Ist Klassikhören subversiv?

  • Geben wir es zu: Die Welt außerhalb Taminos ist böse und feindselig. Zumindest für jeden Feingeist (auch wenn er - wie ich - im Körper eines Metzgers gefangen ist). Überall diktiert der Markt die Gesetze, der Durchschnitt setzt sich durch, jede Leistung zählt nur, wenn sie sich finanziell niederschlägt. Schnelligkeit und Hektik bestimmen das Leben, Häppchen ersetzen den kulinarischen und ästhetischen Genuss. Individuell und erfolgreich, so suggeriert der Markt, ist nur der, der dem uniformierten Geschmacksdiktat Folge leistet; stromlinienförmige Managertypen übernehmen mit gewinnendem Bleaching-Lächeln die Schaltzentralen und merzen jede Kante aus, an der man sich reiben kann. Modewellen schwappen an Land, und kaum, dass die eine Schaumkrone den Strand des Alltagsleben benetzt hat, ist die nächste schon auf dem Sprung, jeden, der nicht rechtzeitig zurücktritt, erneut zu durchnässen. So geht es hin und her. Platsch folgt auf Platsch. In der bildenden Kunst ersetzt der Geldbeutel mehr schlecht als recht den ästhetischen Sinn, im Radio plärren Drei-Minuten-Stücke austauschbare Weisen, die Geisteswelt vermerkt still und leise den Abgang der letzten Größen, kaum bemerkt von der Masse der Bildleser und RTL2-Schauer. Fazit: Ganz Gallien ist von den Römern besetzt.


    Ganz Gallien? Nun, da gibt es ein Volk derer, die es sich nicht nehmen lassen, ihrem eigenen Verstand und Kunstsinn zu folgen. Die sich nicht in jede Welle stellen; die in der Lage sind, mehr als drei Minuten einem Musikstück zu folgen und abseits der Strömungen eigene Biotope anlegen und dabei belächelt werden, wie Bewohner obskurer Einrichtungen, die man wohlweislich fern der Wohngebiete errichtet hat. Doch oftmals ernten die Bewohner nicht nur ein verständiges, bemitleidendes Lächeln, sie werden beargwöhnt ob ihres Ticks, Komponisten zu hören, die kein Mensch aussprechen kann. Man begegnet ihnen mit Misstrauen, warum sie dem Glück des Mediokren widerstehen wollen. Man wirft ihnen vor, mit ihrem Verlangen nach Hochkultur, den Bürgersinn in Frage zu stellen. Muss man museale Kunst subventionieren? fragen die Ausgeschlossenen. Eine Kunst, die nicht primär am Geldverdienen interessiert ist? Eine Kunst, die so nützlich wie Kaviar oder Champagner ist? Letztere kann man zumindest auch ohne Sachverstand in sich reinpressen, dazu gehört im Zweifelsfalle lediglich Hunger und Durst. Ist Klassikhören nicht nur total daneben sondern sogar subversiv?

  • Salü,


    subversiv kann jedes Hobby oder jede Leidenschaft sein, wenn es/sie sich im Stadium der Übertreibung befindet - aber selbst dieses lässt sich objektiv kaum ausmachen.


    Ich habe schon vor langer Zeit aufgehört, mir über das von Dir Geschriebene unnötige Gedanken zu machen - nichtsdestotrotz werde ich damit konfrontiert. Es prallt aber mit zunehmender Lässigkeit an mir ab - ich hab meine Musik, sollen die andern machen, was sie wollen und mich in Ruhe lassen [um es mal in die subversive Richtung zu steuern].


    :D


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • RE: Ist Klassikhören subversiv?


    Aber, aber Blackadder,


    jetzt hat Du aber etwas übertrieben. Nicht jeder hat Verständnis für Deinen Sarkasmus. Ich persönlich kann mich mal wieder vor Lachen nicht einholen.


