Sind Epigonen schlechtere Komponisten ?

  • Liebe Forianer,


    Da der Thread über Hans Pfitzner allmählich abzudriften droht , weil dort in Hauptsache über die Frage inwieweit Epigonentum die qualitavie Einschätzung eines Komponisten mindert, bzw mindern darf - andrerseits das Thema aber hoch interessant ist - habe ich diesen Thread ins Leben gerufen.


    Ich beginne mit einigen Zitaten:



    Gerald schrieb:

    Zitat

    Warum sollte man den Wert eines Komponisten, ja Künstlers allgemein, an seinen fortschrittlichen Leistungen ablesen können?


    Zitat

    Das kann man nicht zuletzt, weil eines der zentralen Kriterien von Kunst das Innovatorische ist, die Neu-Erfindung. Das ist mit "fortschrittlich" nicht deckungsgleich, der "Fortschritt" in der Kunst ist ein sehr komplexes Thema, aber - um es etwas vereinfacht zu sagen: jede Komposition ist die Lösung eines ästhetischen Problems, je anspruchsvoller die Lösung und der Lösungsweg sind, umso bedeutender ist die Komposition. Wenn man sich nicht die "Mühe" macht, nach immer neuen Lösungen zu suchen, ist man ein Epigone. Das macht eben den Unterschied zwischen Klinger und Goethe und Pfitzner und Schönberg. Bei dem letzten Namen ist anzumerken, dass Schönberg nach dem Krieg für Pfitzner eingetreten ist, ein bemerkenswertes Beispiel einer künstlerischen Redlichkeit gegenüber einem Mann, der ihn über Jahrzehnte mit Schmutz beworfen hat.


    Ich stimme NICHT mit Peter überein, daß eines der "zentralen Kriterien der Kunst" das innovatorische ist.- vielmehr sehe ich jene Eigenschaft, welche eine mit "Kunstfertigkeit" beschrieben wurde, als das Maß aller Dinge an. Diesen Begriff zu beschreiben ist schwierig - ich bersuche ihn so zu definieren: Die exzessive Verfeinerung handwerklicher Kunst.
    Natürlich ist ein origineller Einfall begrüßenswert - solange er nicht die vorgegebene Form sprengt. Und wenn es sie sprengt- dann zum "Entzücken aller"
    Kunst jedoch, in welcher der Künstler sich selbst zu verwirklichen sucht - und welche beim Publikum für welches diese Kunst gedacht ist - nicht ankommt - muß IMO als de facto gescheitert betrachtet werden.
    Natürlich gibt es verschiedene Publikumsschichten - jeder ihre Kunst.
    Kunst sollte ferne keiner Erkärung bedürfen.
    Wir verstehen mache Anspielungen alter Kunst heute nicht mehr - dennoch überzeugt der ästhetische Anspruch.


    Zum "Epigonentum"
    Letztlich kann man in der Kriminalliteratur auch Agatha Christie zu den Epigonen zählen, war doch ihr "Hercule Poirot" (und sein Gehilfe - welcher aber in späterer Zeit imer seltener auftrat) nichts anderes als eine Kopie von Sherlock Holmes (und Dr Watson) - Aber welch eine erfolgreiche- welche das Original weit hinter sich ließ.


    Ring frei - für diesen Thread


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ja, der Begriff "Epigone" ist negativ belegt.
    :D


    Zitat

    Kunst sollte ferne keiner Erkärung bedürfen.


    Nun ja, manche mögens mit Erklärung, manche ohne, egal ob es sich um Corelli, Mozart, Wagner oder Stockhausen handelt. IdR gehen die Herren Künstler von einem gebildeten Publikum aus. Wenn jemand irgendeine antike Historie auf die Leinwand pinselt, erwartet er eine Kenntnis der antiken Literatur, von der die meisten von uns nur träumen können. Wenn Du also verlangst, dass Kunst keiner Erklärung bedarf, so ist das Dein persönliches Wunschdenken, hat aber nichts mit den Ansprüchen der Künstler und ihrer Werke zu tun.
    :hello:

  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Ich stimme NICHT mit Peter überein, daß eines der "zentralen Kriterien der Kunst" das innovatorische ist.- vielmehr sehe ich jene Eigenschaft, welche eine mit "Kunstfertigkeit" beschrieben wurde, als das Maß aller Dinge an. Diesen Begriff zu beschreiben ist schwierig - ich versuche ihn so zu definieren: Die exzessive Verfeinerung handwerklicher Kunst.
    Natürlich ist ein origineller Einfall begrüßenswert - solange er nicht die vorgegebene Form sprengt. Und wenn es sie sprengt- dann zum "Entzücken aller"
    Kunst jedoch, in welcher der Künstler sich selbst zu verwirklichen sucht - und welche beim Publikum für welches diese Kunst gedacht ist - nicht ankommt - muß IMO als de facto gescheitert betrachtet werden.


    Lieber Alfred,


    Meinst Du das wirklich? Das kann doch nicht wahr sein.
    Dein (und mein) eigener Mozart wäre dann ein Versager. Denn er komponierte in erster Instanz (auftragslos) für den Adel. Und die wandte sich mehr und mehr von ihm. Seine Musik war nicht mehr so im Frage.


    Zitat

    Zum "Epigonentum"
    Letztlich kann man in der Kriminalliteratur auch Agatha Christie zu den Epigonen zählen, war doch ihr "Hercule Poirot" (und sein Gehilfe - welcher aber in späterer Zeit imer seltener auftrat) nichts anderes als eine Kopie von Sherlock Holmes (und Dr Watson) - Aber welch eine erfolgreiche- welche das Original weit hinter sich ließ.


    Kann man das auch nicht anders sagen. Denn schlichtweg über Epigonen reden, finde ich zu einfach. Wäre Conan Doyle nicht eher der Wegbereiter. So wie Field der Wegbereiter Chopins war für die Gattung Nocturnes.
    Vermutlich wird keiner Chopin vorwerfen ein Epigone zu sein.


