Mikrophontechnik Damals und Heute – Schuld an schlecht ausgesteuerten Aufzeichnungen?

  • Gerade heute nach dem 2. Durchhören der Mravinsky – Bruckner 8. Aufnahme, die 1959 für das Label Melodiya aufgenommen wurde, dachte ich darüber nach, wie es sich denn im Vergleich zu anderen Aufnahmen mit der Mikrophontechnik damals zugespielt haben könnte.
    Im ersten Satz ist bei sehr lauten Stellen ein deutliches Kratzen zu vernehmen. Gegen Ende der Sinfonie scheint dies besser in den Griff bekommen.
    Ähnliches kann man bei einer Aufnahme von Verdis Requiem unter Giulini vernehmen, und zwar beim „Dies irae“, dort nämlich vermischen sich die Chorstimmen zusammen mit dem Rest des Instrumentariums zu ähnlichem Kratzen, so als würde der Kondensator (?) der Mikrofone schlappmachen. War die Technik damals wirklich noch nicht soweit, dieses gros von allen
    Frequenzbereichen sauber aufzuzeichnen?


    Allerdings: hört man sich hingegen die gut ausgesteuerte Aufnahme von Beethovens 9. unter Fricsay an, möchte man manchmal am technischen Können der Toningenieure bei jenen oben erwähnten Aufnahmen zweifeln. Berechtigt?
    Zumal es heute immer noch ab und an solche Aufnahmenpatzer gibt, die dann trotz manch guter Interpretation und Vorbereitung des Orchesters durch mögliche technische Unversiertheiten vermarktet werden und deren Anhören nicht gerade den größtmöglichen Genuss bietet.


    Wie steht es um euer Wissen bezüglich der Mikrophontechnik, welche damals von Aufnahmen für große Labels wie DG, EMI, RCA etc... erstellt wurden bzw. über die Fähigkeit eines Menschens, der für Aufnahmequalität zuständig ist.


    Und...wie steht es mit Aufnahmen aus neuerer Zeit? (Auch hier sind ja genügend dabei, denen es zwar am künstlerischen nicht mangelt, die allerdings dennoch durch Aufnahme“fehler“ verpatzt wurden)


    Kennt ihr weitere solche Aufnahmen und eventuell das Verfahren das dort angewandt wurde,
    um Aufzunehmen?


    Um vielleicht ergänzend eine Aufnahme zu nennen: Der Mahler Zyklus unter Eliahu Inbal, der in den 80ern für Denon aufgezeichnet wurde ist mit einer sog. „One-Point-Mikrofontechnik“ aufgezeichnet worden, wo mit nur zwei Brüel & Kjaer Mikros aus der „richtigen“ Entfernung zum Orchester aufgezeichnet wurde. Doch der Sound ist trotz dessen, so finde ich, Gewöhnungsbe—dürftig.

  • Hallo jaaan,
    Schuld an den Übersteuerungen sind wohl nicht die Mikros.
    Gerade in Russland wurde stellenweise mit steinzeitlichenTonbandgeräten und Tonbändern gearbeitet.
    Deshalb versuchten die Toningenieure, um erhöhtes Rauschen zu vermeiden, das Band bis zur absoluten Halskrause auszusteueren.
    Dabei wurde dann meistens massiv übersteuert.
    Ich habe leider eine ganze Menge Melodijas, gerade aus den 60er Jahren, wo dies der Fall ist.
    Die von Dir angesprochene Verdi-Aufnahme unter Giulini ist auch, soweit ich mich entsinne, bekannt als ein Beispiel einer unglücklicherweise ziemlich übersteuerten Aufnahme.
    Das kann alles mal passieren, auch ein guter Techniker hat mal eine schlechten Tag.


    In Russland blieb den Technikern nichts anderes übrig, als mit dem vorhandenen klarzukommen.
    Gruß,
    Michael

  • Hallo Michael.


    Erstmal Danke für den Beitrag


    Armes altes Russland :-)
    Gott sei Dank waren die Aufnahmen in den 70ern von diesem Monopolisten
    von besserer Qualität. Man stelle sich den Kondrashin/Mahler Zyklus mit
    Übersteuerungen vor ;-)


    Zur Giulini Aufnahme:


    Gibt es /Gab es nicht bevor die eigentliche Aufnahme erfolgt, so etwas
    wie eine Probeaufnahme, ein Rhearsal, wo man in etwa schon sehen
    konnte, ob die Aufnahme übersteuert (und dem Techniker schon ab diesem
    Zeitpunkt unwohl ist und es in seinem Kopf zu schreien Anfängt:


    "Um Gottes Willen. Verhuntz das Ding nicht. Die Rezensenten kennen bestimmt die Toscanini Aufnahme oder die 1959 von Fritz Reiner für DECCA
    erschienene und die haben trotz älterer Technik keinen Kratzer im Gesang...")