    Grüße


    Emotione

  • "Fast alle Kunst ist subversiv, sie greift bestehende Werte an und ersetzt sie mit selbsterschaffenen, und anstelle der Gesellschaftsordnung errichtet sie ihre eigene. Die bestürzend suggestiven, d.h. moralisch und politisch suggestiven Aspekte von Mozarts Opern sind lediglich die oberflächliche Manifestierung dieser Aggression. Seine Werke greifen in vielerlei Weise die musikalische Sprache an, die er selbst mit ins Leben rief. Die machtvolle, so mühelos eingesetzte Chromatik vernichtet zuweilen fast die tonartliche Transparenz, die seine eigenen Formen überhaupt erst sinnvoll macht. [...] Beethovens Attacke war unverhüllt, nie hat Kunst sich so entschieden geweigert, andere als ihre eigenen Bedingungen anzuerkennen. Mozart war ebenso unnachgiebig wie Beethoven, aber die rein körperliche Schönheit, ja Gefälligkeit eines Großteils seiner Musik maskiert die Kompromißlosigkeit seiner Kunst. Nur wenn man sich zurückruft, welch Unbehagen, ja Entsetzen sie seinerzeit auslöste, und wenn man in sich selbst die Bedingungen neu erschafft, unter denen sie noch gefährlich erscheint, läßt sich diese Musik angemessen würdigen."
    (Ch. Rosen, Der Klassische Stil, S. 370 f.)


    Besonders den letzten Absatz hätte man jedem Konzertprogramm im vergangenen Wolferl-Jahr voranstellen sollen...


    :hello:


    (sorry, dass ich mal wieder Unernstes ernst nehme... ;))


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    sorry, dass ich mal wieder Unernstes ernst nehme... ;))


    Ja, toll. Danke. Jetzt habe ich die Wahl, diesen Ausdruck zu dekodieren: Schreibe ich prinzipiell so, dass es zum (Aus?)lachen reizt, nach dem Motto: Rideamus! (huch, hab ich das schon wieder getan?), oder ist es prinzipiell lächerlich. Ich vermute mal letzteres ;(


    Aber, da Rosens Zitat zur rechten Zeit kommt: Ist das Hören (ehemals?) subversiver Kunst auch schon subversiv? Vor allem, wenn es aus merkantilen Gesichtspunkten heute mehr als fragwürdig ist? Und ist dieser Konservatismus heutzutage nicht regelrecht anarchistisch?

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  • Zitat

    ist das Hören (ehemals?) subversiver Kunst auch schon subversiv? Vor allem, wenn es aus merkantilen Gesichtspunkten heute mehr als fragwürdig ist? Und ist dieser Konservatismus heutzutage nicht regelrecht anarchistisch?



    das drucke ich mir aus und hänge es mir übers Bett :beatnik: :D :wacky:

  • Original von Blackadder

    Zitat

    Ja, toll. Danke. Jetzt habe ich die Wahl, diesen Ausdruck zu dekodieren: Schreibe ich prinzipiell so, dass es zum (Aus?)lachen reizt, nach dem Motto: Rideamus! (huch, hab ich das schon wieder getan?), oder ist es prinzipiell lächerlich. Ich vermute mal letzteres traurig


    Sorry,
    Du bringst mich nur zum Lachen, nicht zum Auslachen. Ich finde Deine Beiträge und ironisch/sarkastischen Bemerkungen einfach nur brillant.


    :hello:


    Emotione

  • Zitat

    Original von Blackadder
    Aber, da Rosens Zitat zur rechten Zeit kommt: Ist das Hören (ehemals?) subversiver Kunst auch schon subversiv? Vor allem, wenn es aus merkantilen Gesichtspunkten heute mehr als fragwürdig ist?