    LG, Paul

  • Was macht eigentlich einen guten oder schlechten Komponisten aus?


    Mal ein paar ganz pauschale Behauptungen:


    Beherrschung des Handwerks gehört wohl dazu, aber die kann man auch den meisten Epigonen zugestehen, während z. B. bei der Instrumentierung auch einigen der ganz Großen immer wieder (vermeintliche) Fehler vorgehalten wurden, und das nicht immer völlig zu Unrecht. Es war ja nicht NUR die Glättung empfundener Schroffheiten, die Rimsky-Korsakoff und sogar Schostakowitsch bewogen, Mussorgskys Partituren zu bearbeiten.


    Innovative Motivarbeit ist sicher eine Eigenschaft, die fast allen großen Komponisten zugeschrieben werden kann, wobei wenige das derart zum Programm erhoben haben wie Richard Wagner. Den meisten "passierten" ihre Neuerungen aber anscvheinend eher wie nebenbei, weil sie nach der für sie besten Entwicklung eines musikalischen Gedankens suchten. Dagegen gab und gibt es nicht Wenige (siehe die deutsche Nachkriegszeit), die partout Neues schaffen wollten und heute als Epigonen des nach ERneuerung gierenden Zeitgeists ebenso vergessen sind wie nach wenigen Monaten bis Jahren die Mehrzahl unserer provokationssüchtigen Opernregisseure. Innovation als absolute Qualität halte ich genau so für fragwürdig wie den Anspruch, dass man gute Musik nicht zu erklären braucht, weil sie für sich spricht. Manche Werke "sprechen" aber nicht zu mir, weil ich sie nicht verstehe. Sind sie deshalb schlecht? Bin ich es? Oder brauchen sie nicht doch wenigstens einen "Übersetzer", der sein Verständnis des Werks Unverständigen vermitteln kann?


    Originalität und Inspiration, wie immer man die identifizieren und bewerten mag, und, damit verwandt, auch eine klare Identifizierbarkeit einer eigenen musikalischen Sprache sind vielleicht die eindeutigsten Kriterien hervorragender Qualität. Für sich genommen, sind sie aber auch kein ausreichendes Merkmal.


    Aber wie viele Komponisten können die für ihr Gesamtwerk beanspruchen? War Mozart ein Epigone Haydns, weil selbst Fachleuchte beim Blindhören immer wieder unbekanntere Stücke der beiden, ganz zu schweigen von manchen Epigonen ihrer Zeit, nicht korrekt zuordnen können? (Ich meine, da wurde mal eine solche Studie veröffentlicht)


    Ist Humperdinck ein Epigone Wagners, nur weil er sich dessen Neuerungen zu eigen gemacht hat? Wenn nein, was rettet ihn vor dem Etikett des Epigonen, das im Sprachgebrauch zum Euphemismus für einen Plagiatoren verkommen ist? Seine Stoffwahl wäre wohl etwas wenig. Trotzdem gebührt das Etikett des Epigonen wohl eher dem Richard Strauss des GUNTRAM.


    Ich fürchte, man muss erst einmal eine Definition der Begriffe guter bzw. schlechter Komponisten und eines Epigonen geben, bevor die Titelfrage des Threads halbwegs erleuchtend beantwortet werden kann. Schon dazu aber sehe ich mich außerstande.


    Ich bin aber gespant darauf, ob andere das anders sehen und besser können.


    :hello: Rideamus

  • Zitat

    Original von Rideamus
    Originalität und Inspiration, wie immer man die identifizieren und bewerten kann, und, damit verwandt, auch eine klare Identifizierbarkeit einer eigenen musikalischen Sprache sind vielleicht die eindeutigsten Kriterien hervorragender Qualität.


    Es gibt aber viele SEHR originelle Komponisten, die keineswegs zu den "Heroen" gezählt werden. In Beethovens Generation z.B. Anton Reicha, im frühen 20. Jh. z.B. Golyscheff oder Brian.


    Hervorragend sind die natürlich auch alle.
    :hello:

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  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister


    Es gibt aber viele SEHR originelle Komponisten, die keineswegs zu den "Heroen" gezählt werden. In Beethovens Generation z.B. Anton Reicha, im frühen 20. Jh. z.B. Golyscheff oder Brian.


    Hervorragend sind die natürlich auch alle.


    Eben. Genau darauf wollte ich hinaus. KEINE der genannten "Selbstverständlichkeiten" reichen für sich aus, einen "guten" von einem "nur" kompetenten Komponisten zu unterscheiden.


    Deswegen die Frage: was definiert eigentlich einen Epigonen?


    Und was einen guten oder schlechten Komponisten?

  • Zitat

    Original von Rideamus
    War Mozart ein Epigone Haydns, weil selbst Fachleuchte beim Blindhören immer wieder unbekanntere Stücke der beiden (...) nicht korrekt zuordnen können?


    Und umgekehrt. :yes:


    Zitat

    Deswegen die Frage: was definiert eigentlich einen Epigonen?


    :yes:
    Darum nannte ich Field und Conan Doyle Wegbereiter. Peter hat das im Pfitzner-thread schön gesagt:


    Zitat

    Original von pbrixius
    Ich habe einmal versucht, drei Gruppen von Komponisten einzuteilen: die erste ist diejenige, die Neuland erobert, die zweite diejenige, die das Neuland festigt und bestellt, die dritte, die im Bereich des schon früher Erworbenen bleiben, aber mit der Kenntnis und der Verarbeitung von neu Gewonnenem.


    Ich kann damit sehr gut leben.


    LG, Paul

  • Zitat

    Deswegen die Frage: was definiert eigentlich einen Epigonen?


    Wenn wir das Wort hernehmen, dann in etwa "Nachgeborener", "Nachfolger"
    Die "eigentlichen" Epigonen waren ja durchaus erfolgreich - sie erreichten das, was ihre Väter nicht zustandebrachten - nämlich die Zerstörung Thebens...


