BWV 137: Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren
Kantate zum 12. Sonntag nach Trinitatis (Leipzig, 19. August 1725)
Lesungen:
Epistel: 2. Kor. 3,4-11 (Die Herrlichkeit des Amtes, das zur Gerechtigkeit führt)
Evangelium: Mark. 7,31-37 (Heilung eines Taubstummen)
Fünf Sätze, Aufführungsdauer: ca. 18 Minuten
Textdichter: Joachim Neander (1650-1680)
Choral (Nr. 1-5) aus dem Jahr 1680
Besetzung:
Soli: Sopran, Alt, Tenor, Bass; Coro: SATB; Oboe I + II, Trompete I-III, Pauken, Solo-Violine, Violino I/II, Viola, Continuo
1. Chorus SATB, Oboe I + II, Trompete I-III, Pauken, Streicher, Continuo
Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren,
Meine geliebete Seele, das ist mein Begehren.
Kommet zu Hauf,
Psalter und Harfen, wacht auf!
Lasset die Musicam hören!
2. Aria Alt, Solo-Violine, Continuo
Lobe den Herren, der alles so herrlich regieret,
Der dich auf Adelers Fittichen sicher geführet,
Der dich erhält,
Wie es dir selber gefällt;
Hast du nicht dieses verspüret?
3. Aria Sopran, Bass, Oboe I + II, Continuo
Lobe den Herren, der künstlich und fein dich bereitet,
Der dir Gesundheit verliehen, dich freundlich geleitet;
In wieviel Not
Hat nicht der gnädige Gott
Über dir Flügel gebreitet!
4. Aria Tenor, Trompete I, Continuo
Lobe den Herren, der deinen Stand sichtbar gesegnet,
Der aus dem Himmel mit Strömen der Liebe geregnet;
Denke dran,
Was der Allmächtige kann,
Der dir mit Liebe begegnet.
5. Choral SATB, Oboe I + II, Trompete I-III, Pauken, Streicher, Continuo
Lobe den Herren, was in mir ist, lobe den Namen!
Alles, was Odem hat, lobe mit Abrahams Samen!
Er ist dein Licht,
Seele, vergiss es ja nicht;
Lobende, schließe mit Amen!
Wie die Kantate BWV 69 a ist auch diese Kantate hier ein einziger großer Lobgesang auf Gottes Wohltaten.
Es handelt sich um eine Choralkantate, die wieder einmal auf Nach- und Umdichtungen des zugrundeliegenden „Motto-Chorals“ verzichtet, sondern dessen Strophentext unverändert übernimmt. Andere Choralkantaten, wie z. B. BWV 107, BWV 177 oder BWV 129 belegen, dass Bach diese vom Text her unveränderte „Reinform“ einer Choralkantate ab und an vertont hat – evtl. weil er zu den entsprechenden Tagen keinen Dichter an der Hand hatte, der ihm einige Strophen des Choraltextes zu Rezitativen und Arien umformen konnte, oder weil er sich hin und wieder gerne der Herausforderung stellte, einen Choraltext in seiner Ursprungsform musikalisch zu bearbeiten.
Diese Kantate gehört nicht zuletzt deswegen zu meinen ganz besonderen Lieblingskantaten Bachs, weil der ihr zugrundeliegende Choral seit meiner Kindheit schon zu meinen liebsten Kirchenliedern gehört: Wir haben den wirklich poetisch formulierten Text unter anderem im Konfirmandenunterricht auswendig gelernt und auch seine Melodie (“17. Jh.; geistlich Stralsund 1665, Halle 1741“ heißt es im Gesangbuch lapidar hierzu) finde ich wunderschön, weil sie so markant eingängig und zugleich eigentlich ganz einfach ist! Für mich der feierlich-fröhliche Lobgesang schlechthin!
Während viele Choräle, die Bach zur Grundlage einer seiner Choralkantaten gemacht hat, heute nicht mehr ganz so geläufig sind, gehört der Choral „Lobe den Herren“ auch heute noch zu den allgemein bekannten und geliebten „Klassikern“ – umso schöner, dass Bach ihn ohne weitere textliche Bearbeitungen/ Umformungen für eine seiner Kantaten verwendet hat!
Vielleicht mochte er diesen Choral auch besonders gern und hat ihn sich daher unverändert vorgenommen?
Der Dichter des Choraltextes ist Joachim Neander,
der viel zu früh im Alter von nur 30 Jahren verstarb.
Neander war unter anderem auch in Düsseldorf tätig und wanderte gern in der Umgebung der Stadt durch Wälder und Täler, um sich inmitten der göttlichen Schöpfung zu seinen Dichtungen inspirieren zu lassen. Er hielt auch Versammlungen in freier Natur ab, um dort zu predigen und seinen Kritikern (die auch in der Kirchenleitung saßen) zu entgehen.