    Natürlich nicht. Daher doch meine Bemerkung zum Wolferl-Jahr, was ja nur die Spitze der im Klassikbereich nicht ganz seltenen Mischung von Kitsch, Kommerz, Muff und Dünkel gewesen ist. Da ist natürlich gar nichts mehr subversiv.
    Aber wenn Rosen recht hat, ist auch bei alter Musik das Potential im Prinzip noch vorhanden. Man muß eben nur "die Bedingungen neu erschaffen, unter denen sie noch gefährlich erscheint." ;)


    Man beachte aber die "Halbwertszeiten": Bei einer subkulturellen Jugendbewegung wie Hip-Hop oder so dauert es unter heutigen kulturindustriellen Bedingungen nur wenige Jahre (mitunter nur Monate) bis zur zur Durchkommerzialisierung, bei Mozart, Beethoven oder Wagner waren es immerhin viele Jahrzehnte und viele ihre Werke sträuben sich noch immer dagegen einfach so konsumiert zu werden.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
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    (Bob Dylan)

  • Dir hätte unser Seminarlehrer ebenfalls einen trockenen und gewöhnungsbedürftigen Humor attestiert :D
    Was ist eigentlich unser Zaubertrank? Dir Musik, der Bildschirm, die Suchfunktion oder die Smilies? ?(


    Geheimbündlerische Grüße! 8o


    :hello:
    Barezzi (Stefan)


    PS: Wir müssen uns noch zusammensetzten und die neuen Erkennungscodes vereinbaren - und Ulli muss Dich endlich ernst nehmen und respektieren ;)

    Viva la libertà!

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  • Also ein wenig subversiv ist Klassikhören meiner Ansicht nach schon. Unter den musikhörenden Menschen sind die Klassikhörer sicher die kleinste Gruppe. Popmusik entspricht wohl eher dem heutigen Zeitgeist, da sie schneller konsumierbar ist. Die benötigte Aufmerksamkeitsspanne für zB ein Streichquartett ist eben länger als für ein paar Popsongs.

    "Das Leben ohne Musik ist einfach ein Irrtum" - Nietzsche

  • das einzig subversive weit und breit ist ein maskierter metzger aus fulda...
    (und der stürzelt eigentlich auch nichts mehr um)
    :beatnik:

  • Nochmal kurz: "Subversiv" ist vielleicht etwas stark, weil es schnell mit politischem Umsturz in Verbindung gebracht wird. Und natürlich gibt es auch affirmative Kunst, selbst wenn Rosens Idee, dass die Kunst nach ihren eigenen, internen Regeln und nicht nach äußeren, wie denen der Gesellschaft, funktioniert, auch auf Kunst zutreffen kann, die bei oberflächlicher Betrachtung kein bißchen subversiv scheinen mag. Denn diese subtile Art der Widerständigkeit hat ja gar nichts mit mehr oder weniger offenen politischen oder weltanschaulichen Inhalten zu tun. Diese Form der Nichtverwertbarkeit, der Unverfügbarkeit, des Widerstandes gegen die Reduktion auf Gebrauchs- oder Tauschwert, ist der klassischen Musik noch immer zu eigen. (Wie gesagt, zumindest vom Potential her viel mehr als angeblich subversiven "Subkulturen", die in Nullkommanix zur CocaCola-Werbung verkommen)


    Jedoch ist auch der Hinweis Rosens auf die seinerzeitige Rezeption, hier besonders der DaPonte-Opern, wichtig, da er verbreiteten Mozartbildern widerspricht. (Und der weltanschaulich nicht ganz neutralen Auffassung, Musik sei weltanschaulich neutral ;)) Mozarts Musik ist inzwischen teils so vereinnahmt worden, dass es schwer fällt sich vorzustellen, dass sie nicht nur als äußerst schwierig und avanciert galt, sondern im Falle dieser Opern haarscharf an Zensur und Skandal vorbeilancierte. Die sexuelle Libertinage Don Giovannis, die damals mit politischer Freiheit assoziiert wurde, ließ das Bürgertum zwischen Faszination und Abgestoßensein schwanken.(Gleichzeitig kann man in der Bestrafung des Don auch den "Sieg" der bürgerlichen Moral gegen adelige Freiheiten zulasten Untergebener sehen. Das "Viva la liberta" im ersten Finale klingt für mich aber eher so wie "bei der jetzt folgenden Fete ist alles erlaubt...") Das setzte sich noch bis ins 19. Jhd. fort (wie etwa Beethovens etwa prüde Kritik an den Mozartschen Sujets zeigt). So seltsam uns die Erinnerung an eine politisch-soziale Gefährlichkeit Mozarts mitunter vorkommen mag, ist ist eine notwendige Korrektur.


    viele Grüße


    JR

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  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Nochmal kurz: "Subversiv" ist vielleicht etwas stark, weil es schnell mit politischem Umsturz in Verbindung gebracht wird.


