :(Aber ich finde es keinen so falschen Ansatz. Es gibt den beiden Hauptpartien etwas noch filigraneres.


    LG,


    Christoph


    [/quote]Original von Der-wonnige-Laller
    Du siehst, schwerwiegende Eingriffe durch die Regie gab es damals schon. :baeh01:[/quote]


    Schnarch! Antworte mir lieber mal im Marionettenopernthread ;)

  • Zitat

    Original von Barezzi
    Zu dem spannenden Thema hab ich mal etwas im Internet gefunden.


    Der von Stefan verlinkte Artikel ist hochinteressant und sehr lesenswert. Er behandelt nahezu alle Facetten des Themas. Merci, für den Hinweis!


    Auf die Lektüre des dort erwähnten und zitierten Buch "The Queen's Throat", das zunächst mein Interesse weckte, werde ich jedoch lieber verzichten, nachdem ich die Kritik der Züricher Zeitung zu diesem Buch auf Amazon gelesen habe. :P



    :hello:
    Violoncellchen

  • Auch wenn es umstritten ist:


    1.) Wagner: Tristan und Isolde


    Die Beziehungen Tristan - Kurwenal ("Dir nicht eigen, einzig mein!") und auch Tristan - Melot (Verrat Tristans aus Eifersucht?) weisen für mich ziemlich eindeutige homoerotische Untertöne auf.


    Desgleichen bei:


    2.) Verdi: Otello


    Auch hier ein "Schwurduett", wo sich die Stimmen mischen, dazu noch eine vorangehende Szene, in der Jago Otello förmlich wie einen Fisch am Haken zappeln lässt und sich sadistisch an dessen Seelenqualen weidet.


    :hello:


    GiselherHH


    Violoncellchen


    Die Lektüre lohnt sich aber dennoch. Zum einen ist das Buch recht witzig geschrieben, zum anderen taucht man in eine neue, merkwürdige Welt , die Sphäre der "Opera Queens", ein. Manchmal nervt das dauernde Abtasten äußerer Zeichen auf homosexuelle Codes und es wird auch schon mal ziemlich deftig, aber das schmälert den Erkenntnisgewinn nicht.

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)


  • Ja, dieses Machwerk ist der reinste Schrott. Auch wenn das etwas OT ist, möchte ich einen kleinen Einblick geben:


    "Die Operntunte muß sich für eine Diva entscheiden. Die anderen dürfen bewundert, genossen, sogar geliebt werden. Aber nur eine einzige Diva kann im Herzen der opera queen regieren (...) Eine Diva zu wählen, die man liebt, ist wie der Beginn jedes erotischen Arrangements. Du siehst den Jungen jeden Nachmittag am Schwimmbecken. Zuerst ist er nur irgendein männlicher Körper. Aber du fängst an, von seinem Bauch zu träumen. Du errötest, wenn er auf der Straße vorbeigeht und spürst Bewegung zwischen deinen Beinen (...) und bist überglücklich, dir vorstellen zu können, daß er vielleicht ungebunden ist, und seine gebügelten pfirsichfarbenen Shorts lassen dich schließen, daß er vielleicht schwul ist, und du lauschst am Schwimmbecken durch die Geräusche der schnellen Bahn hindurch auf seinen australischen Akzent..."


    :hahahaha: :hahahaha: :hahahaha: :hahahaha: :hahahaha: :hahahaha: :hahahaha: :hahahaha: :hahahaha: :hahahaha: :hahahaha: :hahahaha:


    Und der Mann lehrt an der Yale-University :no: :no: :no:

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  • Nicht ich genieße das, sondern Jago ;) (Höhepunkt in dieser Hinsicht ist das Ende des 3. Aktes, wenn Jago den zusammengebrochenen und bewusstlosen Otello mit "Ecco il leone!" verspottet)!


    :hello:


    GiselherHH

    "Mache es besser! (...) soll ein bloßes Stichblatt sein, die Stöße des Kunstrichters abglitschen zu lassen."


    (Gotthold Ephraim Lessing: Der Rezensent braucht nicht besser machen zu können, was er tadelt)

  • Zitat

    Original von MarcCologne




    Das war also alles andere als eine "Notlösung" (weil es keine Kastraten für diese Partien gab), sondern eine bewusste Entscheidung der Komponisten.


    Ich hab die Tatsache auch nicht als "Notlösung" gesehen. Auch ich vermute eine bewusste Entscheidung des Komponisten dahinter.
    Allerdings könnte diese Entscheidung angesichts der vom wonnigen Laller aufgeworfenen Fragestellung nochmal beleuchtet werden - und zwar über das grundsätzliche Rollenbild des Jünglings hinaus.


    Gruß
    Rosenkavalier

  • Zitat

    Original von RosenkavalierAuch ich vermute eine bewusste Entscheidung des Komponisten dahinter.


    Bei Verdi ist es auf jeden Fall so. Er sollte für die Altistin Carolina Vietti eine Partie schreiben, es wäre nur die Titelrolle des Ernani (ein "bartloser junger Mann") in Frage gekommen. Dazu Budden (Verdi, 1985, dt. 1987): "Verdi stellte jedoch klar, wie er es später noch öfters tun sollte, daß er die Tradition der Hosenrolle gänzlich ablehnte." (S. 34)


    Liebe Grüße Peter

  • Liebe Tiefenpsyhologie-Forianer,


    An Homoerotik habe ich bisher dabei nicht gedacht, aber genau besehen, ist die Beziehung zwischen Ferrando und Guglielmo sowie Dorabella und Fiordiligi jedenfalls markanter als die zwischen den eigentlich zusammengehörigen Partnern, vor allem eben auch stimmlich. Wenn da das Timbre nicht zusammenpasst, geht die Wirkung verloren (so wie auch im "Rosenkavalier"-Schlußterzett, auf das aber immerhin ein gleichwertiges Duett des Liebespaars folgt). In der "Cosi" fand ich die musikalische Harmonie zwischen den beiden Herren respektive den beiden Damen stets eindrucksvoller als das Mixed.


    Bei anderen Opern muß man sich aber auch fragen, ob die Männerfreundschaft immer eine echt homoerotische Komponente enthält, oder ob da nicht auch manchmal verkappte Vater/Sohn -Beziehungen verborgen sind.


    LG


    Waldi

  • Zitat

    Original von Walter Krause
    Bei anderen Opern muß man sich aber auch fragen, ob die Männerfreundschaft immer eine echt homoerotische Komponente enthält, oder ob da nicht auch manchmal verkappte Vater/Sohn -Beziehungen verborgen sind.


    Lieber Waldi,


    den Einspruch finde ich gerechtfertigt. Es gibt viele Mann-Mann-Beziehungen, die eine zu vernachlässigende oder gar keine sexuelle Komponente haben, die Vater-Sohn-Beziehung ist eine, die Bruder-Bruder-Beziehung eine andere. Bevor die Frage noch nicht so sexualisiert wurde, wie es heute üblich ist, hat man auch mit der Männerfreundschaft weniger Probleme gehabt - auch auf der Bühne. Bei der Così fällt mir auch eine Art Bruderbeziehung eher ein als alles andere.


    Liebe Grüße Peter

  • Lieber Peter,


    Bei der "Cosi" habe ich das bisher so wie Du empfunden, aber Nachdenken schadet ja - fast - nie. Dumpf kann ich mich erinnern, daß irgendwann jemand bei Don Alfonso so etwas wie Eifersucht vermuten wollte, aber das ist, wenn schon, wohl viel eher der angesprochene Vater-Sohn-Komplex.


    Männerfreundschaft oder Männerbündnis führt zurück auf "primitive" Gesellschafts-Urzeiten und ihre lebensartbedingten Gewohnheiten, die ja außerhalb der abendländischen Welt noch ab und zu anzutreffen sind. Die homoerotische Komponente spielt nach meinen bescheidenen ethnologischen Kenntnissen dabei in der Regel keine tragende Rolle. Es geht mehr um die notwendige Bündelung oder Schulung der - nicht nur physischen - Kräfte bei Jagd und Verteidigung.


    LG


    Waldi

  • Hallo zusammen,


    wenn ich Clemens richtig verstanden habe, ging es ihm gar nicht so sehr um die rein sexuelle Komponente, sondern eher um eine unterschwellige Homoerotik in geistig-seelischer, aber auch sinnlicher Beziehung iin Stücken, die sich eigentlich mit diesem Thema gar nicht beschäftigen.


    Zitat

    Zitat: aber es geht mir mehr um die Frage der Homoerotik im geistig-sinnlichen Sinne, als um tatsächliche, körperliche Homosexualität.
    ..., das ich oft die Vereinigung von Frauenstimmen in der Oper als homoerotisch empfinde, etwas Vergleichbares finde ich zwischen den Herren kaum.


    Da sich die Verschmelzung von Männerstimmen häufig im Bereich der Freundschaftsduette findet, habe ich mir das Duett aus "Forza", das mir in Zusammenhang mit dieser Frage im Kopf herumging, noch einmal in drei Versionen angehört. Ich habe mich nämlich dabei gefragt, ob die unterschwellige Erotik, die ich hier immer heraushöre, in diesem Duett wirklich enthalten ist, oder ob eine besonders enge Verblendung der Stimmen eine solche Interpretation nur für eine bestimmte Aufnahme nahelegt.


    1. Die Aufnahme mit Jussi Björling und Robert Merrill könnte eine solche unterschwellige Erotik zwischen Alvaro und Carlo nahelegen: Die Stimmen verschmelzen perfekt, hinzu kommt der Kontrast zwischen der hell timbrierten Stimme Björlings und dem dunklen Bariton Merrills, sowie die Tatsache, dass sich Björling hier wie so oft perfekt an die musikalische Linie und an die Stimme des Partners (sonst auch oft an die der Partnerin) anpasst, ja fast anschmiegt.


    2. In der Aufnahme mit Robert Hutt, der einen etwas kräftigeren Tenor hatte, und Heinrich Schlusnus ist dieser Eindruck bei mir auch noch vorhanden, aber bereits schwächer.


    3. Der Aufnahme mit Richard Tucker und Carlo Tagliabue würde ich jede unterschwellige Erotik absprechen, was meiner Meinung nach jedoch vor allem an den aufgesetzten Schluhuchzern Tuckers liegt, die dieses wunderbare Duett in dieser Einspielung für mich kaputtmachen.


    Das, was ich meinte, herauszuhören, gilt in diesem Fall also in erster Linie für eine Aufnahme. Könnte es auch im Bereich der Frauen-Duette vielleicht so sein, dass man aus einer besonders geglückten Aufnahme eben durch die Verschmelzung der Stimmen etwas heraushört, was vielleicht gar nicht darin ist? ?( DAs frage ich mich jetzt wirklich!


    :hello: Petra

  • Lieber Walter,


    Personenkonfigurationen in Opern zu untersuchen, ist immer eine faszinierende Sache - und selbstverständlich eine der (nicht immer einverständlichen) Interpretation. Die Unterdrückung der sexuellen Komponente in den gängigen Interpretationen verlockt auf der anderen Seite zur Überbewertung - wie das so immer ist. Mein "Liebling" ist da Bernd Oberhoff, dessen "psychoanalytische" Opernführer ich mit Wonne bespreche. Interessanterweise ist er in dieser Hinsicht sehr unergiebig. Während er sehr ausführlich die Frage einer inzestuösen Bindung zwischen Orest und Iphigenie untersucht, ist für ihn die ideale Freundschaft zwischen Orest und Pylades frag- und zweifellos gegeben. Er zeigt dabei meiner Meinung nach die Scheuklappen eines orthodoxen Psychoanalytikers, für den eine homoerotische Beziehung etwas Psychopathisches hat - auch wenn Oberhoff meines Erachtens bei der Wertung in diesem Falle richtig liegt (in dem Sinne, wie Du es angesprochen hast). Wenn Du Oberhoff noch nicht kennst, empfehle ich Dir sein Büchlein zum "Freischütz" - damit saß ich schallend lachend in der Vorstadtbahn, schon deshalb hat sich für mich jeder Cent gelohnt ...


    LG Peter

  • Lieber Peter,


    Du machst mich neugierig - ich merke mir diesen "Freischütz"-Kommentar vor. Allerdings kann mich sich an solchen Dingen auch überessen. Bei dem, was Arno Schmidt psychoanalytisch über Karl May ausgelassen hat, habe ich mich zum Schluß nur mehr süffisant gefragt, was man daraus psychoanalytisch über AS schließen soll. Der hatte vermutlich die größeren Probleme im Unterbewußtsein.
    Hat Oberhoff auch den "Don Giovanni" zerlegt, etwa die Beziehung Giovanni/Leporello? Die kommen trotz aller Gegensätze voneinander nicht richtig los, weil sie in vielem wieder so ähnlich sind. Harmloser, aber ähnlich Herzog/Caramello in der "Nacht in Venedig".


    Nachtrag: Soeben sehe ich, daß Oberhoff den "Don Giovanni" behandelt hat, aber auch das Verhältnis zu Leporello??


    Nicht jeder Komponist provoziert solche Ideen, wie sie in diesem Thread diskutiert werden. Verdi ist aber ein solcher, nicht nur wegen der "Forza", auch etwa im "Ernani " kann man ins Sinnieren kommen.


    LG


    Waldi

  • Zitat

    Original von Walter Krause
    LiBei dem, was Arno Schmidt psychoanalytisch über Karl May ausgelassen hat, habe ich mich zum Schluß nur mehr süffisant gefragt, was man daraus psychoanalytisch über AS schließen soll. Der hatte vermutlich die größeren Probleme im Unterbewußtsein.


    Lieber Waldi,


    ich glaube, dass AS es geschafft hat, gleichzeitig eine brillante Arbeit über Karl May zu schreiben und gleichzeitig das benutzte Analyseinstrument zu parodieren. Dieses Ineins von nachvollziehender Interpretation und haarsträubender Persiflage gehört für mich zum Besten, was ich von AS kenne!


    Zitat

    Hat Oberhoff auch den "Don Giovanni" zerlegt, etwa die Beziehung Giovanni/Leporello? Die kommen trotz aller Gegensätze voneinander nicht richtig los, weil sie in vielem wieder so ähnlich sind. Harmloser, aber ähnlich Herzog/Caramello in der "Nacht in Venedig".


    Nachtrag: Soeben sehe ich, daß Oberhoff den "Don Giovanni" behandelt hat, aber auch das Verhältnis zu Leporello??


    Den Oberhoff habe ich noch gar nicht gelesen. Mich hat schon sein Büchlein zur "Così fan tutte" in glühenden Zorn versetzt, das wird wohl bei Don Giovanni nicht anders werden. Aber warum nicht einmal auf ein Neues - nachdem ich den Don Carlos genügend studiert habe, gerne! Aber wir können uns auch die Così vornehmen, der Thread wartet ohnedies auf die Weiterführung!


    Verdi ist bei mir noch ein nicht so gut bearbeitetes Terrain, deshalb bin ich da sehr zurückhaltend mit Bemerkungen.



    LG Peter

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