    Heute kann man umgangssprachlich Epigonen als "Stilkopisten" bezeichnen.
    Mir persönlich ist lieber, jemand kopiert den Stil eines von mir geschätzten Komponisten, als er erfindet mit Gewalt etwas Neues - was mir die (wenigen) Haare zu Berge stehen lässt, kaum daß der zweite Takt erklingt.


    Auch "Epigonen" haben indes einen Eigencharakter.
    Denn die Melodie muß ja von ihnen selber sein.
    Sie müssen sich nur in die Sprachmelodie des Vorbildes hineinversetzen - jedoch gehen den meisten von ihnen dann "die Gäule durch" - und es kommt ewas durchaus individuelles heraus - vom Vorbild gefärbt.


    Sehr schön zu sehen bei den Sinfonien von Ferdinand Ries, die seeehr an Beethoven erinnern - jedoch immer wieder eingeständige Züge aufweisen.


    musicophil


    Mozart war vom Adel nicht völlig "fallengelassen" worden - sein "Problem war eher sein unstetes Leben, daß er stets (eher leicht) verschuldet war - und daß er durch seine Krankheit nicht effizient komponieren konnte.


    Immerhin wurde das (nicht fertiggestellte) Requiem gut bezahlt - und auch die Zauberflöte war ein Erfolg. Mozart als Epigone des Wiener Singspiels und seiner Komponisten der 2. und dritten Reihe ???


    Egal - wie auch immer: Die Zauberflöte war sogar in den letzten Lebenstagen Mozarts ein Erfolg. Das Publikum welches sich von Mozart abgewandt hatte - war eine Erfindung jener, die auch die anderen Schauergeschichten über Mozart erfunden hatten


    Immerhin zahlte der Kaiser persönlich einen großen Teil der Schulden Mozarts - NACH dessen Tode - von "fallengelassen kann also keine Rede sein. Mozart heatte immer sein Publikum - wenngleich mit gewissen Schwankungen. Daran hat sich auch bis heute nicht wirklich etwas geändert.


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Rideamus
    Innovative Motivarbeit ist sicher eine Eigenschaft, die fast allen großen Komponisten zugeschrieben werden kann, wobei wenige das derart zum Programm erhoben haben wie Richard Wagner. Den meisten "passierten" ihre Neuerungen aber anscvheinend eher wie nebenbei, weil sie nach der für sie besten Entwicklung eines musikalischen Gedankens suchten.


    Irgendwie werd ich damit gar nicht glücklich. Motivarbeit ist sehr epochenbezogen (klassisch-romantische Epoche) und weder für Renaissance-Musik noch für Neue Musik so zentral. Und an die "passierenden" Neuerungen glaube ich schon gar nicht. Welchen Komponisten des Nachkriegsdeutschland Du epigonalen Zeitgeist bescheinigst, will ich gar nicht so genau wissen ...
    :rolleyes:

  • Ich finde Epigonen ist hier nicht der richtige Ausdruck. Epigonen sind " Nachgeborene". Das könnte im Falle von Mozart auf seinen Sohn Franz Xaver oder auf die Bachsöhne zutreffen. Voraussetzung ist doch hier die Blutsverwandtschaft. :yes:
    Padre

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  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Ich stimme NICHT mit Peter überein, daß eines der "zentralen Kriterien der Kunst" das innovatorische ist.- vielmehr sehe ich jene Eigenschaft, welche eine mit "Kunstfertigkeit" beschrieben wurde, als das Maß aller Dinge an.


    Lieber Alfred,


    ich sehe darin keinen Widerspruch. Ich stelle das Beherrschen des Handwerklichen durchaus neben das Innovatorische. Die Form ist ja die Möglichkeit, sich ästhetisch zu verständigen, wer sie nicht beherrscht, der wird auch "neue" Inhalte nicht ästhetisch kommunizieren können.


    Zitat

    Kunst jedoch, in welcher der Künstler sich selbst zu verwirklichen sucht - und welche beim Publikum für welches diese Kunst gedacht ist - nicht ankommt - muß IMO als de facto gescheitert betrachtet werden.


    Auch da sind wir uns einig, wobei dieses "für welches diese Kunst gedacht ist" vielleicht überdacht werden müsste. Aber verkannte große Komponisten gibt es nicht, auch Schubert war keiner, wenn auch das Publikum, das er erreichte, verhältnismäßig klein war.


    Zitat

    Natürlich gibt es verschiedene Publikumsschichten - jeder ihre Kunst.
    Kunst sollte ferner keiner Erkärung bedürfen.


    Zumindest für das Publikum, beim interpretierenden Künstler ist schon die Analysearbeit vorauszusetzen.


    Zitat

    Wir verstehen mache Anspielungen alter Kunst heute nicht mehr - dennoch überzeugt der ästhetische Anspruch.


    Das Publikum hat schon auch seine Bringschuld. Wenn Haydn etwa seine Späßchen mit der Form treibt, so setzt er auch ein intelligentes Publikum voraus, das diese Späßchen versteht, eben den musikalischen Kenner. Die Sinfonien Haydns sind eben nicht für ein "tumbes" Publikum geschrieben. Aber "Erklärungen" und "musikalische Kenntnisse und Einfühlungsvermögen" sind zwei sehr unterschiedliche Sachen.


    LG Peter

  • Zitat

    Original von Padre
    Ich finde Epigonen ist hier nicht der richtige Ausdruck. Epigonen sind " Nachgeborene". Das könnte im Falle von Mozart auf seinen Sohn Franz Xaver oder auf die Bachsöhne zutreffen. Voraussetzung ist doch hier die Blutsverwandtschaft. :yes:
    Padre


    Ursprünglich schon, aber im heute verwendeten Sinn spielt die Blutsverwandschaft keine Rolle.
    Duden: "E|pi|go|ne <gr.; Nachgeborener> der; -n, -n: jmd., der in seinen Werken schon vorhandene Vorbilder verwendet od. im Stil nachahmt, ohne selbst schöpferisch, stilbildend zu sein. "


    Es geht also um künstlerische Nachahmer, was man von den Söhnen des alten Bach nun wirklich nicht behaupten kann.

