Klangunterschiede beim Fortepiano

  • Salü,


    jetzt hat man schon die große Wahl zwischen „herkömmlich“ [also modernen Tasteninstrumenten] und „hip“ [damit meine ich das Fortepiano, den Hammerflügel]. Eigentlich sollte man zufrieden sein… aber jetzt gibt es auch noch gravierende Klangunterschiede bei diesen Viechern: Nicht nur zwischen den einzelnen Herstellern [z. B. Stein vs. Walter], sondern auch innerhalb der jeweiligen Hersteller tauchen ganz enorme Klangunterschiede auf.


    Aufgefallen ist mir dies beim Hören von HIPpen Krauseinspielungen seiner Soloklavier- bzw. Klavier-Violin-Sonaten, die ich mir erst kürzlich zugelegt habe [ich kannte sie vorher, da ich die Handschriftenkopien habe bzw. auch von der NAXOS-Einspielung und einer Einspielung durch Alexandra Oehler/SWF].


    Meine bisherige Hörerfahrung hat mich gelehrt, dass Nachbauten die „besseren Originale“ sind. Doch seit dem Vergleich dieser beiden Einspielungen möchte ich daran zumindest teilweise zweifeln:



    Joseph Martin Kraus: Werke für Klavier solo
    Gespielt von Mario Martinoli
    auf einem Instrument von Ferdinando Granziera
    gebaut 1990 nach Andreas Stein, c1782


    und



    Joseph Martin Kraus: Violinsonaten
    Gespielt von Vaughan Schlepp
    auf einem Instrument von Paul McNulty
    gebaut nach Andreas Stein, c1785


    Während der McNulty einen sehr präzisen und ganz hervorragenden Klang hat, ist der Granziera deutlich unausgewogener, ja er klingt beinahe wie ein unrestaurierter und scheppernder Dachbodenfund. Jedoch bietet er offenbar den Vorteil, vergleichsweise detailliert zu Nuancieren, er legt eine Breite an Dynamik an den Tag [oder die Nacht, je nachdem, wann man hört]. Mich stört daran aber das Hakeln – ein Klang der eigentlich nur beim Cembalo auftritt [und dort auch zum Klang dazugehört], wenn also beispielsweise der Pianist nach dem Spielen des [Schluß-] Akkordes die Pfoten von der Tastatur nimmt, klickt es nochmals kurz. Wie kann das bei einem Hammerklavier sein?


    Beide Instrumente wurden ja nach einem ebensolchen aus der Klavierfabrikatur Stein stammenden Original nachgebaut - der Unterschied beträgt 3 Jahre. Gab es beim Fortepiano tatsächlich innerhalb der Kürze dieser Zeit eine derart vorteilhafte Weiterentwicklung oder gibt es zudem auch noch unterschiedliche Qualitäten beim Nachbau? *stöhn* Inwiefern ist überhaupt ein 1:1-Nachbau möglich? Mir ist dabei durchaus bewußt, dass es im 18. Jahrhundert keine "Serienproduktion" im heutigen Sinne gab, wo wirklcih jedes Produkt dem anderen glich, wie ein Ei dem anderen - das ist natürlich auch das Interessante daran.


    Welche klangqualitativen Unterschiede gibt es überhaupt bei solchen Instrumenten? Nachbauten wie Originale dürfen besprochen werden.


    Tja, Fragen über Fragen...


    Bis neulich


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Solche neumodischen Teufelswerke wie Hammerklaviere fallen eigentlich nicht in mein Ressort. :D
    Aber da die diese frühen Dinger ja noch viel mit dem Cembalo gemeinsam haben, hier ein paar lose Anmerkungen zu diesen Aspekten.


    Zitat

    der Unterschied beträgt 3 Jahre


    Nein, der Unterschied beträgt auch zwei Kopierer. Da ich beide nicht kenne, sage ich nichts weiter.


    Zitat

    Inwiefern ist überhaupt ein 1:1-Nachbau möglich?


    Er ist nicht möglich, weil Du denselben Baum nicht zweimal fällen kannst.
    Das betrifft in erster Linie den Resonanzboden, der aus mehreren Brettern feinjähriger Hochgebirgsfichte (oder auch mal -tanne) zusammengesetzt wird. 1:1 geht nicht. Und das Ausdünnen, das aus dem zusammengeleimten Stück erst etwas macht, was überhaupt klingen kann, ist wieder eine Wissenschaft für sich. Da muss man die Rauhbank schon öfter in der Hand gehabt haben. Wenn es da nicht stimmt, nützt es auch nichts, wenn der Rest vom Original nicht zu unterscheiden ist.