    Eigentlich müsste ja dem spätestens vom Plattenchef entgegengewirkt
    worden sein....Aber nun gut...Das ist die Vergangenheit...vielleicht gabs
    ja keine Rehearsals oder die Bänder waren zu teuer um zu Proben oder...
    vielleicht doch die Mikrofone...???

  • Zitat

    wie eine Probeaufnahme, ein Rhearsal, wo man in etwa schon sehen


    Hallo Jaaan,
    ich habe früher auch mal mit einem Freund ein Aufnahmestudio gehabt, wobei mein Freund der Techniker war, aber ich kann Dir versichern, daß es zumindest früher zu Analog-Zeiten, aber auch in den frühen Digital-Zeiten durchaus vorkommen konnte, daß man trotz sorgfältiger Vorbereitung auf die Nase fallen konnte.


    Bei den schlechteren Digitalwandlern damals sind wir auch noch Risiken eingegangen wie bei Analog-Aufnahmen, um ein ziemlich vollausgesteuertes Resultat zu bekommen.
    Später konnten wir bei Digital auf Nummer Sicher gehen und untersteuern, ohne daß dies großartig etwas ausgemacht hätte.
    Wir konnten ja später wieder digital auf 0dB anheben.
    Aber in den 80er Jahren war das noch ziemliche Handarbeit.


    Je, nachdem, welche Abhöre die Techniker dabei hatten, kann es auch sein, daß eine solche Übersteuerung während der Aufnahme gar nicht besonders aufgefallen ist, sondern erst bei der Nachbearbeitung, als es schon zu spät war.
    Es kommt bei Analog-Aufnahmen auch darauf an, ob man eine permanente Hinterbandkontrolle während der Aufnahme hat.
    Wenn man nur den Monitorausgang hört, was der Normalfall ist, dann weiß man eben erst mal nicht 100%, wie es auf dem Tonband gespeichert wurde.




    Gruß,
    Michael

  • Hallo Jaaan,


    um das von Michael gesagte noch etwas zu ergänzen:
    Der Aussteuerbereich der analogen Bandaufzeichnung ist nach unten durch das Bandrauschen, und nach oben v.a. durch zunehmende lineare Verzerrungen (Klirren) eingeengt.
    Das Rauschen hört man ständig, das Klirren dagegen nur bei Spitzenpegeln. Was liegt also näher, als möglichst nahe an die obere Schmerzgrenze zu gehen... Daß man dabei Gefahr läuft gelegentlich über derselben zu sein, wurde dabei billigend in Kauf genommen.
    Ein Tonband produziert hauptsächlich ungerade harmonische Verzerrungen (K3, K5). Diese hören sich zwar nicht besonders schön an, aber sie werden nur ganz allmählich mit zunehmendem Pegel stärker, so daß es da keine so eindeutige Clipping-Grenze gibt.
    Dagegen sind Verstärker (alle Verstärkungsstufen im Mischpult/Tonbandgerät) in der Regel so aufgebaut, daß sie ab einem gewissen Pegel regelrecht zusammenbrechen, also ohne Vorwarnung zu krächzen anfangen. So ganz eindeutig ist dieser Pegel wiederum auch nicht zu bestimmen, er hängt von der Impulshaltigkeit der Musik ab. Dieses gefürchtete Clipping kann an jeder beliebigen Stelle eines Mischpults auftreten, an dem die Aussteuerung nicht optimal eingestellt ist oder bei dem die Elektronik nicht mehr ganz in Ordnung ist. Hier bei großer Besetzung und Programm mit großer Dynamik (Verdi Requiem) immer den Überblick zu behalten, war auch Profis anscheinend nicht immer möglich.


    Man könnte heute sehr viele der kurzzeitigen Übersteuerungen digital korrigieren. Das ärgert mich eigentlich am allermeisten, daß das nicht gemacht wird, nach dem Motto "hat bisher ja auch niemanden vom Kauf abgehalten..."