  • Zitat

    Original von pbrixius
    Das Publikum hat schon auch seine Bringschuld. Wenn Haydn etwa seine Späßchen mit der Form treibt, so setzt er auch ein intelligentes Publikum voraus, das diese Späßchen versteht, eben den musikalischen Kenner. Die Sinfonien Haydns sind eben nicht für ein "tumbes" Publikum geschrieben. Aber "Erklärungen" und "musikalische Kenntnisse und Einfühlungsvermögen" sind zwei sehr unterschiedliche Sachen.


    Und je weniger diese Bringschuld erbracht wird oder erbracht werden kann, umso unverständlicher wird die Kunst, weil die bloße Einsicht ins Handwerk schon fehlt.
    Neben Haydns Späßchen wäre die Kunst der Fuge ein Paradebeispiel dafür. Sie wird doch lediglich deswegen für heilig gehalten, weil der Kontrapunkt keine allgemein verständliche Kompositionsform mehr ist und alle das Kniebeugen für die angebrachteste Reaktion halten.


    Setzt man die handwerkliche Souveränität als selbstverständlichen Grund für schaffendes Arbeiten – ganz gleich ob Schreiner oder Komponist – voraus, ergibt sich die Frage nach der Bedeutung doch erst danach angesichts der Leistung.


    Und erst wenn nach dem Lernen-Üben-Beherrschen am Ende des Prozesses die Fähigkeit gegeben ist, mit dem Material umgehen zu können, setzt das ein, dessen Endergebnis die Mit- und Nachwelt als genial feiert oder als zweitrangig vergisst.
    Ob das schlicht genial, eine elektrochemische Überfunktion der Synapsen oder sonstwas ist, werden wir hier kaum klären können.

  • Hallo Hildebrandt
    Ich möchte nicht auf meine Meinung beharren, wenn Epigonen als Nachahmer zu verstehen sein sollte, obwohl mir in der Musikwissenschaft dazu nichts bekannt ist. In der Literatur spielt dieser Begriff schon eher eine Rolle.
    Aber das ist meine Meinung. Wenn ich Epigonen, im eigentlichen Sinne, bezogen auf die Musik meine, kann es sich im speziellen nur um Nachgeborene von Komponistions-Väter, oder im allg., um Nachgeborene einer bestimmten Epoche handeln.
    Hierzu wäre es einmal die Messlatte zu finden, an denen wir die Epigonen messen könnten. :hello:
    Padre

  • Zitat

    Original von KurzstueckmeisterWenn Du also verlangst, dass Kunst keiner Erklärung bedarf, so ist das Dein persönliches Wunschdenken, hat aber nichts mit den Ansprüchen der Künstler und ihrer Werke zu tun.


    Ich möchte zu dem Gesagten noch ergänzen, dass dann auch die Gefahr von Missverständnissen groß ist. Wenn die Mozartzeit Mozart als einen schwierigen und anspruchsvollen Komponisten verstand, man ihn heute aber als kinderleicht und gut verständlich ansieht, liegt die Vermutung nicht nahe, dass wir heute mehr von Musik verstehen als die Zeitgenossen, sondern dass wir über das herausfordernd Schwierige bei Mozart hinweghören - und das heißt, ihn misszuverstehen.


    LG Peter

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  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Zum "Epigonentum"
    Letztlich kann man in der Kriminalliteratur auch Agatha Christie zu den Epigonen zählen, war doch ihr "Hercule Poirot" (und sein Gehilfe - welcher aber in späterer Zeit imer seltener auftrat) nichts anderes als eine Kopie von Sherlock Holmes (und Dr Watson) - Aber welch eine erfolgreiche- welche das Original weit hinter sich ließ.


    Lieber Alfred,


    es ist hier nur nebensächlich, aber auch Doyle war in diesem Sinne nur Nachfolger. Das Original steht bei Edgar Allan Poe und heißt Dupin - und da bist Du (im Unterschied zu Doyle und Christie) bei einer erstklassigen literarischen Adresse.


    LG Peter
    (bekennender Sherlock Holmes-Liebhaber)

  • Zitat

    Original von Rideamus
    Beherrschung des Handwerks gehört wohl dazu, aber die kann man auch den meisten Epigonen zugestehen, während z. B. bei der Instrumentierung auch einigen der ganz Großen immer wieder (vermeintliche) Fehler vorgehalten wurden, und das nicht immer völlig zu Unrecht. Es war ja nicht NUR die Glättung empfundener Schroffheiten, die Rimsky-Korsakoff und sogar Schostakowitsch bewogen, Mussorgskys Partituren zu bearbeiten.


    Die Beherrschung des Handwerks (und auf die scheint sich Alfred oben zu beschränken) ist klarerweise zu wenig. Sie ist sicher nicht hinreichend. Sie ist vermutlich nichtmal notwendig, wie Deine und einige weitere Beispiele zeigen. Händel spottete, dass Gluck nicht mehr vom Kontrapunkt verstünde als sein (Händels) Koch; Schubert wollte noch gegen Ende seines Lebens Kontrapunkt bei Simon Sechter lernen (irgendjemand schrieb, dass es ein Glück sei, dass er die knappe Zeit nicht mit derlei verschwendet hätte). Dennoch ist Schubert fraglos ein größerer Komponist als Sechter :D
    Insgesamt aber dürften die allermeisten als groß anerkannten Komponisten handwerklich außerordentlich versiert gewesen sein, denn fast immer ist dessen Beherrschung eine Voraussetzung für künstlerisch hochwertige Leistungen.


    Zitat


    Innovation als absolute Qualität halte ich genau so für fragwürdig wie den Anspruch, dass man gute Musik nicht zu erklären braucht, weil sie für sich spricht.