    Zitat

    aber das Hakeln – ein Klang der eigentlich nur beim Cembalo auftritt


    Beim Cembalo rauschen die Kiele dann nach unten und zupfen nochmal leise, was sofort von den Dämpfern, die mit den Kielen am selben Springer sitzen und sich direkt auf die Saiten legen, sofort unterdrückt wird. Die kompliziertere Dämpfermechanik (x Erfindungen von x Klavierbauern zu der Zeit) der Hammerklaviere läuft über eine eigene Mechanik, die schuld an dem Geräusch sein dürfte.



    Schöne Grüße
    Hildebrandt


    edit: Saiten hatte ich mit e geschrieben. Gott, wie peinlich. :O

  • Tolles Thema und sehr interessant, allerdings kann ich nicht so sachverständige Beiträge wie Hildebrandt schreiben.


    Hinweisen möchte ich auf das Büchlein vom Verlag Beethovenhaus Bonn:


    "Beethoven und die Wiener Klavierbauer Nannette und Andreas Streicher".


    Hier wir allerhand zusammengetragen, was man von der Familie Stein - Streicher weiß.
    Beethoven hat an der Weiterentwicklung des Instrumentes , wie allgemein Konsens ist, einen erheblichen Anteil. Er hat offenbar auch allerhand Leuten geraten, welches Instrument sie sich anschaffen sollen. Das heißt, daß er entsprechende Kenntnisse hatte.


    Daß in seiner Zeit noch niemand auf die Idee kam, den Rahmen nicht mehr aus Holz, sondern aus Stahl zu machen, ist schade. Vielleicht liege ich falsch, aber das ist wohl der größte Fortschritt gewesen, denn die ewige Verstimmung war dann nicht mehr ein so dominantes Problem.


    Die Box

    kann die Klangunterschiede verschiedener Nachbauten und Originale sehr gut demonstrieren.


    Kennt Ihr die Aufnahme


    Das Stein´sche Hammerklavier, kombiniert mit einem Cembalo der ausgereiftesten Art läßt den weiten Weg hören, den das Hammerklavier noch vor sich hatte bis zu den Instrumenten unserer Zeit. Eine tolle Aufnahme!


    Von Paul Badura-Skoda habe ich wenige Beethoven´sche Klaviersonaten, gespielt auf seinen gesammelten Schätzchen. Jede klingt anders - ach, bekäme ich doch einmal die Box in die Finger


    Gruß aus Bonn :hello:

    Was Du nicht willst, das man Dir tu, das füg auch keinem andern zu

  • Hallo allerseits,


    eine recht preiswerte Möglichkeit sich unterschiedliche Fortepianos anzuhören und zu vergleichen, bietet die Gesamtaufnahme der Klaviersonaten von Haydn bei Brilliant:



    Hier werden sowohl Originalinstrumente als auch Nachbauten gespielt. Genauere Informationen zu den einzelnen Instrumenten habe ich hier leider nicht zur Hand (kann ich aber - wenn gewünscht - nachliefern, wenn ich wieder zuhause bin). Ich habe die Box schon komplett durchgehört, und keines der verwendeten Instrumente scheppert oder hakelt. Die Instrumente klingen teilweise schon recht charakteristisch und unterscheiden sich deutlich voneinander, aber bei keinem hatte ich den Eindruck, dass es unausgewogen klingt.


    Ich habe eine CD mit Klavierwerken von Wilhelm Friedemann Bach, gespielt von Harald Hoeren auf einem Fortepiano (cpo, nicht mehr erhältlich). Das von ihm verwendete Instrument (um welches es sich handelt, kann ich erst zuhause nachschlagen) klingt im Vergleich zu den Instrumenten der Haydn-Box sehr unausgewogen. Einige Töne klingen sauber, andere sirren oder scheppern leicht - da macht das Zuhören keinen Spass :no:


    Aufgrund dieser CD hatte sich bei mir eine gewisse Abneigung gegen Fortepianos entwickelt - umso erfreuter war ich, als ich bei der Haydn-Box dann festgestellt habe, dass es auch erheblich besser geht.