    Hier bist du übrigens einer bewußt schwammigen Formulierung der Denon-Promotion aufgesessen:

    Zitat

    Original von jaaan
    Der Mahler Zyklus unter Eliahu Inbal, der in den 80ern für Denon aufgezeichnet wurde ist mit einer sog. „One-Point-Mikrofontechnik“ aufgezeichnet worden, wo mit nur zwei Brüel & Kjaer Mikros aus der „richtigen“ Entfernung zum Orchester aufgezeichnet wurde.


    Die One-Point-Version der 5. Mahler erschien erst in einer der "One Point" Boxen, die frühere Version war also sehr wohl mit Stützen, wie auch bei allen (?) anderen Sinfonien. Neu war aber der Versuch, auch bei einem großen Sinfonieorchester mit möglichst wenig Stützen (Anzahl + Pegel) auszukommen, und ich finde schon er ist gelungen. Aber das ist ein anderes Thema.


    Gruß, Khampan

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • ich möchte hier nur erläuternd einfügen, daß das "Klipping" in der beschriebenen Form eher eine Sache von TRANSISTOR-Verstärkern war - Röhren verhielten sich in dieser Hinsicht verhältnismäßig gutmütig....


    mfg
    aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo Khampan,


    Zitat

    Man könnte heute sehr viele der kurzzeitigen Übersteuerungen digital korrigieren. Das ärgert mich eigentlich am allermeisten, daß das nicht gemacht wird, nach dem Motto "hat bisher ja auch niemanden vom Kauf abgehalten..."


    Vielleicht hat man Angst, durch Nachdigitalisierung von analogen Aufnahmen, Dynamik zu verlieren. Leider hab ich in diesem Bereich noch nicht die nötige Erfahrung, um wissen zu können, welche Qualität diese Digitalisierung brächte.


    Hab nur eine erschreckende Erfahrung mit Aufnahmen gemacht, die von Billiglabels (Bsp. The 50s aus Italien) von Schallplatte auf CD "digitally remastered" wurden. Da diese anscheinend nicht die Originalbänder zur
    Verfügung hatten, wurde anscheinend irgendein Rauschunterdrückungs-
    programm drüber laufengelassen und das Gesamtergebnis hört sich an wie
    eine schlecht komprimierte MP3 Datei (Bei leisen Stellen hört man fast gar
    kein Grundrauschen. Wenn dann die Instrumenten einsetzen hört sichs an wie ein verrostetes Quietscheentchen mit Bauchweh und Kopfschmerzen)
    Da bekomm ich zu Hause mit nem Phono-Vorverstärker ein lebendigeres Ergebnis hin, hab dann zwar ab und an ein wenig knistern, was aber allemal besser zu verkraften ist als dieser Quietscheentensound.


    Zitat

    Die One-Point-Version der 5. Mahler erschien erst in einer der "One Point" Boxen, die frühere Version war also sehr wohl mit Stützen, wie auch bei allen (?) anderen Sinfonien. Neu war aber der Versuch, auch bei einem großen Sinfonieorchester mit möglichst wenig Stützen (Anzahl + Pegel) auszukommen, und ich finde schon er ist gelungen. Aber das ist ein anderes Thema.


    Die Tonqualität ist bei dieser Aufnahme nicht schlecht. Nur manchmal kommt es mir vor, als mangele es an Druck (An manchen Stellen klingt es mir etwas zu dumpf. Gerade dann wenn das Blech ran muss). Möglicherweise ist auch der allgemeine Lautstärkepegel der Aufnahme Grund für meine Kritik (der ist ja dort relativ niedrig gehalten ist). Ich hörte mir gerade diese 5. Mahler unter Inbal an und im Vergleich dazu eine Aufnahme von James Levine (die 1977 enstand und remastered wurde) und diese war deutlich „präsenter“ (auch lauter) vom Ausgangspegel. Der Gesamteindruck war bei dieser jedenfalls prägender.


    (Übrigens gehe ich NICHT von den die Original DENON Aufnahmen aus, sondern lediglich von der (remastered???) Box des Brilliant Labels. Könnte
    ja sein, dass es hierbei Unterschiede gibt ?

    Einmal editiert, zuletzt von jaaan ()

  • das ist leider alles nur allzu wahr.


