Schnitzer bei Libretto-Übersetzungen

  • In den Booklets von fremdsprachigen Operneinspielungen bekommt man üblicherweise eine mehr oder weniger gelungene Übersetzung des Librettos. Eigentlich sollte man man meinen, dass da Profis am Werk sind. Zumal ihr Name für alle Zeiten in tausendfacher Ausführung unter der Übersetzung steht und das "Werk" weltweit verteilt wird.


    Nichtsdestrotrotz sind manche Übersetzer mit ihrer Aufgabe überfordert, oder - falls der Fehler im Eifer des Gefechts entstand - es hapert am Qualitätsmanagement. Ist es denn zuviel verlangt, wenn man als Kunde erwartet, dass sich ein Muttersprachler (z.B. einer der vielen in Deutschland angestellten italienischen Sänger, die das Werk kennen oder gar selbst singen) die Übersetzung hinterher anschaut? Oder dass sich die Übersetzer für Deutsch, Englisch und Französisch kurzschließen, um sich gegenseitig zu korrigieren?


    In diesem Thread sollen die gröbsten Schnitzer aufgelistet werden. Nicht irgendwelche ungenauen oder zu freie Übersetzungen. Sondern krasse, sinnentstellende Fehler, die der Lehrer mit dickem roten Stift angestrichen hätte.



    Ich meine natürlich die Übersetzungen, die den Anspruch haben, den Sinn möglichst wortgetreu wiederzugeben und die man nicht singen kann. Bei Übertragungen mit dem Ziel der Singbarkeit muss man andere Maßstäbe anlegen. Nichtsdestotrotz: Wer hier etwas zu kritisieren hat, soll das ruhig auch bringen. Dann aber bitte an den armen Übersetzer denken, der ja durch die vorgegebene Musik stark eingeschränkt ist...



    Thomas Deck

  • Hier also das erste Beispiel. Ist ganz witzig.


    Haydn, Orlando Paladino, die Harnoncourt-Aufnahme.


    2. Akt, Nr. 31


    Pasquale (Orlandos Knappe) sagt zu Eurilla, dem Hirtenmädchen:


    "Ascolta un pochettin, se ti sposassi, potrei venir con te."


    "Hör einmal, wenn ich dich heiraten würde, könnte ich mit dir kommen."


    Dummerweise hat sich im Booklet ein Druckfehler eingeschlichen:
    "... potrei venir conte."


    Der deutsche Übersetzer hat das gemerkt, aber sein englische Kollege schreibt doch glatt:


    "If I married you, I could become a count."


    Den Trick muss man sich merken. Wer als Knappe ohne Umwege zum Grafen aufsteigen will, heiratet einfach ein Hirtenmädchen. :hahahaha:



    Thomas Deck

  • Damit der Thread am Leben bleibt:


    Immer noch Haydns "Orlando Paladino". Gegen Ende drohen sich Rodomonte und Orlando nicht mehr mit gegenseitiger Vernichtung, sondern sie schlachten gemeinsam irgendwelche Feinde ab. Rodomonte kehrt als erster vom Kampf zurück und erzählt:


    "Gli altri già furon da Orlando debellati; con lui poc'anzi in amistà tornai."


    ("Die anderen wurden schon von Orlando besiegt; mit ihm habe ich vor kurzem Freundschaft geschlossen.")


    Wird leider übersetzt mit:
    "Die anderen wurden schon von Orlando besiegt; ihm sind sie jetzt in Freundschaft zugetan."


    Geht irgendwie schlecht, wenn sie alle tot sind...



    Thomas Deck

  • Immer noch Haydns "Orlando Paladino". Das folgende Beispiel ärgert mich nicht, weil falsch übersetzt wurde, sondern weil der Fehler die Folge einer der vielen sinnentstellenden Streichungen der Harnoncourt-Aufnahme ist.


    Bei Harnoncourt heißt es:


    [Liebesgespräch zwischen Angelica und Medoro. Gegen Ende: ]
    Medoro: "Son teco, vita mia. (Mi trema il core.)"
    Angelica: "Ah, ferma per pietade, il colpo arresta."


    ("Ach, hab Erbarmen, halt' ein, schlage nicht." [wörtlich: stoppe den Schlag].)


    Also ein vollkommen unsinniger Satz in dem Moment. Wer droht hier mit einem Schlag??? Dem Übersetzer kam das auch spanisch vor, daher erfand er diese "Übersetzung":
    "Ach, leg die Waffen nieder und lass uns ziehen."


    Das passt zum Dialog, nur eben nicht zu dem originalen Satz. Der Blick ins Original-Libretto bringt die Lösung:


    Zwischen Medoros und Angelicas Satz taucht Orlando auf und droht mal wieder mit Mord und Totschlag:
    Orlando: "Fermatevi, scellerati! [a Medoro: ] Dal seno imbelle voglio svellerti il core."
    ("Bleibt stehen, ihr Schurken! [zu Medoro: ] Ich möchte dir das Herz aus deiner feigen Brust herausreißen.")


    Dann passt natürlich Angelicas Satz ("Ach, hab Erbarmen, halt' ein, schlage nicht."), den sie halt nicht zu ihrem Geliebten, sondern zu Orlando sagt. Aber in dem Moment, wo sie das sagt, weiß der Übersetzer nicht, dass inzwischen Orlando aufgetaucht ist. Weil man das ganze Rezitativ sinnentstellend umgeschrieben hat, um ca. 10 Wörter (= 10 Sekunden) zu sparen.


    Die Harnoncourt-Einspielung wimmelt derart von solchen nervigen Streichungen, dass ich beschlossen habe, zum Vergleich auch die Dorati-Aufnahme zu kaufen.



    Thomas Deck


  • Hallo Thomas, dem stimme ich schon zu: zumindest bei groben „Schnitzern“, welche den Sinn total umkehren, wie etwa bei „con te“ = „mit dir“ und „conte“= „Graf“.
    Im Detail lassen sich allerdings manche Wörter schlicht nicht übersetzen, da es sie in einer anderen Sprache oft schlicht nicht gibt, ganz abgesehen von den Feinheiten, die es in der Regel nur in der Herkunftssprache gibt. Mir erklärte ein Franzose, der passabel Deutsch spricht und schreibt, mal ganz plakativ, dass im Französischen das Wortspiel eine Art nationale Tugend sei, und jedes Wort im Französischen etwa eine Bedeutung habe und eine genau gegenteilige. In der deutschen Sprache ist mir dies unbekannt, da man dort wohl genauer vorgeht. Dazu kommt allerdings auch noch, dass beim Singen, ein Satz nicht länger sein sollte, als das Original, da man das Stück sonst umkomponieren müsste, und vieles im Deutschen dann so ganz anders klingt, aber lustig finde ich diesen Thread allemal.


    :hello:

  • Zitat

    Original von Michael
    ... Mir erklärte ein Franzose, der passabel Deutsch spricht und schreibt, mal ganz plakativ, dass im Französischen das Wortspiel eine Art nationale Tugend sei, und jedes Wort im Französischen etwa eine Bedeutung habe und eine genau gegenteilige. In der deutschen Sprache ist mir dies unbekannt, da man dort wohl genauer vorgeht. ...


    Nein, da könnte man im Deutschen genügend ähnliche "Komplikationen" anführen. Man darf dabei nicht in Versuchung geraten, nach einem Äquivalent zu suchen, denn die Sprachen sind nun einmal unterschiedlich und so sind es auch ihre "Spezialitäten".


    Nimm zum Beispiel einmal die für einen Übersetzer haarige Tatsache, dass in der deutschen Umgangssprache der Komparativ sehr oft sinngemäß das Gegenteil aussagt, nämlich keine Steigerungsform sondern eine Art Verkleinerungsform zu sein. Eine "jüngere Frau" ist eben keine junge oder noch weniger, sondern eine nicht mehr ganz so junge während die "ältere Frau" keine besonders alte sondern eben eine "noch nicht" alte ist.


    Mit ein wenig Nachdenken ließen sich genug Beispiele finden, wo Worte nicht in ihrem ursprünglichen Sinn verwendet werden. Aber in einem Punkt stimme ich zu. Der durchschnittliche Franzose dürfte mehr Sinn für Wortspiele haben, als der durchschnittliche Deutsch sprechende. Es könnte schlicht und einfach deswegen sein, weil das Deutsche im Vergleich zum Französischen doch eine etwas nüchternere Sprache ist.

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Hier vielleicht noch ein Notenbeispiel, mit der traumhaft schönen Stimme von Fritz Wunderlich:
    http://www.youtube.com/watch?v=YctVLb1Etug
    Hier wird anstatt „cara ed amabile“, schlicht „ca raed am a bile“ geschrieben, wohl aus gesangtechnischen Gründen. Klingt fast englisch nicht? (lach).
    Was mir aber immer bei "nicht" italienischen Sängern auffällt, ist dieses harte „K“ bei „cara“, das weder als „k“ noch als „g“ ausgesprochen gehört, sondern „dazwischen“, leider wird dies in der Regel nie befolgt. „Liebste“ oder „Beste“ sollte denn auch eher weich und romantisch klingen (lach) Ich dachte immer die phonetische Schrift wäre bekannt (lach). Nur einen vergleichbaren Laut gibt es im Deutsche nicht. Lucia Popp sang dies noch korrekt..............


    PS: Na ja Thomas, wir sind uns sicher einig: „Übersetzen sein harte Arbeit, wenn nicht unmeglich“ (lach).
    Ach ja noch was Thomas: „il colpo arresta“ könnte man rein grammatikalisch richtig mit „das Schicksal lähmt“ übersetzen (lach), tunwa aber nich gelle? (lach)


    :hello:

  • Hier mal ein umgekehrtes Beispiel, Lohengrin 1. Akt – 1. Szene (lach)


    DER HEERRUFER


    Hört! Grafen, Edle, Freie von Brabant!
    Heinrich, der Deutschen König, kam zur Statt,
    mit euch zu dingen nach des Reiches Recht.
    Gebt ihr nun Fried und Folge dem Gebot?


    L'ARALDO DI GUERRA


    Udite! Conti, nobili e uomini liberi del Brabante!
    Enrico, il re tedesco, in questo luogo è venuto,
    per trattar con voi secondo il diritto dell'impero.
    Or promettete pace ed obbedienza al suo comando?


    Viel zu sülzig, aber anders geht es wohl nicht, also sollte man beim Original bleiben, zumal die Sprache bei Wagner so wichtig ist.



    :hello:

  • Bei den Haydn-Opern könnte man regelmäßig verzweifeln. Hier wollte man es sich besonders einfach machen:



    Man übersetzte nicht, sondern stellte einfach den Text der deutschen Version daneben. Leider ohne Quellenangabe, so kann man nur mutmaßen, ob es sich evtl. um die recht freie Übertragung von Robert Hirschfeld von 1895 handelt.


    Aus:
    "Trovato hanno gl'Indiani un'invenzion nell'Isole Molucche di far col fil di ferro le parrucche."


    wird da schon mal:
    "In einem Gewässer von Schottland, genannt Loch Ness, gewahrten viele Fischer ein ungeheures Wesen wie eine Schlange."


    Also muss man selbst übersetzen. Goldonis Sprache ist nicht so schwierig. Nur leider ist der italienische Text übersät mit Fehlern, jeweils mehrere pro Seite. Wer kein Italienisch kann, wird in vielen Fällen auch mit dem Wörterbuch nicht weit kommen. Heftig ist z.B. so etwas:


    "Il ciello li ha i spirati, perché se gl'ammalati prendean tai medicine, ho ben paura che andassero a quarire in sepoltura."


    "ciello = cielo" ist klar.
    Bei "i spirati = ispirati" muss man schon aufpassen.
    Aber quarire??? Zufälligerweise fand ich das Original von Goldoni: guarire! (heilen, genesen)


    Erst dann kapiert man es:
    "Der Himmel hat es ihnen eingegeben [zu verschwinden] (bezieht sich auf die Stelle davor), denn wenn die Kranken solche Medizin nehmen würden, befürchte ich, dass sie im Grab genesen würden."



    Da wird also mit viel Aufwand eine schöne Oper einstudiert, aufgeführt, aufgenommen und weltweit vertrieben. Aber man findet niemanden, der es gebacken kriegt, einen Text fehlerfrei abzutippen.


    Es geht hier nicht um Tippfehler in Forumsbeiträgen. Es geht um weltweit verkaufte Referenzaufnahmen von Opern eines weltberühmten Komponisten...



    Thomas Deck


  • Übersetzung ohne Gewähr:


    "Trovato hanno gl'Indiani un'invenzion nell'Isole Molucche di far col fil di ferro le parrucche."


    Die Indianer sahen auf den Molukkeninseln wie man aus Eisendrähten, Perücken macht.


    "Il ciello li ha i spirati, perché se gl'ammalati prendean tai medicine, ho ben paura che andassero a quarire in sepoltura."


    Sie hatten eine höhere Eingebung, denn hätten die Kranken diese Medikamente eingenommen, wären sie gestorben.


    Lieben Gruß
    Micha

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