Ihm zu Ehren wurde das kleine, enge Tal der Düssel östlich von Düsseldorf im 19. Jahrhundert Neandertal genannt. Niemand konnte ahnen, dass gerade dieses unscheinbare Tal knapp 180 Jahre nach Neanders Tod noch weltberühmt werden sollte, als man dort Schädelknochen eines offenbar urzeitlichen Vorfahren des Menschen fand...
Und so trägt ein gewisser Neandertaler bis heute den Namen und das Andenken unseres Textdichters auf eine Weise in alle Welt hinaus, den sich dieser wohl so nie hätte träumen lassen! :]
Die hier besprochene Kantate entstand jedenfalls im Jahr 1725, also ein Jahr nach dem Auftakt zu Bachs einjährigem „Choralkantatenprojekt“, das er im Sommer 1724 startete.
Es ist nicht bekannt, welche Kantate Bach anlässlich des 12. Sonntags nach Trinitatis des Jahres 1724 aufgeführt hat – evtl. war er zu jenem Termin verhindert, weil er z. B. einen Besuch in Köthen machte oder auswärts zu einer Orgelprobe eingeladen worden war. Vielleicht war er auch krankheitsbedingt nicht in der Lage gewesen, für jenen Sonntag im August 1724 eine Kantate zu komponieren und es musste daher ein „Notprogramm“ (z. B. eine ältere Kantate eines anderen Komponisten) aufgeführt werden – wer weiß?
Sicher sind derartige Gründe, die die Forschung oft schwer beschäftigen, oft so profan und banal, dass man amüsiert mit dem Kopf schütteln würde, wenn man tatsächlich mal hinter eine dieser Fragestellungen käme...
Jedenfalls hat Bach die fehlende Choralkantatenkomposition für den 12. Sonntag nach Trinitatis im Jahr darauf unverzüglich mit diesem schönen Werk nachgeholt und die Lücke mit einem echten Meisterwerk geschlossen!
Wie die Kantate BWV 69 a, die Bach 2 Jahre zuvor komponiert hatte, enthält auch diese Kantate eine reiche Orchesterbesetzung mit Pauken und Trompeten, die eines hohen Feiertages würdig wäre und dem Lobgesang-Charakter der Textgrundlage alle Ehre macht!
Dass Bach die Choralmelodie vielleicht wirklich ganz besonders geschätzt hat, ließe sich evtl. dadurch belegen, dass er sie in allen 5 Sätzen mal mehr, mal weniger deutlich durchscheinen lässt – eine Praxis, die er in den meisten anderen Choralkantaten in dieser unüberhörbaren Konsequenz eher selten durchgezogen hat.
Hierdurch wirkt die gesamte Kantate noch geschlossener, quasi wie eine fünfsätzige Variation der bekannten Melodie.
Sowohl im prächtigen Eingangschor, wie auch im zwar knappen, aber nicht minder festlichen Schlusschoral, hat – wie üblich – der Sopran die Choralmelodie zu singen, während die anderen Orchester- und Singstimmen im Eingangschor den Satz harmonisch und thematisch anreichern. Im Schlusschoral hingegen schmettern die 3 Trompeten mit zusätzlichem, eigenem Stimm-Material nochmals Gottes Lob heraus!
Die Arie Nr. 2 mit der den Solo-Alt umspielenden Violinstimme hat Bach später in seine “Schübler-Choräle“ genannte Sammlung als Bearbeitung für Orgel übernommen (BWV 650).
Bei dem als Arie Nr. 3 bezeichneten Satz handelt es sich um ein Duett zwischen Sopran und Bass, dem sich 2 Oboen zugesellen.
Raffiniert ist auch die Arie Nr. 4 für Tenor und Solo-Trompete, die in a-moll steht: Während der Tenor seine Arie in der Molltonart vorträgt, wird er immer wieder durch Einwürfe der Trompete unterbrochen, die die Choralmelodie zeilenweise vorträgt, die in der parallelen Dur-Tonart C-Dur steht!
Die ganze Kantate birgt in ihren fünf Sätzen (kein weitschweifiges Rezitativ stört den überreichen musikalischen Fluss!) so viele abwechslungsreiche, wundervolle Kostbarkeiten, dass ich mich gar nicht entscheiden kann, welcher Satz mir nun am besten gefällt – in ihrer Gesamtheit rangiert diese Kantate für mich persönlich daher ganz weit oben auf meiner Bachkantaten-Hitliste!