    :hello: Andreas

  • Zitat

    Original von Stabia
    Kennt Ihr die Aufnahme


    Das Stein´sche Hammerklavier, kombiniert mit einem Cembalo der ausgereiftesten Art läßt den weiten Weg hören, den das Hammerklavier noch vor sich hatte bis zu den Instrumenten unserer Zeit. Eine tolle Aufnahme!


    Ja, ich habe mir die CD mittlerweile angehört.


    Gespielt wird drauf - nicht weiter überraschend - absolut zum Niederknien, das Instrument ist ebenfalls interessant. Empfehlen möchte ich die CD trotzdem nicht, denn es handelt sich um eine ziemlich unergiebige Zusammenstellung von Nebenwerken: ich hätte es nie für möglich gehalten, mich bei Spiel auf diesem musikalischen Niveau langweilen zu können...


    Die CD halte ich daher nur in Hinsicht auf das Instrument für interessant: wer mir ein Angebot machen möchte...


    LG,
    BBF

    "Dekonstruktion ist Gerechtigkeit." (Jacques Derrida)


  • Salü,


    die obige Schornsheim-Haydn-Box bietet ebenfalls einen ziemlcih guten Querschnitt durch verschiedenartige Instrumente: Alle Klaviersonaten Joseph Haydns [inkl. der vierhändigen, hier spielt Andreas Staier mit] werden auf den jeweiligen Instrumenten der nachgewiesenen oder vermuteten Enstehungszeit gespielt. Verwendet werden folgende Instrumente:


    Doppelmanualiges Cembalo
    nach William Dowd von Reinhard v. Nagel, Paris 1976


    Bundfreies Clavichord
    nach Joseph Gottfried Horn [1788] von Burkhard Zander, Köln 1999


    Doppelmanualiges Cembalo
    Jacob und Abraham Kirckman, London 1777
    [Originalinstrument]


    Hammerflügel/Fortepiano
    Louis Dulcken, München 1793
    [Originalinstrument]


    Hammerflügel/Grand Piano
    John Broadwood and Son, London 1804
    [Originalinstrument]


    Das Booklet enthält viele wertvolle Informationen über die jeweiligen Instrumente und [Spiel]-Techniken, die mir aber nicht besonders gut umgesetzt erscheinen. Zudem beinhaltet CD 14 ein Gespräch von Christine Schornsheim mit Clemens Goldberg - je Instrument ein Track nebst Einführung und Schlußworten.


    Die Box ist auf jeden Fall lohnenswert [allein der Preis: 19,99 €] - die Interpretationen empfinde ich als unterschiedlich gelungen.


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Ich kann mich Ullis Empfehlung nur anschließen - mit der Einschränkung, dass ich von den Interpretationen einschränkungslos begeistert bin. Dowd hat zwar in manchen Kreisen einen eher schlechten Ruf (so ähnlich wie die sprichwörtlichen "Neupert-Nähmaschinen"), aber auf die hier verwendeten Cembali von seiner Hand trifft das jedenfalls nicht zu. Auch die zwei Hammerflügel sind einerseits sehr klangschön und andererseits klanglich sehr unterschiedlich, so dass man ein breites Spektrum geboten bekommt. Das Kirckman-Cembalo ist besonders wegen seiner "special effects" das Hinhören wert.


    Die Interpretationen sind, wie man es von Frau Schornsheim gewohnt ist, hochdynamisch und platzen geradezu vor Spielfreude. Das führt bei einigen Stücken zu schnelleren Tempi und größerer Intensität und Dramatik als man vielleicht erwarten würde, aber jedenfalls für mich handelt es sich auch in den Extremen um nachvollziehbare, gültige, mich restlos überzeugende, ja begeisternde Aufnahmen.


    Eine große Haydn-Tat, die bei diesem Preis nur allerwärmstens empfohlen werden kann!


    LG,
    BBF

    "Dekonstruktion ist Gerechtigkeit." (Jacques Derrida)

  • Die Schornsheim-Aufnahme schiebe ich immer noch vor mir her - ich fürchte mich halt vor moderner Musik. :D


    Zitat

    Original von Barockbassflo
    Dowd hat zwar in manchen Kreisen einen eher schlechten Ruf (so ähnlich wie die sprichwörtlichen "Neupert-Nähmaschinen"), aber auf die hier verwendeten Cembali von seiner Hand trifft das jedenfalls nicht zu.


    Was sind denn das für "Kreise"? 8o
    Dowd hat in seinem ganzen Leben keine einzige Nähmaschine gebaut. Ganz im Gegenteil. Er war doch der, der zusammen mit Hubbard schon in den 40ern angefangen hatte, die historische Bauweise zu propagieren und entsprechende Instrumente herzustellen.
    Die allerersten waren die beiden allerdings nicht, wie es in dem Haydn-Booklet heißt. Da gab es schon die Dolmetsch-Dynastie in England. Und außerdem haben in Deutschland Schütze und Skowroneck damit begonnen, bevor sie Dowd und Hubbard kennengelernt haben.
    Kein Rufmord an Dowd! :motz:

  • Zitat

    Original von Ulli
    Die Box ist auf jeden Fall lohnenswert [allein der Preis: 19,99 €] - die Interpretationen empfinde ich als unterschiedlich gelungen.


    Ich habe diese Box auch, aber ich bin damit nicht warmgeworden. Ich weiss nicht warum, aber Frau Schornsheims Interpretationen sprechen mich nicht an, lassen mich sozusagen kalt. An den verwendeten Instrumenten liegt es jedenfalls nicht; ich bin ja auch nicht derjenige, der etwas gegen Cembali oder Clavichords einzuwenden hätte...


    Die Haydn-Box von Brilliant dagegen hat mich sofort begeistert. Hier die Liste der verwendeten Instrumente, wie bereits angekündigt:


    - Fortepiano von Chris Maene nach Anton Walter
    - Fortepiano von Joseph Kirckman 1798
    - Fortepiano von Thomas und Barbara Wolf nach Johann Schantz
    - Fortepiano von Paul McNulty nach Anton Walter
    - Fortepiano von Broadwood (1794)
    - Fortepiano von einem anonymen Wiener Instrumentenbauer, ca. 1785


    :hello: Andreas


  • Könnte sein, dass ich mir deswegen die Box zulegen muß. Der McNulty [ich nehme an, es ist derselbe wie jener bei Kraus] klingt nämlich totgeil. :yes:


    Schornsheim hat es für meinen Geschmack nicht so mit eindeutigen Tempi - da wird mir zu viel "ad libitum" [also kein echtes rubato] gespielt und kein Tempo wirklich durchgehalten. Das stört mich bzw. den Fluß der Musik.


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

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  • Zitat

    Original von Ulli
    Könnte sein, dass ich mir deswegen die Box zulegen muß. Der McNulty [ich nehme an, es ist derselbe wie jener bei Kraus] klingt nämlich totgeil. :yes:


    Naja - ich hätte mich da etwas weniger jugendnah ausgedrückt :wacky:


    Das McNulty-Instrument wurde 1996 gebaut und stammt aus der Sammlung von Stanley Hoogland. Es wird auf 6 der 10 CD's gespielt, allerdings nicht durchgängig.


    :hello: Andreas

  • Salü,


    keinesfalls unerwähnt bleiben darf hier das originale Pianoforte von Johann Fritz [Wien, c1805/1810], welches sich erfreulicher Weise im Besitz von Arthur Schoonderwoerd befindet, der es dann auch gleich auf geniale Weise befingert... ich glaube, es ist schon ein ernstzunehmender Unterschied, ob diverse [sehr gute] Künstler gelegentlich auf diversen [sehr guten] Instrumenten spielen und einspielen, oder ob sich das Instrument in dauerhafter Nähe des Künstler befindet und die beiden quasi "eins" werden. Hier ist das der absolute Fall:



    Ludwig van Beethoven
    Klavierkonzerte Nrn. 4 & 5


    Ensemble Cristofori
    Arthur Schoonderwoerd


    Dieses Instrument klingt einfach so wunderbar, dass sich dafür keine Beschreibung finden lässt. Das Instrument wird auch hier verwendet:



    Franz Schubert
    Winterreise


    Jörg Mammel
    Arthur Schoonderwoerd


    Man mag Mammel mögen, oder auch nicht, allein wegen der Begleitung Schoonderwoeords und seines Instrumentes ist diese Aufnahme für mich unverzichtbar!


    Was für erschreckende Momente der Pianist mit den Tasten herzaubern kann! Da ist glaube ich tatsächlich etwas für den Gruselthread dabei.


    Viele Grüße
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)