    - Lautstärke
    die DG hat im Klassik-Bereich den loudness race angeführt. Zu erkennen daran, daß beispielsweise bei einer x-beliebigen Klavieraufnahme der Aussteuerungsmesser -zigmal an der 0-dB Marke anschlägt, ein sicheres Zeichen für heftige Limitierung (Grundpegel angehoben -> Spitzen werden mit Limiter gekappt).
    Bei anderen Labels (wie z.B. Denon) ist nichts limitiert, weil der Maximalpegel wenn überhaupt dann nur einmal nahe 0 dB geht. Ältere Aufnahmen sogar oft -2 dB maximum. Theoretisch ist das absolut korrekt, denn ein 16-bit-Signal nachträglich anzuheben und wieder auf 16 bit umzurechnen bringt sogar eine Qualitätsverschlechterung. Zu allem Überfluß sind die Denon-Aufnahmen bis in die 90er Jahre noch mit Emphasis, was zwar einen besseren Rauschabstand bringt, aber weitere 2-4 dB Pegelverlust.
    Der Vergleich Denon / DG zeigt sehr schön daß am Ende die pure Lautstärke (auf Kosten der Qualität) siegt. Kaum jemand ist bereit, die unterschiedlichen CD-Lautstärken am Volume-Regler des Verstärkers auszugleichen.
    Die Brilliant-Version der Mahler-Aufnahmen ist übrigens mit der Originalversion identisch, da ebenfalls mit Emphasis (niemand arbeitet heute noch mit Emphasis, falls sie remastert wären, würde als erstes die Emphasis rausgerechnet werden).


    - Direktheit
    hat nicht von vornherein was mit Lautstärke zu tun, sondern wie trocken der Aufnahmeraum ist oder wie nahe die Mikrofone standen oder wie stark die Balance zugunsten der Stützmikrofone (weniger Hauptmikrofone) verschoben ist. Auch hier ist DG der Vorreiter einer unnatürlichen Direktheit. Mitunter hat man das Gefühl, mit seinem Ohr an allen Instrumenten gleichzeitig dranzukleben. Erster Eindruck: "wow, man hört viel mehr als sonst" (was oberflächlich betrachtet wie eine Anhebung der Lautstärke wirkt), zweiter Eindruck: "nervt". Es nervt umso mehr, je besser die Anlage ist und je lauter man abhört. Auch von Philips gibt es dazu ein oft kritisiertes Beispiel: Brahms, Deutsches Requiem, Gardiner-Aufnahme: laute Chorstellen plärren regelrecht unangenehm, obwohl nichts direkt verzerrt ist. Dafür verantwortlich ist die unnatürliche Summierung von Stützmikrofonsignalen ohne Einbettung in einen Raumklang.



    - billig-remastering
    schlimm, schlimm. Wenn schon die CD-Überspielungen älterer Aufnahmen der großen Labels mitunter so klingen, daß einem das kalte Grausen kommt (verglichen mit den LP-Versionen etwa), dann muß man sich über nichts mehr wundern.



    - Nachtrag zur Korrekturmöglichkeit analoger Verzerrungen

    Zitat

    Original von jaaan


    Vielleicht hat man Angst, durch Nachdigitalisierung von analogen Aufnahmen, Dynamik zu verlieren.


    hm, nicht auszuschließen, jedenfalls bei den Wandlern der ersten Generation. Meine Anmerkung bezieht sich aber auf die Möglichkeit, nach der Digitalisierung (egal welcher Qualität) etwas zu verbessern.


    Gruß, Khampan

  • Danke beckmesser.
    Es ist vielleicht hier auch die Macht der Gewohnheit dabei...
    man ist gewöhnt, was lautes zu hören und hört was leises, von dem
    man denkt es wird laut :-)
    Dann dreh ich mal auf, ich fauler Hund.



    Danke Khampan das war aufschlussreich!



    Zitat

    Auch hier ist DG der Vorreiter einer unnatürlichen Direktheit.


    Also wenn ich mir jetzt die neueren Aufnahmen von DG anhöre, dann
    scheinen sie diese aber mittlerweile in den Griff bekommen zu haben.
    Die Boulez Aufnahme von Mahlers 2. z.B. klingt wirklich gut und direkt und
    nerven tut sie dort auch nicht.
    Leider kenn ich die von Dir angesprochene Gardiner Aufnahme nicht.


    Am Besten wohl, man ist live vor Ort dabei.
    Nur Schade, dass gute Interpretationen spärlich gesäht sind und manchmal
    zu teuer....
    Und über Technik muss ich wohl noch viel viel lernen...

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose