Kann man über Operetteninhalte diskutieren?

  • Liebe Operettenfreunde,


    Lohnt es sich über Operetteninhalte zu diskutieren, oder sind sie zu banal?


    Sind wirklich die meisten Wiener und Berliner Operetten vom Inhalt her gleich aufgebaut? Treu nach dem Thema "Am Ende kriegen sie sich doch".


    Sind Operetten im Vergleich zu vielen Opern, die einfache heile Welt?



    Diskussion oder nicht Diskussion ist hier die Frage.



    LG


    Maggie

  • Liebe Maggie,


    können kann man's, dürfen darf man's, aber warum sollte man es tun, wenn es ganz allgemein um Operetteninhalte geht. Eine derart allgemeine Diskussion kann eigentlich nur Vorurteile abrufen. Ich denke, da wäre es sinnvoller, anhand bestimmter Beispiele über ganz konkrete Operettenbücher zu reden.


    Was hast Du Dir zum Beispiel für Reaktionen oder Beispiele gewünscht?


    ?( Rideamus ?(

  • Lieber Rideamus,


    mir geht es in erster Linie darum, einen Operettenthread zu aktivieren, der nicht nur Einspielungen vergleicht und vorstellt, sondern halt zum diskutieren anregt.


    Natürlich ist es sinnvoll über bestimmte Beispiele aus bestimmten Operetten zu diskutieren, aber über welche? Diese Wahl wollte ich Euch lassen.


    Du hast die Wahl, über welche würdest Du gern diskutieren? Welche hälst Du nicht für zu banal, und warum?


    LG


    Maggie

  • Liebe Maggie,


    Genau so schwer wie bei Opern, kann man bei Operetten "verallgemeinen". Denn die Gründe sind oft verschieden. Es gab gesellschaftkritischen Operetten (sehr oft politischen eigentlich) wie die von Offenbach und Gilbert/Sullivan.
    Von Verdi (aber z.B. auch Mozart) gibt es auch solchen Beispiele.


    Dagegen kannst Du auch richtige "Unterhaltungsmusik" finden.


    LG, Paul

  • Lieber Paul,


    das ist richtig, darum habe ich es auf Berliner und Wiener Operetten eingegrenzt.


    Ich weiss, dass das Thema zu allgemein gehalten ist, aber ich suche einen für uns gemeinsamen Punkt, über den wir diskutieren können.


    LG


    Maggie

  • Zitat

    Original von Maggie
    Lieber Rideamus,


    mir geht es in erster Linie darum, einen Operettenthread zu aktivieren, der nicht nur Einspielungen vergleicht und vorstellt, sondern halt zum diskutieren anregt.


    Dann lass mich mal eine These aufstellen, über die ich schon länger nachdenke, und zu der ich entweder vehementen Widerspruch oder das Gegenteil erwarte.


    Der Niedergang der Operette beginnt schon sehr früh, nämlich zu dem Zeitpunkt, an dem sie ihre ursprüngliche Frechheit und Respektlosigkeit aufgibt um mit Sentimentalität auf Publikumsfang zu gehen. Einige Ausnahmen wie Oscar Straus, Eduard Künneke oder Leo Fall, die ihr Niveau länger hielten, bestätigen die Regel, obwohl Stücke wie EIN WALZERTRAUM schon früh auf das Problempotenzial der Gattung hinweisen.


    Beispiele:
    bei Johann Strauß DER ZIGEUNERBARON (da kommt noch der naive Militarismus dazu, der auch den eigentlich besseren SIMPLICIUS teilweise ungenießbar macht)


    bei Franz Lehár spätestens bei ZIGEUNERLIEBE (da kommt noch die besonders bei Lehát ausgeprägte Ambition in Richtung Oper hinzu)


    bei Kalmán von Anfang an, also schon beim ZIGEUNERPRIMAS (da braucht nichts mehr hinzu zu kommen)


    Ob es wohl nur Zufall ist, dass das Ausufern des verkitschten Ungarnbilds mit Bilderbuchzigeunern, mit denen in der Wirklichkeit niemand etwas zu tun haben wollte, in einem sehr engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Niedergang der deutschsprachigen Operette steht? Schon in der FLEDERMAUS fand ich KLÄNGE DER HEIMAT schon immer das einzig problematische Stück.


    Das hindert nicht, dass danach nicht einige sehr schöne Melodien hervorgebracht wurden, aber es bedurfte nicht erst der Nazis um die Operette in das Abseits der Kitschecke zu schicken.


    Ich denke, das ist pointiert genug um eine lebhafte Diskussion anzustoßen.


    :baeh01: Rideamus

  • Lieber Rideamus,


    ich danke Dir.


    Ich besitze nicht Deine rhetorischen Fähigkeiten und hatte gehofft, dass Du einen Diskussionsansatz finden würdest. Nun ich denke es hat geklappt.


    Du denkst, dass die Berliner und Wiener Operette zu Gunsten der Sentimentalität ihre ursprüngliche Frechheit und Respektlosigkeit aufgegeben hat. Kann aber nicht gerade diese, natürlich sehr Publikums wirksame, Sentimentalität auch dazu beigetragen haben, dass das einfache Volk die Respektlosigkeit überhaupt erkannte und diese mit den Melodien für sich aufgenommen hat.


    Die Operette befindet sich laut Medienberichten z.Z. im Aufwind. Kannst Du Dir vorstellen, dass der Untergang der Operette eine temporale Erscheinung war, und das sie wirklich eine Renaissance erleben könnte?


    Das die Operette dem Niedergang geweiht war, daran besteht sicher kein Zweifel, aber ist sie immer noch?


    Über das Thema verkitscht kann man eventuell sogar extra diskutieren.
    Auch eventuell über ein dazugehöriges Thema das Waldi und mir am Herzen lag, wir aber in einem anderen Thread aussen vor ließen, dem Thema des Klischeehaftem in der Operette.




    LG


    Maggie

  • Zitat

    Original von Maggie
    Das die Operette dem Niedergang geweiht war, daran besteht sicher kein Zweifel, aber ist sie immer noch?


    Liebe Maggie,


    Du meinst vermutlich das Komponieren von Operetten.
    Wenn ja, dann gilt das eigentlich auch für die Oper. :yes: :yes: Denn was jetzt an Oper erscheint, wird (vermutlich) nie Menschennmassen begeistern, sondern immer nur was für vereinzelte Persone sein.
    Die Zeiten, daß Fleischerbürschen in der Straße Melodien aus Opern pfiffen (Weber) sind vorbei. Ebenso wie den Beifall bei Verdi vom Publikum.


    LG, Paul

  • Hallo Paul,


    jetzt hast Du schon wieder einen Treffer gelandet.


    Mir fällt da Heinrich Heine ein, der in einem Brief an ? (müsste ich jetzt nachlesen), sich beschwerte, dass in Berlin an allen Ecken "wir winden Dir den Jungfernkranz" gegröhlt würde und fügt noch in seiner unnachahmlichen Art hinzu, er werde sich jetzt bestimmte Dinge anfertigen lassen "aus veilchenblauer Seide".


    Liebe Güße


    Emotione

  • Meine Lieben,


    Wenn es nur um das Komponieren von Operetten geht, dann ist das eher eine historische Gattung (aber was ist eine Operette? Nicht umsonst gibt es auch im Forum sehr verschiedene Meinungen zur Abgrenzung von der Oper, dem Musical etc.). Bühnenkunst ist aus meiner Sicht aber auch sehr wesentlich eine Sache der Aufführungspraxis und der damit verbundenen schöpferischen Intentionen.
    Zweifellos trug/trägt Sentimentalität zum Niedergang bei - wo aber grenze ich Sentimentalität von Sentiment ab, das falsche von echtem Gefühl? Die Grenzen sind fließend und hängen auch beim einzelnen Rezipienten oft von seiner spezifischen Tagesverfassung ab. Niemand kann Kitsch wirklich befriedigend definieren (es ist oft versucht worden, erst unlängst hat eine Studentin bei mir sehr gescheit über das Thema geschrieben). Ich getraue mich zwar zu sagen, daß etwa Edmund Eyslers "Goldne Meisterin" recht viel kitschige Elemente enthält, aber welche, das ist schon viel schwerer. Man erlebt Interpretationen, bei denen der Kitsch plötzlich zur hohen Kunst wird und ebenso umgekehrt.


    Ein Grund des Niedergangs könnte die hohe Dichte der Operettenqualität bis - sagen wir einmal - in die 1920er Jahre sein, wodurch die nachfolgende Generation, die sowieso eher zum Epigonenhaften neigte, irgendwie gelähmt war, vom Vorbild J.Strauß etc. nicht richtig loskam. Dazu kam die Förderung der Operette durch die Nazis, wodurch die Gattung indirekt auch ein bisserl stigmatisiert wurde.


    Das alles ist jetzt nicht eigentlich als Antwort auf Maggies Fragen gemeint, sondern als lautes Denken, auch ausgelöst durch den Beitrag von Rideamus.


    LG


    Waldi

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  • Noch etwas ist mir eingefallen: Das Publikum, das früher besonders gern inzu Operettenaufführungen strömte, wechselte dann - vermutlich auch aus finanziellen Gründen - vielfach ins Kino. Die Chance für die Operette liegt also nicht zuletzt darin, daß eine Kinokarte heute unter Umständen ebenso teuer ist wie eine für Mörbisch oder Ischl.


    Eines zeigt sich aber auch recht klar: Operette mit Besetzungen und Orchestern dritter Güte anbringen zu wollen, kann nicht funktionieren. Das Publikum ist dank Vergleichsmöglichkeiten oder sonstigen Hörgewohnheiten recht anspruchsvoll und schluckt nicht alles. Das ist wie mit Raimund und Nestroy, da vergleicht man unwillkürlich auch mit den klassischen Inszenierungen und Künstlern wie Meinrad, Muliar usw.
    Daß Simon Keenlyside und Angelika Kirchschlager eine Operetten-CD herausgebracht haben (leider kenne ich sie noch nicht), ist also sicher ein richtiger Weg - denn von diesen beiden Sängerpersönlichkeiten erwarte ich etwas Besonderes.


    Außerdem müssen auch die Medien mitspielen, aber die Musikkritiker haben nicht selten keine ausgeprägte persönliche Neigung zur Operette (ich denke da auch an Edwin, möchte aber nicht Unrecht tun und bitte um allfälligen Widerspruch; immerhin: Baden hat er heruntergemacht, was für mich eher ein Zeichen dafür ist, das er es nicht wirklich kennt und vielleicht in ein paar schlechteren Aufführungen war, die es natürlich auch dort einmal geben kann).


    LG


    Waldi

  • Hallo,


    ich will noch einmal kurz auf das "Zigeunerklischee" eingehen. Ich habe schlichtweg mal einige meiner Freunde und Bekannten aus dem Kreis der Roma und Sinti befragt, was sie bei Opern- und Operetten empfinden, in denen sie dargestellt werden, und erhielt in der Quintessenz zur Antwort, dass es ihnen dann zusagt, wenn ihre Musikelemente in einem ernsthalten Auseinandersetzungsprozess von den Komponisten verarbeitet wurden, wenn ihre Musiktradition und Mentalität mit Respekt behandelt wurde. Gute Komponisten haben das getan.


    Ist eigentlich logisch, oder nicht? Beachtlich dabei ist auch, dass selbst der Missbrauch durch die Nazis zur keiner (langanhaltenden?) Animosität geführt hat. Sobald jedoch sentimentale Machwerke oder entsprechende Darstellungsweisen in Spiel sind, fühlen sie sich zu Recht diskriminiert.


    LG



    Ulrica

  • Liebe Ulrica, lieber Waldi,


    Ulrica


    Zitat


    original Ulrica


    ... und erhielt in der Quintessenz zur Antwort, dass es ihnen dann zusagt, wenn ihre Musikelemente in einem ernsthalten Auseinandersetzungsprozess von den Komponisten verarbeitet wurden, wenn ihre Musiktradition und Mentalität mit Respekt behandelt wurde. Gute Komponisten haben das getan.


    Ist eigentlich logisch, oder nicht?


    Das denke ich auch. Wenn ein Volk so gesehen wird wie es ist und wenn seine Musik respektiert wird, ja sogar geliebt, warum sollten sie dann etwas gegen eine Verbreitung ihrer Werte haben.



    @Waldi


    Zitat

    Daß Simon Keenlyside und Angelika Kirchschlager eine Operetten-CD herausgebracht haben (leider kenne ich sie noch nicht), ist also sicher ein richtiger Weg - denn von diesen beiden Sängerpersönlichkeiten erwarte ich etwas Besonderes.


    Es ist ein Schritt in eine Richtung die ich sehr begrüße. Ich habe die CD, sie ist hervorragend. Die beiden Interpreten haben nicht nur ein sehr schönes Timbre, sie passen auch stimmlich hervorragend zusammen und sind meiner Meinung nach gesanglich überhaupt großartig.


    Natürlich kann man geteilter Meinung darüber sein, ob einzelne Lieder aus Operetten, sogenannte Ohrwürmer, dazu tauglich sind der Operette wieder Leben einzuhauchen. Ich denke sie sind es, da sie einem Neueinsteiger, einen einfachen, oder sogar sehr einfachen Zugang zum Gangre Operette ermöglichen.


    Sicher könnten die Medien ein positives Wort einlegen, nur leider tun sie es nicht. Aber ich will die Medien nicht schlechter machen als sie sind, denn es gibt und gab in der letzten Zeit mehrere Aufzeichnungen von Operetten und Operettenverfilmungen.


    Hoffen wir also, dass die Operette doch noch eine Renaissance erleben kann.


    LG


    Maggie

  • An Maggie -


    was für eine Frage ! Natürlich kann man über Inhalte von Operetten diskutieren - und zwar von der textlichen wie von der musikalischen Seite. Nicht jede Operette ist ein Meisterwerk, aber ebenso ist nicht jede Operette unnötig. Es gibt ausgezeichnete Operetten und es gibt schlechte Opern - und umgekehrt.
    Ich denke, dass es in der Entstehungsgeschichte zwischen Oper und Operette grundlegende Unterschiede gibt und dass diese Unterschiede das gängige Vorurteil - Operette ist musikalisch und textlich flach und seicht - (mit)begründen.
    Die meisten Opern (und ich meine jetzt die Werke bis zum Ende des 19. Jhdt.) wurden im Auftrag oder im Einflußbereich von Kaisern, Königen, Fürsten oder sonstig Herrschenden oder vermögenden Menschen komponiert und die "normale" Bevölkerung (Bauern, Handwerker, Dienstleister,..) hatten keine Gelegenheit damit vertraut zu werden. Auch die Bearbeitung etwa der Opern Mozarts als Harmoniemusik hob zwar etwas den Bekanntheitsgrad des Originals, aber für ein breites Echo konnte auch diese Hausmusik nicht sorgen. Das Volk hatte je keine Möglichkeiten, Zugang zu dieser Musik zu finden.
    Es ist sicher kein Zufall, dass die so genannte "leichte Musik" als Teil der der E-Musik in etwa um das Revolutionsjahr 1848 entsteht. Meine These ist, dass die Couplets bei Nestroy den Weg zur Operette führen. Es ist ja auch kein Zufall, dass Offenbach in seinen Operetten die politische Stuation in Frankreich ebenso karikierte wie die große Oper. Und so wie die Revolution in Österreich eher schaumgebremst abgelaufen ist, füllte sich die Operette mit äußerlichen Herz-Schmerz-Themen; Kritik an herrschenden Verhältnissen wurde, wenn sie überhaupt vorkam, in Watte verpackt und in Nebensätzen versteckt. Daran hatte zweifellos das nicht wirklich überwundene System Metternichs bedeutenden Anteil (und der vorauseilende Gehorsam gegenüber "denen da oben" ist ja bis heute nicht gaz ausgeräumt). Da trifft es sich dann gut, wenn der Wunsch eines Großteils der (städtischen) Bevölkerung nach Schönem und Gutem auf (zumeist wirklich) harmlose (aber nicht unbedingt inhaltslose) Texte und Melodien trifft. Johann Strauss ist eben häufig leichter hörbar als Richard Wagner. Auch wenn es vielleicht an musikalische Blasphemie grenzt, Johann Strauss war sicher der Andrew Lloyd Webber im 18. Jahrhundert.
    Ich glaube, dass im Kern auch in der Wiener Operette (über die Berliner Operette fehlt mir jegliches Wissen) die Texte, wenn man sie von Äußerlichkeiten entkleidet, gehaltsvoller sind, als sie scheinen (und das ist kein wirklicher Widerspruch zu oben Gesagtem). Ich überzeichne jetzt ganz bewußt - man kann in der "Fledermaus" auch emanzipatorische Ansätze sehen, man kann das Ungarnbild vieler Operetten auch als indirekte Bestätigung der Ideen der Kaiserin Elisabeth deuten (die ja in dieser Frage in Opposition zur Linie des Kaiserhauses stand) und selbst "Das Land des Lächelns" kann als Kritik am geistigen Kolonialismus der Habsburger interpretiert werden. Sieht man die Operettentexte unter derartigen Gesichtspunkten, dann sind sie plötzlich nicht mehr seicht, unbedeutend oder langweilig sondern regen zum Nachdenken an. Jedenfalls jene Librettis, die zur "Goldenen" und teils noch zur "Silbernen Operette" gehören.
    Dass die Operette im 20. Jahrhundert aber zunehmend an Gewicht und Qualität bei Text und Musik - nicht zuletzt auf Grund der politischen Rahmenbedingungen - verloren hat, ist leider eine Tatsache.


    Michael 2

  • Hallo Maggie,


    sicher kann man über viele Operetten diskutieren, über Inhalt und Sinn. Ich denke da sofort an den Zarewitsch und Land des Lächelns. Wenn man in die Tiefe des Geschehens blickt, erfährt man manches, was beim bloßen Hinhören einer Operette nicht gleich rüberkommt.


    Ich muss gestehen, dass ich bei allen Operetten, die ich selber gespielt habe, zwar den gesamten Inhalt kenne, aber ich habe mir nie tiefergreifende Gedanken gemacht, muss ich wirklich zu meiner Schande sagen. Vielleicht war ich zu jung, oder zu oberflächlich und spielte nur und sang meine Rollen. Heute sehe ich das anders und ich erkenne oft den tieferliegenden Sinn der Handlung.


    Doch man muss aufpassen, damit man sich nicht verzettelt. Man muß auch schon mal umdenken und einen anderen Schluß zulassen, den man bisher nicht kannte, so "Land des Lächelns" in der modernen Fassung von Berlin. Das heißt nicht dass ich selber damit einverstanden bin und es akzeptiere, doch es regt zum Nachdenken an.


    Liebe Grüsse

  • Zitat

    Original von musika
    Doch man muss aufpassen, damit man sich nicht verzettelt. Man muß auch schon mal umdenken und einen anderen Schluß zulassen, den man bisher nicht kannte, so "Land des Lächelns" in der modernen Fassung von Berlin. Das heißt nicht dass ich selber damit einverstanden bin und es akzeptiere, doch es regt zum Nachdenken an.


    Ich will hierzu bemerken, daß für mich eine Inszenierung nicht gleich zustellen ist mit dem Inhalt.
    Elisabeth hat mir freundlicherweise ihr Videoband mit dem Mitschnitt geliehen. Später schreibe ich darüber noch im Thread.


    LG, Paul

  • Lieber brunello,


    ich möchte dir in vielem zustimmen. Ich nehme auch an, dass in vielen Operettenstoffen wahrscheinlich ganz bestimmte öffentliche und politische Figuren der zeitgenösischen Weltbühne auf die Schippe genommen wurden, ähnlich, wie es in satirischer Literatur oder Theater auch geschah. Es wird uns aber leider im Detail nicht mehr immer nachvollziehbar sein, weil wir die gesellschaftliche Landschaft, ja vielleicht sogar tagespolitisches Geschehen, Gesellschaftsklatsch, Histörchen, und andere Dinge, die den Puls der damaligen Zeit geprägt haben, zwangsläufig nicht direkt erlebt haben.


    "Wenn ich Operetten von Lehar, Suppé, Millöcker und wie sie alle heißen, höre und sehe, kann man immer noch, auch wenn noch so viel Walzerseligkeit hineininszeniert wurde, erkennen, dass es sich um ein freches, anarchisches und hinterkünftiges Sujet handelt, oft die Darstellung der Herrschenden aus der meist ebenso intelligenten wie überwiegend machtlosen Sicht der "einfachen" Volkes. Dass ziemlich oft das zeittypische Untertanengewusel um ach so hochgestellte Herrschaften einen ergiebigen Operettenstoff darstellt, ist unübersehbar. Das hätte ja grundsätzlich meine Sympathie, aber man braucht schon ein gerüttelt Maß an geschichtlichem Hintergrund, um die Kunstform in dieser Weise einzuordnen. Die Unterhaltsamkeit ist da vielen schon wieder vermiest.


    Nur haben wir das Problem, dass diese für die Gegenwart schon durch reale Zeitläufte überholte Form solche eigentlich zeitlosen Inhalte nur noch schwer vermitteln kann. Meist sind nur noch erinnerungsselige Assoziationen älterer Fans mit ihren früheren Melodien und Idolen übriggebleiben und das Genre somit überwiegend in der Musikantenstadl - Klientel - Nische versunken, noch dazu kompromittiert mit der Förderung durch die Nazis als seichte Volksablenkung und Denkverhinderung. Es steht eben kein echtes Interesse an Zigeunermusik im Vordergrund oder selbiges gar an deren Lebenslage, sondern das, was sich "klein Moritz" unter dem "lustigen Zigeunerleben" vorstellt, um nach wie vor, möglichst noch unter schluchzenden Geigenklängen, die dikriminierenden Geschichten vom "wäsche- und kinderklauenden und was nicht alles" Zigeuner weiter warmzuhalten.


    Spätestens da reicht es mir und ich trete den strategischen inneren Rückzug an, wenn wieder einmal eine buntscheckige Operttengala um Weihnachten und Sylvester hereinbricht.


    Vielleicht gelingt es ja irgendwann mal, den Ursprungsgehalt des Genres zeitgemäß im organischen Sinn mit all seinem hintersinnigen und satirischen Humor, aber ohne das Bedienen verzopfter Vorurteile rüberzubringen.


    LG


    Ulrica

  • Zitat

    Original von musicophil
    Ich will hierzu bemerken, daß für mich eine Inszenierung nicht gleich zustellen ist mit dem Inhalt.
    Elisabeth hat mir freundlicherweise ihr Videoband mit dem Mitschnitt geliehen. Später schreibe ich darüber noch im Thread.


    LG, Paul


    Ja, plötzlich gibt eine Inszenierung einen anderen Inhalt, der meiner Meinung doch sehr politisch ist.
    Aber das hatten wir ja schon mal...und gehört nicht hierher.


    Liebe Grüsse

  • Zitat

    Original von Ulrica


    Nur haben wir das Problem, dass diese für die Gegenwart schon durch reale Zeitläufte überholte Form solche eigentlich zeitlosen Inhalte nur noch schwer vermitteln kann. Meist sind nur noch erinnerungsselige Assoziationen älterer Fans mit ihren früheren Melodien und Idolen übriggebleiben und das Genre somit überwiegend in der Musikantenstadl - Klientel - Nische versunken, noch dazu kompromittiert mit der Förderung durch die Nazis als seichte Volksablenkung und Denkverhinderung. Es steht eben kein echtes Interesse an Zigeunermusik im Vordergrund oder selbiges gar an deren Lebenslage, sondern das, was sich "klein Moritz" unter dem "lustigen Zigeunerleben" vorstellt, um nach wie vor, möglichst noch unter schluchzenden Geigenklängen, die dikriminierenden Geschichten vom "wäsche- und kinderklauenden und was nicht alles" Zigeuner weiter warmzuhalten.


    Spätestens da reicht es mir und ich trete den strategischen inneren Rückzug an, wenn wieder einmal eine buntscheckige Operttengala um Weihnachten und Sylvester hereinbricht.


    Liebe Ulrica,


    da haben Brunello und Du ein großes Problem aufgezeigt, dessen Schwären die Operette selbst Vorschub geleistet, und von dem sich die Oper nur um den Preis ihrer einstigen Popularität gelöst hat. Das Publikum, wenn man darunter die schwindende Menge derer versteht, die sich für "klassische" Musik im weitesten Sinne interessiert, WILL in Melodien, Klischees und nostalgisch verklärenden Erinnerungen schwelgen und interessiert sich nur zu einem sehr geringen Teil für die Zusammenhänge, aus denen die beliebten Evergreens einst entstanden sind. Man frage zehn dieser Leute nach bestimmten Operetten, und sie werden sofort einen oder zwei Hits daraus nennen können. Wenn aber auch nur einer davon auch etwas über die Handlung geschweige denn die Schöpfer dieser Werke sagen kann, dann ist das schon viel. Dennoch wird die Gattung Operette nach diesen Schlagern beurteilt und entsprechend verurteilt. Insofern kann ich Deine Verweigerung verstehen und teile sie auch, ebenso wie die Missbilligung der von Dir aufgezählten Beispiele.


    Im Grunde haben diese durch zahllose Querschnitt- und Sammelplatten und die von Dir genannten Fernsehsendungen jedoch kaum etwas mit der eigentlichen Gattung Operette zu tun, denn die kennt kaum mehr jemand. Das Problem scheint mir weniger zu sein, dass niemand mehr die freche Kritik der klassischen Operette nachvollziehen kann - so schwer ist das wahrhaftig nicht, und dafür braucht man bestimmt kein Geschichtsstudium -, sondern dass sie gar nicht mehr dargeboten wird, weil sich nach Jahrzehnten der Hascherei nach billigen Lachern und Tränen keiner mehr dafür interessiert.


    Es wäre da schon viel geholfen, wenn da neben möglichst vielen Inszenierungen, die ihre Werke ernst nehmen, wieder mehr über die Stücke als Ganzes geredet wird, überhaupt erst geredet werden kann, und das gerne auch kritisch. Insofern kann man nicht nur über Operetteninhalte diskutieren, man muss es sogar oder sollte es zumindest. Selbst Fachleute werden dann oft erstaunt sein, wie viele intelligente Bücher und durchaus ernst zu nehmende Musik diese Gattung hervorgebracht hat, und wie wenig Vergleichbares, geschweige denn Besseres seither nachgewachsen ist. Wenn dann mal ein halbwegs neues Werk der Gattung ernst genommen und mit Liebe dargeboten wird, wie neuerdings CANDIDE,
    sind alle entzückt und erstaunt. Dabei gibt es mindestens zig Candides, und manche davon sind ebenso gut. Dass uns das heute kaum noch bewusst ist, daran sind auch diejenigen nicht unbeteiligt, die sich naserümpfend von der Gattung als Ganzes abgeandt haben, weil ihnen der dekadente Missbrauch zuviel geworden ist.


    Wahlenthaltung hat noch nie zu besseren Wahlergebnissen beigetragen. Im Gegenteil.


    :hello: Rideamus

  • Lieber Rideamus,


    Ich bin ein Liebhaber der Gilbert/Sullivanwerke.
    Versuch mal zu erklären, warum es in England möglich ist, das Libretto teils zu aktualisieren, obwohl die Iszenierung "altmodisch" bleibt. Ich habe es im Fernsehen öfter gehört und gesehen.
    Dadurch verlieren diese Werke ihren Reiz nicht.


    Ist das nicht auch mit den Operetten möglich? Hier und da eine Strophe ändern bzw. hinzufügen? Und die Dialogen anpassen?


    LG, Paul

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Lieber Paul,


    gegen im Wortsinn taktvolle und werkimmanente Aktualisierungen ist für mich nichts einzuwenden. Im Augenblick wäre aber schon viel gewonnen, wenn man die Operette ebenso ernst nimmt wie die Oper und nicht immer die alten Klamotten inszeniert.


    Das anscheinend fast unlösbare Problem bleibt: wie gewinnt man der Operette ein neues Publikum ohne das alte vor den Kopf zu stoßen? Oder kann man das, indem man es tut?


    LG
    Rideamus

  • Hallo zusammen,


    Zitat


    original Paul


    Ich will hierzu bemerken, daß für mich eine Inszenierung nicht gleich zustellen ist mit dem Inhalt.


    Lieber Paul, da ist was dran.


    Meine Meinung daszu ist. Was nutzt eine moderne Inszenierung, wenn sie den eigentlichen Inhalt nicht wiedergibt.


    Das heute eine Operette anders inszeniert werden sollte vielleicht sogar muss soweit gehe ich gern mit, aber ich möchte diese Operette auch noch erkennen können. Ich möchte die versteckte Kritik an der Gesellschaft selbst herauslesen und nicht vor die Füsse geworfen bekommen.



    Zitat


    original Rideamus


    Das anscheinend fast unlösbare Problem bleibt: wie gewinnt man der Operette ein neues Publikum ohne das alte vor den Kopf zu stoßen? Oder kann man das, indem man es tut?


    Ich denke das es einen Mittelweg geben muss.


    Die Aufführung "Eine Nacht in Venedig" in Eutin hat mir gezeigt, dass man ein sehr modernes Bühnenbild und die originale Musik auch sehr gekonnt in Einklang bringen kann. Zudem wurde dort das Publikum mehrmals zum Mitwirken aufgefordert. Die Dialoge waren nicht im geringsten verstaubt, sondern sehr wohl auf die heutige Zeit anwendbar bzw. auslegbar.


    Zitat

    original ulrica


    Nur haben wir das Problem, dass diese für die Gegenwart schon durch reale Zeitläufte überholte Form solche eigentlich zeitlosen Inhalte nur noch schwer vermitteln kann.


    Genau darum geht es: Wie vermittelt man Werte? Was sind Werte? Ist es unmodern an Werten festzuhalten?


    In der heutigen Gesellschaft benutzt man vorallem die Medien zur Vermittlung von Werten. Diese haben mit ihren nahezu unerschöpflichen Möglichkeiten viel Gutes und ebenso viele Schlechtes hervorgebracht.


    Warum oder weshalb soll es nicht auf der Bühne möglich sein einen Weg zu finden, alt und neu in Einklang zu bringen und Werte bzw. zeitlose Inhalte zu vermittlen?


    Zitat


    original brunello


    Natürlich kann man über Inhalte von Operetten diskutieren - und zwar von der textlichen wie von der musikalischen Seite. Nicht jede Operette ist ein Meisterwerk, aber ebenso ist nicht jede Operette unnötig.


    d'accord


    Ich denke, dass ein großes Potenzial in der textlichen Seite liegt. Die einfachste Form ist es m.E. in den Dialogen gesellschaftskritische Aspekte anzubringen, ohne dabei den Inhalt der Operette zu verzerren. Auch dadurch kann eine Operette moderner, zeitlich aktueller werden. Ob dies allerdings ausreicht um ein neues, jüngeres Publikum zu begeistern, wage ich zu bezweifeln.


    Mir persönlich gefallen nun aber (trotz Staubi Gefahr) Inszenierungen die sich weitesgehend an das Original halten am Besten.


    Und ja, ich denke auch dass man über die Inhalte diskutieren kann und sollte.


    LG


    Maggie

  • Liebe Maggie,


    ich stimme Deinen Anmerkungen sehr weitgehend zu, obwohl es mir schwer fällt, den von Dir ersehnten Mittelweg konkret vor mir zu sehen. Man sollte aber nicht den Fehler machen, die Relevanz der Operette für heute allein in einer Fortschreibung oder gar Verstärkung der Sozialkritik zu sehen. Da spielen nämlich auch Aspekte wie Witz, Ästhetik und eine wenigstens in Ansätzen (d. h. innerhalb der Grenzen der Bulevardkomödie, die ja die meisten Operettenbücher sind) nachvollziehbare Glaubhaftigkeit der Charaktere eine wichtige Rolle. Zudem dürfen sich Aktualisierung und Inszenhierung nicht zu weit vom Geist der Musik entfernen, die, ob man will oder nicht, gerade in der Operette viel mehr an eine bestimmte Zeit gebunden ist als die klassischen Opern mit ihren viel allgemeingültigeren Plots.


    Als untauglich erwiesen haben sich, für mich jedenfalls, sowohl die gnadenlose Restauration, wie sie meist in Mörbisch betrieben wird, als auch die rücksichtslose Umkrempelung der Bücher, bei der man sich fragt, warum jemand überhaupt ein bestimmtes Stück inszeniert hat, wenn man ohnehin nur ein paar Versatzstücke davon übernimmt.


    Wenn man es genau betrachtet, ist die vermeintlich so leichte Operette wahrscheinlich das am schwersten befriedigend zu realisierende und im Scheitern undankbarste Unterfangen des Musiktheaters. Daher ist es also gar nicht so verwunderlich, wenn so wenig qualifizierte Leute den Versuch wagen. Dagegen hilft nur der Beweis, dass es sich lohnt. Aufführungen wie die der Operetten Offenbachs, Chabriers u. a. in den Opernhäusern von Lyon und Paris mit erstrangigen Dirigenten wie Gardiner und Minkowski haben bewiesen, dass es geht und man damit auch großen Erfolg haben kann. Grundsätzlich ist das wenigstens mit den Komödien der klassischen wiener und deutschen Operette auch möglich, wie etwa die zürcher Aufführungen unter Harnoncourt und Welser-Möst (SIMPLICIUS!) bewiesen haben. Aber solange das nur Ausnahmen bleiben, wird es leider noch lange dauern, bis man allgemein die Operette wieder ernst genug nimmt um sie auch leicht und nicht nur seicht zu präsentieren.


    :hello: Rideamus

  • Hallo zusammen, lieber Rideamus,


    ich stimme ebenfalls mit Dir in vielem überein. Ich denke allerdings, dass Mörbisch eine sehr gute Möglichkeit ist die Operette am Leben zu halten und dies auch tut. Ich denke, dass genau dort die Operette am Leben gehalten wird.


    Die Inszenierung von "Wiener Blut" hat auch nach Mörbisch eine moderne Note gebracht. Wenn man diesen Spagat hinbekommt, modernes mit alten in Einklang zu bringen, ist man meiner Meinung nach auf dem richtigen Weg.


    Zitat

    Zudem dürfen sich Aktualisierung und Inszenhierung nicht zu weit vom Geist der Musik entfernen, die, ob man will oder nicht, gerade in der Operette viel mehr an eine bestimmte Zeit gebunden ist als die klassischen Opern mit ihren viel allgemeingültigeren Plots.


    Das sehe ich auch so. Gerade aus diesem Grund, ist es wichtig den Staub nicht zu entfernen, sondern ihn zu benutzen.


    LG


    Maggie

  • Die einzige Operette die ich kenne, wo am Ende kriegen sie sich doch nicht ist, ist die Fledermaus,


    denn, der Inhalt ist wohl bekannt, Eisenstein betrügt seine Gattin mit sich selbst - aber die haben sich ja schon - vom Anfang an.


    Bei fast allen anderen Operetten, außer die Léhar Operetten ohne Happy End,


    sind ähnlich aufgebaut, im 2. Akt ist immer das Auseinandergehen, im 3. Akt bekommen sie sich.


    Liebe Grüße Peter aus Wien

  • Können schon, aber was bringt es.


    Es ist immer derselbe Ablauf, außer bei Franz Lehár in den "Puccini-Werken",
    da kriegen sie sich nicht.


    Aber sonst lasse ich mich zumeist durch meine LPs in das "Land der Operette" entführen, denn die DVD Aufnahmen sind, außer bei der Fledermaus,
    wenn nicht gerade von Hanoncourt,


    aber sonst ist da viel Original belassen worden.


    Also wie gschrieben Operetteninhalte sind weder sozialkritisch zu sehen, sondern für mich immer zu seiner Zeit der Entsteheung, zeitrealistisch.

  • Ich habe vor einiger Zeit eine sehr interessante Aufsatzsammlung zum "Weißen Rössl" gelesen.


    Norbert Abels et. al (Hrsg.), Im weißen Rössl. Zwischen Kunst und Kommerz, 2006


    Dort wird vor allem auf die Aufführungsgeschichte eingegangen mit Schwerpunkt auf den Fassungen aus der Entstehungszeit (und auch auf die damaligen Darsteller/innen). Eines wird in diesem Buch sehr ausführlich gezeigt, dass "Das weiße Rössl" ursprünglich keineswegs eine harmlose Werbung für Salzkammergut, Urlaubsorte und Ähnliches war.
    ____________


    Als ich im Rahmen einer Lehrveranstaltung über "Die lustige Witwe" referiert habe, hatte ich ein ziemliches Handycap. Es war mir damals nicht einmal möglich, irgendeine halbwegs vollständige Textversion aufzutreiben. Das einzige Material, das ich gefunden habe, war ein Musikauszug, bei dem die Dialoge völlig fehlten, sodass ich mich an die Musiknummern halten musste. (Außerdem hatte ich ein Problem mit den Seminarveranstalterinnen, die sich auf eine bestimmte Aufführung als "einzig" Richtige fixiert hatten und daher andere Sichtweisen, die dieser Aufführung nicht entsprachen, absolut nicht gelten lassen wollten. (Um da etwas machen zu können, hätte ich eine wenigstens einigermaßen vollständige Textbuchausgabe gebraucht, auf die ich mich hätte berufen können.)


    Angesichts dessen, dass "Die lustige Witwe" doch eine der bekanntesten Operetten ist, vermute ich einmal, dass dieses Problem bei vielen (gerade unbekannteren) Operetten noch ärger sein dürfte. Es gibt einfach kaum Quellenmaterial, was auch öffentlich zugänglich ist und an dem sich festmachen lässt, was ursprünglich beabsichtigt war und was erst durch spätere Bearbeitungen dazu gekommen ist bzw. verändert wurde. (Was immerhin bei einer Interpretation ganz nützlich sein kann.)
    ______


    Dazu nur ein Beispiel - allgemein wird zwischen frühen und späteren Lehár-Operetten unterschieden. Aber wenn man sich zumindest die Figurenkonstellation und die Konfliktlinien in der "Lustigen Witwe", in "Land des Lächelns" und "Giuditta" ansieht, ist es doch auffallend, wie groß die Übereinstimmungen sind.
    Das zentrale Paar hat Probleme zueinander zu finden. Der Unterschied liegt darin, dass in einer Operette wie die "Lustige Witwe" die Schwierigkeiten des zentralen Liebespaares im Rahmen von "Spielen" noch gelöst werden können, während es in den späteren Werken dieses "Spiel-Element" nicht mehr gibt und somit eine Überwindung der Konflikte auch nicht möglich ist. So scheitert in "Land des Lächelns" (anders in der Urfassung) die Liebesgeschichte und in "Giuditta" verstrickt sich das zentrale Paar durch ihre Beziehung gleich in Schuld. (Sie ist verheiratet und verlässt ihren Ehemann wegen ihm, wobei diesem außer seinem Alter nicht wirklich etwas anzulasten ist. Er ist Offizier und desertiert wegen ihr.) Die Gründe für das (angebliche) Scheitern (falls es überhaupt als Scheitern) bezeichnet werden kann, sind in den späteren Operetten verstärkt, aber das Handlungsgerüst ist noch immer dasselbe geblieben.


    Herzliche Grüße
    Waltrada

    Il mare, il mare! Quale in rimirarlo
    Di glorie e di sublimi rapimenti
    Mi si affaccian ricordi! Il mare, il mare!
    Percè in suo grembo non trovai la tomba?

    Einmal editiert, zuletzt von Waltrada ()

  • Vor 10 Jahren schrieb Ex Mitglied "Maggie" im Eröffnungsthread


    Liebe Operettenfreunde,
    Lohnt es sich über Operetteninhalte zu diskutieren, oder sind sie zu banal?
    Sind wirklich die meisten Wiener und Berliner Operetten vom Inhalt her gleich aufgebaut? Treu nach dem Thema "Am Ende kriegen sie sich doch".
    Sind Operetten im Vergleich zu vielen Opern, die einfache heile Welt?
    Diskussion oder nicht Diskussion ist hier die Frage.


    Operninhalte sind oft auch banal. Es ist IMO ziemlich gleichgültig, ob es verhersehbar ist, daß das Buffo- Paar sich letztlich "kriegt" oder man im voraus weiß, daß alles in einem Blutbat endet.


    Dennoch - NATÜRLICH darf und kann man über Operetten diskutieren, mich wundert immer, daß "das Land des Lächelns! nicht wegen "political incorrectness" auf ihrend einer schwarzen Liste steht oder wegen offensichtlichem Rassismus mit dem Bann belegt wurde.....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Operetten stecken voller rasanter und moderner Themen. In Ihnen kommt alles mögliche vor: Wer genau hinschaut, findet soziale Themen und sozialen Sprengstoff in Mengen. Inhalte sind ziemlich freizügig, frech und unkonventionell. Mit der Eroberung der Macht durch die Nationalsozialisten in den - sagen wir mal - Mutterländern der Operette, gab es einen Bruch. Die legendären Macher wurden vertrieben, die Geschichten weichgespült. Operette wurde anständig. Hitler soll ja letztlich Lehár mehr geschätzt haben als Wagner. Und Hitler war fürchterlich prüde und verklemmt. Nach Kriegsende wurde diese Linie beibehalten. Operetten wurden in Beton gegossen. Die Rothenberger und Schock haben dem Genre vielleicht mehr geschadet als genützt. :stumm: Damit will ich nichts gegen deren Gesangskunst sagen. Denn singen sonnten sie beide. Aus dieser Erstarrung hat die Operette als Kunstform nach meiner Auffassung nie richtig herausgefunden. Das sind Fragen, die mich interessieren. Sie klangen ja in einigen Beiträgen bereits an. Es ist für mich allerdings nicht so einfach, darauf einzugehen, weil die Damen und Herren Verfasser allesamt abhanden gekommen sind.


    Alfred hat das Thema nach knapp einem Jahrzehnt neu angestoßen. Gut so. Mir gefällt es, wenn Themen aus der Kiste hervorgesucht werden. :)

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Operette ist ja ein sehr breit gestreuter Begriff. Manche sahen hier eine Nachfolge der komischen Oper (auch hier sind die Übergänge fließend) aber Offenbach selbst benutzte die Operette sehr wohl zur Kritik an der Gesellschaft und ihren Auswüchsen, man nehme hier noch die "Großherzogin von Gerolstein als Beispiel.
    Nichts wurde hier ausgelassen, Die mannstolle Großherzogin, die Vorgängering einer mannstollen Emanze, General BUMM (schon der Name allein)und seine unsinnigen Anweisungen,der weinerlich unfähige Prinz Paul, sein Lied gegen die Presse ist ein Kabinettstück. Der korrupte Minister der Großherzogin,Baron Puck und der hübsche und freche Fritz , der als Ziel der Begierden einer Mächtigen - beinahe - Karriere macht.
    Da ist - bei allem Humor - teilweise mehr "Tiefsinn" drinn wie in mancher Oper.
    Natürlich verliert so ein Stück durch die Übersetzung, bzw Nachdichtung, aber wenn es gut gemacht ist, bleibt doch vieles erhalten,
    Hier zwei Clips, wo dieses Lieblingsstück von mir enthalten ist


    Hier in französischer Originalsprache


    Hier die Gesamtaufnahme dieser Fassung



    Und hier from the Grand Wichita Opera (USA) in englischer Sprache
    Die berühme Arie über die (freie, nicht obrigkeithörige) "Holländische Zeitung findet sich
    ab Minute 33:00


    Interessant an dieser Aufführung ist, der überzeugend Hübsche Fritz und der
    doch eher leicht korpulente Prinz Paul, der seine Schönheit indes durch eine prunkvolle Adjustierung ins rechte Licht setzt.


    Auch das Stadttheater Fürth hat die Operette (die laut Regisseur und Bearbeiter Georg Blümel eigentlich gar keine ist, sondern eine Opera Buffa
    aufgeführt.


    Blümels Bearbeitung ist ein wenig schlüpfrig, manchmal die Regeln des "guten Geschmacks" verletzend - aber wie ich meine , den Intentionen Offenbachs durchaus entsprechend. Die Soldaten in dieser Inszenierung, werden zu "kriegslüsternen Bestien" und die Frauen zu Nympomaninen weil man ihnen "Pervitin "ins Mineralwasser gemscht hat .....


    Alle drei Inszenierungen haben ihre Stärken und vor allem - jede Menge an politischer Aussagekraft, Ein Wunder das das Werk nicht bei seinem Erscheinen verboten wurde.
    Ich möcht in weiterer Folge noch auf Bearbeitungen von Operetten zu sprechen kommen.....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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