    Man muss dem guten Blackadder zugute halten, dass er in Fulda lebt. Feingeister sind dort stets verdächtig, auch – oder gerade wenn? – im Körper eines Metzgers gefangen.
    Und als Umstürzler gilt man dort, wenn ein Urgroßvater aus Versehen einmal SPD gewählt hat.


    Von daher relativiert sich der Begriff.

  • subversiv, dass brauche ich hier den Experten nicht zu erklären, kommt vom lat. subversor und bedeutet " Umstürzler"
    Klassikhören kann für mich niemals subversiv sein, weil es die Subversion, eigentlich nur als Politische, die mit folgenden Methoden, wie Terror, Verleumdung, Bedrohung, Erpressung, Entführung, Beraubung, Tötung, Sabotage und anderen einhergeht und die Kultur- zu der Klassikhören gehört-damit nichts zu tun hat.
    Padre :hello:

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  • Dieses Forum wurde doch vom großen Betreiber ursprünglich unter anderem gegründet, um modernen Inszenierungen in Opern das Wasser abzugraben, Musik ab 1920 zu verfemen und jungen Dirigenten vorzuschreiben, endlich wieder wie Böhm und Karajan zu dirigieren. :stumm: :angel: :D
    Es kam aber dann doch anders und statt dessen wurde der Chef immer mehr verändert - die Welt gab halt doch schlechter nach...


    Merkt Ihr was? Jeder will irgendwie auch seine Ansichten in die Welt verbreiten...


    Und wenn das Hören solcher Musik nicht schon subversiv ist... :beatnik:
    (obwohl es ja sogar in meiner Sammlung Rezitative gibt, nur handeln die Texte zwar auch von Gangstern/Schurken, aber nicht von solchen aus modernen Ghettos :pfeif: )


    :hello:
    Stefan

    Viva la libertà!

  • Im normalen Sprachgebrauch bedeutet "subversiv" eher nicht offene umstürzlerischer Gewalt; keine Bomben, sondern subtilere Mittel wie Musik, Kunst, Literatur. Z.B. die Jugend moralisch verderben, in dem man sie Henry Miller lesen läßt :D


    Wenn also wenige Jahre nach einer bürgerlichen Revolution (in Amerika) und kurz vor einer, die ganz Europa erschütterte, auf der Bühne zunächst ein Graf von seinen Dienern nach allen Regeln der Kunst vorgeführt wird und dann ein sexgieriger Adliger zwar Held und Identifikationsfigur (?) einer Oper ist, in deren Verlauf ein Fest gefeiert wird, bei dem alle Stände durcheinandertanzen (in einer Weise, die die Musik an den Rand des Chaos bringt) und laut schmetternd ein Hoch auf die Freiheit (politische oder sexuelle? oder beides?) angestimmt wird, schließlich aber die bürgerliche Moral über adlige Lüsternheit und Willkür triumphiert, dann muß man schon alle Augen und Ohren verschließen, um dies als "unpolitisch", "weltanschaulich neutral", "einfach nur hübsche Musik" einzuordnen. Der Zusammenhang ist so offensichtlich, deutlicher geht es wirklich kaum noch.


    Dass 200 Jahre später das Abhören von Platten mit dieser Musik nicht in dieser Weise subversiv ist, ist natürlich klar...


    viele Grüße


    JR

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    The morning breeze like a bugle blew
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    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Pamphili
    Also ein wenig subversiv ist Klassikhören meiner Ansicht nach schon. Unter den musikhörenden Menschen sind die Klassikhörer sicher die kleinste Gruppe. Popmusik entspricht wohl eher dem heutigen Zeitgeist, da sie schneller konsumierbar ist. Die benötigte Aufmerksamkeitsspanne für zB ein Streichquartett ist eben länger als für ein paar Popsongs.


    Tut mir leid, aber das ist mir etwas zuu klischeebehaftet. Außerdem glaube ich nicht, daß Hörer klassischer Musik die kleinste Gruppe darstellen und schließe mich - wenn ich mich recht entsinnen sollte - einem ehemaligen post von JR an. Die Gruppe intensiver Jazz-Hörer ist AFAIK zumindest nicht größer, wenn nicht gar wesentlich kleiner. Und die Leute, die sich hier mit außereurpäischer und vom abendländischen weitestgehend unbeeinflussten Musik beschäftigen werden wohl noch geringer sein.


    Es gibt ja auch viele Klassik-Hörer, die mit Pop/Rock großgeworden sind und auch heute noch konsumieren - ich gehöre offen gesagt dazu - auch wenn sich in diesem Bereich meine Ansprüche mit der Zeit auch gesteigert haben. Ein Fehler, den viele Nur-Klassik-Hörer machen ist, die gesamte Pop/Rock-Kultur auf den massentauglichen Kram zu reduzieren. Abseits dieser Wege gibt es viele interessante Projekte , Songs, die nicht nur 3 min dauern etc. Es sei an Frank Zappa oder die Gruppe Dream Theater erinnert.


    Ob Klassikhören subversiv ist? Vielleicht schon. Aber wenn, nur indirekt. Subversiv war die Rock, v.a. die Punk-Bewegung in ihrer Entstehungszeit allemal. Heute werden sicherlich gute bis sehr gute Songs in Feuilletons zu Heiligtümern, zu Kulturgut erklärt und verlieren ihrern ursprünglich anarchisch-subversiven Zug. Etwas, was mir weniger gefällt. Vielleicht wird durch die Einbettung selbst solcher Bands wie Nirvana die Klassische Musik bzw. ihre Hörer ganz unfreiwillig subversiv.


    Ob das unter den Leuten, die mit der Klassischen Musik nichts am Hut haben so drastisch wahrgenommen wird, wage ich alleridngs zu bezweifeln....insofern ist es schon fast wieder hinffällig darüber zu diskutieren. Oder doch nicht?? ;)


    :hello:
    Wulf

  • Intepunktionsbehandlung kann allerdings sehr subversiv sein, lieber Padre :D:stumm:


    Ich weiß, ich weiß: wir hatten das schon zu Genüge. :angel:


    :hello:
    Wulf

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  • Zitat

    Original von Padre
    Subversiv, ist umstürzlerisch. Kunst- und dazu gehört Klassikhören kann nicht umstürzlerisch sein.
    Padre


    Musik kann Kunst sein. Musik Hören auch? Bilder angucken ist auch Kunst? ?( :D

  • Wenn Kunst das Bestreben ist, "Neues" in der Tradition des Bisherigen zu schaffen, so ist Kunst per se subversiv, denn es versucht ja, das Bisherige, wenn nicht wenigstens nur "neu zu beleuchten", so doch in ganz großen Momenten, auch umzustürzen, und damit zu erneuern.


    Damit wohnt Kunst per se Subversion inne.


    Und ob nun die Rückbesinnung auf Kunstformen, die in der Vergangenheit existierten, heute als "klassisch" bezeichnet werden, als subversiv gelten kann, bleibt eine spannende Frage.


    Viel spannender ist doch die Frage, was aus dem, was die Klassik geschaffen hat, heute gemacht wird:


    Kino- (und später Fernsehfilm)begleitmusik, Trailer für Konsumgüter, und ganz obszön: Klingeltöne für Handys...


    Ist dann nicht das Hören der Klassik eher reaktionär?

  • Zitat

    Wenn Kunst das Bestreben ist, "Neues" in der Tradition des Bisherigen zu schaffen,


    Ist es nicht.


    Zitat

    so ist Kunst per se subversiv,


    Per se? - Es gibt durchaus auch staatliche Repräsentationskunst. Vieles in der religiösen Kunst ist alles andere als subversiv.


    Zitat

    denn es versucht ja, das Bisherige, wenn nicht wenigstens nur "neu zu beleuchten", so doch in ganz großen Momenten, auch umzustürzen, und damit zu erneuern.


    Kommt vor. Könnte dann subversive Kunst sein. Aber gewiss nicht durch bloßes Hören klassischer Musik. So lautete nämlich die provokate, witzig formulierte Frage Blackadders an unser aller elitären Dünkel.


    Zitat

    Damit wohnt Kunst per se Subversion inne.


    s.o.


    Zitat

    Und ob nun die Rückbesinnung auf Kunstformen, die in der Vergangenheit existierten, heute als "klassisch" bezeichnet werden, als subversiv gelten kann, bleibt eine spannende Frage.


    Warum?


    Zitat

    Viel spannender ist doch die Frage, was aus dem, was die Klassik geschaffen hat, heute gemacht wird:
    Kino- (und später Fernsehfilm)begleitmusik, Trailer für Konsumgüter, und ganz obszön: Klingeltöne für Handys...


    Gerade vor dem Hintergrund der aufgeführten Verwendungsfelder finde ich das überhaupt nicht spannend. Ich finde aber auch nicht, dass die Verwendung eines Melodie als Klingelton "obszön" ist. Ich bin sicher, Mozart etwa hätte sich darüber gefreut und über manches, was wir hier so kunstphilosophierend verhandeln, gewundert.


    Zitat

    Ist dann nicht das Hören der Klassik eher reaktionär?


    Nein. Allenfalls einige Hörer. Reaktionäre finden sich aber auch in anderen Musikgattungen.


    Loge


  • Das sehe ich anders, vielleicht hätte ich es deutlicher formulieren müssen.


    Schau mal unter http://de.wikipedia.org/wiki/Kunst nach, dort steht:


    Zitat

    Kunst ist ein deutsches Wort. Bereits im Althochdeutschen lautete es „kunst“ (Plural „kunsti“), im Mittelhochdeutschen „kunst“ bzw. „künste“ (Pl.). Ursprünglich ist kunst ein Substantivabstraktum zum Verbum „können“ mit der Bedeutung "das, was man beherrscht; Kenntnis, Wissen, Lehre, Meisterschaft". Die Redewendung "Kunst kommt von Können" ist also etymologisch, dem Wortursprung nach, richtig.


    In diesem Sinne setzt sich Kunst mit dem, was da ist, auseinander, und versucht daraus Neues zu schaffen.


    Und deswegen denke ich schon, daß diese Sichtweise diskutabel ist.


    Und wenn ich mir ansehe, wie "sichtbar" (was ich ja schon öfter hier erwähnt habe) Picasso z.B. die Kunst "revolutioniert" hat, so denke ich auch, daß dann die "neuere Kunst", also nicht die Kunst, die in kultischem, religiösem Sinne erzeugt wurde, "reflexiv" ist, sich also mit dem "Bisherigen" auseinander setzt, dies weiterentwickelt, und umstürzlerisch sein kann.


    Bedenkenswert?


    Matthias


    Nachträgliche Ergänzung: An der angegebenen Quelle findet sich auch noch (unter Moderne):


    Zitat

    Mit dem Beginn der Moderne beginnt zugleich der Antagonismus der Gegenmoderne. Waren bis zur Aufklärung die Adressaten für Kunst nur ein sehr kleiner Kreis (der Klerus, der Adel, das reiche Bürgertum), so erweitert sich das Publikum mit der Entstehung des freizugänglichen Kunstmarktes, den zu seiner Förderung veranstalteten öffentlichen Ausstellungen ("Salons) und den in der Presse eröffneten Debatten über Kunst, der massenhaft verlegten Literatur etc. beträchtlich. Zugleich konzentrierte sich die künstlerische Auseinandersetzung sowohl in bildender Kunst wie der Musik oder Literatur immer stärker auf die Untersuchung der eigenen Entstehungsbedingungen. In dem Maße, in dem sich die Kunst selbst thematisierte (Metakunst), verlor sie das Interesse der breiten Schichten, denen sie als Avantgarde eigentlich vorangehen wollte.


    Und unter Postmoderne findet sich:


    Zitat

    Die postmoderne Anschauung von Kunst stellt zum Teil die Ideen von Freiheit, Originalität und Authentizität wieder in Frage, setzt bewusst Zitate anderer Künstler ein und verbindet historische und zeitgenössische Stile, Materialien und Methoden und unterschiedliche Kunstgattungen miteinander. Kunstbetrieb und Ausstellungsorte werden von einer Metaebene aus hinterfragt (White Cube). Die Grenzen zwischen Design, Popkultur und Subkultur einerseits und Hochkultur andererseits verschwimmen.


    Und noch eine Ergänzung:


    Beatles, All you need is love... basiert auf "älteren Dingen", wenn auch ziemlich direkt zitiert...
    Roll over Beethoven, Chuck Berry


    Think about it?

  • Bloßes Musikhören ist natürlich nicht besonders subversiv. Und schon gar nicht wird etwas subversiv, weil es nur (relativ) wenige Anhänger hat.
    Aber allein die Tatsache, dass eine Menge Kunst/Musik/Literatur im Lauf der Geschichte immer wieder verboten oder jedenfalls von Autoritäten äußerst mißtrauisch beäugt wurde, zeigt an, dass sie wenigstens von denen, die Furcht vor Umstürzen hatten, für subversiv gehalten wurde...
    Deutlich wird das schon in der berühmten Stelle in Platons Staat, wo alle Musik, die nicht mit der Staatsraison verträglich ist (also etwa Verweichlichung oder Müßiggang fördert, abgeschafft werden soll, ganz neu ist die Idee mithin nicht ;))
    Und sprach nicht der eher reaktionäre Bruch mit Bezug auf Reger (?) abfällig von "musikalischer Sozialdemokratie"?
    Ich finde Rosens These durchaus überzeugend. Der Keim der Subversion ist dann gegeben, wenn Kunst emphatisch nur ihre eigenen Regeln anerkennt (Wie fang' ich nach der Regel an? - Ihr stellt sie selbst und folgt ihr dann!).
    Damit begrenzt sie den Herrschaftsbereich der bestehenden Verhältnisse und deutet an, dass oder sogar wie es anders sein könnte. Ein solch utopisches Moment findet sich nicht erst ab der Klassik, sondern vorher auch schon, wenngleich meistens in geistlicher Musik, wo das natürlich wieder ambivalent wird.
    Dieser gesellschaftskritisch-utopische Aspekt wird gewiß von Adorno & Co etwas zu stark hervorgehoben, es geht in der Musik sicher nicht NUR darum. Aber andererseits ist er in einigen Stücken, etwa bei Beethoven und Wagner tatsächlich mit Händen zu greifen.


    viele Grüße


    JR

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    (Bob Dylan)

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  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Bloßes Musikhören ist natürlich nicht besonders subversiv.


    Oh, es kann sehr selbstzerstörerisch sein! :pfeif: Ich kann mich da dem Threaderöffner in gewisser Weise nur anschließen.

    29.08.1958 - 25.06.2009
    gone too soon

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Bloßes Musikhören ist natürlich nicht besonders subversiv. Und schon gar nicht wird etwas subversiv, weil es nur (relativ) wenige Anhänger hat.
    Aber allein die Tatsache, dass eine Menge Kunst/Musik/Literatur im Lauf der Geschichte immer wieder verboten oder jedenfalls von Autoritäten äußerst mißtrauisch beäugt wurde, zeigt an, dass sie wenigstens von denen, die Furcht vor Umstürzen hatten, für subversiv gehalten wurde...


    Und dann kommen wir zu z.B. diesen Dingen:



    Wirklich sehr einfühlsam! Gefällt mir gut!


    Matthias

  • Zitate eines Kumpels der mit im Urlaub war ;-) (bisschen unmusikalisch :-/ )


    "Du hast Geschmacksverirrungen! Ist in deiner Kindheit was falsch gelaufen?"


    "In 100 Jahren werden vielleicht noch ein paar Hundert leute Klassik hören und in spätestens 300 Jahren ist Klassik ganz ausgestorben!"
    (Ich entgegnete: "So ein Unsinn, fast jeder der sich viel mit Musik beschäftigt hört Klassik", er: "Ja, weil sie es tun müssen!!!")


    "Sowas kann JEDER komponieren, sogar ich!" (nachdem ich Bartoks Violinkonzert (2.) durchlaufen lassen hatte)


    usw.


    Es gibt nichts wo die Schere der Geschmäcker und das Unverständnis so groß ist, oder? Ich kenne mich zwar nicht so aus, aber z. B. über Goethes Faust redet niemand so herabwertend, berühmte Werke aus der bildenen Kunst werden meist von allen anerkennend wahrgenommen (ich erinnere mich an eine Kursfahrt nach Paris, wo sich alle begeistert auf das Bild der Mona Lisa im Museum stürzten).
    Da fragt man sich doch nach den Ursachen...

    "Das Große an der Musik von Richard Strauss ist, daß sie ein Argument darstellt und untermauert, das über alle Dogmen der Kunst - alle Fragen von Stil und Geschmack und Idiom -, über alle nichtigen, unfruchtbaren Voreingenommenheiten des Chronisten hinausgeht.Sie bietet uns das Beispiel eines Menschen, der seine eigene Zeit bereichert, indem er keiner angehört." - Glenn Gould


  • Zum "Das kann ich auch" Phänomen ist zu sagen: Das gilt nicht nur für die Musik, sondern auch für die Malerei, da gibt es genug, die bei "Mona Lisa" stehengeblieben sind, und mit Picasso oder noch viel neueren Dingen rein gar nichts anfangen können. Und zu Picasso oder Klee sagen: "Das kann doch jedes Baby!"


    Doch, auch zu Goethe oder Thomas Mann gibt es solche Aussagen: "Tod in Venedig: Da läuft einer stundenlang durch Venedig und stirbt dann!"


    Das Problem bei all diesen Dingen ist doch, daß das Verständnis für Kunst nicht vom Himmel fällt, und eine Sozialisations-(und damit eine Kultur)-leistung ist, und damit auch mit Lernen und Arbeit verbunden ist.


    Bei der Musik kommt noch hinzu, daß viele Leute denken, Musik müsse aus sich selbst heraus wirken. Dabei wird vergessen, daß das, was wirkt, nur deswegen wirken kann, weil wir es "erlernt" haben (vielleicht mit wenigen Ausnahmen), und Pop-Musik (wo ich mal davon ausgehe, daß Dein Kumpel z.B. meinte, Marylin Manson sei "besser" als Bartok), im "guten" Fall, sich intensiv (wenn auch nicht immer in "intellektuel schriftlich niedergeschriebener Form" ) mit dem "Davor" auseinandersetzt.


    Ich denke, die Schere ist bei der Musik auch nicht größer als in der Architektur, oder Literatur, oder...


    Nur ist die Erwartungshaltung in der "breiten Masse" eine andere bei Musik als bei Architektur oder Literatur. Und wir werden in Kaufhäusern ja auch nicht mit "Hörbüchern" "beschallt", sondern mit "Musik", und auch daher bekommt die Musik einen anderen Stellenwert.


    Das Problem bleibt aber das gleiche: Kunst ist immer mit Wissen verknüpft, und braucht damit eine "Anleitung zum Verständnis", und das wollen wir ja mit Tamino auch erreichen, oder?


    Matthias

  • Bevor man ein Buch in den Boden stampft, muss man es erst einmal (an-)gelesen haben und das macht Arbeit - deswegen enthält man sich da eher einfach mal ;)


    Musik ist eingängig und schnell bequem konsumierbar, daher auch eine Meinungsbildung ratz fatz möglich; ältere Malerei ist bei oberflächlicher Betrachtung ja meist "OK", modernere na ja...
    Wie viele werden wohl dazu



    etwas Positives sagen außer "na, das kann ich oder der Schimpanse meiner Tante auch" :stumm:


    :hello:
    Stefan

    Viva la libertà!

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