    Das ist gewiß richtig. Innovation ist immer auf einen Hintergrund bezogen. In praktisch allen Fällen ist Innovation keineswegs (auch wenn das immer wieder behauptet wird) etwas Neues um des bloß neuen willen, sondern eine kreative Reaktion auf ein künstlerisches Problem, dass sich entweder einer ganzen Epoche oder Teilepoche oder diesem Künstler stellt. Wenn das, wie im Pfitzner-Thread schon angedeutet, ein brauchbarer Ausgangspunkt ist, dann kann man sich der "Größe" in diesem Rahmen ungefähr nach folgenden Kriterien zu nähern:


    1. Es werden die der jeweiligen Epoche (oder dem "Stand des Materials" oder was immer) gemäßen Probleme erkannt.
    2. Die Probleme werden in einer aussichtsreichen Weise, mit angemessenen Mitteln in Angriff genommen.
    3. Sie werden überzeugend, elegant usw. "gelöst." Die Offenheit dieses Systems und die Kreativität zeigt sich darin, dass es mehrere, oft ganz verschiedene "Lösungen" geben kann.


    Die Aufspaltung in 2. und 3. nehme ich vor, um dem Phänomen der "gescheiterten Everestexpedition" gerecht werden zu können. Ein Komponist kann sich "verheben", aber dennoch im Scheitern überzeugender sein als einer, der sich viel weniger vorgenommen hatte.


    Der Epigone "versagt" m.E. meistens schon bei 1. Er stellt sich einfach nicht den Problemen, die seiner Stilepoche entsprechen, sondern er verwendet "Patentlösungen" vergangener Zeiten oder eines großen Vorbilds, die nur handwerkliches Geschick zur Ausarbeitung erfordern. Ebenso sind seine künstlerischen Mittel nicht innovativ, weil er sich auch hier zu eng an einem Vorbild orientiert. Die Ausarbeitung mag dann handwerklich hervorragend sein, das Gesamtwerk bleibt ziemlich uninteressant, weil von vornherein kein interessantes "Problem" in Angriff genommen wurde. Der Eindruck "ganz nett, aber irgendwie belanglos", den man von solchen Werken hat, gibt das vielleicht wieder.

    (Um einen weiteren fragwürdigen Vergleich zu bringen: Der Epigone ist kein Erfinder oder Entwicklungsingenieur, sondern ein Betriebsleiter, der nur dafür sorgen muß, dass die Maschinen weiterlaufen). Deswegen ist Epigonentum in Gebrauchsmusik, wie etwa Filmmusik, so häufig und oft auch völlig in Ordnung.


    Angreifbar ist sicher die These, dass es "Probleme" gibt, die in einer bestimmten Epoche von allen Künstlern eine Reaktion erfordern. Das klingt zu technisch-wissenschaftlich, kommt es nicht viel mehr auf die Person des Künstlers selbst an. Ich glaube nicht. Im Falle der sinfonischen (oder allgemein sonatenförmigen) Musik nach Beethoven, waren sich alle, die überhaupt solche Werke schrieben (und Berlioz und Wagner auch beim Musikdrama) einig, dass irgendwie auf Beethovens Vorgabe reagiert werden mußte. Wagner meinte bekanntlich, dass die einzige angemessene Reaktion wäre, gar keine "absoluten" Sinfonien mehr zu schreiben, sondern sinfonische Musikdramen. Andere favorisierten sinfonische Dichtungen, während Schumann, Brahms, Bruckner u.a. versuchten, im Schatten des Riesen enger an dessen Vorgaben orientierte, aber dennoch eigenständige Werke zu schaffen. Das ist nun eine sehr allgemeine Beschreibung.


    Man kann das sicher aber anhand von Einzelwerken konkreter machen.
    Eines von Beethovens Leitproblemen war wohl auf der Basis der Mittel von besonders Haydn und Mozart, Stücke von wesentlich größerer Ausdehnung, und emotionaler Spannung bei mindestens gleichbleibender oder sogar gesteigerter motivischer Durcharbeitung und "logischer" Entwicklung zu schreiben. Kaum jemand zweifelt, dass ihm das, z.B. in der Eroica außerordentlich gut gelungen ist.


    Zitat


    Ich fürchte, man muss erst einmal eine Definition der Begriffe guter bzw. schlechter Komponisten und eines Epigonen geben, bevor die Titelfrage des Threads halbwegs erleuchtend beantwortet werden kann. Schon dazu aber sehe ich mich außerstande.


    Definitionen sind überschätzt. Sie bringen nicht sehr viel weiter: "Ein großer Komponist ist einer, der viele großartige Werke komponiert hat" Was ist ein großartiges Werk? usw. Wenn überhaupt steht eine Definition erst am Ende des langen und aufwendigen Unterfangens zu überlegen, was nun große Musik ist und warum.
    Das ist ja nicht der erste thread zu "Epigonen". Beim letzten Mal bestand weitgehend Einigkeit darin, dass wirkliche Epigonen in fast allen Fällen gründlichst vergessen wurden. Es wurden von Edwin, BBB u.a.einige genannt, von denen hatte ich nichtmal den Namen gehört.


    Es ist daher vielleicht einfacher, wenn jemand, der meint, einen verkannten Epigonen (oder ein entsprechendes Werk) zu kennen, diesen nennt und verteidigt.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Das ist ja nicht der erste thread zu "Epigonen". Beim letzten Mal bestand weitgehend Einigkeit darin, dass wirkliche Epigonen in fast allen Fällen gründlichst vergessen wurden. Es wurden von Edwin, BBB u.a.einige genannt, von denen hatte ich nichtmal den Namen gehört.


    jawohl, in diesem hier

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    1. Es werden die der jeweiligen Epoche (oder dem "Stand des Materials" oder was immer) gemäßen Probleme erkannt.
    2. Die Probleme werden in einer aussichtsreichen Weise, mit angemessenen Mitteln in Angriff genommen.
    3. Sie werden überzeugend, elegant usw. "gelöst." Die Offenheit dieses Systems und die Kreativität zeigt sich darin, dass es mehrere, oft ganz verschiedene "Lösungen" geben kann.


    Was ich in letzter Zeit zur Kenntnis genommen habe, ist, dass das nicht in allen Kulturen galt. In europäischer Kunst des 19. Jahrhunderts zweifellos.


    Wandert man aber nach Zentralafrika, findet sich dort eine reiche Ausbeute großartiger Skulptur, die weder kunsttheoretisch betrachtet noch konsequent erhalten wurde. Die Bildhauer schufen nach dem Vorbild der alten mit eher wenig Änderungen neue Skulpturen (größere Änderungen waren nicht erlaubt, da dann die mystische Funktion der Skulpturen nicht garantiert gewesen wäre). Am Ende des 19. Jahrhunderts wurden sie dann von Europa entdeckt, der Kultur wurde im Laufe des 20. Jahrhunderts der geistige Hintergrund genommen. Die Skulpturen wurden aber am Beginn des 20. Jahrhunderts von Europa in ihren expressiven und formellen Qualitäten gewürdigt und hatten einen großen Einfluss auf die europäische "Materialstands"-Kunst (Picasso, Kirchner, Klee, Miro, etc.)


    Allein wegen der genannten europäischen Künstler wäre es absurd, die afrikanische Skulptur des 19. Jahrhunderts als minderwertig einzustufen - obwohl sie die Forderungen, die gleichzeitig in Europa galten, nicht erfüllten - jedenfalls kann man mangels Chronologie die Einzelstücke nicht in Bezug auf "Materialstand" bewerten.


    Gedanklich interessant wird es in der Gegenwart. Können afrikanische Bildhauer so tun, als sei nichts passiert oder produzieren sie dann nicht nur - Epigonales?


    PS: Ich habe gerade was im Internet gefunden:

    Zitat

    Habe bei der Fährstation zwei Djiwaras* gekauft für 35 Euro - sehr schöne Ausführung


    Es handelt sich um Bambara-Antilopen-Kopfaufsätze - offenbar werden die tatsächlich noch erzeugt - wohl für den Tourismus?


    PS: Gleichzeitig hat gerade jemand einen Thread zur Erlangung von Notenmaterial chinesischer Oper gestartet. Fein!


  • Ich räume gern ein, dass diese Herangehensweise nicht zu allen Zeiten in allen Kulturen passen muß. Soweit ich die abendländische Kulturgeschichte der letzten 800 Jahre kenne, paßt sie dort aber einigermaßen, nicht nur auf das 19. Jhd. (Und sie paßt teils auch schon auf die Skulptur der griechisch-römische Antike.)
    In Kulturen mit einem völlig anderen Geschichtsbewußtsein oder bei bloß mündlicher Überlieferung (von Musik und Dichtung) kann man so vermutlich nicht vorgehen. Selbst in Hochkulturen mit Schrift, Geschichtsschreibung usw.wie dem alten China mag es schwerfallen. Diese Kultur war, soweit ich weiß, über Jahrhunderte, nicht nur in einer späten Zeit, von einer extremen "Goldenes-Zeitalter"-Denkweise geprägt. ALLES war früher besser, ein nachgeborener Künstler konnte also nur hoffen, einen schwachen Abglanz der alten Meisterschaft hinzukriegen. Inwiefern die künstlerischen Erzeugnisse trotz dieser Ideologie kreativ und innovativ sind, kann ich nicht beurteilen.
    "Materialstand" habe ich ja absichtlich in Klammern gesetzt, weil man das mit einer spezifischen Betrachtungsweise verbindet. Vielleicht kann man das "Problemlösungsmodell" auch allgemeiner formulieren. Aber es ist sicher richtig, dass eine gewisse historische Dynamik und ein entsprechendes Bewußtsein vorhanden sein muß, Wenn alles nur die Vorbilder eines sagenhaften Zeitalters nachzuahmen versucht oder wenn in einer Gesellschaft ohne Schrift mit kaum ausgeprägtem Geschichtsbewußtsein Kunst überhaupt nur in kultischer Funktion auftritt, gibt es entsprechend kaum Weiterentwicklung und schon gar nicht kann sie positiv gewertet werden.


    Um die Ausgangsfrage zu beantworten: Selbstverständlich sind Epigonen (in einer Kultur, in der der Begriff sinnvoll ist) die schlechteren Komponisten! Der Nicht-Epigone ist ja in keiner Hinsicht (oder wenn, in welcher?) schlechter als der Epigone. Der Epigone ist dagegen höchstens in handwerklicher Hinsicht dem Nichtepigonen ebenbürtig, überall sonst schlechter.


    viele Grüße


    JR

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    (Bob Dylan)

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  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    Allein wegen der genannten europäischen Künstler wäre es absurd, die afrikanische Skulptur des 19. Jahrhunderts als minderwertig einzustufen - obwohl sie die Forderungen, die gleichzeitig in Europa galten, nicht erfüllten - jedenfalls kann man mangels Chronologie die Einzelstücke nicht in Bezug auf "Materialstand" bewerten.


    Gedanklich interessant wird es in der Gegenwart. Können afrikanische Bildhauer so tun, als sei nichts passiert oder produzieren sie dann nicht nur - Epigonales?


    Das könnte schlicht daran liegen, daß das »Innovations«-Paradigma eine europäische Erfindung ist und zudem eine der Moderne (und letztlich auch überhaupt nur im Kontext einer Abweichungsäsethtik à la: »Norm/Abweichung« bzw. »automatisierte Folie/Novum« funktioniert). Für den höfischen Roman des Mittelalters beispielsweise war Innovation noch überhaupt kein Kriterium - die Erfüllung der Form und die Wiedergabe eines überlieferten Stoffs dagegen schon. Allerdings würde man kaum auf die Idee kommen Wolfram als einen Epigonen Chrétiens zu bezeichnen.


    So gesehen ist Epigonalität womöglich nicht mehr und nicht weniger als die Kehrseite des »Innovations«-Paradigmas.


    Herzlichst,
    Medard


    p.s.: gerade sehe ich, daß JR schon entsprechend geantwortet hat.

  • Aber die Frage ist immer noch die: Was ist mit der heutigen Produktion?


    Produziert der den geistigen Hintergründen Entfremdete nun Kunst oder sind seine Erzeugnisse dem Souvenirladenkitsch Europas gleichzusetzen?


    Oder als Gedankenexperiment: Wenn ich es ihm nachmache, ist mein Ergebnis Kitsch, weil ich aus der Materialstandsecke komme und er nicht?


    Oder: wie ist das nun mit der "Globalisierung"?



    Ich bilde mir ein, dass das noch in diesen Thread passt ...
    :rolleyes:


    PS: Natürlich bin ich als Komponist glühender Vertreter der Materialstandskultur.

  • Ich denke man muß hier nochmal unterscheiden. Innovation muß keineswegs ein explizites, öffentlich hochgehängtes Kriterium sein, damit eine zumindest im Nachhinein erkennbare ziemlich geradlinige Entwicklung ausgemacht werden kann. Ich bin in der Kunstgeschichte nicht sehr firm, aber weder die klassische (nach der archaischen) Skulptur in der Antike oder der gotische nach dem romanischen Baustil im christlichen Mittelalter dürfte von einer genialischen Innovationsästhetik getrieben worden sein, endlich mal alte Zöpfe abzuschneiden :D Dennoch gibt es diese Entwicklungen (und es sind wohl tatsächlich solche, nicht einfach Ablösungen eines Stils durch den nächsten) und wer 350 vuZ einen klotzigen, grinsenden Kouros gemeißelt hätte, wäre wohl als extrem altmodisch angesehen worden.


    Ich würde daher Innovation lieber als einen Spezial- oder Extremfall des Problemlösungsmodells ansehen. Ein Problem kann auch in einer "Renaissance-Situation" auftreten, nämlich in ausdrücklichem Bezug auf ein "klassisches" Vorbild dennoch etwas zeitgemäßes und eigenständiges zu schaffen.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Ich bin in der Kunstgeschichte nicht sehr firm, aber weder die klassische (nach der archaischen) Skulptur in der Antike oder der gotische nach dem romanischen Baustil im christlichen Mittelalter dürfte von einer genialischen Innovationsästhetik getrieben worden sein, endlich mal alte Zöpfe abzuschneiden :D Dennoch gibt es diese Entwicklungen (und es sind wohl tatsächlich solche, nicht einfach Ablösungen eines Stils durch den nächsten)


    Soweit man bei afrikanischen Herrscherhäusern Bronzeskulpturen hat, ist das ebenso. In Benin ging man vom Ife-Stil aus, die höchstwahrscheinlich von "unserer" Antike beeinflusst waren und sehr realistische Skulpturen hatten. In Benin geht es so im 15. Jahrhundert los und die Herrscherköpfe werden immer unrealistischer - typisiert sind sie sowieso. Und heute werden immer noch Bronzeskulpturen in diesem Stil gefertigt, manche werden etwas poppiger offenbar europäisch oder amerikanisch beeinflusst, andere bleiben traditionell.


    Ich habe echt keine Ahnung, was ich davon halten soll.
    ?(


  • Hallo JR,
    Zustimmung in allen Punkten! Allein eine Einschränkung: ob das Programm so tatsächlich für die letzten 800 Jahre der abendländischen Kultur konstant gilt, da bin ich nicht so ganz sicher. Die barocke Poesie zum Beispiel scheint noch weitestgehend unberührt zu sein von dem Problem des Innovationsdrangs/-zwangs oder was auch immer. Hier geht es noch ganz erheblich um die Erfüllung von rhetorischen »Formalitäten«. Das gilt ja mit Einschränkung auch für den Bereich der Musik. Ob all die Musik-/Literatur-Handwerker des 17. Jahrhunderts, die nichts weiter getan haben, als mit großer Kunstfertigkeit Formalitäten zu erfüllen und aus der Retrospektive als epigonale Kleinmeister erscheinen, auch zeitgenössisch als Epigonen wahrgenommen worden sind, wage ich zu bezweifeln.


    Eigentlich scheint mir das »Epigonentum« tatsächlich eine Kreatur der Erfindung des »Originalgenies« zu sein und wäre somit erst etwa 250 Jahre alt.


    Das ändert aber letztlich nichts an der Gültigkeit Deines dreistufigen Modells. Allein die Problemlagen und Lösungsansätze werden anders zu beurteilen sein und die Frage, was zu welcher Zeit jeweils als »überzeugende« bzw. »elegante« Lösung rezipiert worden ist, wird eine andere Antwort finden müssen - wobei sich für die Vormoderne Begriffe wie »innovativ« und »epigonal« als ästhetische Kategorien womöglich als wenig zielführend erweisen werden.


    Ganz herzlich,
    Medard

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  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister


    Soweit man bei afrikanischen Herrscherhäusern Bronzeskulpturen hat, ist das ebenso. In Benin ging man vom Ife-Stil aus, die höchstwahrscheinlich von "unserer" Antike beeinflusst waren und sehr realistische Skulpturen hatten. In Benin geht es so im 15. Jahrhundert los und die Herrscherköpfe werden immer unrealistischer - typisiert sind sie sowieso. Und heute werden immer noch Bronzeskulpturen in diesem Stil gefertigt, manche werden etwas poppiger offenbar europäisch oder amerikanisch beeinflusst, andere bleiben traditionell.


    Ich habe echt keine Ahnung, was ich davon halten soll.
    ?(


    Hallo KSM,
    vielleicht sollte es Dir/uns gleichgültig sein - was hier nicht »egal« heißt, sondern in gleichem Maße gültig wie die unter dem Forschrittsparadigma schwitzende abendländische Kunst. Diese Arbeiten entstehen in völlig anderen, uns fremden und womöglich sogar dauerhaft unverständlichen Kontexten ästhetischer Kommunikation und erfüllen dort eine Funktion. Sie an »unseren« Kriterien von Innovation und Fortschritt in der Kunst zu messen, ist IMO wenig nützlich - umgekehrt wird's ebenso schlecht funktionieren.
    Herzlichst,
    Medard

  • Ich will das Thema anders beleuchten:


    Man stelle sich vor (nur als Denkmodell) Beethovens Siebte wäre gar nicht von ihm geschrieben worden - sondern von einem Stilkopisten der nächsten Generation:


    Wäre das Werk deshalb schlechter ????



    Der "Epigone" ist ja durchaus schöpferisch tätig - lediglich die FORM ist eine "Kopie" oder auch eine Vorgabe wer so will.


    Wenn ich ein Sonett schreibe - und mich dabei bemühe Shakespeares Sprachmelodie zu treffen - so ist das IMO ungleich schwerer,als "Regeln zu brechchen" und quasi regellos zu "dichten" - völlig frei.


    Bleiben wir bei ersterer Version:


    Sosehr ich mich bemühe - es wird immer meine Person sein, die da durchschimmert - ich werde nicht an die Genialität Shakespeares herankommen - und selbst wenn - man wird es nicht anerkennen.


    Heutzutage ist es ja so, da, desto wirrer etwas geschrieben ist, desto unverständlicher Text, Melodie, oder Abbildung sind. - umso lauter gejubelt wird - hauptsache es ist ANDERES als alles Bisherige. Daß sämtliche geschriebenen und ungeschriebenen Tabus gebrochen werden macht es für "Tabubrecher " noch interessanter.


    WEHE dem, der es wagt alten Schönheitidealen nachzujagen (genau das macht der Epigone) und beispielsweise das Manko, daß Beethoven nur 9 Sinfonien geschrieben hat, auszugleichen versucht . der wird von der Musikmafi geächtet und dem Vergessen anheim gegeben - selbst wenn er Werke geschrieben hat - die stilistisch gesehen den Werken des Vorbilds sehr nahe stehen - bei völlig eignener Erfindung des Themas.


    Als Hörer hat man das Gefühl, etwas Vertrautes zu hören - obwohl dieser Eindruck bei genauer Prüfung in keiner Weise haltbar ist.


    Viele sogenannten Epigonen waren bei genauer Betrachtung übrigens gar keine - was sie an ihr Vorbild erinnern lässt, war, der gleiche Zeitgeist - und daß sie vielleicht nicht auf zeitliche Veränderungen reagiert haben. So haben sie uns im Idealfall (nicht alles epigonale ist notwendigerweise geglückt) ein Stück Musikgechichte beschert- das in Wirklichkeit längst vorbei war.....


    mfg
    aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich bin ziemlich überzeugt, daß man ohne das Kriterium des Personalstils in der Frage, ob ein Komponist ein Epigone ist oder nicht, wenig ausrichtet. Und ich bin mir der Tatsache bewußt, daß "Personalstil" kaum definierbar ist. Ich will es daher für meinen Gebrauch in diesem Zusammenhang extrem vereinfachen (und dabei gewisse Spielarten der Avantgarde einmal außer Acht lassen):


    1) Wenn ich ein mir unbekanntes Werk, ohne zu wissen, wer es geschrieben hat, nur aufgrund des Klangeindrucks einem Komponisten zuordnen kann, würde ich von einem klaren Personalstil sprechen.


    2) Wenn ich an einem Werk, dessen Komponisten ich weiß, stilistische Merkmale des Komponisten erkenne, dieses Werk aber ohne Kenntnis des Komponisten nicht eindeutig zuordnen kann, würde ich von stilistischen Eigenarten sprechen.


    3) Wenn ich das Werk eines mir bekannten Komponisten weder diesem Komponisten zuordnen kann noch bei Kenntnis des Komponisten dessen stilistische Eigenarten entdecken kann, sondern dieses Werk einem anderen Komponisten zuschreibe oder die stilistischen Eigenarten einem anderen Komponisten zuordne, spreche ich von einem epigonalen Werk.


    Wenn ein Komponist in klar überwiegender Mehrzahl Werke komponiert hat, die unter 3) fallen, ist dieser Komponist für mich ein Epigone.


    Ein paar Beispiele, alle aus dem Bereich der Musik des 20. Jahrhunderts:
    ad 1) Igor Strawinskij, Carl Orff, Olivier Messiaen
    ad 2) Michael Tippett, Gottfried von Einem, Hans Werner Henze
    ad 3) Wolfgang Fortner, Marcel Landowski, Leopold Spinner



    Nun die andere Frage: Kann ein epigonales Werk dennoch auf hohem Niveau stehen? Meiner Meinung nach: Ja. Aber es sind Ausnahmefälle.


    Ich bringe abermals ein Beispiel: Leopold Spinner ist ein Webern-Epigone reinsten Wassers (mit Ausnahme der Kürze). Dennoch erscheinen mir seine Werke aufgrund der extremen Dichte der Arbeit und der Klangerfindung wesentlich höher zu stehen als etwa die stilistisch wesentlich klarer zuordenbare zweite Symphonie Michael Tippetts. Marcel Landowski wiederum, auch in seinen eigenständigsten Werke nur mühsam wenn überhaupt von Arthur Honegger zu unterscheiden, hat mit seiner Oper "Le Fou" ein Werk geschrieben, das problemlos mit den Opern Gottfried von Einems mithalten kann, obwohl Einems Opern ihren Urheber deutlich verraten, während "Le Fou" wie ein Zwillingsbruder von Honeggers "Antigone" anmutet.


    Daher würde ich eher keine Regel aufstellen, ob Epigonentum automatisch zu schwacher Musik führt. In der Regel wohl eher ja. Aber die von mir genannten Ausnahmen sind keineswegs die einzigen.


    :hello:

    ...

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